ver.di-Programm: Legitimation des Rückzugs

Kritik am ver.di-Programmentwurf: Statt Abkehr von bisheriger Verzichtspolitik Akzeptanz von Marktwirtschaft, Privatisierung und »differenzierter« Tarifverträge
 

von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 16.3.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di will auf ihrem Anfang Oktober in Leipzig stattfindenden Bundeskongreß ein Grundsatzprogramm verabschieden. Geht es nach dem Willen des Bundesvorstands, soll der von der Redaktionskonferenz um ver.di-Chef Frank Bsirske vorgelegte Entwurf (verdi.de/positionen/programmdebatte) zur Grundlage der auf einen Kongreßtag angelegten Debatte werden. Mit einem vom hessischen Landesvorstand der Gewerkschaft erarbeiteten Papier liegt allerdings eine Alternative vor. Beide Texte dokumentierte jW an den vergangenen zwei Freitagen auszugsweise auf diesen Seiten (siehe jW vom 2. und 9. März). Heute eröffnen wir die Diskussion mit einem Beitrag von jW-Redakteur Daniel Behruzi, der sich kritisch mit dem Entwurf des Bundesvorstandes auseinandersetzt. Des weiteren dokumentieren wir in Auszügen ein vom Bundestreffen der ver.di-Linken am 17. Februar in Dortmund beschlossenes Eckpunktepapier (vollständig unter: labournet.de/diskussion/verdi/nrwprogdeb.html). Für kommenden Freitag ist ein Beitrag von Hans Gabriel, Mitarbeiter im ver.di-Bundesvorstand, vorgesehen.

Realistisch, offen und radikal.« So titelte die Mitgliederzeitschrift ver.di Publik kürzlich ihren Artikel zur Programmdebatte. Doch »radikal« ist der von der Redaktionskonferenz vorgelegte Entwurf ganz und gar nicht. Von grundlegender Opposition gegen Privatisierung und Zerfaserung der Flächentarife – oder gar gegen die kapitalistische Profit- und Verwertungslogik – kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Die positive Bezugnahme auf Markt und Wettbewerb zieht sich durch das gesamte Papier.

Unklares Bild vom Kapitalismus

Zwar konstatieren die Verfasser des 51seitigen Dokuments, die Gewerkschaften seien historisch »aus dem Dauerkonflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital« entstanden, für die heutige Zeit stellen sie aber lediglich fest, daß die traditionellen Bindungen an Familie, Milieu oder Klasse schwächer werden. Anders als in Gewerkschaftsprogrammen früherer Tage oder auch in der aktuellen Satzung der IG Metall – die die »Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum« fordert – sind in dem ver.di-Entwurf keinerlei Hinweise auf die Notwendigkeit einer Überwindung des Profitsystems enthalten. Es gehe darum, »den Kapitalismus weiterhin und auch unter veränderten Bedingungen zu zivilisieren«. Und: »Auf der Suche nach erfolgreichen wirtschaftspolitischen Wegen und politischen Reformstrategien helfen weder eine Dämonisierung des Kapitalismus noch neoliberale Heilsbotschaften.«

Man will also zurück zur »guten alten Zeit«, in der angeblich noch die »soziale Verpflichtung des Eigentums« galt und der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit »sozialpartnerschaftlich« aufgehoben war bzw. durch die »Friedensfunktion« der Tarifverträge zumindest in geordneten Bahnen ausgetragen wurde. Nun sind es aber nicht nur einige »marktradikale Kräfte«, die die bestehenden Arbeitsbeziehungen in Frage stellen, wie die Autoren des Programmpapiers glauben machen. Die Grundlagen der »Sozialpartnerschaft« – die zudem niemals eine »Parität«, sondern lediglich die weitgehend friedliche Durchsetzung von Kapitalinteressen durch begrenzte Konzessionen an die organisierte Arbeiterschaft bedeutete – sind zerstört. Die DDR als »dritte Kraft am Verhandlungstisch«, durch die sich das westdeutsche Unternehmertum zu erheblichen Zugeständnissen gezwungen sah, existiert nicht mehr. Die weitgehende Schwächung sozialistischer Ideen und Organisationen sowie der u. a. damit zusammenhängende Rückgang des Klassenbewußtseins unter den abhängig Beschäftigten hat ebenfalls dazu geführt, daß die Unternehmer glauben, sie könnten sich so ziemlich alles erlauben, ohne ihr System ernsthaft zu gefährden. Entscheidend aber ist die ökonomische Entwicklung: Die einzelnen Kapitalfraktionen und Bourgeoisien sind durch die drastische Verschärfung des Wettbewerbs bei Strafe ihres Unterganges dazu gezwungen, ihre Profite auf Kosten der Beschäftigten zu stabilisieren. Vor diesem Hintergrund ist es einigermaßen naiv, die Unternehmer und ihre politischen Vertreter dazu aufzufordern, doch bitte wieder »zur Vernunft« zu kommen. Wie die Vielzahl der im Programm­entwurf enthaltenen, wohklingenden Wünsche wie »Nachhaltigkeit«, »Offenheit«, »Humanität«, »Chancengleichheit« usw. aber in der Praxis verwirklicht werden sollen – und wie das mit der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung kompatibel sein soll –, bleibt unklar.

