DIE LINKE zwischen koalieren und opponieren

Für eine sozialistische Strategie: Kämpfen statt anpassen


 

Die Frage der Bereitschaft Regierungskoalitionen mit den pro-kapitalistischen Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu bilden spiegelt die Debatte über die Zukunft der Partei DIE LINKE wider. Wird aus ihr eine kämpferische und sozialistische Partei der ArbeitnehmerInnen, Ausgegrenzten und Benachteiligten, wie es die SPD zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde – mit wachsender millionenfacher Anhängerschaft, tiefer gesellschaftlicher Verankerung und Mobilisierungsfähigkeit oder vollzieht sie eine Entwicklung der SPD im 20. und 21. Jahrhundert nach: Anpassung an und Aussöhnung mit dem Kapitalismus und Verlust von Mitgliedern, WählerInnen und gesellschaftlicher Verankerung?

von Sascha Stanicic

Das Programm der LINKE hat den Anspruch die Lebenssituation der Bevölkerungsmehrheit zu verbessern, sichere und dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen, eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise zu entwickeln, Armut abzuschaffen, den Zugang zu Bildung für alle zu ermöglichen, Kriege zu verhindern und Diskriminierungen zu bekämpfen. Sie vertritt in einer Gesellschaft, in der "die da oben" und "wir hier unten" diametral entgegengesetzte Interessen haben (der Profit jedes Kapitalisten beruht immer noch auf der unbezahlten Mehrarbeit "seiner" Beschäftigten, was man auch ganz einfach Ausbeutung nennen kann), den Anspruch Interessenvertretung der breiten Mehrheit von Lohnabhängigen (ob mit oder ohne Erwerbsarbeit), RentnerInnen und Jugendlichen zu sein. Die Frage ist nur: wie kann die Partei diesem Anspruch gerecht werden?

Hoffnungen

Die Wahlen im Saarland und in Thüringen haben gezeigt, dass es in Teilen der Bevölkerung gewisse Hoffnungen in einen Regierungswechsel hin zu Koalitionen mit Beteiligung der LINKE gibt. In beiden Ländern gab es eine realistische "Wechselperspektive" – die Abwahl der CDU und eine Regierung mit einer starken LINKE. Das hat WählerInnen mobilisiert. Auch wenn dort weiterhin die NichtwählerInnen die größte Gruppe ausmachen, so zeigen die Ergebnisse doch, dass eine Umkehr des Trends zu stetig wachsender Stimmenthaltung möglich ist. Die These, dass eine ähnlich realistische Wechselperspektive bei der Bundestagswahl zu einem Anstieg der Wahlbeteiligung und eher 15 Prozent für DIE LINKE geführt hätte, ist da nahe liegend. In dieser Stimmung drückt sich jedoch weniger aktive Unterstützung oder gar Begeisterung für rot-rote oder rot-rot-grüne Regierungskoalitionen aus, als die Ablehnung der bestehenden CDU-geführten Regierungen und die vage Hoffnung, dass eine Regierung mit Beteiligung einer starken LINKE weniger scharfe Angriffe gegen die sozial Schwachen und gegen ArbeitnehmerInnen durchführen wird und möglicherweise gewisse Verbesserungen, wie die Abschaffung von Studiengebühren, beschließen könnte. Eine solche "Wechselstimmung" kann es auch nach Massenbewegungen und Kämpfen geben, auch wenn solche die Selbstaktivität und das politische Bewusstsein in der Arbeiterklasse heben. Aber, wenn zum Beispiel eine gewerkschaftliche Massenbewegung gegen die Einführung der Kopfpauschale im Gesundheitswesen mobil macht und SPD, Grüne und LINKE diese ablehnen, kann es zu Illusionen in einen Regierungswechsel kommen. Doch bedeutet das für Linke und SozialistInnen solche Regierungskoalitionen zu unterstützen?

Kleineres Übel ist ein Übel

Die Logik des kleineren Übels wird von dem in der Parteiführung und Bundestagsfraktion der LINKE dominierenden Flügel mehr oder weniger offen vertreten. "Eine Regierung ohne DIE LINKE wäre unsozialer“, ist das Credo. Doch alle Erfahrungen mit der Beteiligung linker und sozialistischer Parteien an pro-kapitalistischen Regierungen zeigen, dass erstens aus kleinem Übel große Übel werden und zweitens diese Parteien und die linke und Arbeiterbewegung im allgemeinen stark geschädigt werden. Kein Wunder: denn wenn sie in Regierungen Maßnahmen umsetzen, wogegen sie vor ihrem Regierungseintritt zu Felde gezogen sind, verlieren sie das Wichtigste für den Aufbau einer linken Partei: Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Das ist die Erfahrung der PDS bei der Tolerierung der SPD-geführten Landesregierungen in Sachsen-Anhalt und bei den Koalitionen mit der SPD in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.

