Telekom-Streik: Niederlage für alle Beschäftigten

Der Telekom-Streik hätte anders geführt werden können und müssen
Ein neues Kapitel in der Tarifgeschichte ist aufgeschlagen. Eine Gewerkschaft lässt es zu, dass in einem Großbetrieb mit Rekordgewinnen und einem Organisationsgrad von 70 Prozent erkämpfte tarifliche Standards auf einen Schlag vernichtet werden.


 

von Ursel Beck, Stuttgart

6,5 Prozent Gehaltskürzung, eine unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit um vier Stunden in der Woche, Samstag als Regelarbeitstag, variable Bezahlung und Armutslöhne für Neueingestellte. Das sind die Kernpunkte des Tarifabschlusses bei der Telekom.

30 Prozent Reallohneinbußen

Berücksichtigt man, dass die Telekom-Beschäftigten 2005 im Zuge der Arbeitszeitverkürzung bereits auf 6,5 Prozent Gehalt verzichten mussten und dass die unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit einer Lohnkürzung um 11,76 Prozent gleichkommt, bedeutet die erneute Gehaltskürzung eine Absenkung der Löhne um 25 Prozent gegenüber 2004. Bezieht man die Preissteigerung mit ein, ergibt sich ein Reallohnverlust von 30 Prozent.

Neueingestellten wird der Lohn sogar ausgehend vom bisherigen Niveau um 30 Prozent gesenkt. Hinzu kommt, dass 15 bis 20 Prozent der Gehälter vom Erreichen bestimmter Ziele beziehungsweise vom Gewinn abhängig gemacht wird.

Arbeitsplatzvernichtung

Manche KollegInnen mögen sich in der Hoffnung wiegen, dass die Arbeitsverdichtung durch vier Stunden Mehrarbeit wieder auf ein erträgliches Maß zurückgeführt wird. Aber Konzernchef Rene Obermann und Personalvorstand Thomas Sattelberger werden die Arbeitszeitverlängerung nutzen, um den Arbeitsplatzabbau zu beschleunigen. Rein rechnerisch führen vier Stunden Mehrarbeit von 50.000 Beschäftigten zum Wegfall von über 5.000 Arbeitsplätzen.

Der geplante Abbau von 32.000 Arbeitsplätzen taucht in keiner Stellungnahme mehr auf, das heißt er wird von der ver.di-Führung akzeptiert. Zudem verkauft die Gewerkschaftsspitze den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bis 2012 und den Verkaufsschutz bis 2010 als Erfolg. Aber solche Zusagen sind nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Denn der Arbeitsplatzabbau geht weiter, indem Kolleginnen und Kollegen unter Druck gesetzt werden, „freiwillig“ zu gehen.

Zum Verzichten brauchen wir keine Gewerkschaft

Für die Niederlage bei der Telekom und die Schwächung der Kampfkraft durch die weitere Zerschlagung des Konzerns trägt allein die ver.di-Führung die Verantwortung. Sie hat die Ausgründung von Anfang an akzeptiert. Es ging nur noch um die Bedingungen.

Gerade einmal zehn Prozent der Telekom-Belegschaft wurden in den Streik einbezogen. Alle Telekom-KollegInnen, die den Streik nicht teilen durften, werden die Niederlage teilen müssen. Die ver.di-Oberen verschweigen diese Perspektive. Das Management der Telekom wird die Absenkungen nutzen, um für alle anderen KollegInnen die Bedingungen zu verschlechtern. Man überführt einfach weitere Bereiche, zum Beispiel T-Systems, in die Service-Gesellschaften.

Kampfkraft war vorhanden

Der Streik hat ansatzweise gezeigt, welche Macht Gewerkschaften potenziell ha-ben können: Ganze Netzwerke von Firmen sind zusammengebrochen, Telefonkonferenzen in Unternehmen konnten nicht stattfinden, gewitterbedingte Störungen wurden nicht behoben, keine neuen Anschlüsse verlegt. 5.000 Störungsmeldungen blieben unerledigt – normalerweise sind es 350. Die Erreichbarkeit der Call-Center sank von 70 auf 15 Prozent.

Mit einem Vollstreik bei der Telekom wäre schnell die gesamte Wirtschaft beeinträchtigt worden. Anstatt den Streik nach fünf Wochen mit der Wiederaufnahme der Verhandlungen herunterzufahren, hätte er ausgedehnt werden müssen. Andere von Ausgliederung und Verkauf bedrohte Bereiche hätten einbezogen werden sollen. Gleiches gilt für die BeamtInnen (bei einem privaten Unternehmen wie der Telekom besteht erst Recht keinen Grund, das Streikrecht zu verwehren). Außerdem hätte der Schulterschluss mit den Beschäftigten anderer Branchen – angefangen mit denjenigen, die derzeit ebenfalls in Auseinandersetzungen stecken – gesucht werden sollen. Darauf hat die Führung von ver.di und DGB bewusst verzichtet.

ver.di braucht Opposition

Der Abschluss bei der Telekom muss von Telekom-KollegInnen, kämpferischen Vertrauensleuten, Betriebsräten und Jugendvertretern als ernsthafte Warnung verstanden werden. Die selbstzerstörerische Politik der Gewerkschaftsspitze gilt es von unten zu stoppen. Der Aufbau einer innergewerkschaftlichen organisierten Opposition stellt sich dringender denn je.

Ursel Beck ist gewerkschaftspolitische Sprecherin der SAV