Ver.di und der Kita-Streik

Ein Leserbrief und eine Antwort der SAV


 

Leserbrief an sozialismus.info zum Kita-Streik von: viaspericolata@yahoo.de

Zu Ihrem Artikel "Kita-Streik ausweiten":

Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie es dazu kommen konnte, dass der BAT durch den TVöD abgelöst werden konnte? Das waren die Gewerkschaften, die grob fahrlässig in diese Überleitung eingewilligt haben!

Warum wird dieses gewerkschaftliche Versagen, ohne das dieser Streik überhaupt nicht nötig wäre (und wenn doch, zumindest nicht annähernd in diesem Umfang) nicht thematisiert?

Im übrigen kann ich Ihnen versichern, dass die meisten betroffenen Eltern,zumindest in meinem Umfeld, schon lange kein Verständnis mehr für diesen Streik haben. Sie wurden zu keinem Zeitpunkt eingebunden, die Streikplanung ist völlig chaotisch (ständiges Ankündigen und Widerrufen von Streiktagen) und außerdem empfinden wir es als äußerst befremdlich, dass zunächst das Gesundheitsthema ins Feld geführt wurde, mittlerweile jedoch zu Gunsten des Themas Entgelt völlig in den Hintergrund getreten ist.

Uns Eltern ist bewusst, dass die Gewerkschaften über unsere Kinder, die nun mal einen höchst sensiblen "Angriffspunkt" darstellen, einen Kampf für den gesamten öffentlichen Dienst ausfechten wollen.

Es kann jedoch nicht sein, dass eine Bevölkerungsgruppe wie wir Eltern, die wir ohnehin schon übermäßigen Belastungen aller Art ausgesetzt sind, als Unterpfand für eine allgemeine, weit über den Bereich der Erzieher hinausgehende  Tarifstreitigkeit missbraucht wird.

Das Anliegend der Erzieherinnen kann ich grundsätzlich verstehen. Fassungslos macht mich jedoch das verantwortungslose Vorgehen der Gewerkschaften, die federführend an dem derzeitigen Chaos schuld sind.

Meiner Ansicht nach haben Gewerkschaften, die ohne Not das Entgelt der von ihnen vertretenen Berufsgruppen verzichten, ihr Existenzrecht schlicht verwirkt.

Mich würde sehr interessieren, wie Sie das Handeln der Gewerkschaften im Jahr 2005 beurteilen und freue mich auf eine baldige Antwort.

Antwort von Ursel Beck, gewerkschaftspolitische Sprecherin der SAV

Liebe Schreiberin oder lieber Schreiber,

vielen Dank für Ihren Brief zum Streik der Erzieherinnen. Die SAV teilt voll und ganz ihre Position, dass die ver.di-Führung für die miserable Bezahlung der Erzieherinnen mitverantwortlich ist. In unserem Artikel in der Solidarität Nr. 81 schreiben wir über den TvöD und die Frage der neuen Entgeltordnung: „Das Fatale dabei ist, dass ver.di den Arbeitgebern mit der Zustimmung zur Abschaffung des BAT diesen Hebel selbst in die Hand gegeben hat. Wenn die Arbeitgeber behaupten, sie würden den Erzieherinnen bis zu 340 Euro oder im Durchschnitt elf Prozent mehr zugestehen, dann liegt das immer noch unter dem BAT-Niveau von 2004 und zeigt nur, wie hoch die Verluste durch den TvöD sind.“

Die SAV gehört nicht erst seit Einführung des TvöD zu dessen Gegnern, sondern hat bereits 2004 in vielen Artikeln gegen die Abschaffung des BAT argumentiert. In einem Artikel in „Solidarität“ Nr. 31 vom Dezember 2004 heißt es: „Im Rahmen der Neugestaltung des Tarifrechts bereitet die ver.di-Spitze die kampflose Aufgabe grundlegender tariflicher Errungenschaften vor“. In dem Artikel wird gegen die Abschaffung von Sozialzuschlägen und Bewährungsaufstiegen, gegen Niedriglohngruppen, Leistunglohn und die anderen Verschlechterungen argumentiert. Am Ende heißt es: „Deshalb fordern wir den Abbruch der Verhandlungen zur Neugestaltung des Tarifrechts und die Kündigung der Entgelttarifverträge auf Ende Januar. Das würde endlich eine gemeinsame und entschlossene Mobilisierung aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst ermöglichen.“

Auch innerhalb von ver.di haben SAV-Mitglieder den Kampf gegen die Einführung des TvöD geführt. SAV-Mitglieder, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, sind aktiv im „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“. Diese innergewerkschaftliche Opposition hat in mehreren Flugblättern Stellung gegen die Einführung des TvöD/TV-L bezogen. Es wurden Offene Briefe an die Bundestarifkommission geschrieben und vor den Sitzungen verteilt. Leider ist die ver.di-Spitze und die Bundestarifkomission über alle Einwände der Basis hinweg gegangen. Das ver.di-Netzwerk bezeichnete den TVöD zu recht als „größte Niederlage im öffentlichen Dienst in der Nachkriegsgeschichte“, während die ver.di-Führung diese Niederlage als „Meilenstein in der Tarifgeschichte“ verkaufte.