Akzeptanz von Privatisierungen

Mag man eine klare antikapitalistische Perspektive in dem Entwurf vermissen, wirklich problematisch wird es, wenn an verschiedenen Stellen des Papiers positiv auf die »Wettbewerbsfähigkeit« Deutschlands oder Europas Bezug genommen wird. So sei diese, neben hoher Beschäftigung und sozialem Zusammenhalt, eine der drei »gleichrangigen Säulen« zur Weiterentwicklung des europäischen Wirtschaftsraumes. Die Existenzberechtigung des Sozialstaates und der betrieblichen Mitbestimmung wird mit deren »zentralem innovationspolitischen Beitrag« gerechtfertigt. Selbst die Forderung nach einem leistungsfähigen Bildungssystem begründen die Autoren damit, daß dieses »Voraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, die Sicherung der Arbeitsplätze und die Entwicklung eines hochqualifizierten Dienstleistungssektors« sei.

Eine gewichtige Folge dieser Haltung ist, daß der Vormarsch des Marktes auch in Bereichen, die als staatliche Daseinsfürsorge einst weitgehend außerhalb betriebswirtschaftlicher Konkurrenzprinzipien standen, nicht mehr grundsätzlich abgelehnt und bekämpft wird. So im Gesundheitswesen, das »nicht ausschließlich« privatem Profitstreben unterworfen werden dürfe, wie es in dem Entwurf heißt. Die Gesundheitsversorgung ist darin zwar noch »öffentliche Aufgabe«, die aber ganz offensichtlich nicht unbedingt vom Staat selbst erbracht werden muß. Auch andere Bereiche der Daseinsfürsorge – wie Abfallentsorgung, Verkehr, Energie, Telekommunikation und Sparkassen – müßten lediglich »öffentlich verantwortet« werden. Daß man damit die Veräußerung öffentlichen Eigentums keineswegs ausschließt, wird im Programmentwurf explizit erklärt. Da Privatisierungen öffentlicher Aufgaben die Möglichkeiten politischer Steuerung erschwerten, stehe ver.di diesen »ablehnend gegenüber, solange nicht langfristig sichergestellt ist, daß die Dienstleistungsqualität für Bürgerinnen und Bürger hoch bleibt, die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten keine Verschlechterungen erfahren und eine demokratische Steuerung hinreichend gewährleistet bleibt«. Hiermit erwecken die Autoren den Eindruck, als gebe es Privatisierungen, die diese Maßgaben erfüllten. Aber wo hat Privatisierung die Qualität der Dienstleistungen je unberührt gelassen? In welchem Fall sind die Einkommen der Beschäftigten nicht über kurz oder lang abgesenkt worden? Wo wurden infolge von Privatisierung keine Stellen abgebaut? Und wie will der Staat dauerhaft eine demokratische Kontrolle ausüben, wenn er nicht der Eigentümer ist? Alle Erfahrungen der vergangenen Jahre – ob hierzulande oder international – sprechen gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge. Aufgabe der Gewerkschaft wäre es deshalb, diese konsequent zu bekämpfen. Statt dessen werden Privatisierungen im Grundsatz – und oftmals im konkreten Fall – akzeptiert oder zumindest kampflos hingenommen. Zudem hat ver.di die Einführung marktwirtschaftlicher Mechanismen in fast allen noch weitgehend staatlich organisierten Bereichen – wie beispielsweise das System der Fallpauschalen bei der Krankenhausfinanzierung – mitgetragen. Diese Politik soll durch den vorliegenden Programmentwurf nun offensichtlich »theoretisch« untermauert werden.

