700 bei Marxismuskonferenz

Die am vergangenen Wochenende nach zehn Jahren zum zweiten Mal stattfindende Marxismuskonferenz war mit 700 TeilnehmerInnen und lebhaft-solidarischen Debatten ein Erfolg. Die SAV-Zeitung Solidarität war eine von 18 Zeitschriften und Stiftungen, die diese Konferenz veranstalteten.
von Sascha Stanicic
 

Auf fünf Plenarveranstaltungen und über zwanzig weiteren Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen und Workshops wurde eine breite Palette von Themen diskutiert, die die marxistische Theorie, häufiger aber die Frage marxistischer Politik in aktuellen Fragen, behandelten. Die Solidarität führte eine Veranstaltung zum Thema "Lateinamerika auf dem Weg zum Sozialismus?" durch, auf der auch Alessandra Lacerda von der brasilianischen Partei für Sozialismus und Freiheit sprach und die mit ca. 70 TeilnehmerInnen zu den besser besuchten Einzelveranstaltungen gehörte.

Konferenz von Marxisten

Unter den BesucherInnen waren mehr junge Menschen, als die VeranstalterInnen erwartet hatten, wobei sich "jung" auf Menschen unter dreißig bezieht. Leider waren wenge SchülerInnen und Auszubildenden gekommen. Der Großteil der TeilnehmerInnen waren politische aktive Menschen, vielfach in einer der verschiedenen sozialistischen Organisationen oder Parteien organisiert. Dies lag sicher auch daran, dass wenig Außenmobilisierung mit Plakaten und Flugblättern stattgefunden hat, sondern hauptsächlich über linke Medien mobilisiert wurde.

So war es denn in gewisser Hinsicht mehr eine Konferenz von Marxisten als eine Marxismuskonferenz. Dem Anspruch die marxistische Theorie weiter zu entwickeln und "auf den Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen", wie es Angela Klein in ihrer Verabschiedung der Konferenz formulierte, konnte die Konferenz sicher nicht gerecht werden.

Trotzdem ist es zweifelsfrei positiv, wenn theoretische und politische Debatten von AktivistInnen und Intellektuellen gemeinsam geführt werden und so eine Debatte über Aktualität und Weiterentwicklung des Marxismus angeregt wird.

Oftmals war es jedoch so, dass entweder theoretisch diskutiert wurde und der konkrete Bezug zum Klassenkampf und dem notwendigen Aufbau der Arbeiterbewegung fehlte oder aber Politik, also politische Positionen, diskutiert wurden, ohne diese ausreichend aus theoretischen Überlegungen abzuleiten.

Lateinamerika-Veranstaltung

Die SAV-Zeitung Solidarität hat versucht auf ihrer Veranstaltung zu Lateinamerika die Brücke zwischen theoretischen Überlegungen und praktischer Politik zu schlagen. Hier wurde sich vor allem mit den aktuellen Entwicklungen in Venezuela auseinander gesetzt und die Frage gestellt, ob die Politik von Hugo Chávez, der sich unter anderem auch auf Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution bezieht, diesem Anspruch gerecht wird und eine Strategie zur Überwindung des Kapitalismus darstellt. Ausgehend von der Theorie der Permanenten Revolution wurde erklärt, dass diese keine schrittweise Transformation des Kapitalismus unter Beibehaltung von Marktwirtschaft und Elementen von Privateigentum an Produktionsmitteln vorsieht, sondern den Bruch der wirtschaftlichen und politischen Macht der Kapitalisten durch Verstaatlichung der Schlüsselbereiche der Wirtschaft und durch die Einführung einer demokratischen Kontrolle und Verwaltung von Wirtschaft und Gesellschaft durch gewählte Organe der arbeitenden Bevölkerung, armen Bauernschaft und Jugend. Auf dieser Basis wurde ein Programm für eine sozialistische Veränderung Venezuelas diskutiert, das sich deutlich von den Vorschlägen von Hugo Chávez oder auch der Kommunistischen Partei Venezuelas unterscheidet.

Gleichzeitig wurde betont, dass MarxistInnen selbstverständlich alle progressiven Maßnahmen der Chávez-Regierung, wie die verschiedenen Sozialreformen, unterstützen – gleichzeitig aber für den Aufbau einer von Staat und Regierung unabhängigen Arbeiterpartei und ebensolchen Gewerkschaften eintreten.

Alessandra Lacerda aus Brasilien berichtete in der Veranstaltung über den Rechtsruck der brasilianischen Arbeiterpartei (PT), der die Gründung einer neuen sozialistischen Partei, der Partei für Sozialismus und Freiheit (P-SoL) notwendig machte.

