Die Wahlen in Hessen und die LINKE

Die LINKE hat es in Hessen gerade so geschafft. Im Vergleich zu den Wahlen 2008 haben sie aber 1.700 Stimmen verloren und im Vergleich zum Ergebnis der Bundestagswahlen liegen die Verluste sogar bei 40.000 Stimmen. Es ist gut, dass die LINKE wieder im hessischen Landtag ist. Sonst wäre dort keine Partei vertreten, die sich gegen Sozialabbau und die Umverteilungspolitik von unten nach oben einsetzt. Aber das Ergebnis ist kein Grund zum Feiern. Es ist eine deutliche Warnung. Eine Kursänderung ist nötig, wenn sich die Partei im Bundestagswahljahr als linke Alternative für Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen aufbauen will.


 

von Angelika Teweleit, Berlin

Unzufriedenheit mit Bundesregierung

Die Wahlbeteiligung sank erneut, diesmal auf 61 Prozent. Das liegt nicht daran, dass immer weniger Leute an politischen Fragen interessiert sind. Im Gegenteil, inmitten der Wirtschaftskrise fragen sich die Menschen zunehmend, wie es weitergehen soll, welche Perspektive es für die Jugend, die Umwelt, die Gesellschaft insgesamt gibt. Eine wachsende Zahl von Menschen hat Angst vor Arbeitsplatzverlust, sinkendem Lebensstandard und Armut. Die Abstinenz bei den Wahlen zeigt stattdessen, wie groß die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit den etablierten Parteien ist.

Während die SPD ihren freien Fall mit dem Verlust von 391.000 Stimmen (minus 13 Prozent im Vergleich zu 2008) fortsetzt, hat auch die CDU keinen Grund zu übermäßigem Jubel. Im Gegenteil, intern nehmen in der CDU/CSU die Sorgen zu, denn das Ergebnis ist eine Fortschreibung ihrer schlechten Ergebnisse in vorherigen Wahlen, eingeschlossen das Desaster der bayrischen CSU. Denn sie konnte die Verluste von 2008 nicht nur nicht wettmachen, sondern verlor in Wirklichkeit ebenso 45.000 weitere Stimmen. Beide Regierungsparteien haben in den letzten Wochen versucht, mit der Diskussion über Konjunktur- und Rettungspakete Punkte zu machen, indem sie vorheuchelten, dass sie nicht nur an die Banken- und Konzernbosse denken, sondern auch an die breite Masse. Das ist ganz offensichtlich nicht gelungen. Abgesehen von denen, die garnicht zur Wahl gegangen sind, haben viele das kleinere Übel in der FDP oder den Grünen gesehen. Ihre Gewinne sind kein Ergebnis ihrer politischen Alternativen,sondern im Gegenteil ein Resultat der Alternativlosigkeit. Dass aber so viele entweder zu Hause blieben oder eine der anderen kleinen Parteien, vor allem die Grünen, als vermeintliche Alternative ankreuzten anstatt die LINKE zu wählen, das hätte anders aussehen können!

Wo bleibt die Antwort auf die Krise?

Sowohl bundesweit als auch in Hessen hat es die LINKE bisher nicht geschafft, sich als die politische und kämpferische Alternative darzustellen, die ein klares Programm gegen die kapitalistische Krise aufzeigt. Das fängt bei Oskar Lafontaine an. Wie oft wurde er in Interviews gefragt, ob die LINKE nicht froh sein kann und sagen, der Kapitalismus funktioniert nicht? Eine klare Antwort wäre zu sagen, Freude über die Krise ist fehl am Platz, aber ja richtig, der Kapitalismus funktioniert nicht. Jetzt will die Regierung dafür sorgen, dass mit so genannten Rettungspaketen dieses System gerettet wird. Die große Masse soll aber wieder dafür zahlen. Wir haben als einzige eine Alternative zur kapitalistischen Misswirtschaft. Als erstes fangen wir damit, uns für die Verstaatlichung der Banken einzusetzen. Aber nicht so, wie es die bürgerlichen Politiker verstehen. Sie wollen nur die Verluste sozialisieren und die Gewinne privatisieren. Wir wollen eine Verstaatlichung aller Banken und zwar unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung. So können die Kleinsparer sicher sein, nichts zu verlieren. Vor allem aber kann begonnen werden, die Gelder für sinnvolle Investitionen und im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung einzusetzen. Dieselben Fragen stellen sich für die Schlüsselindustrien…. Schließlich könnte man deutlich sagen, dass das kapitalistische System verantwortlich für die Krise ist und die LINKE deshalb für eine andere, eine sozialistische Gesellschaft steht, in der nicht die Profitinteressen sondern die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt stehen. Stattdessen sagt Lafontaine, es gäbe keine Alternative zur Marktwirtschaft, sie müsse nur besser geregelt und sozialer, mit mehr Mitarbeiterbeteiligung gestaltet, werden. Dann verliert er sich in Details, wie der Kapitalverkehr angeblich besser und im Interesse der Masse der Bevölkerung reguliert werden könne. In diesem Sinne stimmte er sogar im Grundsatz dem 500 Milliarden Euro Rettungspaket für die Banken zu, dies sei nur im Details nicht gut.

