Debatte: Wie weiter für Kuba?

Droht auf Kuba die Wiedereinführung des Kapitalismus?


 

Ein halbes Jahrhundert nach der Kubanischen Revolution hat Fidel Castro die Führung des zwölf Millionen Menschen zählenden Landes an seinen Bruder Raul übergeben. Der neue Staatschef zeichnet sich bereits für kleinere marktwirtschaftliche Reformen auf der Karibik-Insel verantwortlich. Die Europäische Union hat ihre diplomatischen Sanktionen aufgehoben. Sollte Barack Obama der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden, dann ist von einer Lockerung des US-Embargos auszugehen. Private Investoren stehen schon in den Startlöchern, sie erhoffen sich Geschäfte auf Kuba.

Ist das Land auf dem Weg zurück zum Kapitalismus? Welche Maßnahmen sind nötig, um Verarmung und kapitalistische Restauration zu verhindern?

Mehr Sozialismus!

Lazaro Mora, Sozialwissenschaftler, Vizepräsident der Sociedad Económica de Amigos del País, lebt in Havanna

Es gibt eine weitverbreitete Tendenz, die Ereignisse auf Kuba und Kubas Standpunkte zu bewerten, ohne die Blockade und die aggressive Politik der Vereinigten Staaten gegen unser Land zu beachten. Als würden Kubas Regierung oder sein Volk unter denselben Bedingungen leben wie andere Länder, die keiner Hetzjagd seitens der wichtigsten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt ausgesetzt sind.

Darüber hinaus üben die USA Druck auf ihre engsten Verbündeten aus, diese Politik zu unterstützen. Dies war der Fall, als die EU 1996 ihren „Gemeinsamen Standpunkt“ und 2003 Sanktionen gegen Kuba beschloss, die aber 2006 aufgrund ihrer Unwirksamkeit teilweise aufgehoben wurden.

Seit 1962 hat die Blockade Kuba nicht weniger als 89 Milliarden Dollar gekostet. Ressourcen, die Wirtschaft und Sozialpolitik hätten voranbringen können. Doch niemand kann bestreiten, dass selbst unter diesen schwierigen Bedingungen dank einer konsequenten Politik der sozialen Gerechtigkeit wichtige Errungenschaften auf sozialem Gebiet verwirklicht worden sind.

Wir Kubaner haben seit dem Sieg der Revolution getan was wir konnten, obwohl wir mehr ersehnt hatten. Aber wegen der permanenten Bedrohung durch den Nachbarn im Norden waren wir dazu genötigt, Dinge zu tun, die wir andernfalls nicht hätten tun müssen. Die Ursachen dafür liegen zum einen am Mangel an finanziellen Mitteln und dem fehlenden Zugang zu Krediten der internationalen Finanzinstitute und zum anderen in der unerlässlichen Notwendigkeit der Landesverteidigung.

Kein anderes Land war innerhalb von drei Jahrzehnten dazu gezwungen, gleich zwei Mal seine technologische Basis komplett auszutauschen, seinen Außenhandel neu auszurichten und neue Finanzierungsquellen zu suchen. Das erste Mal, als die Vereinigten Staaten Anfang der sechziger Jahre die Blockade anordneten: Da zu diesem Zeitpunkt fast alle technischen Anlagen in Kuba aus den USA stammten, waren wir gezwungen, nach neuen Technologien in der UdSSR und den sozialistischen Staaten Europas Ausschau zu halten. Das zweite Mal geschah dies beim Zerfall des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW/Comecon) und der UdSSR zwischen 1989 und 1991. Wie viele Ressourcen musste die kubanische Regierung in die Bewältigung dieser Herausforderungen stecken? Wie viele Länder wären im Stande gewesen, das zu ertragen, was das kubanische Volk durchzustehen hatte?

Die Anfang der neunziger Jahre wegen dieser sehr ernsten Situation von der kubanischen Regierung beschlossene Wirtschaftspolitik hat schließlich im Jahre 1994 den freien Fall unserer Wirtschaft aufgehalten. 1995 konnte man ein bescheidenes Wachstum verzeichnen, das seitdem anhält und uns erlaubt, neuen Maßnahmen seitens der USA zur Verschärfung der Blockade zu widerstehen. Deren Politik hat allerdings schädliche Auswirkungen, zu deren Abwehr wir die nötigen Veränderungen vornehmen müssen.

