Dringend nötiger Kurswechsel blieb aus

Bundestagswahlparteitag der LINKEN


 

Die Bundesspitze der LINKEN verfolgte beim Parteitag am 20./21.Juni vor allem ein Ziel: die Geschlossenheit der Partei zu demonstrieren. Dieses Ziel wurde voll erreicht. Doch zu welchem Preis?

von C. Flöter, Kassel

Stell dir vor, die Linkspartei hätte in den letzten Monaten jeden Auftritt in Talkshows oder im Bundestag genutzt, um offensiv für die Enteignung von Betrieben, die entlassen, einzutreten und eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu fordern. Stell dir vor, die Partei hätte ihre 80.000 Mitglieder mobilisiert, tagein tagaus für diese Forderungen zu plakatieren und massenhaft Flugblätter zu verteilen. Stell dir vor, LINKEN-Abgeordnete und AnhängerInnen wären ständig vor die Werkstore von Mahle, Opel, EDS, Continental oder Federal Mogul gezogen, hätten Solidaritätskomitees initiiert und Proteste mit organisiert.

Auf diese Weise hätte DIE LINKE sich sowohl inhaltlich als auch im Auftreten glasklar von den etablierten Parteien unterschieden. So wären statt der dürftigen 7,5 Prozent bei den Europawahlen die vor 18 Monaten in Umfragen noch erreichten 14 Prozent drin gewesen, die Partei hätte sich weiter verankern und Tausende von Neumitgliedern gewinnen können.

Der Bundesparteitag war eine Chance, einen solchen Kurswechsel einzuleiten. Leider wurde diese Chance nicht genutzt. Überhaupt spielten Kämpfe wie bei Arcandor, den Kitas oder bei Mahle kaum eine Rolle.

Was ist realistisch?

Die Parteitagsdelegierten diskutierten am vorletzten Juni-Wochenende über den Programmentwurf für die Bundestagswahl. Im Vorfeld hatten Parteirechte viel Wind gemacht. So lagen von 30 Ostpolitikern Anträge vor, den Hartz-IV-Regelsatz nur auf 435 Euro zu erhöhen, lediglich acht Euro Mindestlohn zu fordern und für ein Investitionsprogramm von 50 statt 100 Milliarden Euro einzutreten. Dafür wurden zwar reihenweise Redebeiträge gehalten, die Anträge dann aber nicht zur Abstimmung gestellt. Zur Beruhigung der „Reformerseele“ wurde jedoch beschlossen, dass die Forderungen nach 500 Euro Regelsatz und zehn Euro Mindestlohn erst „im Laufe der kommenden Legislaturperiode“ umgesetzt werden sollen. Bodo Ramelow, Spitzenkandidat bei der thüringischen Landtagswahl, nannte das dann die „Vision“, die man als Linker haben müsse. Damit können auch die Rechten um das „Forum demokratischer Sozialismus“ gut leben.

Das häufigste Argument, um linke Änderungsanträge vom Tisch zu fegen, war die fehlende „Realisierbarkeit“. So wurde auch eine radikale Arbeitszeitverkürzung und die Senkung des Rentenalters auf 60 Jahre (was noch Teil des Wahlprogramms 2005 war!) abgelehnt. Aber wie will DIE LINKE ohne Forderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung zum Beispiel Antworten auf die steigenden Arbeitslosenzahlen geben? Hier hören die „Visionen“ von Ramelow und Co. offensichtlich auf.

Verstaatlichung versus Beteiligung

Eine zentrale Frage, der sich DIE LINKE angesichts der Krise stellen muss, ist die nach Verstaatlichung der Konzerne. Zur Krise in der Autoindustrie blieb die Linkspartei in den vergangenen Monaten konkrete Antworten schuldig. Vor dem Hintergrund 40-prozentiger Überkapazitäten ist in dieser Branche auf kapitalistischer Basis ein Hauen und Stechen angesagt, bei dem ganze Konzerne, Werke und Belegschaften auf der Strecke bleiben werden. Statt der Verstaatlichung fordert die LINKEN-Spitze aber lediglich eine Mitarbeiterbeteiligung und mehr Mitbestimmung. Dass die Mitarbeiterbeteiligung nun auch aus den Reihen der Bundesregierung geteilt wird, sollte der LINKEN-Spitze eigentlich zu denken geben… Mitarbeiterbeteiligung in krisengeschüttelten Branchen führt schnell zu einer Beteiligung an den Verlusten. Eine Verstaatlichung der Autoindustrie unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung würde hingegen die Verfügungsgewalt aus der Unternehmerhand nehmen. Doch entsprechende Anträge wurden vom Parteitag mehrheitlich abgelehnt.

Oskar Lafontaine nutzte das Wochenende, um seine Forderung nach Mitarbeiterbeteiligung absichern zu lassen. Die Auseinandersetzung um Mitarbeiterbeteiligung und Verstaatlichung werden zentrale Fragen für DIE LINKE bleiben. Die Diskussion hierzu wurde wie vieles auf die anstehende Debatte zum Grundsatzprogramm der LINKEN verschoben. Damit ist die Diskussion zwar nicht aufgehoben, aber für die jetzt brennenden Fragen bei Opel beispielsweise bleibt die Parteispitze die nötigen Antworten schuldig.