Für »differenzierte« Tarifpolitik

Gleiches gilt für die Tarifpolitik der Dienstleistungsgewerkschaft. Zwar wolle man den Flächentarifvertrag verteidigen, so die Autoren, das schließe aber nicht aus, »daß es sinnvoll sein kann, differenzierende Elemente wie z. B. Spartentarifverträge oder -fenster einzuarbeiten, um Sondersituationen Rechnung zu tragen oder bei guter Ertragslage die Arbeitnehmer angemessen beteiligen zu können«. Letzteres kann kaum ernst gemeint sein. Hat die Vielzahl von »Sparten-«, »Notlagen-«, »Sanierungs-« oder »besonderen« Tarifverträgen – bei der Namensgebung sind der Kreativität offenbar keine Grenzen gesetzt – doch ausschließlich zu Einkommensverlusten geführt; zum Teil von bis zu 30 Prozent für Neueingestellte. Im öffentlichen Dienst hat die ver.di-Spitze zwar mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) »den Flächentarifvertrag gerettet«, wie sie selbst stets betont, aber um den Preis einer weitgehenden inneren Zerfaserung und teils drastischer Verschlechterungen für einen Großteil der Beschäftigten.

Auch an eigenen offensiven Projekten hat der Programmentwurf nur wenig Konkretes zu bieten. So ist zwar an zwei Stellen davon die Rede, daß man »langfristig am Ziel der Arbeitszeitverkürzung« festhalten wolle, als unmittelbare Aufgabe wird das aber nicht betrachtet. Statt dessen wird gefordert, »bestehende interne und externe Flexibilisierungsmöglichkeiten zu nutzen«. Daß hierbei die »individuellen Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten« statt der Betriebsinteressen im Vordergrund stehen könnten, dürfte aber – aller Erfahrung mit den bislang vollzogenen Flexibilisierungen zufolge – der fromme Wunsch der Autoren bleiben.

Sicherlich enthält der vorgelegte Programmentwurf eine Reihe unterstützenswerter Forderungen und Positionen, die allerdings größtenteils äußerst abstrakt bleiben. Zugleich ist jedoch die gesamte Richtung des Dokuments – u.a. die grundsätzliche Akzeptanz von Wettbewerb und Privatisierungen sowie »differenzierter« Tarifregelungen – für linke Gewerkschafter nicht akzeptabel. Den ver.di-Oberen geht es offenbar lediglich darum, ihre bisherige Politik des kampflosen Rückzugs programmatisch zu legitimieren. Deshalb ist es zu begrüßen, daß neben dem Landesbezirksvorstand Hessen auch die ver.di-Linke alternative Positionen formuliert hat.

Dokumentiert. »Für eine neue Orientierung – Eckpunkte eines alternativen ver.di-Programmentwurfs« vorgelegt von der ver.di-Linken

Die Gewerkschaften des DGB und auch ver.di, die Gewerkschaft der Beschäftigten im Dienstleistungsbereich, befinden sich in einer Orientierungskrise. Die negative Mitgliederentwicklung kann als sichtbares Synonym gewertet werden. Tarifpolitik und Positionierungen in der öffentlichen Debatte zu gesellschaftspolitischen Themen erwecken den Eindruck von Hilflosigkeit.

Mitte der 1980er Jahre gelang es der Gewerkschaftsbewegung letztmalig mit der Kampagne für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in die Offensive zu kommen, die gesellschaftliche Debatte zu prägen und auch einige spürbare Verbesserungen durchzusetzen. Seitdem gab es zunächst Stillstand, dann Rückschritt. Wir erleben eine ungebrochene Offensive des Kapitals und sind weit entfernt, aus der Defensive herauszukommen.

Während des lang andauernden Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, im Rahmen der Blockkonfrontation und nach dem »Schock« der späten 1960er Jahre war es möglich, mit geringem Kampfeinsatz Verbesserungen für die Beschäftigten durchzusetzen. Die Unternehmerseite vertrat ihre Interessen zwar immer knallhart, doch war sie aus »sozialpartnerschaftlichen« Scheinmotiven zu gewissen Konzessionen bereit. Der Einschnitt von 1989/90 hat die Lage verschärft, weil viele meinten, man könne auf Perspektiven über den Kapitalismus hinaus verzichten. Mittlerweile überwiegt nicht nur ökonomisch, sondern auch ideologisch eindeutig das Motiv des Kampfes für eine möglichst hohe Profitrate. Die Sozialpartnerschaft ist aufgekündigt worden. Die Unternehmerverbände wollen Reallohnkürzungen, Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, massiven Sozialabbau und die möglichst weitgehende Privatisierung auch der öffentlichen Daseinsvorsorge durchsetzen. Die DGB-Gewerkschaften versuchen widersprüchlich, die Sozialpartnerschaft zu retten. Dieser Versuch ist untauglich.