Je mehr sich die Verschlechterungen des TvöD/TV-L bei den Kolleginnen und Kollegen bemerkbar machen, desto mehr wächst der Unmut. Die Erzieherinnen sind die am härtesten betroffene Berufsgruppe. Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ hat errechnet, dass eine verheiratete Erzieherin mit zwei Kindern über die Lebensarbeitszeit gerechnet 238.000 Euro gegenüber dem BAT verliert. Die Lohnabsenkungen bei steigenden Anforderungen haben inzwischen dazu geführt, dass in manchen Großstädten die Stellen nicht mehr besetzt werden können.

Die hohe Streikbereitschaft bei den Erzieherinnen zeigt den Unmut über die Verhältnisse. Die meisten Eltern haben wie Sie Verständnis für die Erzieherinnen. Nach elf Wochen Streik stellt sich aber die Frage wie dieser Konflikt erfolgreich zu Ende geführt werden kann. Und hier stellt sich die Frage der Streikstrategie von ver.di. De facto ist es so, dass ver.di die Forderung nach einem Tarifvertrag Gesundheitsschutz stellt, weil sie in der Frage der Eingruppierung in der Friedenspflicht ist bzw. nicht bereit war den Eingruppierungsvertrag insgesamt zu kündigen und für alle Beschäftigten eine bessere Regelung durchzusetzen. Keine Frage, dass das Thema Gesundheitsschutz für Erzieherinnen eine wichtige Rolle spielt. Man erreicht aber keinen Gesundheitsschutz und erst recht nicht mehr Personal und kleinere Gruppen mit einer paritätischen Kommission. Die Forderung hätte lauten müssen: tarifliche Personalbemessung (max. 5 Kinder auf eine Fachkraft), kleinere Gruppen und ausreichend Zeitanrechnung für Vor- und Nachbereitung, Teambesprechungen und Elternarbeit. Eine solche Forderung entspricht auch den Forderungen der Eltern und wäre die beste Grundlage für einen gemeinsamen Kampf.

Mittlerweile muss man sich fragen, ob das Thema Gesundheitsschutz überhaupt noch eine Rolle spielt. Denn in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 15.7.09 erklärte ver.di-Verhandlungsführer Achim Meerkamp: „Als die Spitze der VKA in die Verhandlungen eingestiegen ist, hat das Thema (Gesundheitsvertrag) keine Rolle mehr gespielt. Wir wollen die Kommunen nicht überfordern, sondern sind zu Übergangsregelungen bereit.“

Die Unterbezahlung ist nicht nur ein Problem für die Erzieherinnen. Es betrifft auch andere Berufsgruppen. Denn durch die Abschaffung des BAT und die Einführung von TVöD/TV-L ist der öffentliche Dienst zum Niedriglohnsektor geworden. Im Bereich der Erziehungs- und Sozialberufe ist der Druck gegen die Unterbezahlung inzwischen so groß geworden, dass ver.di und die GEW zum Handeln gezwungen sind. Weil ver.di nicht sagt, dass die Lohnabsenkung Folge der Abschaffung des BAT und ein Fehler war, wird bei den Eltern und in der Öffentlichkeit nicht deutlich, dass die angebotenen 340 Euro mehr in der Endstufe bzw. 11% keine tatsächliche Lohnerhöhung sind, sondern nur der Ausgleich der Verluste durch die Abschaffung des BAT. Und es ist auch ein Unding, dass die ver.di-und GEW-Führung nur für die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten eine bessere Eingruppierung fordert. Denn alle anderen Berufsgruppen sind auch von Lohnabsenkungen betroffen. Ver.di hat aber bewusst auf die Kündigung der Eingruppierungstarifverträge verzichtet und schickt nur einen Teil der Beschäftigten in die Auseinandersetzung.

