Die Irakisierung Afghanistans

Der vom Westen versprochene Wiederaufbau blieb aus


 

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes und der Einsetzung der Regierung Hamid Karzai wähnten sich die imperialistischen Mächte auf dem richtigen Weg. Aber nicht lange. In den letzten zwei Jahren haben die Kämpfe zugenommen und beschränken sich nicht mehr auf den Süden des Landes. Die Anzahl der Selbstmordattentate versechsfachte sich 2006 im Vergleich zum Vorjahr. Die zivilen Todesopfer waren 2006 so hoch wie seit der Invasion nicht mehr.

von Sean McGinley, Mannheim

Allein in der Provinz Helmand sind 100.000 Menschen obdachlos. In den Nachbarstaaten Pakistan und Iran befinden sich Millionen von afghanischen Flüchtlingen. Die Infrastruktur ist völlig am Boden und kann nicht einmal die nötigste Grundversorgung bieten.

Es herrscht Krieg. Wie im Irak. Nicht nur die Taliban, auch mehrere Warlords sind gestärkt. Und wie im Irak schwimmen den Besatzungskräften die Felle davon.

Farce „Wiederaufbau“

Fortschritte beim Aufbau der Infrastruktur hat es nicht gegeben. Für Militäroperationen wurde zehn Mal soviel wie für den zivilen Wiederaufbau ausgegeben (Die Welt vom 25. Juli). Ein Großteil des Budgets für „Wiederaufbau“ wurde für einheimische Sicherheits- und Polizeieinheiten aufgewendet. Der Internationale Währungsfonds (IWF) beteiligte sich an der Finanzierung eines Fünf-Sterne-Hotels in Kabul, in dem die Zimmer zwischen 250 und 1.200 Dollar pro Nacht kosten. Von den 7,5 Milliarden Dollar für zivile Hilfe seit 2002 ist bestenfalls ein Bruchteil in Aufbauarbeit geflossen.

Drogengeschäft floriert

Die Anbaufläche für Schlafmohn ist innerhalb des letzten Jahres um 59 Prozent gestiegen. 92 Prozent des weltweit erzeugten Opiums stammen aus Afghanistan. Schätzungen zufolge ist der Drogenhandel in Afghanistan 3,1 Milliarden Dollar wert – 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (The New Yorker vom 9. Juli).

Die Taliban haben den Drogenhandel als Einnahmequelle entdeckt und schützen als Gegenleistung für eine Gewinnbeteiligung Mohnbauern vor der gewaltsamen Zerstörung ihrer Anbauflächen durch die Regierung. Korrupte Regierungsbeamte stecken mit im Geschäft. Sowohl Drogenbosse als auch arme Bauern, die auf den Mohnanbau zum Überleben angewiesen sind, kaufen sich mit Bestechungsgeldern von den „Anti-Drogen-Maßnahmen“ frei. Ein Bauer kommt für 2,5 Hektar Mohn auf 500 bis 700 Dollar – mit Weizen wären es nur 32 Dollar. Vielfach werden auch Produkte wie Weizen oder Wassermelonen gleich mitzerstört – das nährt die Wut bis hin zum bewaffneten Widerstand.

Armut und Reichtum

Die akute Verschlechterung der Lebensbedingungen wird vor allem in Kabul selbst deutlich. Dort liegt die Arbeitslosigkeit bei 30 Prozent. Die durchschnittliche Monatsmiete für eine Ein-Zimmer-Wohnung beträgt das Doppelte eines Monatslohns für LehrerInnen.

Aber Kabul hat auch ein anderes Gesicht: Im Stadtteil Scherpur befanden sich bis 2003 notdürftige Flüchtlingsunterkünfte. Das Land wurde von der Regierung beschlagnahmt. Ein Villenviertel wurde errichtet, in dem diejenigen hausen, die vom Elend des Landes profitieren: hohe Regierungsbeamte, korrupte Politiker, Drogenmillionäre, ausländische Konzernvertreter und Söldner.