Tarifabschluss für Kitas und Sozialdienste enttäuschend

ver.di und GEW stimmen ohne Not einem Kompromiss zu, der Verschlechterungen der Vergangenheit nicht ausgleicht


 

Nach einem fünftägigen Verhandlungsmarathon haben die VertreterInnen der Gewerkschaften ver.di und GEW und der kommunalen Arbeitgeber ein Ergebnis der seit einem halben Jahr dauernden Tarifauseinandersetzung verkündet. Die Gewerkschaftsspitzen müssen zugeben, dass dieses Ergebnis umstritten ist und den Beschäftigten „viel abverlangt“. Und trotzdem reden sie das Ergebnis schön, wenn man die tarifliche Entwicklung der letzten fünf Jahre betrachtet.

von Sascha Stanicic, Berlin

Der Kita-Streik war in den letzten Monaten eine der wichtigsten sozialen Auseinandersetzungen in Deutschland. Trotz Wirtschaftskrise und sinkenden Staatseinnahmen hat eine Beschäftigtengruppe zurecht darauf hingewiesen, dass sie unter inakzeptablen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu leiden hat und auf eine deutliche Verbesserung ihrer Situation bestanden. Wenn Milliarden für die Banken zur Rettung des kapitalistischen Systems zur Verfügung gestellt werden können, dann auch Millionen für die gesellschaftlich so entscheidende Tätigkeit in den Bereichen der Kindererziehung und Sozialdienste, so die zutreffende Logik der ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen.

Deren Kampfbereitschaft überraschte, gehören sie doch nicht zu den traditionell kampferprobten Bereichen der Arbeiterklasse. 150.000 beteiligten sich an Streiks und Demonstrationen – und hatten ihr Pulver noch lange nicht verschossen. Trotz (verständlicherweise) oftmals entnervter Eltern, die die unmittelbaren Folgen von Arbeitsniederlegungen auffangen mussten, dominierte über den gesamten Zeitraum der Auseinandersetzung in der Bevölkerung und auch unter den Eltern Sympathie und Unterstützung für die kämpfenden Beschäftigten.

Warum also jetzt dieser Kraftakt, um einen raschen Abschluss noch in der Sommerpause zu erreichen, obwohl das Ergebnis aus Sicht der Gewerkschaft zu wünschen übrig lässt? Das ist nur politisch zu erklären. Arbeitgeber, Regierung und Gewerkschaftsbürokraten wollten keine Zuspitzung betrieblicher und sozialer Kämpfe während des Bundestagswahlkampfs. Die Interessen der ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen wurden auf dem Altar der politischen Stabilität des kapitalistischen Systems geopfert. Offensichtlich war auf beiden Seiten des Verhandlungstisches die Sorge groß, dass ein – wie angekündigt – zweiwöchiger Vollstreik in den Kitas einen Dominoeffekt auf andere Belegschaften und gesellschaftliche Schichten, wie SchülerInnen und Studierende, auslösen könnte – und die Erwartungen mit der Steigerung der Kampfmaßnahmen mit gestiegen wären. Damit hat die Gewerkschaftsführung eine weitere Gelegenheit boykottiert, den immer notwendiger werdenden gemeinsamen sozialen Widerstand der Lohnabhängigen und Erwerbslosen gegen das Abwälzen der Krisenkosten auf die Masse der Bevölkerung endlich in Gang zu bekommen.

Hintergrund des Tarifkampfs

Auf den ersten Blick sieht es so aus, dass die Arbeitgeber tief in die Tasche greifen müssen. Von 500 bis 700 Millionen Euro Mehrkosten ist die Rede. Bei 220.000 Beschäftigten in diesem Bereich wären das im Schnitt 1.800 bis 2.650 Euro Lohnsteigerung im Jahr. Tatsächlich jedoch wurde mit der Einführung des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TvöD), der 2005 den alten Bundesangestelltentarif (BAT) ablöste, eine massive Absenkung des Lohnniveaus von durchschnittlich zwanzig Prozent bei ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen durchgeführt. Vor diesem Hintergrund muss dieser Tarifkonflikt, wie auch alle weiteren Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst, betrachtet werden. Es gibt enormen Nachholbedarf aufgrund der durch die ver.di-Führung verschuldeten massiven Verschlechterung durch den TvöD – die den Mitgliedern seinerzeit als „Meilenstein“ verkauft wurde. Diesen dämmerten die wahren Folgen des neuen Tarifrechts erst, als es zu spät war.

Versuch einer Bewertung des Ergebnisses

Im Vergleich zum Niveau des alten BAT scheint der aktuelle Tarifabschluss für die Kitas und Sozialdienste nun keine oder nur eine sehr geringe Verbesserung darzustellen, trotz der gegenteiligen Behauptungen der Gewerkschaften.

Der neue Tarifvertrag ist sehr kompliziert und eine detaillierte Bewertung ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Es scheint aber so zu sein, dass in ihrem Versuch, das Ergebnis möglichst positiv zu bewerten, die GewerkschaftsvertreterInnen Äpfel mit Birnen vergleichen und die Frage des Einkommensentwicklung ignorieren. Durch den TVöD sind nicht zuletzt der Bewährungsaufstieg und Kinderzuschläge weggefallen, was dazu führt, dass für viele Neu-Beschäftigte und Stellenwechsler zwar das Grundgehalt nicht abgesenkt wurde, aber das reale Einkommen auf die Lebenszeit gerechnet massiv abgesenkt wurde (zum Beispiel für eine ledige Erzieherin ohne Kinder 145.000 Euro auf die Lebensarbeitszeit berechnet). Dies hätte durch einen neuen Tarifabschluss kompensiert werden müssen, was offensichtlich nicht der Fall ist.

