Pro & Contra: Mit Volksfronten gegen Heuschrecken?

Anfang dieses Jahres erschien bei Pahl-Rugenstein das neue Buch von Jürgen Elsässer: „Angriff der Heuschrecken – Zerstörung der Nationen und globaler Krieg“. Pro & Contra: Braucht es einen „nationalen Kampf des Proletariats“, braucht es „bürgerliche Bündnispartner“ (so Elsässer in der jungen Welt vom 2. April)?


 

Was kennzeichnet den Kapitalismus am Beginn des 21. Jahrhunderts? Welche Aufgaben stellen sich für die Linke heute – programmatisch und strategisch?

Laut Elsässer fallen bestimmte Investmentfonds wie eine biblische Plage über stabile Volkswirt schaften und Betriebe her, nisten sich überall ein, fressen alles kahl und ziehen dann weiter. Während das US-Kapital, Dollar-und Militärmacht, zu allem bereit ist, um den eigenen ökonomischen Niedergang aufzuhalten.

Pro

Jürgen Elsässer, Verfasser mehrerer Bücher über internationale Politik und Autor bei der jungen Welt, www.juergen-elsaesser.de

Kapitalisten und Kannibalen

Drei Thesen zum Verlauf der Hauptkampflinie

1. Der monetäre Krebs

Wir sind Zeitzeugen einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise, die weit über den Fall der Profitrate hinausgeht. Vielmehr ist das Ware-Geld-System selbst in Auflösung begriffen, weil die Währungen kein „allgemeines Wertäquivalent“ (Marx) mehr darstellen.

Der point of no return bei der Entstofflichung des Geldes war die Suspendierung seiner Bindung an das Gold. Solange der US-Dollar als Weltgeld an das Gold fixiert war (und die anderen wichtigen Währungen an den Dollar), funktionierte der Kapitalismus noch so, wie er sollte. Nach der Theorie von Adam Smith ist „Arbeit das ursprüngliche Geld, womit alle Waren gekauft werden“. Karl Marx formulierte in den „Grundrissen“, an Smith anknüpfend: „Das Geld ist die Arbeitszeit als allgemeine Ware.“ Das nicht-oxydierende Edelmetall war ideal, um das Geld auf die Arbeitszeit zu beziehen: Da es keine chemischen Verbindungen eingeht und zwar selten, dann aber relativ oft oberirdisch vorkommt, waren „für seine erste Auffindung nur rough labour, weder Wissenschaft noch entwickelte Produktionsinstrumente erforderlich“ (Marx). Die Menge des weltweit geförderten Goldes entsprach ziemlich genau der aufgewendeten „rough labour“ – daran hat sich bis heute kaum etwas geändert.

1971 verkündigte US-Präsident Richard Nixon in einer Nacht- und Nebelaktion das Ende der Goldumtauschpflicht für den Dollar. Seither zersetzt sich die ökonomische Grundlage des Kapitalismus sukzessive. Diese Grundlage war für Marx das Wertgesetz, die Wertermittlung qua Arbeitszeit. Die Werte drücken sich auf dem Markt in Geldform aus. Das können sie aber nicht mehr, seit das Geld selbst keinem Wertmaßstab mehr unterworfen ist.

2. Die Heuschrecken kommen

Ohne Bindung an das Gold kann die Dollarmenge schrankenlos expandieren – die US-Regierung druckt einfach immer mehr Greenbacks. Man bedenke: Allein seit dem 11. September 2001 hat die Federal Reserve mehr Geld zusätzlich in den Umlauf gebracht als in der gesamten über 200jährigen US-Wirtschaftsgeschichte vorher. Mit den Billionen aus der Papiergeldblase kaufen Heuschrecken seither auf der ganzen Welt alles zusammen, was nicht niet- und nagelfest ist. Ihr Ziel ist dabei die schnelle Ausschlachtung der übernommenen Objekte, nicht – wie im bisherigen Kapitalismus – die Fortführung profitabler Produktion. Mit anderen Worten: Wir befinden uns im Übergang von der produktiven Ausbeuterökonomie zu einer unproduktiven Raubökonomie, vom Kapitalismus zum Kannibalismus.