Regierungsbeteiligung

Hinter der Positionierung der Parteiführung steht die Hoffnung, sich nach den kommenden Landtagswahlen auch im Saarland, in Thüringen und eventuell in Sachsen an Regierungen mit SPD beziehungsweise Grünen beteiligen zu dürfen.

Es war kein Zufall, dass der Parteitag in Berlin stattfand. Klaus Lederer, Vorsitzender der LINKEN Berlin, hielt die Begrüßungsrede. Harald Wolf, Wirtschaftssenator im SPD/LINKE-Senat, folgte mit einem Grußwort, in dem er die Berliner Regierungsbeteiligung als positives Beispiel lobte.

Oskar Lafontaine erklärte in seiner Rede, dass eine Regierung im Bund nicht an der LINKEN scheitern würde. Die Agenda-2010-Parteien SPD und Grüne werden jedoch genauso wie CDU und FDP Sozialkürzungen vorantreiben. Aufgabe der LINKEN ist es nicht, den Sozialräubern den Weg zu ebnen, sondern konsequenten Widerstand zu organisieren.

Parlamentarismus

Genau davon, wie DIE LINKE Widerstand und Gegenwehr gegen die Krise aufbauen kann, war jedoch kaum die Rede. Der Parteitag hätte genutzt werden müssen, um zu diskutieren, wie DIE LINKE kämpfende Belegschaften unterstützen kann und was die nächsten Schritte im Widerstand gegen die drohende Agenda 2020 sein könnten. Das sind Diskussionen, die viele Mitglieder an der Basis gerade führen.

Die Ausrichtung des bei sieben Gegenstimmen und vier Enthaltungen abgesegneten Programms ist jedoch leider weitgehend auf die Durchsetzung von Forderungen in den Parlamenten fixiert. SAV-Mitglieder hatten dazu gemeinsam mit anderen über den Kreisverband Göttingen einen Änderungsantrag eingebracht, der jedoch abgelehnt wurde: „Der Politik- und Systemwechsel, der nötig ist, erfordert Entschlossenheit und Mut. Es wird nur möglich sein, wenn es zu massenhaften Bewegungen und Selbstaktivität der abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, sozial Benachteiligten und der Jugend kommt. Für DIE LINKE ist parlamentarische Arbeit dieser Selbstaktivität und der Selbstorganisation von Millionen untergeordnet.“

Schwäche der Parteilinken

Die Zusammensetzung des Parteitags ist zu einem großen Teil von Funktionsträgern und Hauptamtlichen geprägt und spiegelt damit nur verzerrt die Diskussionen an der Basis, vor allem in den westdeutschen Landesverbänden, wider.

Vom rebellischen und dynamischen Geist, der bei WASG-Parteitagen spürbar war, ist bei LINKE-Parteitagen nicht viel übrig geblieben. Dazu trägt auch bei, dass linkere Kräfte auf dem Bundesparteitag sehr defensiv auftraten. So schreckten nicht wenige davor zurück, weitergehenden Anträgen zuzustimmen. Begründet wurde das mit der Sorge, dadurch den Konsens um den Programmentwurf zu gefährden. Abgesehen davon, dass zentrale Positionen, wie nach der Verstaatlichung von Konzernen, drastischer Arbeitszeitverkürzung und einer klaren Orientierung auf betriebliche und soziale Kämpfe im Programm fehlen, entsteht so auch keine lebendige Diskussionskultur um die besten Ideen.

Aussichten

Trotz aller Mängel ist DIE LINKE mit dem beschlossenen Programm die einzige im Bundestag vertretene Partei, die ein Investitionsprogramm zur Schaffung von zwei Millionen Arbeitsplätzen fordert und die Beteiligung an allen Kriegseinsätzen, auch unter UN-Mandat, ablehnt.

Zwar blieb die Partei bei der Unterstützung von Arbeitskämpfen oder dem Bildungsstreik weit unter ihren Möglichkeiten. Dennoch stehen die eigentlichen Tests im Zuge erbitterter Streiks und kommender Großproteste erst noch bevor.

So wie DIE LINKE jetzt aufgestellt ist, muss aber ein Fragezeichen gemacht werden, ob das selbstgesteckte Ziel von zehn Prozent bei der Bundestagswahl erreicht wird. Vielleicht können die eigentlich unsozialen Grünen – wegen dem schwachen Profil der LINKEN als kämpferische Opposition – wie bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg erneut punkten. Denkbar ist auch, dass die Piraten-Partei weitere Jugendliche anspricht und ihr Ergebnis von 0,9 Prozent bei der Europawahl am 27. September mehr als verdoppelt.

MarxistInnen in der LINKEN und bei Linksjugend [‘solid] werden sich jeden-falls weiterhin dafür stark machen, dass endlich ein kämpferischer und sozialistischer Kurs eingeleitet wird. Mit dem Ziel, eine Partei aufzubauen, die im Parlament, aber vor allem auf der Straße und auf der betrieblichen Ebene den Widerstand politisch stärkt und voran treibt.