Podium gegen Krieg und Ausbeutung

Auf der letzten Plenarveranstatung diskutierte das SAV-Mitglied Lucy Redler mit dem Bundestagsabgeordneten Norman Paech, dem Koordinator der Friedensbewegung Peter Strutynsky, dem Herausgeber der Zeitung gegen den Krieg Winfried Wolf und dem Mitglied der Kommunistischen Plattform Anton Latzo.

Lucy Redler vertrat in ihren Ausführungen vier Thesen:

1. Der deutsche Imperialismus ist nicht friedlicher als andere imperialistische Staaten.

2. Die UNO ist kein Mittel zur Bekämpfung von Kriegen.

3. Es ist notwendig die Anti-Kriegs-Bewegung durch das Aufgreifen der sozialen Frage aufzubauen und zu stärken.

4. Auf kapitalistischer Basis gibt es keinen Ausweg für Länder wie den Irak und keine Möglichkeit, Kriege dauerhaft zu verhindern.

Lücken

Zweifellos wurden einige wichtige Fragen gar nicht oder nur ungenügend bei dieser Konferenz behandelt. Dazu zählen sicherlich Themen wie die Umweltzerstörung, Migration, Bildung und auch Fragen des Internationalismus. Das Programm bot auch zu wenig Veranstaltungen, die für Menschen, die sich zum ersten Mal mit dem Marxismus auseinander setzen wollen, attraktiv waren. Die Idee bei einer nächsten Konferenz auch Einführungskurse zur marxistischen Theorie anzubieten, wurde von einigen der VeranstalterInnen daraufhin diskutiert.

Plenum zur Einheit der Linken

Auf einer Plenumsveranstaltung diskutierten unter anderem Hans Modrow, Uwe-Jens Heuer, Nele Hirsch und Michael Mäde über "Die Linke und die Einheit der Linken". Für alle TeilnehmerInnen überraschend und für viele unverständlich nutzte Hans Modrow einen großen Teil seiner Redezeit für eine Rechtfertigung seiner Politik als vorletzter Ministerpräsident der DDR und zur Zurückweisung der zur Zeit in den Medien gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Dies machte die Diskussion recht "DDR-lastig", was aber auch Ausdruck der Tatsache war, dass doch erstens viele TeilnehmerInnen einer gewissen DDR-Nostalgie nach hingen und zweitens eine politische Klärung über Bewertung und Charakter der DDR eine wichtige Aufgabe auf dem Weg zu einer starken marxistischen Bewegung ist. Dies gilt umso mehr, wenn es um die Frage des Aufbaus einer politischen Arbeiterpartei geht, die zweifellos nur einen Massenanhang wird entwickeln können, wenn sie unmissverständlich deutlich macht, dass ihre Sozialismusvorstellungen mit der DDR nur die Enteignung des Kapitals und die Einrichtung einer Planwirtschaft, nicht aber die politischen Strukturen des Staates und die Verwaltungsstrukturen der Wirtschaft, gemein haben.

Hinsichtlich der Gründung der Partei DIE LINKE erklärte Michael Mäde überzeugend, warum die Mehrheit der Berliner WASG den Schritt in die fusionierte Partei nicht mitgehen wird. Da zeigte sich, dass die TeilnehmerInnen in dieser Frage grob zwei Lagern angehörten: solche, die die formale Einheit von WASG und L.PDS (was ja nicht mit der Einheit aller Linken gleich zu setzen ist) über politische Inhalte stellten und solche, die ihre Solidarität und Unterstützung mit der Berliner WASG deutlich zum Ausdruck brachten.

Leider war von den anderen RednerInnen keine programmatische und strategische Konzeption über den Aufbau einer schlagkräftigen marxistischen Opposition in der neuen Partei zu hören, was die Annahme nahe legt, dass diese – wie schon in der L.PDS – nur zahnlose Strömungen mit marxistischem Anspruch auf die Beine stellen werden.

Auf ein Drittes!

Die Stimmung war gut am Ende der Konferenz und die abschließende Erklärung der VeranstalterInnen drückt sicher die Meinung der Mehrheit der TeilnehmerInnen aus, wenn sie fest hält: "Die Marxismuskonferenz sollte zu einem regelmäßigen Forum (etwa alle zwei bis drei Jahre) des Austausches unter Marxistinnen und Marxisten gemacht werden. Die für die Konferenz eingerichtete Homepage (marxismuskonferenz.de) wird nach der Tagung bestehen bleiben und kann als Diskussionsplattform genutzt werden. Weitere publizistische Formen sind denkbar, die getragen von verschiedenen Gruppen und Zeitschriftenprojekten, die Debatten der Konferenz dokumentieren und auch darüber hinaus die Möglichkeit von Dialog und produktivem Streit bieten. In diesem Sinne laden wir alle ein, den mit der 2. Marxismuskonferenz wieder in Gang gebrachten marxistischen Dialog zu kontinuierlich fortzusetzen."

