Warum Sozialismus? Demokratische Planwirtschaft statt Diktatur des Marktes

Niemals zuvor in der Geschichte verfügte die Menschheit über so viel Wissen, Technik, Maschinen, Möglichkeiten. Aber der technische Fortschritt verwandelt sich unter dem Kapitalismus in Rückschritt.


 

Statt das Leben zu erleichtern, führt er zu Arbeitslosigkeit und Armut. Und wenn die Produktionsweise nicht radikal geändert wird, droht eine dramatische Veränderung des Klimas. Wie könnte die Wirtschaft so organisiert werden, dass die Produktivkräfte zum Wohle von Mensch und Umwelt eingesetzt und weiterentwickelt würden?

von Pablo Alderete, Stuttgart

Die Grundlage des Kapitalismus ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Die Grundlage des Sozialismus ist das gesellschaftliche Eigentum an den Fabriken, Bodenschätzen, Transportwesen… Im Kapitalismus entscheidet eine kleine Minderheit, was und wie produziert wird. Einziges Motiv der Produktion ist die Erzielung von Profit. Die Produzenten agieren in Konkurrenz zueinander. Der Markt „reguliert“ die Wirtschaft.

Im Sozialismus tritt an die Stelle der Anarchie des Marktes ein gesamtgesellschaftlicher Plan, der sich nach den Bedürfnissen der Menschen und ihrer Umwelt richtet.

Produktion nach Profit oder Bedarf?

In einer sozialistischen Gesellschaft ist das Motiv für die Produktion der tatsächliche Bedarf. Man würde also damit anfangen, erst einmal zu ermitteln, was denn die Bedürfnisse sind. Brauchen wir Wegwerfartikel oder dauerhafte Güter? Hat jemand das Bedürfnis, mit Werbung bombardiert zu werden? Wieviele Wohnungen müssen wärmeisoliert werden? In welchen Bereichen gibt es mehr zu tun? Sicher im Umweltschutz, im Bildungs- und im Gesundheitswesen. In welchen Bereichen werden überflüssige, sinnlose Tätigkeiten verrichtet, wie in der Rüstungsindustrie?

Dann würde man Ziele formulieren und Pläne aufstellen, wie und in welchem Zeitraum diese Ziele erreicht werden sollen. Wenn man zum Beispiel das Verkehrswesen in möglichst kurzer Zeit vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umstellen will, dann braucht man eine Vorstellung, wie viele Kilometer neue Eisenbahnschienen verlegt werden müssen, welche Fabriken man umfunktionieren kann, um – statt Autos – Straßenbahnen, Lokomotiven und Waggons zu bauen.

Demokratie und Kontrolle

So ein Plan kann nur eine Vorgabe sein, denn er muss sowohl von den Produzierenden als auch von den KonsumentInnen ständig überprüft werden können. Stimmt die Qualität? Haben sich die Bedürfnisse geändert? Gibt es neue technische Entwicklungen, die angewandt werden sollten? Planwirtschaft braucht Demokratie wie der Mensch Luft zum Atmen, sie braucht aktive Massenbeteiligung, freie Diskussion und Kritik.

Natürlich benötigt es Beauftragte, Experten und Delegierte. Der russische Revolutionär Lenin griff die Frage auf, ob sich Arbeiter in Bürokraten verwandeln könnten. Er wies darauf hin, dass „die von Marx und Engels genau dargelegten Maßnahmen gegen eine Umwandlung derselben in Bürokraten“ folgende sind: „1. nicht nur Wählbarkeit, sondern auch Absetzbarkeit zu jeder Zeit, 2. ein den Arbeiterlohn nicht übersteigende Bezahlung, 3. sofortiger Übergang dazu, dass alle die Funktionen der Kontrolle und Aufsicht verrichten, so dass niemand zum Bürokraten werden kann.“

Diese Punkte waren im Ostblock oder in China nicht gegeben. Diese Staaten scheiterten an Fehlplanungen, Bürokratie, Misswirtschaft. Unter der Herrschaft einer privilegierten Clique sank die Motivation der arbeitenden Menschen ins Bodenlose. Eine abgehobene Schicht von Bürokraten und Parteibonzen unterdrückte jegliche Kritik an ihren Entscheidungen aus Gründen der eigenen Machterhaltung. So kann Planwirtschaft nicht funktionieren.

Planung = grau und eintönig?

Die Verteidiger des Kapitalismus behaupten, die „unsichtbare Hand“ des Marktes sei am Besten geeignet, um das Zusammenspiel der Produzenten zu gewährleisten. Das ist Unsinn, denn kapitalistische Unternehmen planen natürlich ihre innerbetriebliche Produktion, statt sie irgendwelchen „unsichtbaren Händen“ zu überlassen. Ganze Stäbe von Fachleuten erforschen Kaufkraft und Konsumverhalten. Die Einführung neuer Produkte, der Aufbau neuer Fabriken und Produktionsstandorte werden langfristig geplant. In der Autoindustrie dauert ein „Modellzyklus“ für ein PKW-Modell in der Regel sieben bis acht Jahre. Die Unternehmen stellen entsprechend langfristige Päne auf.