Veränderungen erkämpfen

Der Gedanke, dass die Frage von sozialen Einschnitten oder Verbesserungen in erster Linie durch parlamentarische Mehrheiten und Verhandlungsgeschick entschieden wird, ist falsch. Ob es zur Einführung von Mindestlöhnen oder zur Senkung von Arbeitslosengeld kommt, ob Bildungseinrichtungen privatisiert oder Studiengebühren abgeschafft werden, entscheidet sich in erster Linie durch das Ringen der entscheidenden gesellschaftliche Kräfte, kurz: durch den Klassenkampf. Dieser vollzieht sich mal offen, zum Beispiel, wenn es zu Streiks und Demonstrationen kommt, und mal versteckt, zum Beispiel, wenn es um die Beeinflussung der so genannten öffentlichen Meinung geht. Parlamentarische Abstimmungen sind viel mehr Ergebnis dieses Kampfes, als Ursache von Veränderungen. So war es auch bei der Abschaffung der Studiengebühren in Hessen: hier hat die massive Bewegung der Studierenden den entscheidenden Ausschlag gegeben. Die kurzzeitig bestehende parlamentarische Mehrheit für SPD, Grüne und LINKE konnte dann die Abschaffung formell beschließen (und war deshalb ein wichtiger Faktor, aber auch selber ein Ausdruck der Entwicklung im Klassenkampf), vor allem aber traut sich die mittlerweile wieder bestehende Koch-Regierung zur Zeit nicht, diesen Beschluss rückgängig zu machen – weil das gesellschaftliche Kräfteverhältnis in Hessen gegen Studiengebühren besteht und Koch Angst vor neuen Massenbewegungen hat.

Verbesserungen für die Masse der Bevölkerung müssen erkämpft werden, durch Bewegungen, Demonstrationen, Streiks etc. Das gilt in Zeiten kapitalistischer Krisen umso mehr. Die Politik einer linken Partei muss diesem Erkämpfen entsprechen und darf dafür kein Hindernis sein.

Ziel: Sozialismus; Weg: Massenpartei aufbauen

Im Kapitalismus sind die Regierungen auf Bundes- und Landesebene die Sachverwalter der Banken und Konzerne. Sie dienen der Aufrechterhaltung des bestehenden Systems und sollen die Profitbedingungen möglichst günstig für das Kapital gestalten. Die Regierung hat – wie der ganze Staatsapparat (also Polizei, Justiz, Militär) – die Aufgabe die Aufrechterhaltung des Systems und die Interessen der nationalen Wirtschaft (sprich: des deutschen Kapitals) zu verteidigen – zum Beispiel durch Polizeieinsätze gegen Streikposten, Militäreinsätze in Afghanistan oder die arbeitsgerichtliche Bestätigung von Entlassungen wegen der angeblichen Entwendung von zwei Pfandbons über 1,30 Euro durch eine Kassiererin.

Eine dauerhafte Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerungsmehrheit, Frieden und ökologisches Wirtschaften sind in der auf Profitmaximierung basierenden kapitalistischen Gesellschaft nicht möglich. Der Kampf um unmittelbare Verbesserungen muss deshalb verbunden werden mit der Perspektive den Kapitalismus durch eine sozialistische Demokratie zu ersetzen. Dazu bedarf es der Entwicklung sozialistischen Bewusstseins in der arbeitenden Bevölkerung und des Aufbaus einer starken sozialistischen Massenpartei mit Millionen Mitgliedern und AnhängerInnen. DIE LINKE kann weder einen Beitrag zur Entwicklung sozialistischen Bewusstseins leisten noch wird sie eine Massenpartei werden, wenn sie sich an der Verwaltung des kapitalistischen Missstandes beteiligt und Verantwortung für soziale Einschnitte, die Aufrechterhaltung und Umsetzung von Hartz IV, Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst, Militäreinsätze im Ausland, Abschiebungen von Flüchtlingen usw. übernimmt. Eine Beteiligung an einer prokapitalistischen Regierung muss aber zwangsläufig zu einer solchen Politik führen, denn sie bedeutet von ihrer Natur her den versuch einen Klassenkompromiss zu finden, wo Klassenkampf nötig wäre, um Verbesserungen für die Masse der Menschen zu erreichen.

Mindestbedingungen? Tolerierung?