Beispiel Deutschland: Auf der Hitliste der reichsten und umsatzstärksten Unternehmen und Finanzinstitute rangieren zwar weiterhin die bekannten Namen: Daimler, VW, Deutsche Bank, die Dresdner Bank zusammen mit der Allianz-Versicherung, KruppThyssen und wie sie alle heißen. Hedgefonds besitzen erst etwa acht Prozent des Bruttoinlandprodukts. Doch das ist nur die Oberfläche. Auch die Giganten mit ihren bekannten Markennamen sind oft nur noch leere Hüllen, im Innern zerfressen von den Heuschrecken. Drei Beispiele: In der Telekom geben Sie den Ton an, obwohl sie unter zehn Prozent der Anteilscheine halten. Die Deutsche Börse wurde 2005 von den Heuschrecken gekapert – die alte Führungsspitze wurde geschasst. Die Deutsche Bank, früher das finanzielle Herzstück des deutschen Imperialismus und Faschismus, ist mit Josef Ackermann an der Spitze zu einer antideutschen Bank mutiert, deren Hauptzweck die Verscherbelung der einheimischen Industriebasis ist.

3. Imperialismus und Gegenwehr

Der durch Wertschöpfung nicht mehr gedeckte Dollar wird nur noch deswegen als Weltgeld akzeptiert, weil US-Armeen auf dem ganzen Globus mit Cruise Missiles und atomarem Knüppel den Umtausch der Papierschnipsel in Waren und Werte erzwingen. Je tiefer die US-Ökonomie in die roten Zahlen rutscht, um so notwendiger wird die bewaffnete Durchsetzung der Dollar-Hegemonie gegen potenzielle Dollar-Aussteiger (wie 2003 gegen Irak und aktuell gegen Iran).

Gegen den militärisch gestützten Vorstoß der Heuschrecken gibt es Protest, der selbst in Europa weit über die Antikapitalisten und über die Arbeiterbewegung hinausgeht. Auch der Mittelstand und ein Teil des Industriekapitals fordern, durch die Stärkung der nationalen Souveränitätsrechte das Eindringen des Raubkapitals zu kontrollieren und sich von der US-Aggressionsmaschine abzukoppeln. Um diese Forderungen und mit diesen Bündnispartnern muss der Widerstand organisiert werden – linksradikale Klassenpolitik greift zu kurz.

Contra

Wolfram Klein, Mitglied im Vorstand der Stuttgarter SAV, wolfram.klein@gmx.net

Das Problem ist der Kapitalismus selbst
Wer sind unsere Verbündeten?

Elsässers erste These lautet: Wegen der Aufgabe der Goldbindung des Dollar 1971 zersetzt sich die ökonomische Grundlage des Kapitalismus. Der Zusammenhang ist ein anderer: Die Aufgabe der Goldbindung war Ausdruck der (durch den Vietnamkrieg verschärften) Schwächung des US-Imperialismus und des Endes des Nachkriegsaufschwungs allgemein. Sie ist also mehr ein Symptom der zunehmenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus als ihre Ursache.

Was hat sich geändert?

