DIE LINKE und der ÖBS

Jobperspektiven durch Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS)?


 

Die Berliner LINKE rühmt sich damit, durch den Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) Langzeitarbeitslosen öffentlich finanzierte Stellen geschaffen zu haben und damit neue berufliche Perspektiven zu eröffnen. Berlin „profitiert von dieser Arbeit. Denn diese fördert vor allem das friedliche Zusammenleben“, so Arbeitssenatorin Carola Bluhm von der LINKEN. Im Moment sind in der Bundeshauptstadt 7.500 Menschen im ÖBS beschäftigt.

Der Koalitionsvertrag von SPD und Linkspartei in Brandenburg sieht nun die Schaffung von 8.000 ÖBS-Stellen vor. Gleichzeitig sollen bis 2019 11.000 Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst wegfallen.

Pro:

Dr. Andreas Bernig, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Landtag Brandenburg

Schon seit Anfang der Neunziger hat die PDS an Konzepten für einen „Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“ (ÖBS) gearbeitet. Mit dem ÖBS werden mehrere Zielstellungen verfolgt: Es wird ein spürbarer Beitrag zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit geleistet, Arbeitslosen wird wieder eine individuelle Perspektive gegeben, es werden Arbeiten im Gemeinwohlinteresse angepackt, die sonst nicht erledigt würden.

Der ÖBS führt den Bedarf an gesellschaftlich notwendiger Arbeit mit der bei den Erwerbslosen brachliegenden Kompetenz und ihren Erfahrungen zusammen. Das ist eine klassische win-win-Situation für Erwerbslose und für die Gesellschaft. Die Aufbringung der Mittel folgt dem Grundsatz „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“. Das heißt, die Mittel für Arbeitslosigkeit (Transferleistungen für Arbeitslose, Kosten der Verwaltung von Arbeitslosigkeit) sollten verwendet werden, um sinnvolle Beschäftigung zu existenzsichernden Löhnen aufzubauen. Beschäftigungsverhältnisse im ÖBS müssen existenzsichernd, sozialversicherungspflichtig und freiwillig sein.

Der ÖBS ist der dezidierte Gegenentwurf zur Hartz-IV-Logik des „Förderns und Forderns“. Es waren und sind doch die Grundlügen von Hartz IV, dass man erstens den Arbeitslosen nur richtig Beine machen muss, dann finden sie schon was, und dass zweitens nur ein Vermittlungsproblem besteht und wenn das gelöst ist, hat sich auch die Arbeitslosigkeit aufgelöst. Das ist mitnichten so. Wir haben ein eklatantes Arbeitsplatzdefizit, übrigens nicht nur in und während der Wirtschaftskrise, sondern auch in Zeiten des Aufschwungs.

Und es geht beim ÖBS gerade nicht darum, Arbeiten zu verrichten, für die sich Unternehmen interessieren. Es geht um gemeinwohlorientierte Projekte in den Bereichen Umwelt, Soziales, Bildung, Kultur, Sport und so weiter. Diese Arbeitsplätze gibt es ohne öffentliche Förderung nicht, weil sie sich nicht rechnen. Und es geht auch nicht um Aufgaben des Öffentlichen Dienstes. Ob zum Beispiel bei der Polizei Stellen neu entstehen oder abgebaut werden, hängt nicht von der Existenz eines ÖBS ab.

Wir möchten aber, dass diese Arbeiten erledigt werden, weil sie für das Gemeinwohl, für die Lebensqualität der Bürger in den Städten und Gemeinden wichtig sind.

Ein Einwand gegen den ÖBS lautet: Arbeitsplätze im ÖBS sind teuer. Das ist auch deshalb so, weil wir den Grundsatz existenzsichernder Entlohnung glaubwürdig vertreten und ihn nicht für geförderte Beschäftigung außer Kraft setzen wollen. Das bedeutet unter gegenwärtigen Bedingungen, dass das monatliche Entgelt mindestens 1.400 Euro Arbeitnehmer-Brutto oder acht Euro die Stunde als Einstieg umfassen muss, es sei denn, die tarifliche Entlohnung für die jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse liegt höher. Um es ganz deutlich zu sagen: „Statistische Erfolge“ wären auf anderen Wegen, zum Beispiel mit der weiteren Ausweitung von Ein-Euro-Jobs sehr viel leichter zu erreichen. Wir wollen aber endlich über „Billig-Bürgerarbeit“ und Ein-Euro-Jobs hinaus.