Die Tragweite und die Vielschichtigkeit der Probleme, denen die Kubanische Revolution heute ausgesetzt ist, wirken sich auf die gesamte Gesellschaft aus. Deshalb ist es auch die gesamte Gesellschaft, die sich in einen Denkprozess vertieft hat, um die Ursachen zu analysieren und Lösungen vorzuschlagen. Was jedoch nicht in Frage gestellt wird, ist die Daseinsberechtigung des sozialistischen Systems.

Wir wollen den Staat stärker zur Sache der Gesellschaft machen, die Beteiligung an der politischen Macht sowie die Verpflichtung und Verantwortlichkeit der Bürger für die Zukunft unserer Nation stärken. Die schädliche Tendenz, alles vom Staat zu erwarten, muss beseitigt und das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass wir nur über das verfügen werden, was wir selbst herstellen und erschaffen können.

Es ist nicht einfach, kurz zusammenzufassen, was in Kuba geschehen ist und noch geschieht, seitdem Raúl Castro am 26. Juli 2007 zur Förderung der aktuellen Debatte aufrief. Aber wir sollten daran erinnern, dass diese Diskussion schon durch Fidel Castro angeregt wurde, der am 1. Mai 2000 wörtlich sagte: „Revolution ist ein Gefühl für den historischen Moment, alles zu verändern, was geändert werden muss. Sie bedeutet die völlige Gleichheit und Freiheit, den Umgang mit anderen auf einer menschlichen Ebene, die Emanzipation aus eigener Kraft, das Herausfordern mächtiger und dominanter Kräfte innerhalb und außerhalb des sozialen und nationalen Bereichs, die Verteidigung der Werte, an die man glaubt […].

Sie ist die tiefe Überzeugung davon, dass keine Macht der Welt dazu im Stande ist, die Kraft der Wahrheit und der Visionen zu zerstören.“

Kuba hat einen äußerst wichtigen Beitrag zur weltweiten revolutionären Bewegung geleistet, indem es die Fähigkeit zum Widerstand und zur Verwirklichung einer sozialistischen Revolution gezeigt hat. Mit der Einheit des Volkes, das seine Souveränität und seine Rechte verteidigt, kann man die größten Hindernisse überwinden. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Impulse in Richtung eines stärker partizipativen Sozialismus zu geben, durch die Mitwirkung der gesamten kulturell, technisch und politisch hochgebildeten Bevölkerung als Subjekt der Veränderungen, die notwendig sind, um die Revolution unzerstörbar zu machen.

Uns ist bewusst, dass es kein Allheilmittel gibt, das uns erlaubt, alle Probleme auf einmal zu lösen. Was zählt, ist vielmehr, dass wir den Anfang gemacht haben, um durch gemeinsame Anstrengung die Lösung dafür zu finden.

Vorwärts zum Sozialismus!

René Henze, Rostock, ist Mitglied im Bundesvorstand der SAV

Jede und jeder Linke sollte die Kubanische Revolution und die Errungenschaften seit 1959 verteidigen.

Vermittels der nicht-kapitalistischen Wirtschaftsweise, das heißt durch eine verstaatlichte und geplante Wirtschaft, steht Kuba im Vergleich zu den anderen Ländern Mittel- und Lateinamerikas wesentlich besser da, teilweise selbst zu den USA – zum Beispiel im Gesundheitswesen oder im Bildungssektor. Auf 57 Einwohner kommt ein Lehrer. Während die durchschnittliche Lebenserwartung in Russland nach der kapitalistischen Restauration auf 57 Jahre zurück ging, beträgt sie in Kuba heute 75 Jahre.

Aber die Kubanische Revolution und ihre Errungenschaften zu verteidigen, heißt auch, es mit Rosa Luxemburg zu halten und „zu sagen, was ist“. Die kubanische Gesellschaft ähnelt in ihrer Grundstruktur der Struktur der untergegangenen Staaten des Ostblocks. Eine regierende Staatspartei kontrolliert und lenkt die Gesellschaft „von oben“. Da bleiben Fehlentscheidungen, Korruption, Karrierismus und schließlich Vettern- und Misswirtschaft nicht aus. Auch wenn Fidel und Raul beileibe nicht so verknöchert und abgehoben sind wie der letzte Staatschef der DDR, Erich Honecker, oder wie die stalinistischen Betonköpfe der ehemaligen Sowjetunion – das Regierungssystem und die bürokratische Struktur über der verstaatlichten Wirtschaft ist leider analog zu jenen.

