Schluss mit dem Pflegenotstand

Mehr Personal für die Krankenhäuser


 

Das Wort Pflegenotstand ist wieder in aller Munde. Wenn es nach den Unternehmern und ihren Parteien geht, wird aus dem Pflegenotstand bald ein Krankenhausnotstand. Bis zum Jahr 2020 sollen nach einer Studie der Consulting Firma Ernst & Young ein Viertel aller Akutkrankenhäuser „vom Markt verschwunden sein“. Ein flächendeckendes Angebot wird nicht mehr als Priorität betrachtet. In erster Linie soll Profit erzielt werden.

von Ursel Beck, Stuttgart

Den Krankenhäusern fehlt Geld – nicht Millionen, sondern Milliarden. In einer Gesellschaft, in der mal locker 20 Milliarden an Banken fließen, um ihre Spekulationsverluste auszugleichen, dürfte das eigentlich kein Problem sein. Aber im Gegensatz zu den Banken sollen Kliniken in die Insolvenz getrieben werden. Die Landesregierungen weigern sich, ihrer gesetzlicher Verpflichtung für Investitionen nachzukommen. Seit Anfang der neunziger Jahre haben sie ihre Mittel für die Krankenhäuser real um mehr als 44 Prozent auf 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2006 zurückgefahren. Auch die Kommunen schrauben ihre Ausgaben für die Krankenhäuser immer weiter zurück. Die deutsche Krankenhausgesellschaft sieht ein Drittel der 2.100 Kliniken von Insolvenz bedroht.

Regierung plant weitere Verschlechterungen

In den nächsten Monaten drohen entscheidende Änderungen, die den Druck auf die Krankenhäuser gewaltig erhöhen würden.

Die Einführung des Gesundheitsfonds bedeutet einen weiteren Ausstieg der Unternehmer aus der paritätischen Finanzierung. Das heißt, sie werden weiter entlastet und die abhängig Beschäftigten werden stärker belastet.

Damit verbunden ist auch die Deckelung der Etats der Krankenkassen. Der finanzielle Druck wird dann von den Krankenkassen auf die Kliniken übertragen. Es soll ein Gesetz beschlossen werden, wonach die Kassen künftig in Insolvenz gehen können. Krankenkassen soll erlaubt werden, Krankenhäuser, mit denen sie Verträge abschließen, frei zu wählen.

Und nicht zuletzt droht die Abschaffung der dualen Finanzierung, sprich feste staatliche Anteile an den Kosten der Kliniken werden abgeschafft. Das bedeutet, es muss noch mehr über die Krankenkassenbeiträge finanziert werden. Bei steigenden Kosten steht also nicht mehr Geld zur Verfügung.

Privatisierung

Die Unterfinanzierung der Krankenhäuser dient auch dazu, sie sturmreif für die Privatisierung zu schießen. Deutschland liegt dabei weltweit an der Spitze: Der Anteil der privaten Krankenhäuser erhöhte sich zwischen 1991 und 2004 von 14,8 auf 25,6 Prozent und soll bis 2015 die Marke von 40 Prozent erreichen.

Dadurch werden dem Gesundheitssystem nicht die fehlenden Finanzmittel zugeführt. Im Gegenteil, es wird Geld als privater Unternehmensgewinn entzogen. Inzwischen beherrschen die vier privaten Krankenhauskonzerne Rhön, Fresenius, Asklepios-Helios und Sana den Markt. Sie konzentrieren sich auf lukrative Behandlungen und fahren durch diese Rosinenpickerei horrende Gewinne ein. Der Eigentümer von Askplepios, Bernhard Broermann, gehört inzwischen zu den reichsten Deutschen.

Nach dem Platzen der Spekulationsblase mit Immobilien sucht das Kapital nach anderweitigen Verwertungsmöglichkeiten. Eine Folge davon ist der verstärkte Privatisierungsdruck. Dieser Druck kann letztendlich nur beseitigt werden, wenn das Kapital entmachtet wird.

Fallpauschalen abschaffen

Das Prinzip der Selbstkostendeckung im Krankenhausbereich wurde mit der Einführung von Fallpauschalen, den Diagnosis Related Groups (DRG), 2003 abgeschafft. Die Behandlung einer bestimmten Krankheit wird nun mit einem Festbetrag vergütet – unabhängig von der tatsächlich notwendigen Behandlung und ihren Kosten.

Die Fallpauschalen sind ein Instrument zur Umorientierung einer Behandlung nach Bedarf auf Behandlung für Profit. Drückt ein Krankenhaus die Kosten unter den Festpreis, erwirtschaftet es Gewinn, liegt es drüber, macht es Verlust. Die Konsequenz daraus ist, dass PatientInnen selektiert werden, dass lukrative Behandlungen durchgeführt werden, obwohl sie medizinisch nicht notwendig sind. Gleichzeitig unterbleiben Behandlungen, wenn die Fallpauschalen nicht reichen, um die Kosten zu decken. Die Krankenhäuser maximieren ihre Gewinne, indem sie möglichst viele Fälle in kürzester Zeit mit möglichst wenig Personal behandeln. Da die Fallpauschalen den Durchschnittskosten entsprechen, sinken sie durch den Unterbietungswettlauf ständig. Maximalversorgungskrankenhäuser, die jeden Patienten aufnehmen müssen, werden benachteiligt. Privatkliniken, die sich auf bestimmte Behandlungen spezialisieren, werden bevorzugt.

