Nazi-Aufmarsch in Aachen

Polizei legt Stadt für 40 Nazis lahm


 

Einen solchen Heiligabend hat Aachen noch nicht gesehen. Die Innenstadt, die sonst Jahr für Jahr am Vormittag des 24.12. von gestressten Ehemännern, die kurz vor Ladenschluss noch ein Geschenk für Frau und Kinder suchen, dominiert wird, war in diesem Jahr von Polizeisperren an jeder zweiten Straßenkruezung geprägt. Grund war ein Aufmarsch von 40 Neofaschisten. Diese hatten schon versucht am 9. November, dem Jahrestag der Reichsporgromnacht, durch Aachen zu marschieren. Während für diesen Tag vom Bundesverfassungsgericht ein zuvor ausgesprochenes Verbot des Aufmarsches aufgehoben wurde und der Aachener Polizeipräsident aufgrund der Sicherheitslage jedoch einen Marsch nicht zuließ, hat die Polizei diesmal mit einem Aufgebot von 1.000 Polizeibeamten dafür gesorgt, dass die Faschisten ihre menschenverachtende und rassistische Propaganda auf der Straße verbreiten konnten.

von Sascha Stanicic, z.Zt. Aachen

Dagegen stellten sich hunderte GegendemonstrantInnen, die jedoch durch massive Polizeiabsperrungen auf Distanz zu den Faschisten gehalten wurden. Versuche, den Demonstrationsweg zu blockieren scheiterten an der Übermacht der Polizei. Wären statt 500 jedoch 5.000 GegendemonstrantInnen erschienen, hätte eine solche Masse sicherlich einen Marsch der Faschisten verhindern können, da die Polizei in einem solchen Fall sehr wahrscheinlich auf eine Knüppelorgie gegen antifaschistische DemonstrantInnen am Heiligabend hätte verzichten müssen, um den Nazi-Marsch durchzusetzen.

Dass es nicht tausende GegendemonstrantInnen waren, lag auch daran, dass sich das gesamte bürgerliche Establishment der Stadt von CDU und SPD bis hin zu den verschiedenen Religionsgemeinschaften und Migrantenorganisationen zwar lautstark gegen den Nazi-Aufmarsch aussprach, ohne jedoch konkrete Schritte dagegen zu unternehmen. So wurden Poster in den schwarz-gelben Stadtfarben mit der Aufschrift "Wir sind Aachen. Nazis sind es nicht" produziert, die massiv in städtischen Gebäuden in die Fenster gehängt wurden und fand eine Mahnwache am 23.12. statt, an der 800 Menschen teilnehmen. Zu den bürgerliche Kräften gesellte sich auch die Aachener DGB-Führung; unter dem Motto ‚wir lassen uns nicht die Termine von Nazis diktieren’ versuchte sie aktiv die Gegendemo am 24.12 zu unterminieren. Dies erweckte den Eindruck, die "ganze Stadt" positioniere sich gegen die Faschisten und es sei nicht nötig, sich ihnen konkret am 24.12. in den Weg zu stellen. Es entstand also die, oberflächlich betrachtet paradoxe, Situation, dass ein breites antifaschistisches Bündnis eine demobilisierende Wirkung entfaltete. Dies ist aber in Wirklichkeit die logische Folge des politischen Charakters solcher breiter Bündnisse, denn diese sind nicht bereit sich den Faschisten direkt in den Weg zu stellen. So war in einer offiziellen Publikation der Stadt Aachen der Sprecher der Ratsfraktion der LINKEn, der SAV-Genosse Marc Treude, der einzige, der zu einer Beteiligung an der Gegendemonstration am 24.12. am Sammelort der Nazis aufrief. Außerdem bestehen solche "breiten Bündnisse" aus Kräften, deren Politik die Hauptverantwortung für das Wachstum der Faschisten trägt. Denn ohne den staatlich organisierten Rassismus gegen AsylbewerberInnen und Muslime, würde die rassistische und nationalistische Propaganda der Nazis auf weniger fruchtbaren Boden fallen. Sie können sich als die Kräfte präsentieren, die die "Probleme", die von den pro-kapitalistischen Politikern in CDU und SPD benannt werden, konsequent angehen wollen. Zweitens kann die soziale Demagogie der Faschisten bei einem Teil der Bevölkerung verfangen, weil die wirtschaftliche Krise des Kapitalismus und die neoliberale Politik von Sozialabbau und Lohnkürzungen der letzten zwanzig Jahre, zu Verarmung und sozialer Verunsicherung geführt hat, die bei einem Teil der Bevölkerung aus Angst und Verzweiflung die Offenheit für rechte Parolen hat anwachsen lassen. Die Bereitschaft mit den korrupten und pro-kapitalistischen Politikern aus den Regierungsparteien gemeinsam gegen Rechtsaußen zu demonstraieren, ist daher bei einem großen Teil der Arbeiterklasse verständlicherweise nicht gerade ausgeprägt. Deshalb ist es wichtig, dass linke und antikapitalistische Kräfte der antifaschistischen Bewegung auf eine von Staat und bürgerlichem Establishment unabhängige Mobilisierung gegen die Faschisten setzen und die direkte Konfrontation von Nazi-Aktionen mit einem Kampf gegen die in der Politik des Sozialabbaus begründeten tieferen Ursachen von Rassismus und Faschismus verbinden.