Das Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital ist seit Mitte der 1970er Jahre, also mit tendenziell steigender und dauernder Massenarbeitslosigkeit, immer ungünstiger geworden für die Beschäftigten und die Erwerbslosen. Zunehmende Deregulierung und Prekarisierung hat nachhaltige Entsolidarisierungseffekte geschaffen. Darauf hat die Gewerkschaftsbewegung bislang keine wirksame Antwort gefunden. Wir brauchen daher eine Orientierung, die auf einer klaren Einschätzung der gegenwärtigen Trends der kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung und der nach wie vor vorherrschenden neoliberalen Ideologie beruht. Statt Sozialpartnerschaft ist die Fähigkeit gefragt, die Interessen der Beschäftigten und der Erwerbslosen wieder effizient zu verfechten, die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft wieder nachhaltig zu ihren Gunsten zu wenden und die öffentliche Debatte wieder mit den gewerkschaftlichen Werten zu prägen.

Ein besonders wichtiger Wert ist die Solidarität. Solidarische Lösungen müssen zur Debatte gestellt, Millionen müssen dafür begeistert und in die Aktion geführt werden. Nur so sind Lösungen durchsetzbar. Ver.di steht vor der Notwendigkeit, sich programmatisch und praktisch zu erneuern, wollen wir eine weitere Schwächung gewerkschaftlicher Handlungsfähigkeit vermeiden.

Zusammengefaßt: Wir brauchen eine Orientierung, die Konfliktbereitschaft mit der Aktivierung von Mitgliedern, Beschäftigten und Betroffenen insgesamt kombiniert mit dem Kampf um konkrete, bedürfnisgerechte und solidarische Lösungen der Probleme. Wir entwickeln eine Perspektive über die gegenwärtige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hinaus und eine Tarifpolitik, die darauf abzielt, die Kräfteverhältnisse wieder nachhaltig zugunsten der Beschäftigten und der Ausgegrenzten zu wenden. Wir erkämpfen gegen die anhaltende massenhafte Erwerbslosigkeit eine deutliche Arbeitszeitverkürzung ohne Lohneinbußen und ohne Arbeitsintensivierung. Wir verteidigen die institutionalisierten Formen der gesellschaftlichen Solidarität gegen den Abbau öffentlicher Dienste und Privatisierung. Die Idee partizipativer Demokratie und demokratischer Selbstverwaltung muß im Vordergrund stehen. Wir müssen wieder in eine offensive Lohnpolitik, die nicht nur die Verluste durch Inflation ausgleicht und dem Fortschritt der Arbeitsproduktivität hinterherläuft, sondern auch eine Umverteilung von oben nach unten einfordert. Außerdem müssen wir gewerkschaftliche Arbeit und gewerkschaftliche Angebote über das traditionelle Feld der Belegschaften hinaus ausdehnen: Präsenz in den Stadtvierteln, bewußtes Zugehen auf die Prekarisierten und die Erwerbslosen, systematische Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen. (…)

Gesellschaftspolitische Ziele

Ohne eine Perspektive über die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hinaus wird es kaum möglich sein, dem Argument der Konkurrenz etwas Glaubwürdiges und Wirksames entgegenzusetzen. (…) Solange TINA herrscht (there is no alternative; es gibt keine Alternative), wird dieser Teufelskreis, diese Spirale des Lohn- und Sozialdumpings nicht durchbrochen.

Die Gewerkschaften des DGB hatten Jahrzehnte lang an einer gemeinwirtschaftlichen Alternative zur kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung festgehalten. Nach 1989/90 verschwand dieser Anspruch aus dem Programm des DGB und aus den Programmen vieler seiner Einzelgewerkschaften. Sicherlich war dieser Anspruch ziemlich abstrakt geworden und fand sich in der praktischen Arbeit kaum wieder. