Linke in Griechenland

Die Tendenz „2.Welle“ macht Vorschläge zur organisatorischen Restrukturierung des Linksbündnisses SYRIZA


 

Aus: „Xekinima“ Juni 2009, Zeitung der gleichnamigen Organisation, Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland.

Ende März fand in Volos (Mittelgriechenland) das Gründungstreffen der Tendenz „Deftero Kyma“ („2.Welle“ ) statt, die Teil des Linksbündnisses SYRIZA ist. Sie ergreift wichtige Initiativen innerhalb von SYRIZA (SYRIZA ist die „Allianz der Radikalen Linken“, der die Linkspartei Synaspismos und weitere Tendenzen angehören, Anm. d. Übers.) An der „2.Welle“ beteiligen sich viele „parteilose“ Kämpfer, die keiner der Organisationen bzw. Tendenzen innerhalb von SYRIZA angehören, sowie drei der elf Tendenzen bzw. Organisationen, die Komponenten von SYRIZA sind. Die drei an der „2.Welle“ teilnehmenden Organisationen sind die „Ökosozialisten“, die Teil des Synaspismos sind, „Kokkino“ („Rot“) und unsere Genossen von „Xekinima“.

Zum Ende der Europawahlen tritt die „2.Welle“ mit einem längeren Text an die Öffentlichkeit, in dem sie sich ins Einzelne gehend sowohl mit den politischen Fragen dieser Zeit als auch mit konkreten organisatorischen Vorschlägen zur Neustrukturierung von SYRIZA befasst.

Politische Punkte des Textes

Der Text beginnt mit der Feststellung, dass die gesellschaftliche Dynamik von SYRIZA unterbrochen worden ist. Er erklärt, dass unter den Anhängern und Mitgliedern von SYRIZA starke Zeichen politischer Enttäuschung und des Rückzugs von Aktivisten zu beobachten sind. (SYRIZA erhielt bei den Europawahlen zwischen 7% und 8%, nachdem es in Meinungsumfragen vor einem Jahr noch bei über 15% lag, Anm. d. Übers.) Der Text vertritt die Einschätzung, dass ein konsequenter Marsch in Richtung eines links-antikapitalistischen Kurses bei SYRIZA von großen Defiziten begleitet wird.

Er betont, dass in der ganzen vorangegangenen Periode ein grundlegendes Charakteristikum von SYRIZA politische Widersprüchlichkeit und eine doppelte Sprache war. Denn einerseits gibt es die offiziellen Positionen von SYRIZA und andererseits das öffentliche Erscheinungsbild, wie es von den Unterstützern der „Erneuerer-Tendenz“ innerhalb des Synaspismos ausgedrückt wird. Der Text erklärt, dass als Ergebnis der Kompromisse innerhalb des Synaspismos (die sogenannten „Erneuerer“ vertreten etwa 30% auf den Parteitagen und bekämpfen das Bündnis SYRIZA zugunsten einer Mitte-Links-Koalition mit den Sozialdemokraten der PASOK, Anm. d. Übers.), die sich innerhalb on SYRIZA widerspiegeln, die politische Orientierung von SYRIZA unklar ist. Dies war ein besonders schlagendes Charakteristikum der Wahlkampfzeit (Europawahlen) und bildet einen der Interpretationspunkte für die niedrigeren Prozentsätze von SYRIZA bei den Wahlen als erwartet.

Der Text entwickelt die Gefahren, die aus der Mitte-Links-Orientierung vieler Funktionäre des Synaspismos innerhalb der Arbeiterbewegung erwachsen, die wiederum sowohl zu ungenügender Kritik an der Gewerkschaftsführung als auch zur Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen PASOK-Organisation innerhalb der Gewerkschaften (PASKE) führt. Er erklärt auch, dass die Schwäche des Eingreifens des Synaspismos und in Erweiterung des SYRIZA innerhalb der Arbeiterbewegung die „Achilles-Ferse“ von SYRIZA darstellt.

Die „2.Welle“ macht so das unklare politische Profil und die Schwäche, konsequent an einer festen antikapitalistischen Orientierung festzuhalten, für den Niedergang der gesellschaftlichen Dynamik von SYRIZA verantwortlich.

Zwei Pflichten

Auf der Grundlage der obigen politischen Analyse ist die „2.Welle“ der Ansicht, dass SYRIZA zwei zentralen Aufgaben gegenübersteht.

Die erste betrifft die Klärung eines linken, antikapitalistischen, sozialistischen Programms: D.h. eines Programms, das ausgeht von den Alltagsproblemen der Arbeitnehmer und der Volksschichten, vorangeht zu den Kämpfen für unmittelbare Lösungen, Vorschläge macht, die auf Siege abzielen, sowie diese Kämpfe mit dem Ziel der sozialistischen Transformation verbindet.

Die zweite Aufgabe ist die organisatorische Neustrukturierung von SYRIZA auf folgende Weise:

a)Diese muss den parteilosen Kämpfern, die keiner der 11 Organisationen/Tendenzen von SYRIZA angehören, eine entscheidende Rolle und ein entscheidendes Wort bei den Entscheidungen und dem Kurs von SYRIZA geben.

b)Sie muss den Zehntausenden von Kämpfern, die sich einmischen und helfen wollen, und denen die heutigen Strukturen von SYRIZA dies nicht erlauben, einen massenhaften Beitritt in die Reihen von SYRIZA ermöglichen.

Der heutige SYRIZA ist eine Zusammenarbeit von Organisationen/Tendenzen. Den Begriff des SYRIZA-Mitglieds gibt es nicht. Daher haben die Leute, die keiner von diesen Tendenzen angehören, keine Ausdrucks- oder Teilnahmemöglichkeit sowie kein entscheidendes Wort und keine entscheidende Rolle.

Fragen der Demokratie

Die „2.Welle“ hat die Einschätzung, dass es außer den politischen Schwächen auch ein gewaltiges demokratisches Defizit bei SYRIZA gibt.

Die Mitglieder und Anhänger von SYRIZA haben keine Möglichkeiten, die Spitzen zu kontrollieren. Die Entscheidungen werden im Grunde vom Synaspismos (der größten und dominierenden Komponente von SYRIZA, Anm. d. Übers.) und einem engen Kreis von „Mitarbeitern“ (Tendenzen oder Einzelpersonen) getroffen.

Charakteristisches Beispiel sind das Thema des Wechsels des Koordinators des Generalsekretariats und das Thema der Festlegung der Kandidatenliste für die Europawahlen.

Im ersten Fall bestand der Koordinator des Sekretariats Roudi Rinaldi von der Organisation/Tendenz KOE („Kommunistische Organisation Griechenlands“) darauf, die Position des Koordinators eineinhalb Jahre zu behalten mit der Unterstützung oder der Tolerierung bestimmter Tendenzen (unter denen natürlich der Synaspismos war), obwohl die Mehrheit des Sekretariats die Anwendung des einstmmig gefassten Beschlusses über den Wechsel verlangte.

Beim Thema der Liste zu den Europawahlen beschloss der Synaspismos alleine über seine eigenen Kandidaten und drückte sie dem übrigen SYRIZA auf. Außerdem stimmten der Synaspismos und die KOE nach Hintergrundgesprächen darin überein, die ersten Positionen auf der Kandidatenliste unter sich aufzuteilen und damit provokativ die Mehrheit der Mitglieder des Sekretariats, die andere Ansichten hatten, zu ignorieren.

Das Defizit, das in SYRIZA existiert, der unerträgliche Druck, der ausgeübt wird bei Beschlussfassungen, die im Hintergrund entschieden werden, ist ein weiterer sehr ernster Faktor, der den Wechsel der organisatorischen Strukturen von SYRIZA notwendig macht. Dies muss so erfolgen, dass die „Basis“ die heute unkontrollierten Spitzen kontrollieren kann.

Organisatorische Vorschläge

Auf der Grundlage der Gesamtheit der obigen Überlegungen schlägt die „2.Welle“ die Umwandlung von SYRIZA in eine föderative, verschiedene Tendenzen umfassende Mitgliederorganisation, in der man keiner Tendenz angehören muss, um Mitglied zu sein.

Föderative Struktur

Die „2.Welle“ erklärt, dass SYRIZA die absolute politische und organisatorische Freiheit und Unabhängigkeit jeder der ihn bildenden Tendenzen sichern kann und muss.

Lokale und Branchenorganisationen

Schlüssel bei der ganzen Struktur von SYRIZA müssen die lokalen und Branchenorganisationen sein. Der Text der „2.Welle“ betont, dass ihre Rolle entscheidend sein muss, dass sie die Zelle des Organismus namens SYRIZA bilden müssen und dass sie eine volle politische und organisatorische Rolle gewinnen müssen.

Der Text betont die Bedeutung der Generalversammlung der lokalen und der Branchenorganisation, die das höchste Organ bilden, durch das die Beschlüsse, die lokale, Branchen- sowie andere Fragen von SYRIZA betreffen, gefasst werden müssen.

Finanzielles

Der Text betont die Bedeutung der Finanzfragen und erklärt, dass es nicht vorstellbar ist, dass die finanzielle Stärkung, die SYRIZA aus dem Staatshaushalt erhält (Parteienfinanzierung) nur an die Tendenzen verteilt wird, ohne dass Geld für die lokalen und die Präfekturorganisationen von SYRIZA, die Aktionen von SYRIZA als SYRIZA, seine zentralen Büros, die zentrale Zeitschrift usw. bleibt.

Prozentsätze

Die „2.Welle“ unterstützt leidenschaftlich die Notwendigkeit der Festlegung von prozentualer Grenzen bei der Struktur von SYRIZA. Sie schlägt vor, dass bei allen Organen (lokalen Komitees, Koordinationskomitees, Sekretariaten, Zentralsekretriaten usw. nur 50 Prozent aus Vertretern der Organisationen/Tendenzen bestehen sollen und die übrigen 50 Prozent aus Mitgliedern, die keiner Tendenz angehören. Auch wird vorgeschlagen, dass keine Tendenz über 25 Prozent haben soll, sei es bei einem Koordinationsorgan, sei es bei den Delegierten des Kongresses von SYRIZA.

Dieser Vorschlag bedeutet in der Praxis, dass die Organe von SYRIZA zu 25 Prozent aus Vertretern des Synaspismos, zu 25 Prozent aus den übrigen Tendenzen (auf gleichberechtigter Grundlage) und zu 50% aus „parteilosen“ Kämpfern bestehen.

Diese Vorschläge stellen sicherlich eine Richtung und ein Ziel zur Verwirklichung dar. Insbesondere in kleinen Provinzstädten werden solche Prozentsätze in der Praxis nicht möglich sein. Trotzdem muss dies angestrebt werden und dieser Vorschlag muss als Leitlinie fungieren. Diese Prozentsätze müssen mit großer Strenge auf der Ebene der zentralen Koordinationsorgane und den Delegierten zum Kongress eingehalten werden. (Es wird vorgeschlagen, diesen allen zwei Jahre stattfinden zu lassen.)

Rotation – Abberufbarkeit – Kontrolle

Andere Punkte, die der Text der „2.Welle“ betont, sind die Notwendigkeit der Rotation in allen Funktionen der Koordinierungsorgane, die Notwendigkeit der Abberufbarkeit der gewählten „Funktionäre“, sowie die der Kontrolle und der Abberufbarkeit der Parlamentsabgeordneten durch die „Basis“.

Der Text, den die „2.Welle vorschlägt, ist lediglich ein Diskussionsvorschlag und kein Beschluss. D.h. sie legt offen einen Text vor und verlangt einen öffentlichen Dialog durch die Unterstützer der „2.Welle“, aus der die endgültige Gestalt sich ergeben soll.

Es handelt sich um Beispiele des demokratischen Funktionierens, die nützlich für die gesamte Linke sind.

Übersetzung aus dem Neugriechischen von Hubert Schönthaler