In ihrer Darstellung vergleichen die Gewerkschaftsbürokraten das jetzt erzielte Niveau außerdem mit dem BAT-Niveau von 2004 und tun dabei so, als hätte es in den zurückliegenden fünf Jahren keine Kämpfe um prozentuale Lohnerhöhungen gegeben. Um zu einem ehrlichen Vergleich zu kommen, muss man also auf das BAT-Niveau von 2004 die circa acht Prozent Lohnerhöhungen, die sich die Beschäftigten im Rahmen des TVöD erkämpft haben, drauf schlagen. Dann kommt wahrscheinlich für die meisten Beschäftigten keine Steigerung im Vergleich zum BAT heraus, sondern weiterhin eine Unterschreitung.

Teilerfolg

Trotzdem hat die Tarifauseinandersetzung gezeigt, dass durch Kampf Zugeständnisse der Arbeitgeber, auch in Zeiten der Krise, zu erreichen sind. Diejenigen Beschäftigten, die nach 2005 unter den Bedingungen des TvöD ihre Arbeit begonnen haben (und bei denen keine Besitzstandswahrung aus dem alten BAT galt) erhalten nun deutlich mehr Geld und werden eine reale Verbesserung spüren (wenn diese gegenüber dem alten BAT-Niveau auch minimal oder gar nicht vorhanden sein wird). "Kämpfen lohnt sich" ist hoffentlich die Schlussfolgerung, die sie daraus ziehen. Leider bedeutet das Ergebnis aber auch, dass unterschiedliche Beschäftigtengruppen unterschiedlich stark bzw. wenig (bezogen auf die derzeit real existierende Einkommenssituation) profitieren. So erhalten KollegInnen, die schon zu Zeiten des BAT beschäftigt waren, nur eine Lohnerhöhung von 2,65 Prozent und auch Kita-Leitungen erhalten eine sehr geringe Steigerung.

Gesundheitsschutz

Offiziell führten die Gewerkschaften die Auseinandersetzung um die Einführung eines tariflich festgelegten Gesundheitsschutzes. Die dazu beschlossenen Regelungen sind jedoch wenig wert, weil sie letztlich komplett von der Bereitschaft der Arbeitgeber abhängen. Es mag sein, dass dem Thema Gesundheitsschutz nun eine größere Aufmerksamkeit zuteil wird, aber die Umsetzung von Verbesserungen können die Arbeitgeber weiterhin mit dem Argument der leeren Kassen boykottieren. Das oppositionelle „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ hatte hierzu vorgeschlagen den Kampf für eine tarifliche Personalbemessung zu führen und die Forderung eines Personalschlüssel von 5:1 bei Fachkräften und von 25 Prozent der Arbeitszeit für Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche usw. vorgeschlagen. Eine solche Forderung, die zu konkreten und nachprüfbaren Ergebnissen hätte führen können, hätte sicher auch eine größere Mobilisierungskraft entwickelt.

Wie weiter?

Der Tarifabschluss ist faktisch ein Eingeständnis des Scheiterns des TvöD. Die Tatsache, dass für die Erziehungs und Sozialberufe nun eine eigene Tabelle eingerichtet wurde, führt das Argument ad absurdum, dass der TvöD zu einer größeren Übersichtlichkeit und Vereinheitlichung des Tarifwerks führen würde. Im Gegenteil werden neue Spaltungslinien geschaffen und verstärkt. Nicht zuletzt bleiben Landesbeschäftigte und die KollegInnen in Berlin weiterhin außen vor.

Unter den Delegierten der Streikleitungen, die den Kompromiss debattierten, gab es so auch viel Kritik und Unmut. Die VertreterInnen aus Baden-Württemberg stimmten gegen den Abschluss. In der jungen Welt vom 29.7. spricht der Stuttgarter Personalrat Martin Agster von einer „großen Enttäuschung“ und weist auf die große Kampfbereitschaft in Stuttgart hin.

Diese muss schon bald wieder genutzt werden, denn die Tarifverhandlungen für Bund und Kommunen stehen zum Jahreswechsel an. Diese werden vor dem Hintergrund massiver Angriffe einer neuen Bundesregierung auf Sozialleistungen und auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst statt finden. Um in dieser Tarifrunde nicht unter die Räder zu geraten, sondern die notwendigen Verbesserungen für die Beschäftigten durchzusetzen, bedarf es eines Kurswechsels in der Gewerkschaftspolitik hin zu offensiver und kämpferischer Mobilisierung aller betroffenen Kolleginnen und Kollegen. Dazu wird es nötig sein, zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und zur dringend notwendigen Schaffung neuer Arbeitsplätze sowohl eine deutliche Lohnerhöhung, als auch eine drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu fordern. Finanzierbar sind solche Maßnahmen, wenn die Regierungen endlich an die immer noch exorbitanten privaten Vermögen und Gewinne, wie den 1,1 Milliarden Euro der Deutschen Bank im zweiten Quartal dieses Jahres, heran gingen.