Chef? Wozu?

Wenn die Beschäftigten selbst bestimmen


 

Der Streik der Lokführer zeigt, dass die Kapitalisten nicht auf die ArbeiterInnen verzichten können – legen sie die Arbeit nieder, läuft nichts mehr! Wie ist es umgekehrt? Sind die Beschäftigten auf ihren Chef angewiesen?

von Lasse Schmied, Kassel

Nachdem der Eigentümer Lone Star in diesem Jahr eine Fahrradfabrik in Nordhausen (Thüringen) schließen wollte, besetzte die Belegschaft spontan den Betrieb. Die KollegInnen entwickelten mit dem Strike Bike ein eigenes Fahrradmodell und organisierten die Produktion in Eigenregie. In der Geschichte gibt es eine Reihe von Beispielen, in denen Betriebe besetzt und selbst verwaltet wurden. Ganz neue Möglichkeiten jenseits der kapitalistischen Organisation wurden aufgezeigt. Ohne die Bevormundung von abgehobenen Managern, ohne die Renditezwänge gegenüber Großaktionären entwickeln Belegschaften immer wieder eine enorme Kreativität und Schaffenskraft, die mit der Bevormundung eines Chefs undenkbar wären.

Eine sozialistische Gesellschaft kennt keine Bosse mehr und schafft den Raum für die Entfaltung der Belegschaften. Wie kann der betriebliche Alltag in einer solchen Gesellschaft aussehen?

Innerbetriebliche Demokratie

Im Sozialismus ist der Privatbesitz an Konzernen und Banken aufgehoben. Damit wird auch die Spaltung der Gesellschaft in Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse beendet. Das bedeutet einen radikalen Umbruch in den betrieblichen Strukturen. Der private Arbeitgeber wird nämlich nicht einfach durch den Staat in Person eines Technokraten oder Bürokraten ersetzt. Das war der Fall in den stalinistischen Ländern des Ostblocks. Die Produktion befindet sich vielmehr in den Händen der Gesellschaft. Das heißt, dass die betrieblichen Abläufe nicht von irgendwelchen Chefetagen diktiert werden. Stattdessen werden sie von der Belegschaft selber entschieden, auf Betriebsversammlungen und über gewählte, jederzeit abwählbare VertreterInnen, die keine Privilegien erhalten. Durch Arbeitzszeitverkürzungen, die möglich werden, weil Massenarbeitslosigkeit, Rüstung und Werbung Vergangenheit sind, werden alle Zeit finden, sich weiter bilden zu können.

Noch wurden in Venezuela unter Hugo Chavez erst wenige Betriebe verstaatlicht. Zudem haben ArbeiterInnen mehrmals Betriebe nach der Schließung besetzt und die Produktion wieder in Gang gebracht (später erhielten sie dann die Unterstützung der Regierung). In diesen so genannten Unternehmen sozialer Produktion (EPS) ist es ein Prinzip, dass kein Angestellter besondere materielle Privilegien genießt. Außerdem rotieren in diesen Betrieben die verschiedenen Aufgaben. So wird zum einen verhindert, dass sich Monotonie und Langeweile breit macht. Zum anderen bekommt man selber einen Überblick über den gesamten betrieblichen Ablauf, um schließlich Entscheidungen für den ganzen Betrieb fällen zu können.

Die Papierfabrik Venepal wurde von Chavez auf Druck der ArbeiterInnen verstaatlicht. Dort werden die Unternehmensentscheidungen heute auf regelmäßigen Versammlungen getroffen und der Betrieb wird von einem gewählten Gremium geleitet, das auch abgewählt werden kann. Das passierte Anfang 2006, als bei der Überprüfung der Bücher durch die Belegschaft festgestellt wurde, dass gegen das Interesse der Beschäftigten verstoßen worden war.

Gesellschaftliche Planung und betriebliche Umsetzung

Im Sozialismus wird die Konkurrenz zwischen den Betrieben überwunden sein. Eine Innovation in einem Betrieb wird nicht als Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen ausgenutzt. Stattdessen bedeutet sie einen Fortschritt für sämtliche Betriebe und für alle in der Gesellschaft.

Eine demokratische Kontrolle und Verwaltung der Betriebe muss eingebettet sein in eine Selbstverwaltung der gesamten Gesellschaft, die die ganze Wirtschaft demokratisch plant. Planung heißt nicht, dass man nicht in der Lage ist, auf spontane Ereignisse zu reagieren. Ein Wandel von Bedürfnissen und Notwendigkeiten kann schnell erfasst und die Produktion (dank Arbeiterkontrolle und -verwaltung) angepasst werden.

Die Aufstellung und die Erfüllung eines Plans darf nicht bürokratisch von oben nach unten betrieben werden. Dass das nicht funktioniert, konnte man in der DDR und in der Sowjetunion sehen. In einer sozialistischen Demokratie werden nicht nur im einzelnen Betrieb, sondern auf allen Ebenen VertreterInnen gewählt, die in der Wirtschaft, bei der Bildung und in anderern Bereichen Leitungsfunktionen übernehmen. Dann können Wirtschaft und Gesellschaft endlich im Interesse von Mensch und Umwelt gestaltet werden.