Es stimmt, dass die Arbeitszeit zum Druck von Banknoten in keinem Verhältnis zur Arbeitszeit zur Herstellung der mit ihnen gekauften Waren steht. Aber Karl Marx, auf den sich auch Elsässer beruft, hat erklärt, dass wichtige Geld-Funktionen, vor allem die Funktion als Zirkulationsmittel, als Tauschmittel auch ohne das erfüllt werden können. Wenn die US-Regierung ohne Rücksicht auf die reale Wirtschaft Dollar drucken würde, würde das auch heutzutage zu Inflation führen. In gewissem Umfang geschah das in den siebziger Jahren. Aber seitdem sind die Inflationsraten drastisch gesunken. Gerade das trug zu sinkenden Zinsen, einer Zunahme von Kreditgeld, steigender Verschuldung, steigenden Aktienkursen und Immobilienpreisen bei. Der zunehmenden Geldmenge steht eine Aufblähung dieses „fiktiven Kapitals“ gegenüber – ein Phänomen, das Marx auch schon analysiert hat (das kann hier aus Platzgründen nicht weiter ausgeführt werden, ist aber im „Kapital“, Band 3, Kapitel 29 nachzulesen). Wenn das „fiktive Kapital“ nicht neu ist, so hat es zweifellos inzwischen eine historisch beispiellose Quantität erlangt – und damit teilweise auch eine neue Qualität.

Denn darin hat Elsässer Recht, dass sich im Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten etwas geändert hat. Es stimmt auch, dass die „schnelle Ausschlachtung der übernommenen Objekte“ häufiger, „die Fortführung profitabler Produktion“ seltener wird. Aber das liegt nicht daran, dass plötzlich Heuschrecken einfallen, die andere Unternehmensziele haben als die bisherigen Eigentümer. Jürgen Schrempp nannte 1998 folgendes Ziel: „Profit, Profit, Profit.“ Das ist das alte und neue Ziel. Geändert hat sich, dass sich das immer schwerer mit Produktion (aus Mangel an profitablen Anlagemöglichkeiten) erreichen lässt und dann oft nur noch das Ausschlachten übrig bleibt. Warum können Hedgefonds mit einer kleinen Minderheit der Aktien plötzlich die Politik großer Unternehmen bestimmen? Weil der großen Masse der anderen Aktionäre bei der Aussicht auf höhere Dividenden auch das Wasser im Munde zusammen läuft.

Gutes und schlechtes Kapital?

Deshalb führt jede Gegenüberstellung von gutem und schlechtem Kapital in die Irre. Wenn ein Teil des Industriekapitals das Eindringen des ausländischen Kapitals behindern will, wie Elsässer meint, dann ist es kein Gegner von „Raubkapital“, sondern will nur sein Raubrevier nicht mit der Konkurrenz teilen.

Der Grund für das Ausschlachten von Betrieben und für Kriege ist also nicht, dass sich irgend welche Heuschrecken anschicken, die Welt zu erobern, sondern dass die schon von Marx analysierten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und Widersprüche des Kapitalismus ihn immer heftiger an seine Grenzen stoßen lassen. Das Problem sind nicht nur die Heuschrecken, sondern der Kapitalismus selbst. Unser Ziel muss die Überwindung des Kapitalismus sein, nicht ein „heuschreckenfreier“ Kapitalismus. Näher kommen wir diesem Ziel nur im Kampf gegen die, die ein Interesse daran haben, dass der Kapitalismus mit seinen Schrecken bestehen bleibt, nicht im Bündnis mit ihnen.

Natürlich muss unser Kampf mit der Verteidigung der in den letzten Jahrzehnten erkämpften Errungenschaften beginnen. Aber dafür braucht man keine Illusionen schüren, dass sich die Probleme im Nationalstaat lösen lassen.

Europa und die USA

Elsässer meint, dass der Dollar nur noch wegen der US-Militärmacht akzeptiert werde. Die Länder, die die meisten Dollars schlucken, sind aber nicht Nordkorea, Syrien oder Iran, denen die USA immer wieder drohten, sondern China und Co. Sie treibt nicht die Angst vor der US-Armee um, sondern vor einem Verlust von Absatzmärkten oder die Entwertung ihrer bereits aufgehäuften Dollarvermögen, wenn weniger Dollar gekauft werden und der Wechselkurs des Dollar ins Rutschen kommt.

Unsere Verbündeten gegen die US-Aggressionsmaschine können nicht die sein, die am Aufbau einer EU-Aggressionsmaschine arbeiten, sondern die, die in den USA selbst gegen die dortige Aggressionsmaschine kämpfen.