Trotz dieser hohen Kosten ist der ÖBS finanzierbar. Der entscheidende Schritt ist die Bündelung von Mitteln verschiedener Akteure: Bund, Land, Kreise, Kommunen sowie Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds. Die Idee, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, stellt sich konkret wie folgt dar: Der Bund finanziert als Passivleistungen derzeit 359 Euro Regelsatz ALG II, circa 60 Euro Anteil an den Kosten der Unterkunft, 180 Euro Sozialversicherung, zehn Euro sonstige Leistungen sowie als Anteile bei einem Ein-Euro-Job 180 Euro Mehraufwandsentschädigung und 169 Euro durchschnittliche Trägerpauschale. Das sind zusammen 958 Euro. Die Kreise müssen als Kosten der Unterkunft im Durchschnitt etwa 135 Euro aufwenden. Das heißt, ein Sockel von 1.093 Euro wird heute für einen Arbeitsuchenden mit einem Ein-Euro-Job ausgegeben und stellt für den Bund und die Kreise keine zusätzliche Belastung dar. Zusätzliche Mittel müssten vom Land und von den Städten und Gemeinden beziehungsweise den Maßnahmeträgern eingebracht werden. Die Länder tun dies auf unterschiedlichem Niveau bereits bei anderen Arbeitsmarktinstrumenten, zum Beispiel beim „Kommunal-Kombi“ zwischen 150 und 300 Euro. Bei den Gemeinden beziehungsweise anderen Maßnahmeträgern wird es neben dem (politischen) Willen und der Finanzkraft auch darauf ankommen, dass zumindest bei einem Teil der Maßnahmen ein „Nutzen“ entsteht, für den man etwas zu zahlen bereit ist.

Die Crux der Realisierung des ÖBS liegt darin, dass die Möglichkeit zur „Aktivierung passiver Leistungen“ rechtlich und faktisch nur unzureichend gegeben ist und auf Länderebene auch nicht zu schaffen ist. Es bleibt daher vorerst nur, an bestehende Arbeitsmarktinstrumente „anzudocken“. Dies ist – so zeigen es die praktischen Erfahrungen von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin – oft höchst unzureichend. Gerade deshalb gilt es aber, aus praktischen Erfahrungen heraus Druck zu entwickeln. Arbeitsmarktpolitik ist in den letzten Jahren und zumal unter Hartz IV zunehmend dazu genutzt worden, die Massenarbeitslosigkeit möglichst billig zu verwalten und damit zugleich die Löhne zu senken. Der ÖBS will aus dieser unsozialen Logik aussteigen.

Contra:

Alexandra Arnsburg, Mitglied im ver.di-Landesbezirksfachbereichsvorstand Berlin-Brandenburg im Fachbereich 9*, aktiv im „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ und SAV-Mitglied

Wie schon in Berlin sind die Regierungspolitiker der LINKEN in Brandenburg bereit, Stellenabbau mitzutragen. Konkret hat die Linkspartei in der Koalition zugestimmt, dass ein Fünftel aller Stellen im Öffentlichen Dienst (mit der Ausnahme des Bildungsbereichs) bis 2019 wegfallen soll. Die Alternative, für die DIE LINKE stattdessen eintreten müsste, wäre hingegen der Kampf für den Ausbau statt dem Abbau des Öffentlichen Dienstes sowie der Einsatz für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich.

Der ÖBS in Berlin (sowie zuvor in Mecklenburg-Vorpommern) und nun auch in Brandenburg – immer unter der tatkräftigen Beteiligung der LINKEN respektive der PDS – hilft, Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst durch, in der Regel befristete, Billigjobs zu ersetzen und auf diese Weise den Niedriglohnsektor zu zementieren. Der immer wieder herangezogene Vergleich mit „normalen“ Beschäftigungsverhältnissen hinkt nicht nur, es handelt sich vielmehr um einen beiderseitigen, mehrfachen, komplizierten Beinbruch. Denn im Gegensatz zu regulären Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst führt die ÖBS-Stelle nicht zum Anspruch auf ALG I. Schließlich wird bei den ÖBS-Jobs zwar Renten-, Pflege- und Kranken- aber keine Arbeitslosenversicherung abgeführt.