Das Bündnis antifaschistischer und linker Gruppen, das zu einer Gegendemonstration am Bahnhofsplatz, dem Auftaktort der Nazi-Demo, aufrief akzeptierte ebenfalls eine räumliche Distanz zu den Faschisten und erarbeitete keine wirkungsvolle Strategie zum Beispiel durch den Versuch einer frühzeitigen Sitzblockade auf dem Bahnhofsplatz, den Nazi-Aufmarsch zu verhindern oder zumindest praktisch zu behindern. Versuche von autonomen antifaschistischen Kräften und auch von SAV-Mitgliedern Streckenabschnitte der faschistischen Demo zu blockieren scheiterten. Trotzdem waren die Faschisten an vielen Punkten ihres Demonstrationsweges mit lautstarken Protesten konfrontiert, zu denen sich viele PassantInnen spontan anschlossen und die deutlich machten, dass die große Mehrheit der Aachenerinnen und Aachener empört über diesen faschistischen Aufmarsch und über die Tatsache, dass er polzeilich gesichert und durchgesetzt wurde, war.

Letztlich war der 24.12. in Aachen ein Tag, der zwar zeigte, dass die Nazis eine verschwindende Minderheit sind, aber auch eine verpasste Chance diesen eine herbe Niederlage beizubringen. Dies wäre umso wichtiger gewesen, da sich faschistische Gruppen immer mehr in der Stadt breit machen und linke und antifaschistische Jugendliche in Diskotheken und auf offener Straße tätlich angreifen. So wurden in den letzten Wochen unter anderem Fensterscheiben bei einer bekannten antifaschistisch engagierten Familie eingeworfen, das Büro der Partei DIE LINKE beschmiert, als auch verschiedene SAV-Mitglieder, MigrantInnen und AntifaschistInnen physisch attackiert. Die Notwendigkeit den antifaschistischen Widerstand weiter zu stärken und so zu organisieren, dass die Nazi-Banden auf der Straße und im sozialen Leben der Jugendlichen zurück gedrängt werden können, bleibt also weiterhin bestehen. Dazu ist eine gute Selbstorganisation, zum Beispiel durch effektive Telefonketten, die eine schnelle Gegenmobilisierung bei faschistischen Aktionen und Angriffen, möglich machen und vor allem der Aufbau einer starken antifaschistischen und linken Alternative unter Jugendlichen nötig. SAV-Jugendliche beteiligen sich deshalb unter anderem am Aufbau der örtlichen Linksjugend["solid] zu einer kämpferischen und aktionsfähigen sozialistischen Jugendorganisation, die sich den Faschisten politisch und praktisch entgegen stellt.