Beschäftigte am Limit

Seit 1996 wurden in Deutschlands Krankenhäusern fast 100.000 Stellen abgebaut, davon 50.000 in der Pflege. Die Zahl der Patientinnen und Patienten hat sich gleichzeitig um 670.000 erhöht. Nach einer OECD-Studie arbeiten deutsche Kliniken mit dem geringsten Personal, nämlich 10,8 Krankenhaus-Beschäftigten auf 1.000 Einwohner. In Österreich ist die Vergleichszahl 15,3 und selbst in den USA mit seiner unzureichenden Gesundheitsversorgung gibt es 16,1 Pflegekräfte je 1.000 Einwohner.

Immer mehr PatientInnen müssen hierzulande in kürzester Zeit mit immer weniger Personal durchgeschleust werden. Hinzu kommt, dass die PatientInnen in den Krankenhäusern schwerer erkrankt sind, denn die leichteren Fälle werden meist ambulant behandelt. Zudem werden PatientInnen heute viel früher entlassen.

Pflegekräfte versuchen immer wieder, den Personalmangel auszugleichen, nehmen ihre Pausen nicht, bleiben über den Dienstschluss hinaus, springen ein, wenn jemand fehlt. Im Jahr 2006 kompensierten die Pflegekräfte 5.000 Vollzeitstellen durch Überstunden. Es wird inzwischen sogar von „gefährlicher Pflege“ gesprochen. Wenn zwei Patienten gestürzt sind, bleibt einer erst mal liegen. Wenn kein Pflegepersonal da ist, um Menschen beim Essen zu helfen, müssen Magensonden oder Infusionen gelegt werden. Wenn keine Schwester da ist, um PatientInnen auf die Toilette zu begleiten, müssen Katheder oder Windeln eingesetzt werden. Im schlimmsten Fall stirbt ein Patient infolge von Personalmangel.

Das Limit der Belastung für die Krankenhaus-Beschäftigten ist längst überschritten. Ihre Arbeitsbedingungen machen sie krank. Zu den körperlichen Belastungen der schweren Arbeit im Krankenhaus und zu Infektionen, die man sich einfängt, kommen Nervenzusammenbrüche, das Burnout-Syndrom, Depressionen und andere durch Arbeitsstress verursachte Krankheiten. „Pflege im Akkord ist mehr als Doppelmord“, stand zutreffend auf einem Transparent bei einer Protestaktion von Krankenhaus-Beschäftigten im Mai in Köln. Zu alledem gehören Beschäftigten in den deutschen Kliniken im internationalen Vergleich zu den am schlechtesten bezahlten KollegInnen.

Profite auf Kosten der Gesundheit

Solange das Gesundheitssystem ein Selbstbedienungsladen für Pharmakonzerne, Geräteindustrie, Unternehmensberater, Chefärzte und Standesorganisationen ist, wird nicht gespart. Immer mehr Kassenbeiträge und Zuzahlungen werden an die Profiteure im Haifischbecken Gesundheitsmarkt verfüttert.

Obwohl aufgrund der Praxisgebühr zehn Prozent weniger Menschen zum Arzt gehen, obwohl die Ärzte weniger verschreiben, sind die Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente auf 25,6 Milliarden Euro im Jahr 2007 gestiegen. Um Renditen von 20 bis 30 Prozent zu sichern, haben die Pharmakonzerne einfach die Preise erhöht.

Es ist keine Frage, dass im Gesundheitswesen mehrstellige Milliardenbeträge eingespart werden könnten. Aber diejenigen, die die ökonomische und politische Macht haben, haben kein Interesse daran. Hierfür wird das Geld unter anderem verschwendet:

– Zwischen sieben und 16 Milliarden Euro gehen den Krankenkassen jährlich durch Korruption und Betrug verloren.

– Eine Million Infektionen holen sich PatientInnen in Krankenhäusern jedes Jahr aufgrund von mangelnder Hygiene. Bis zu 40.000 sterben jährlich daran.

– Ein Drittel aller Röntgenuntersuchungen werden für überflüssig gehalten.

– Die Pharmaindustrie gibt fünf Milliarden Euro für Werbung aus und liegt damit an der Spitze aller Branchen.

– 200.000 Menschen müssen pro Jahr wegen Arzneimittel-Nebenwirkungen in Krankenhäuser eingewiesen werden.

– Durch Prävention und Gesundheitsförderung könnte ein Viertel der heutigen Kosten eingespart werden.


In den ostdeutschen Bundesländern ist seit 1990 der Kapitalismus im Zeitraffer eingeführt worden. Die Privatisierung von Krankenhäusern ging weitgehend kampflos von statten. In den meisten Bundesländern gibt es nur noch ein bis zwei kommunale Eigenbetriebe. Der Personalabbau begann bereits 1990 – bis auf das jetzige Niveau, das keine Garantie für qualitative Pflege mehr gibt.

Dorit Wallenburger, Mitglied der ver.di-Betriebsgruppe im Krankenhaus Dresden-Neustadt* (*Angabe zur Funktion dient nur der Kenntlichmachung der Person)