Es gibt keine Arbeiterkontrolle und -verwaltung, es gibt auch keine Arbeiter- oder Bauernräte oder auf den Bewohnern der Stadtteile basierende Komitees, die die verstaatlichten Betriebe leiten und die kubanische Regierung kontrollieren und denen die staatlichen Behörden rechenschaftspflichtig sind. All diese Elemente einer lebendigen Arbeiterdemokratie – wie sie die Russische Revolution vor dem Aufstieg Stalins in Russland bis Mitte der zwanziger Jahre kennzeichneten – fehlen heute auf Kuba.

Im Unterschied zur Oktoberrevolution 1917 war es in Kuba nicht die Arbeiterklasse gewesen, die in der Revolution 1959 die führende Rolle innehatte. Zudem geriet die Revolution auf Kuba nach ihrem Sieg unter den Einflussbereich der Stalinisten aus Moskau, Prag und Ost-Berlin. (Che Guevara beklagte sich Anfang der sechziger Jahre mehrfach darüber, dass die sogenannten „Techniker“ aus der DDR und der CSSR nach der Revolution immer mehr Einfluss bekamen).

Es greift deshalb viel zu kurz, nur auf „die Blockade“ durch USA und EU und die militärische Bedrohung aus dem Norden hinzuweisen. Jede Revolution, die sich ein Ende der Ausbeutung und Armut auf die Fahnen geschrieben hat, muss mit dem grimmigen Hass der verjagten bisherigen Eigentümer und der Feindschaft der Gesamtheit der kapitalistischen Staaten rechnen. Dagegen hilft letztlich nur die internationale Ausweitung der Revolution.

Jetzt droht der Kubanischen Revolution eine neue Gefahr. Und diese wird nicht aus Miami gelenkt, sondern kommt von der kubanischen Regierung selbst – in Form von Reformen. Auch in Deutschland frohlockt die Presse über „erste Reformschritte“ : Dazu zählen der freie Verkauf von Elektronikprodukten (darunter PCs), die schrittweise Einführung marktwirtschaftlicher Produktionsbedingungen im Agrarsektor und stark unterschiedliche Löhne. „Ein kubanischer Arbeiter kann der geplanten Neuregelung zufolge um fünf Prozent mehr verdienen, wenn er das vorgegebene Produktionsziel erreicht. Führungskräfte könnten ihr Gehalt um bis zu 30 Prozent steigern“ (die Wiener „Presse“ vom 16. Juni).

Das Problem ist nicht, dass Kubaner endlich Computer kaufen können. Das Problem ist, dass nicht alle Kubaner das Geld (Dollars) dafür haben. Die Dollarisierung und Lohndifferenzierung bereiten den Boden, um wachsende Teile der Wirtschaft dem kapitalistischen Profitprinzip zu überlassen und ihm durch die Hintertür wieder Zutritt auf der Insel zu gewähren.

Richtig bedrohlich wird das Szenario, wenn man bedenkt, dass das kapitalistisch agierende China inzwischen der zweitwichtigste Investor auf Kuba ist.

Der Schlüssel zur Verteidigung der Revolution und ihrer Errungenschaften liegt nicht in der Öffnung der verstaatlichten Wirtschaft zum Kapitalismus, sondern vielmehr darin, endlich eine Arbeiterdemokratie basierend auf den Beschäftigten, den einfachen Bauern und vor allem der Jugend in Kuba aufzubauen.

Und es gibt keinen nationalen, sondern nur einen internationalen Ausweg. Wäre die Kommunistische Partei Kubas eine wahrhaft kommunistische Partei, dann würde sie auf eine Rätedemokratie setzen, die gegenüber den Diktaturen und Beschränkungen der bürgerlichen Demokratien international ein leuchtendes Beispiel sein könnte. Zudem würde sie den arbeitenden Menschen und den armen Bauern in der ganzen Welt zurufen: Kuba hat den Kapitalismus abgeschafft, aber wir sind noch kein sozialistisches Land. Wir sind arm, weil wir uns im Würgegriff des Imperialismus befinden und weil Sozialismus nicht allein in einem Land aufgebaut werden kann. In euren Ländern kämpft ihr heute gegen Arbeitslosigkeit und Armut. Verbindet diesen Kampf mit dem Kampf für die Abschaffung des Kapitalismus. Wenn in den USA, Europa, wenn in der ganzen Welt die Diktatur der Konzerne gestürzt worden ist, dann können wir gemeinsam eine sozialistische Welt aufbauen und dann werden auf Kuba nicht nur die Strände paradiesisch sein.