Konflikte innerhalb der antifaschistischen Bewegung der Stadt erschweren diesen Aufbau einer starken antifaschistischen Alternative leider. Verschieden Kräfte im Antifa-Bündnis scheinen ihre Energie mehr auf Ausgrenzungsversuche gegen die SAV zu konzentrieren, als auf den antifaschistischen Kampf. Dies gipfelte während der Demonstration im Versuch eine DKP-Mitglieds, den Info-Tisch der SAV mit Gewalt abzuräumen. Hintergrund war ein Beschluss des Bündnisses, es dürfe keine Info-Tische geben. Dieser wurde ohne jegliche nachvollziehbare inhaltliche Begründung gefällt und scheint eher eine Provokation gegen die SAV gewesen zu sein, da bekannt ist, dass die SAV erstens bei allen antifaschistischen Prozessen Info-Tische und das Verteilen von Flugblättern nutzt, um die Proteste zu politisieren und zweitens klar ist, dass solche Einschränkungen der grundlegenden Meinungsfreiheit von der SAV nicht akzeptiert werden. So konnte ein Konflikt gezielt herbei geführt werden, für den man dann die SAV als "nicht bündnisfähig" verantwortlich machen kann. Diese Provokationen wurden durch körperliche Angriffe auf SAV-Mitglieder durch einen Aktivisten des antifaschistischen Bündnisses noch auf die Spitze getrieben. Dazu haben betroffene SAV-Mitglieder folgenden offenen Brief verfasst und an Aktive aus DKP und Antifa-Bündnis und andere Linke in Aachen geschickt.:

Offener Brief zu den tätlichen Angriffen auf SAV-Mitglieder im Rahmen der Aachener Antifa-Demo am 24.12.2008

Liebe AntifaschistInnen in Aachen, liebe Leute im Aachener Antifa-Bündnis und vor allem liebe Leute in der Aachener DKP,

als Aachener im französischen bzw. Berliner Exil haben wir unseren weihnachtlichen Heimatbesuch natürlich mit einer Teilnahme an der Demonstration gegen den Nazi-Aufmarsch am Hauptbahnhof verbunden. Dort ist es leider zu mehreren körperlichen Attacken gegen den Info-Stand und gegen uns als Mitglieder der SAV bzw. der französischen Schwesterorganisation der SAV gekommen, über die wir Euch informieren und gegen die wir aufs Schärfste protestieren wollen.

Die erste Auseinandersetzung entwickelte sich als Renate L. den kleinen SAV-Info-Tisch am Rande der Antifa-Kundgebung eigenmächtig versuchte abzuräumen und umzustoßen. Daraufhin haben wir und andere Demonstranten den Stand geschützt und Renate daran gehindert, diesen unter Einsatz körperlicher Gewalt umzustoßen. Auf mehrmaliges Nachfragen nach einem Grund für diese Aktion, sagte Renate, es gebe einen Beschluss des Bündnisses, das es keine Info-Stände geben dürfe. Dabei wurde von den OrganisatorInnen der Kundgebung offenbar fälschlicher weise behauptet, ein Vertreter der SAV (Rüdiger Burmeister aus Stolberg) habe beim Treffen des Antifa – Bündnis für dieses Verbot gestimmt. Der betreffende Genosse bestreitet dies und sagt, dass es keine Abstimmung diesbezüglich in seiner Anwesenheit gegeben habe. Der „Beschluss des Bündnisses“ sei ihm als bereits gefällt mitgeteilt worden. Abgesehen davon kann in der SAV eine solche Zustimmung, wenn sie stattgefunden hätte, von den Mitgliedern in demokratischen Entscheidungen auch rückgängig gemacht werden.