Klare Abgrenzung fehlt

Auch in Hessen ist es der LINKEN leider nicht gelungen, sich klar von den bürgerlichen Parteien abzugrenzen. Roland Koch hat sich mit der hessischen 500 Millionen Euro Bürgschaft als „Retter der Opelaner“ aufgespielt. Die komplette Fraktion der LINKEN stimmte aber ebenso für dieses Paket. Somit gab es keine einzige Gegenstimme im Landtag. Damit hat sie sich nicht von den bürgerlichen Parteien abgegrenzt, die die Abwälzung der Krisenlasten auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung – mit einzelnen Zugeständnissen, um die Unzufriedenheit zu dämpfen – verfolgt.

Mit dieser Bürgschaft, die von der arbeitenden Bevölkerung durch Steuern aufgebracht werden muss, werden aber die Arbeitsplätze gar nicht gesichert! Wenn Opel nicht mehr genügend Autos absetzen kann, werden sie, wie andere Autokonzerne auch, über kurz oder lang Werke schließen und Entlassungen vornehmen. Bis dahin werden die KollegInnen erpresst, schlechtere Bedingungen und Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverlust hinzunehmen. Stattdessen muss die Verstaatlichung der Autoindustrie auf die Tagesordnung gesetzt werden. Unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung von gewählten VertreterInnen der Belegschaften und der arbeitenden Bevölkerung könnten Pläne für eine ökologisch und gesellschaftlich sinnvolle Umstellung der Produktion erarbeitet werden. Alle Arbeitsplätze könnten so erhalten, die Arbeitzeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich drastisch verringert werden. Willi van Ooyen hat kurzzeitig während des Wahlkampfes die Forderung nach der Opel-Verstaatlichung öffentlich vertreten. Dies hätte von der gesamten Parteiführung konsequent verfolgt werden sollen.

Sicher hätte die LINKE keine Mehrheit im Parlament für die Forderung nach Verstaatlichung von Opel unter demokratischer Arbeiterkontrolle bekommen. Aber sie hätte den Antrag selbstbewusst einbringen können und so die Debatte in der Öffentlichkeit über die Forderung eröffnet. KollegInnen bei Opel hätten begonnen, darüber zu diskutieren. Was gibt es zu verlieren? Selbst wenn aus den Reihen der IG Metallführung oder des Opel-Betriebsrats und vielleicht auch von KollegInnen Kritik an diesen Vorstellungen käme – die Erfahrungen in den nächsten Wochen und Monaten werden zeigen, dass diese Antwort die einzige ist, mit der alle Arbeitsplätze gesichert werden können. Gerade in der jetzigen Zeit, wo die Frage von Verstaatlichung sogar von Bürgerlichen immer wieder in die Diskussion gebracht wird, muss die LINKE das aufgreifen. Sie muss klarmachen, dass sie eine andere, sozialistische Verstaatlichung fordert: die Überführung von Konzernen in Gemeineigentum, um unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung die Produktion im Interesse von Bedürfnissen anstatt von Profiten weiterzuführen. So könnte die LINKE an den derzeitigen aktuellen Fragen ansetzen, um sie mit einer sozialistische Alternative zu verbinden.

Chance verpasst

Die politische Konstellation nach dem Landtagswahlergebnis letztes Jahr war für die hessische LINKE eigentlich eine Steilvorlage, um sich als wirkliche Alternative zu den bürgerlichen Parteien darzustellen. Koch hatte eine Abfuhr für seine unsoziale und rassistische Politik erhalten. Die SPD mit Ypsilanti war gezwungen, sich ein linkeres Profil zu geben, um der Stimmung und Linksverschiebung in der Gesellschaft Rechnung zu tragen und damit weitere Zugewinne für die LINKE zu verhindern. Als potentieller Tolerierungspartner wurde die LINKE aber nur als Teil von Ypsilantis Projekt wahrgenmmen anstatt als eigenständige Kraft. Zu sehr war die LINKE auf die parlamentarische Ebene und Regierungswechsel fixiert, anstatt kontinuierlich zu erklären, dass auch bei anderer Regierung das Entscheidende der Druck der Straße und der Betriebe ist. Wenn es solche Aussagen gegeben hat, konnten sie nicht als stringente Strategie erkannt werden; und sie hat keinen Weg aufgezeigt, wie man etwas verändern kann. Es gab in der LINKEN viele, die für eine starke außerparlamentarische Präsenz waren, aber das konnte mit der falschen Ausrichtung auf die faktische Tolerierung nicht vereinbart werden.