Das Schlimmste derzeit aber ist, dass ver.di keine Strategie aufzeigt, wie dieser Kampf gewonnen werden kann. In ver.di publik vom Juni/Juli heißt es lapidar: „Aktionen gehen weiter“. Im ver.di-Bezirk Stuttgart wurde bereits vor Wochen diskutiert, die freien und kirchlichen Träger mit in die Auseinandersetzung einzubeziehen und notfalls im September bis zur Bundestagswahl drei Wochen durchzustreiken und mit Solidaritätsstreiks der Müllabfuhr, Straßenbahn und anderer Bereiche den Druck gewaltig zu erhöhen. Eine solche Zuspitzung des Konflikts hätte längst bundesweit vor den Kommunalwahlen organisiert werden sollen.

Aber selbst nach den Ferien scheint ver.di dies nicht bundesweit zu planen. Der für den Sozial- und Erziehungsdienst in der Berliner ver.di-Zentrale zuständige ver.di-Sekretär Harald Giesecke, erklärt in ver.di-publik 6/7 2009: „Gemeinsam mit den Eltern agieren – in diese Richtung denken wir weiter“. Sein konkreter Plan: „in den drei Wochen vor der Bundestagswahl die Eltern an einem Tag pro Woche überall auf die Straße zu bringen, auf Marktplätze, vor Rathäuser“. Es ist noch nicht einmal die Rede davon, dass man Erzieherinnen und Eltern gemeinsam auf die Straße bringen will. Wie sollen Eltern im September jede Woche einen Tag auf die Straße? Urlaub nehmen? Das kanns ja wohl nicht sein. Ver.di will die Landeselternbeiräte im Juli nach Berlin einladen um gemeinsam zu diskutieren, was im September laufen soll. Die Landeselternbeiräte sind aber der konservativste Teil der Elternschaft. Die richtige Elternorganisation, die Unterstützung für die Erzieherinnen organisieren muss, sind die anderen Fachbereiche in ver.di und die Einzelgewerkschaften im DGB. Sie müssen eine bundesweite Kampagne zur Unterstützung der Beschäftigten in den Erziehungs- und Sozialberufen organisieren und bereits für die Zeit nach den Sommerferien Solidaritätsstreiks planen und durchführen – nicht verzettelt, sondern bundesweit gemeinsam. Für den 17.9.09 hat das Bündnis, das die Demos am 28.3.09 in Frankfurt und Berlin organisiert hat einen bundesweiten Protesttag geplant. Es wäre das beste, wenn die Solidarität mit den Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen hier im Mittelpunkt stehen und die Gewerkschaften nicht nur die Sozialberufe sondern alle zu einem eintägigen Streik aufrufen würden.

Anstatt von ver.di den Streikabbruch zu verlangen, sollten Eltern von ver.di und den anderen Gewerkschaften fordern, dass die Bereiche, die mehr Druck ausüben können mit in den Streik einbezogen werden.

Ein Erfolg des Streiks der Erzieherinnen ist auch im elementaren Interesse der Eltern und Kinder. Wenn die Löhne nicht stark erhöht und die Arbeitsbedingungen nicht verbessert werden, dann werden Eltern bald eines morgens vor ihrer Einrichtung mit einem Plakat mit folgender Aufschrift konfrontiert sein: „Diese Einrichtung ist wegen Personalmangel bis auf Weiteres geschlossen.“ Dafür gibt es dann keine Vorankündigung wie beim Streik. Noch ein Wort zu der von Ihnen kritisierten Streikplanung. In Stuttgart ist es so, dass die Eltern rechtzeitig die Streikplanung erfahren. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das in anderen Bezirken wie Sie sagen „völlig chaotisch“ ist. Wenn das so ist, sollten ver.di und GEW dafür offen kritisiert werden.

Artikel aus dem Jahr 2004 in unserer Zeitung „Solidarität“

Ausverkauf im öffentlichen Dienst: ./?p=11102

„Unternehmererfüllungsverein“ ver.di: /media/ssz/Nr34.pdf

In „Solidarität“ Nr. 32 und 33 gibt es ebenfalls Artikel dazu

In der Juni-Ausgabe der Solidarität wird in dem Artikel zum Erzieherinnenstreik erklärt, dass die ver.di-Führung verantwortlich ist für die Abschaffung des BAT

./?p=13206

Material des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di“

Der Kampf gegen die Einführung des TVöD ist dokumentiert unter

http://www.netzwerk-verdi.de/16.0.html

Unter der Rubrik des öffentlichen Dienstes gibt es viele Flugblätter, Stellungnahmen und Berechnungen

http://www.netzwerk-verdi.de/15.0.html

Aktuelles Faltblatt des ver.di-Netzwerks vom Mai 2009 zum Erzieherinnenstreik

http://www.netzwerk-verdi.de/fileadmin/Material/NwSozErzDienst2009-05.pdf