Auf die Frage, was die Begründung für diesen Beschluss ist, war sie nicht bereit zu antworten. Eine andere Person, die Renate zur Seite stand, behauptete "Info-Stände sind gefährlich", konnte die von Info-Ständen ausgehende Gefahr aber nicht erklären. Nun kann man sich offensichtlich über das Für und Wider eines solchen Beschlusses vielleicht streiten, das sollte aber verbal geschehen. Wir sind der Meinung, dass antifaschistische und linke Demonstrationen und Kundgebungen immer einen offenen Charakter haben sollten, wo alle TeilnehmerInnen das Recht haben sollten ihre Meinung durch das Verteilen und Verkaufen von Material, das Tragen von Schildern und Transparenten, durch eigene Aktionen und auch durch Info-Tische zum Ausdruck zu bringen. Ein Verbot von Info-Ständen kann nur zu einer Entpolitisierung des Protests führen. Auch VeranstalterInnen von Demos und Kundgebungen sollten sich nicht zur Polizeigewalt aufspielen und anderen Gruppen, egal ob sie zum Veranstalterkreis gehören oder nicht, diese Meinungsfreiheit in irgend einer Form verbieten. Völlig inakzeptabel und politisch schädlich für die gesamte Bewegung ist es aber, wenn dann auch noch körperliche Gewalt eingesetzt wird, um solche fragwürdigen Beschlüsse eigenmächtig durchzusetzen. Entsetzt waren wir aber, als wir hörten, dass es im Kreis von BündnisteilnehmerInnen schon im Vorfeld den Plan gegeben haben soll, dass ein SAV-Info-Stand, sollte ein solcher aufgebaut werden, abgeräumt werde. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Verbot genau diese Situation provozieren sollte. Alle Beteiligten müssten doch wissen, dass die SAV solche Verbote und Einschüchterungsversuche, egal von wem sie auch kamen und kommen werden, niemals akzeptiert hat und immer energisch widerstehen wird.

Die Aktion von Renate hat dann einen anderen Demo-Teilnehmer, der uns nicht namentlich bekannt ist, scheinbar motiviert noch einen drauf zu setzen. Diese Person ging am SAV-Stand vorbei und verteilte mehrere Stöße und "Body-Checks" gegen dort stehende SAV-Mitglieder, offensichtlich mit dem Ziel, dass diese auf den Tisch fallen sollten. Bei einer solchen Demonstration einen derartigen tätlichen Angriff gegen antifaschistische DemonstrantInnen auszuführen ist skandalös und gefährlich, da eine solche Auseinandersetzung von der Polizei zum Vorwand für ein Vorgehen gegen alle DemonstrantInnen genutzt werden kann. Dazu kommt, dass angesichts der neuen Kleiderordnung unter den Faschisten, in einer solchen Situation nicht mehr feststellbar ist, ob der Angreifer zu den Nazis gehört oder nicht und es schnell zu einer Eskalation kommen kann. Der Angreifer hat sich dann auch schnell vom Kundgebungsort entfernt und sich keiner Diskussion gestellt.

Als wir dieselbe Person später am Theaterplatz trafen, haben wir sie angesprochen und damit konfrontiert, dass das Verhalten nicht akzeptabel ist und darauf hingewiesen, dass wir uns bei einer ähnlichen nächsten Situation körperlich verteidigen werden. Daraufhin hat der Angreifer uns provoziert, vorgeschlagen sich direkt vor Ort zu prügeln und dann einem von uns ins Gesicht gespuckt, woraufhin es zu einem Handgemenge kam. Renate L. stand die ganze Zeit dabei, hat aber den Angreifer in Schutz genommen, uns als Arschlöcher beschimpft, mit denen sie nicht diskutiere und sich, wieder ohne sich einer Diskussion zu stellen, mit dem Angreifer gemeinsam vom Platz entfernt.

Wir sind beide seit 20 Jahren in der Arbeiterbewegung und der antifaschistischen Bewegung aktiv und haben in verschiedenen Städten viele Aktionen und Demos mitgemacht, in Bündnissen gearbeitet und uns an der kontroversen Auseinandersetzung verschiedener Gruppen in der Bewegung beteiligt. Eine solche Situation haben wir noch nicht erlebt. Körperliche Angriffe gegen andere Linke sollten keinen Platz in der linken und antifaschistischen Bewegung haben. Verbote von Selbstverständlichkeiten, wie das Aufbauen eines Standes, ebenso nicht.

Wir fordern das Antifa-Bündnis und die DKP, deren Mitglied Renate unseres Wissens ist, auf zu den Angriffen gegen uns und andere SAV-Mitglieder Stellung zu beziehen und gegen diese zu protestieren. Wir sind der Meinung, dass es ratsam wäre, den Angreifer, der Renate bekannt ist, zu einem Gespräch zu laden und ihn zu einer Entschuldigung aufzufordern.

Mit sozialistischen Grüßen

Olaf van Aken, Rouen/Frankreich

Sascha Stanicic, Berlin

Aachen, den 25.12.2008

Antworten und Stellungnahmen bitte an sst@sav-online.de und aachen@sav-online.de