Proteste gegen den Nato-Geburtstag in Kehl

Polizei geht massiv gegen DemonstrantInnen vor


 

Wegen den Jubelfeiern zum 60. Nato-Geburtstag war der baden-württembergische Ostermarsch um eine Woche vorverlegt worden. Am 4. April sollte die Demonstration um 11.00 Uhr in Kehl beginnen und über die Europabrücke nach Strasburg führen und sich um 13.00 mit den dortigen DemonstrantInnen treffen.

von Wolfram Klein

Schon im Vorfeld hatte es massive Polizeischikanen gegeben. Nach völlig undurchsichtigen Kriterien hatten Menschen Meldeauflagen erhalten, die es ihnen unmöglich machen sollten, ihr demokratisches Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrzunehmen. Die OrganisatorInnen des Ostermarsches sollten im Vorfeld die Personalien der OrdnerInnen weiterleiten – eine entsprechende Regelung ist in dem Entwurf des Versammlungsgesetzes enthalten, das die baden-württembergische Landesregierung verabschieden will (nach dem bereits vor der Hauptverhandlung teilweise vom Bundesverfassungsgericht gekippten bayrischen Vorbild), das Ansinnen hatte aber keine Grundlage in geltenden Gesetzen.

Bei der Anreise gab es massive Polizeikontrollen. Dass bei der Anfahrt zu Demonstrationen Polizisten die Busse kontrollieren, ist ja leider schon üblich. Aber das martialische Auftreten vom 4. April erinnerte an Schilderungen vom Herbst 1977 mit Maschinengewehre und allem. Als Folge der massiven Kontrollen konnte die Auftaktkundgebung in Kehl erst mit großer Verspätung stattfinden.

Linksjugend["solid]-Block

Auch der Demonstrationszug war von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Linksjugend ["solid] organisierte einen Block, in dem mit vielen Sprechchören eine gute und kämpferische Stimmung herrschte. Allerdings stoppte die Demonstration nach einer kurzen Strecke. Der weitere Weg zur Europabrücke war durch eine Polizeikette unter Verwendung von Gittern und mehreren Wasserwerfern versperrt. Die OrganisatorInnen versuchten vergeblich, die Polizei dazu zu bewegen, sich an die Absprachen bezüglich der Demoroute zu halten. Mit der unzureichenden Lautsprechertechnik war es auch schwer, die Tausenden DemonstrantInnen (selbst die Polizei bezifferte sie mit 6.000) informiert zu halten.

Währenddessen konnte man einige hundert Meter weiter Rauchschwaden aufsteigen sehen, die immer stärker wurden. Nach einer langen Zeit fuhren mehrere deutsche Feuerwehrwagen an uns vorbei Richtung Europabrücke (was durch die massive Polizeipräsenz, die den Weg versperrte, behindert wurde). Auf die Idee, die Wasserwerfer einem sinnvollen Verwendungszweck zum Feuerlöschen zuzuführen, kam unsere hochlöbliche Polizei natürlich nicht.

Da es deutlich wurde, dass es nicht möglich sein würde, die geplante Demoroute durchzusetzen, bröckelte die Beteiligung an dem Demozug (der nicht zog, sondern stand) allmählich ab. Viele TeilnehmerInnen mussten auch nach und nach zu ihren Bussen zurück. Obwohl wir die vorgesehene Demoroute nicht durchsetzen konnten, war den meisten klar, dass bei dem Kräfteverhältnis nicht mehr möglich war, und blieben trotz des provozierenden Polizeiaufgebots besonnen. Wenn die Polizei nachher erklärte, es sei ihrem massiven Aufgebot zu verdanken, dass es in Kehl friedlich blieb, so ist das völliger Unsinn. Es war der Besonnenheit der DemonstrantInnen zu verdanken. Obwohl wir unsere geplante Demonstration nicht durchführen konnten, war die Stimmung gut. Es gab immer wieder Sprechchöre wie „Eins, zwei, drei, gebt die Brücke frei“. Manche versuchten sich gesanglich: „Sur le pont de Strasbourg, L"on y danse, l"on y danse“. Auffällig war auch, dass auf der Demonstration eine antikapitalistische Stimmung vorherrschte.

Auseinandersetzungen in Frankreich

Währenddessen ging es auf der anderen Rheinseite sehr unfriedlich zu. Sicher haben auch einzelne DemonstrantInnen Dummheiten gemacht, z.B. deutsche Polizeiautos, die mitten durch die Menge fuhren, mit Steinen beworfen und so andere DemonstrantInnen zusätzlich gefährdet. Ob für das Anzünden von Gebäuden einzelne DemonstrantInnen oder Polizeiprovokateure verantwortlich waren, lässt sich auf die Ferne nicht beurteilen. Aber wer von Kehl aus die immer größer werdenden Rauchsäulen sah, fragte sich, warum das Feuer so langsam gelöscht wurde. Auf jeden Fall wurde das als Vorwand für das brutale Vorgehen der Polizei genutzt. Die über 10.000 Strasbourger DemonstrantInnen schafften es, den Weg zur Europabrücke zu erzwingen. Dort warteten sie vergeblich auf den Demozug aus Kehl. Die brennenden Gebäude, die ein Vorwand waren, den Kehler Demozug nicht über die Europabrücke zu lassen, waren ziemlich vom französischen Ende der Brücke entfernt. Die Polizei setzte immer wieder Tränengas, Schockgranaten und Gummischrot gegen die eingekesselte Menschenmenge ein, die sich nicht zurückziehen konnte. Ein Augenzeuge berichtete, dass die Polizei ein Konzept befolgte, „das der Aufstandsbekämpfung gleichkommt. (…) Dass es meiner Kenntnis nach dabei keine Toten gab, grenzt für mich an ein Wunder.“