Die SAV nahm mit über 20 Mitgliedern an dieser Konferenz teil und konnte an ihrem gut besuchten Info-Stand Zeitungen, Bücher und Broschüren im Wert von 270 Euro verkaufen, was die Erwartungen übertrief. Außerdem konnten eine Reihe von InteressentInnen für die SAV kennen gelernt werden.

Sascha Stanicic ist SAV-Bundessprecher und gehörte zu den UnterzeichnerInnen des Aufrufs zur Marxismuskonferenz.

Dokumentiert: Bericht von Daniel Behruzi in der jungen Welt, 24.4.07, zur Debatte zu Gewerkschaftsfragen auf der Marxismuskonferenz:

»Kräfteverhältnisse keine Naturgesetze«

Marxismuskonferenz: Kontroverse Debatte über gewerkschaftliche Defensive und deren Ursachen

von Daniel Behruzi

Reichlich kontrovers ging es zu beim Plenum »Für eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung« auf der Konferenz »MarXXIsmus für das 21. Jahrhundert« am Wochenende in Berlin. Während Stefan Hoelzer, Leiter des IG-Metall-Vertrauenskörpers bei VW Braunschweig, die für Gewerkschaften und Betriebsräte schwierige Lage hervorhob, betonten andere – wie der Thüringer ver.di-Sekretär Angelo Lucifero und der oppositionelle DaimlerChrysler Betriebsrat Tom Adler aus Stuttgart – die Kritik an der aktuellen Gewerkschaftspolitik.

»Wir sind als Gewerkschafter und auch als Linke absolut in der Defensive und in einer Situation, in der wir noch nicht einmal das Tempo des Rückzugs bestimmen können«, zeichnete Hoelzer in seinem Einleitungsstatement ein düsteres Bild der Situation. Zugeständnisse, wie die kürzlich bei VW erfolgte Arbeitszeitverlängerung mit Teillohnausgleich, seien vor diesem Hintergrund verständlich. »Ich habe dem Kompromiß bei VW zugestimmt, weil er dem Kräfteverhältnis entsprach und weil es ein unheimliches Druckpotential von seiten der Konzernspitze gab«, rechtfertigte sich Hoelzer, der damit Unmutsäußerungen eines Teils des Publikums auf sich zog.

Eine vollends andere Sichtweise vertrat Tom Adler, einer von zehn Betriebsräten der oppositionellen Liste »alternative« im DaimlerChrysler-Werk Untertürkheim. »Die Kräfteverhältnisse sind keine Naturgesetze, die sich durchsetzen wie die Schwerkraft. Sie sind beeinflußbar und zwar vor allem dann, wenn große Massen in Bewegung sind – auf der Straße und im Streik«, erklärte er. Leider versäume es die Gewerkschaftsspitze immer wieder, die entsprechenden Situationen für eine Veränderung der Kräfteverhältnisse zu nutzen, kritisierte er. »Die Kraft der Gewerkschaften ist, wenn sich die Betroffenen wehren – leider beschränkt sich ein Teil der Haupt- und Ehrenamtlichen aber darauf zu jammern, statt den Widerstand zu organisieren«, meinte auch Lucifero und verwies auf die Erfahrungen in anderen Ländern. In Italien und Griechenland, aber auch in Schweden und den USA sei die Zahl der Streiktage größer und in der Folge die Einkommensentwicklung deutlich besser als hierzulande.

Horst Schmitthenner, Beauftragter des IG-Metall-Vorstands im Verbindungsbüro soziale Bewegungen, betonte hingegen wie Hoelzer die objektiven Schwierigkeiten, denen sich die Beschäftigtenorganisationen derzeit gegenübersehen. Diese stünden doppelt unter Druck – zum einen durch fortgesetzte Restrukturierungen in den Unternehmen und zum anderen durch die Maßnahmen einer »neo-sozialdemokratischen Politik, die zu einer Schwächung der gewerkschaftlichen Organisations- und Verhandlungsmacht führt«. »Der arbeitsschützende, marktkorrigierende Wohlfahrtsstaat wird umgestaltet zum kapitalfördernden, machtorientierten Wettbewerbsstaat«, formulierte Schmitthenner. Er betonte, daß es sich bei den daraus folgenden Verwerfungen zwischen SPD und Gewerkschaften »nicht um eine vorübergehende Zwistigkeit, sondern um fundamentale, nicht wieder reparierbare Veränderungen in der traditionellen Arbeitsteilung« handele. In diesem Punkt waren sich die Anwesenden wiederum einig.