Gern ist die Rede von der Schaffung eines dritten Sektors – zwischen Markt und Staat. Aus einer Projektelandschaft von Vereinen, Genossenschaften, Trägern wie beispielsweise dem Diakonischen Werk soll dauerhaft ein neuer Sektor entstehen – mit Stellen für Langzeitarbeitslose und schwer Vermittelbare in Sozialprojekten, der Altenbetreuung, als Hausaufgabenhilfe oder als Fahrgastbegleiter.

Für den Berliner Senat war das bisher ein gutes Geschäft. Nachdem er Tausende Stellen im sozialen Bereich gestrichen hat und in der Folge von Kita-Teilprivatisierungen oder der Vergabe von Kantinen, Schulspeisung und Reinigung an Private konnten Arbeitsplätze „ersetzt“ werden – und das größtenteils mitfinanziert vom Bund.

Das Ganze führt dazu, dass oft ehemals im Öffentlichen Dienst beschäftigte ErzieherInnen, KöchInnen, RaumpflegerInnen diese Arbeit nun, bei sich gegenseitig im Preiskampf konkurrierenden Firmen und Vereinen, zu geringsten Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen verrichten. Für einen wirksamen Kampf gegen Niedriglöhne müssen stattdessen jedoch neue Stellen im Öffentlichen Dienst geschaffen werden durch die Rückeingliederung outgesourcter Bereiche und fachlich begründete Stellenschlüssel für soziale Einrichtungen.

Befürworter des ÖBS in der LINKEN erklären auch noch häufig, dass der Öffentliche Dienst zu starr und zu streng hierarchisch sei und dass der Staat nicht alle gesellschaftlich notwendigen Arbeiten organisieren müsse. Dabei geraten bei dieser Sichtweise lediglich viele früher noch selbstverständliche Aufgaben des Öffentlichen Dienstes weiter aus dem Blick.

Die Fraktion der LINKEN im Landtag Brandenburg weist auf mögliche Handlungsfelder für den ÖBS hin: soziokulturelle Infrastruktur, Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, kulturelle Bildung, Betreuung von Älteren, Sportförderung, Naturschutz, Frauenberatungsstellen und Integrationsarbeit. Stopp! Das müsste alles fester Bestandteil des Öffentlichen Dienstes sein und bleiben!

Die Mehrheit der 7.500 Beschäftigten im ÖBS in Berlin (68,2 Prozent) verdienen 1.300 Euro brutto, das sind gerade mal 1.120 Euro netto. Zum Vergleich: Das Berliner Durchschittseinkommen beträgt 2.400 Euro brutto. Brandenburg will mindestens 1.400 Euro brutto zahlen. Aber auch das ist sehr gering. DIE LINKE rechtfertigt sich mit dem Verweis auf Niedriglöhne wie beim Wachschutz. Natürlich: Schlechter geht immer!

Stets wird betont, dass die Bezahlung der ÖBS-Beschäftigten die geltenden Tarife berücksichtigen soll. Aber was ist in Berlin unter Rot-Rot passiert? Dort stieg der Senat selbst aus dem Arbeitgeberverband aus, um umfangreiche Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst durchsetzen zu können.

Der Abbau von Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst und die Schaffung von ÖBS-Stellen – ob in Berlin oder in Brandenburg – müssen im Zusammenhang gesehen werden. Die Vernichtung von regulären Beschäftigungsverhältnissen wird unter Federführung von LINKEN-Politikern lohnend gemacht. Den ÖBS-KollegInnen geht es nicht sonderlich besser als mit ALG II. Nur für manch einen Träger sind diese Beschäftigungsverhältnisse interessant. Denn bis zu 75 Prozent der Lohnkosten werden übernommen, der Arbeitgeber zahlt zum Beispiel in Berlin nur noch 325 Euro. Der ÖBS stellt zudem nicht nur eine billige Alternative zu den ehemals öffentlichen Dienstleistungen dar, sondern untergräbt auch die Verhandlungsposition der Gewerkschaften. KollegInnen im ÖBS werden zu Beschäftigten zweiter Klasse degradiert, viele bleiben hinterher in einem ÖBS-Job hängen. All das zeigt: Der ÖBS fördert den weiteren Abbau des Öffentlichen Dienstes, ist im Interesse der Arbeitgeber, nicht der abhängig Beschäftigen und steht damit im Widerspruch zu den Grundsätzen der Partei DIE LINKE.

(*Angabe zur Funktion dient nur der Kenntlichmachung der Person)