VW hat über 300.000 Beschäftigte in Dutzenden verschiedenen Ländern. Um aus vielen tausend Komponenten ein Auto zusammen zu fügen, bedarf es einer ausgefeilten Planung von Materialströmen und Ressourcen.

Doch jedes Unternehmen plant für sich, in Konkurrenz zu den anderen. Und sie planen nicht, wie sie Bedürfnisse befriedigen können, sondern wie sie Gewinne erzielen. Im Zuge dieser Planung kommt es zu marktwirtschaftlichen „Fehlplanungen“, die eben keine Fehler sind, sondern Bestandteile des Kapitalismus: Überkapazitäten werden aufgebaut, Fabriken hochgezogen, die später wieder geschlossen werden, wenn der Konkurrent einen größeren Teil vom Markt erobert hat.

In einer sozialistischen Planwirtschaft braucht man sogar weniger Planung als heute. Ein Beipiel: Die Zahl der Staubsaugermodelle und Typen ist schier unüberschaubar. Versandhäuser im Internet werben damit, dass sie über tausend verschiedene Staubsaugerbeutel führen. Für jedes Staubsaugermodell muss aber eine eigene Gussform entworfen und hergestellt werden und natürlich eine spezielle Verpackung. Da steckt eine Menge planerischer Aufwand dahinter. Den könnte man leicht um den Faktor zehn reduzieren und hätte immer noch eine große Auswahl an Staubsaugern.

Sozialistische Planung

Technisch wäre eine weltweite Planung kein Problem. Schon heute ist bekannt, welcher Bedarf an den grundlegenden Dingen des Lebens, wie Nahrung, Kleidung, Wohnungen, besteht. Über moderne Telekommunikation kann ein sich ändernder Bedarf ermittelt und die Produktionskapazitäten angepasst werden.

Eine demokratisch geplante Wirtschaft wäre global, aber gleichzeitig in vielen Bereichen regional. Mit der Abschaffung des Profitmotivs und der Angleichung der Lebensverhältnisse entfällt die Motivation, ein T-Shirt um den Globus zu schicken, um es hier zu nähen, dort zu bedrucken und im dritten Land zu verkaufen. Die absurde Produktvielfalt des Kapitalismus, die oft nichts anderes ist als Gleichmacherei mit bunter Verpackung, würde in wirkliche Vielfalt verändert werden.

Eine zukünftige sozialistische Gesellschaft wird selber entscheiden, wie die Planung genau gestaltet wird. Es ist aber davon auszugehen, dass ein Planungssystem auf drei Ebenen wirkt: national/international, in der jeweiligen Branche und im einzelnen Unternehmen.

Motivation und Beteiligung

Anfang 2007 schrieb der Telekom-Mitarbeiter Lutz Paege einen offenen Protestbrief an die Telekom-Manager. Darin hieß es: „Ideen haben wir genug, Motivation auch! Wir kennen die Kunden und die Firma und wir wissen, wo es knackt im Gebälk! Wir wissen auch, wo viel zu viel Geld verschwendet wird, wo Personal falsch eingesetzt wird und Wissen sinnlos verpufft oder Prozesse angepasst werden müssten.“

In vielen Betrieben gibt es „flache Hierarchien“, „Teamarbeit“ und ähnliches. Diese werden heute vor allem als Methode benutzt, die ArbeitnehmerInnen in die Verantwortung einzubeziehen, um die Arbeitsintensität zu erhöhen. Aber sie sind auch ein Eingeständnis, dass die Chefs nicht benötigt werden, dass die Beschäftigten ihren Betrieb selbst führen können.

Die Arbeitszeit könnte mit einem Schlag stark reduziert und die Arbeit auf alle aufgeteilt werden. Das ist eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung einer Arbeiterdemokratie. Durch die Befreiung von mehreren Stunden Arbeit täglich würde ein enormes Potenzial freigesetzt, die Beschäftigten hätten die Möglichkeit, sich weiterzubilden und Aufgaben bei der Führung ihres Betriebes und der Koordination der Wirtschaft zu übernehmen. Lenins Losung, dass jede Köchin auch Premierministerin werden können müsse, war damals kühn, heute wäre es die gesellschaftliche Wirklichkeit.

Neben ihrer Arbeit sind heute in Deutschland 30 Prozent ehrenamtlich aktiv und verbringen mit ihrer Tätigkeit durchschnittlich 20 Stunden im Monat (Umfrage des Emnid-Institutes). Diese Bereitschaft zu sinnvoller, Zufriedenheit schaffender Tätigkeit, könnte in einer demokratischen Planwirtschaft voll entfaltet werden.

Unter den Bedingungen des Kapitalismus verwandeln sich die Produktivkräfte in Destruktivkräfte. Nur die demokratische Planung der Wirtschaft durch die Produzenten selber kann die Wirtschaft harmonisch regulieren, die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen aufhalten und nachhaltigen Wohlstand für alle schaffen. Dass ist kein schöner Traum, sondern Notwendigkeit geworden.