Stattdessen hätte die LINKE sagen können: Wir machen mit, Roland Koch endlich abzuwählen. Um das zu erreichen, geben wir Ypsilanti unsere Stimme. Aber damit ist unsere Unterstützung für Ypsilanti am Ende. Sowohl SPD als auch die Grünen sind keine Parteien der Arbeiterklasse. Sie sind Parteien der Agenda 2010 und des Kapitals. Wir schenken ihnen kein Vertrauen. Wir handeln unabhängig von der Regierung. Wir werden jeder Verbesserung, sei es für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, die SchülerInnen oder die Arbeiterklasse im allgemeinen, zustimmen. Aber wir werden den Kampf gegen jede Verschlechterung führen – nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße. Wir werden, gemeinsam mit den Gewerkschaften, die einmalige Situation nutzen, die SPD/Grüne Regierung von der Straße und aus den Betrieben unter Druck zu setzen. Lasst uns für massive Neueinstellungen von LehrerInnen kämpfen, für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten, für besser ausgestattete Krankenhäuser und mehr Pflegepersonal. Will Ypsilanti an der Regierung bleiben, dann soll sie die Forderungen von Beschäftigten, SchülerInnen usw. erfüllen. Tut sie es erwartungsgemäß nicht, dann haben wir die besten Voraussetzungen, bei den nächsten Wahlen von all jenen gewählt zu werden, die uns als kämpfende Partei mit klaren Forderungen an ihrer Seite erlebt haben.

Kurswechsel jetzt!

Als eine radikale, kämpferische Alternative mit Antworten auf die kapitalistische Krise war die LINKE bisher nicht erkennbar. Daraus müssen Lehren gezogen werden. Für die Bundestagswahlen ist es nicht zu spät. In den nächsten neun Monaten könnte die LINKE die Partei sein, die als tatsächliche Gewinnerin aus dem Superwahljahr hervorgeht. Das kann sie nur, wenn die Erlangung von Parlamentssitzen nicht als Selbstzweck gesehen wird, und wenn der Kurs auf Regierungsbeteiligung als „kleineres Übel“, zum Beispiel in Thüringen und im Saarland, endlich dahin gelangt, wo er hingehört: in die Mülltonne. Aufgrund ihres Bestrebens nach Regierungsbeteiligungen versucht die Parteiführung sich als staatstragend zu geben. Diese Logik führt sie dazu, die Partei nach links dichtmachen zu wollen, was sich zur Zeit in der Ausgrenzung von SAV Mitgliedern widerspiegelt, und – wenn dies gelingt – in Zukunft weiter gehen kann. Eine neue politische Partei der Arbeiterklasse muss aber demokratisch und offen für Debatten sein.

Mit einem sozialistischen Programm und Übergangsforderungen, wie der Verstaatlichung aller Banken und derjenigen Konzerne, die mit Entlassungen drohen, unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung, muss die LINKE endlich eine Alternative zur kapitalistischen Misere aufzeigen. Sie muss damit die Debatte für die Abschaffung des Kapitalismus einleiten. Durch die Organisierung von Widerstand gegen die Folgen der Krise muss die LINKE auf der Straße und in den Betrieben klar sichtbar sein. Die bundesweite Demonstration am 28. März kann den Aufschlag für die breite Organisierung von Widerstand in Betrieben, Schulen, Universitäten, von der Straße sein. Bisher sind zwar einzelne Mitglieder an der Organisierung beteiligt, es muss sich aber die gesamte Partei mit aller Kraft dahinterstellen und ihre Mittel zur Verfügung stellen, damit die Demonstration ein Erfolg wird.

Mit dem derzeitigen Kurs besteht die große Gefahr, dass das Projekt einer neuen linken Partei gegen die Wand gefahren wird. Die SAV ruft dazu auf, sich am Aufbau eines starken marxistischen Flügels in der LINKEN zu beteiligen, und damit den Prozess für den Aufbau einer kämpferischen sozialistischen Partei im Interesse von Beschäftigten, Erwerbslosen, Jugenlichen und RentnerInnen voranzutreiben.

Angelika Teweleit ist Mitglied der Bundesleitung der SAV.