Aus allen genannten Gründen sollte DIE LINKE sich aus Prinzip einer Regierungsbeteiligung mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen verweigern. Das Prinzip heißt hier aber nicht "Opposition", sondern "konsequente Vertretung von Arbeiterinteressen". Das schließt auch eine Tolerierung von Minderheitsregierungen per Tolerierungsabkommen (also einem verbindlichen Vertrag, der DIE LINKE auf die Unterstützung der Regierung verpflichtet) aus, denn damit legt man sich auch auf die Unterstützung einer Regierung fest und macht sein Abstimmungsverhalten im Parlament nicht mehr von den jeweiligen Inhalten der abzustimmenden Anträge abhängig. Genau das ist aber nötig und in diesem Sinne kann DIE LINKE offensiv vertreten, dass sie jedem Antrag für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung, für Ökologie, Demokratie und gegen Krieg zustimmen wird. Das kann im Zweifelsfall, wie es in Hessen 2008 der Fall war, auch die Abwahl eines CDU-Ministerpräsidenten bedeuten.

Wie eine solche prinzipielle Haltung präsentiert wird, ist eine andere Frage. Natürlich müssen Hoffnungen auf Regierungswechsel in Betracht gezogen werden und ebenso darf nicht der Eindruck entstehen, DIE LINKE wolle keine Verantwortung übernehmen. Deshalb sollte nicht negativ formuliert werden, dass man keine Regierung mit SPD oder Grünen bilden werde, sondern offensiv formulieren, dass man nur eine Regierung bilden wird, die die Interessen der ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen vertreten wird und dementsprechend nicht eine Maßnahme des Sozialabbaus, der Verschlechterung von Arbeitnehmerrechten, Privatisierungen, Arbeitsplatzvernichtung, Polizeieinsätze gegen Demonstrationen oder Abschiebungen ergreifen wird.

DIE LINKE sollte keine Angebote an SPD und Grüne machen, die in den letzten elf Jahren nur durch Agenda 2010, Hartz IV und Auslandseinsätze der Bundeswehr aufgefallen sind. Das kann nur den Eindruck erwecken, dass ohne SPD und Grüne keine gesellschaftlichen Veränderungen möglich sind, was Teile der LINKE-Führung ja auch offen formulieren.

Stattdessen sollte die Partei offensiv ihr Programm vertreten und deutlich machen, dass sie für dieses Programm bereit ist zu mobilisieren und zu regieren. Das ist etwas anderes als Mindestbedingungen für Regierungskoalitionen mit der SPD aufzustellen, wie das von Teilen der linken Strömungen in der Partei gefordert wird. Diese Strömungen stellen die Forderung in dem Bewusstsein auf, dass SPD und Grüne solche Bedingungen ohnehin nicht akzeptieren würden, und wollen den schwarzen Peter für das Scheitern einer Regierungsbildung so ihnen zuschieben. Dass pro-kapitalistische Parteien zum Machterhalt allerdings zu jedem Pakt und jeder Unterschrift bereit sein können, sollte auch bekannt sein. Die Umsetzung von solchen Versprechen würde aus ihrer Sicht ja dann – in der Regierung – an den so genannten Sachzwängen (sprich: leeren Kassen und Drohungen der Unternehmer mit Entlassungen und Investitionsboykott etc.) scheitern. Außerdem beinhalten Mindestbedingungen immer die Möglichkeit, dass in anderen Bereichen Verschlechterungen akzeptiert werden.

DIE LINKE muss offensiv sagen: wir wollen dieses Land regieren, aber anders als es irgendeine Regierung in den letzten 60 Jahren gemacht hat! Wir werden nur eine Regierung bilden, die kein Büttel von Deutsche Bank und Daimler ist! Wir werden in der Regierung den Menschen statt den Profit in den Mittelpunkt unseres Handelns rücken! Wir werden uns nicht von Kapitalisten mit Abwanderungsdrohungen oder Investitionsboykott erpressen lassen. Um Arbeitsplätze zu schaffen, das Gesundheits- und Bildungswesen auszubauen, die Umwelt zu retten, Kriege zu verhindern, werden wir den gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtum im Interesse der Gesellschaft einsetzen. Das geht nur im Konflikt mit der kleinen Minderheit von Großaktionären, Konzerneigentümern und Superreichen. Um diesen Konflikt zu gewinnen, muss die arbeitende Bevölkerung mobilisiert werden. Um diese zu mobilisieren, muss sie selber demokratisch an den wichtigen Entscheidungen teilhaben können. Deshalb wollen wir Demokratie in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch in der Wirtschaft. Das geht nur, wenn wir die Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum überführen und demokratisch kontrollieren und verwalten. Das bedeutet Bruch mit dem Kapitalismus. Deshalb werden wir nur an einer Regierung teilnehmen, die zu diesem Bruch bereit ist.