Wie weiter im Krisenjahr?

Gewerkschaftsführung versagt angesichts der Krisenfolgen


 

Immer mehr Arbeitsplätze sind bedroht. Ob ThyssenKrupp, Mahle, Hamburger Hafen oder Opel – eine Hiobsbotschaft jagt die nächste. Zudem wird die von Bundespräsident Horst Köhler schon vor einem Jahr geforderte Agenda 2020 nach der Bundestagswahl so sicher kommen wie das Amen in der Kirche – egal, wie die Bundesregierung zusammen gesetzt sein wird.

von Sascha Stanicic, Berlin

Für die massiv gesteigerte Staatsverschuldung – als Folge der Rettungs-pakete für die Banken und Konzerne – wird die Masse der Bevölkerung zahlen müssen. Die Vorschläge des Ärztepräsidenten Jörg-Dietrich Hoppe, eine Rangliste für Behandlungen zu erstellen und zum Beispiel Übergewichtige mehr zur Kasse zu bitten, zeigen die Richtung an. Die Diskussionen über 25 Euro Selbstbeteiligung bei jedem Arztbesuch oder darüber, Hartz IV nur noch bei Zwangsarbeit zu gewähren, machen allerdings deutlich, dass es alle treffen wird.

DGB-Führung = Komplizen der Regierung

Was machen in dieser Situation die Gewerkschaftsspitzen? Anstatt mit einem kämpferischen Programm zur Verteidigung aller Arbeitsplätze und der Ablehnung jeglichen Abwälzens der Krisenkosten auf die Lohnabhängigen in die Gegenoffensive zu gehen, üben Michael Sommer, Berthold Huber und Freunde den offenen Schulterschluss mit der Regierungs-SPD. Pünktlich zur Europawahl wurde ein gemeinsames Positionspapier mit der SPD veröffentlicht. Und auch die DGB-Demonstration vom 16. Mai in Berlin wurde von der Gewerkschaftsspitze als eine Wahlkampfveranstaltung für die Sozialdemokratie missbraucht.

Demo ist nicht gleich -Widerstand

Der DGB war gezwungen, eine größere Mobilisierung zu dieser Demonstration durchzuführen, als er wahrscheinlich ursprünglich geplant hatte, weil der Druck an der Basis für effektiven Widerstand wächst und weil die von unten – unter Beteiligung einiger Gewerkschaftsgliederungen – organisierten Demonstrationen in Berlin und Frankfurt am Main am 28. März mit einer Beteiligung von fast 60.000 eine Marke gesetzt hatten, die der DGB nicht unterschreiten durfte, ohne das Gesicht zu verlieren. Doch die 100.000, die am 16. Mai in Berlin auf die Straße gingen, haben das bestehende Potenzial für Gegenwehr bei weitem nicht ausgeschöpft.

Viele, die wütend auf die Politik der Regierung und auf den Kapitalismus sind, und viele, die gerade um ihren Arbeitsplatz zittern oder auch schon kämpfen, waren nicht gekommen. Wahr-scheinlich, weil sie spürten, dass der Aufruf der DGB-Führung keine Perspektive für den Widerstand aufzeigte.

Das ist allerdings kein Beweis für eine mangelnde Kampfbereitschaft, sondern ein Hinweis darauf, dass in Zeiten der Wirtschaftskrise eine größere Verunsicherung in der Arbeiterklasse besteht und klare politische Antworten und effektive Strategien notwendig sind, um KollegInnen zu mobilisieren.

Der Streik der ErzieherInnen ist ein Beleg dafür, dass auch in Krisenzeiten für Verbesserungen gekämpft werden kann und Kampfbereitschaft vorhanden ist. Die Streikbeteiligung übertrifft alle Erwartungen. Dieser Kampf sollte mit den sich ebenfalls in Tarifverhandlungen befindenden DruckerInnen und VerkäuferInnen und dem für Mitte Juni geplanten Bildungsstreik verbunden werden, um eine möglichst breite einheitliche Front von Lohnabhängigen und Jugendlichen im Kampf für Arbeiterinteressen zu erreichen.

Wenn der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber aber davon spricht, dass „möglichst wenige“ Arbeits-plätze verloren gehen sollen, dann begibt sich die Gewerkschaftsspitze bewusst in eine Komplizenschaft mit Regierung und Kapital und versucht höchstens, in der bekannten Manier des Co-Managements „soziale Härte“ abzumildern. Die beiden Slogans der Demo vom 16. Mai – „Sozialpakt für Europa” und „Die Verursacher sollen zahlen” – sind ein inhaltlicher Widerspruch, der von den Spitzenfunktionären im DGB so gelöst wird, dass die Beschäftigten im Rahmen des „Pakts” die Zeche zahlen werden.

Die von der Gewerkschaftsführung vermittelte Zielsetzung, eine CDU/CSU/FDP-Koalition zu verhindern, ist nicht einmal eine Politik des kleineren Übels. Denn ganz unabhängig von der Regierungskoalition werden die tatsächlich Mächtigen in den Chefetagen der Konzerne jeder Regierung, die nicht bereit ist mit dem Kapital und dem Kapitalismus zu brechen, ein Programm der weiteren Zerstörung des Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesens aufzwingen. Man darf nicht vergessen: Die Agenda 2010 wurde von einer rot-grünen Regierung durchgesetzt und die Agenda-Konstrukteure haben in der SPD immer noch das Sagen. ν

Sascha Stanicic ist SAV-Bundessprecher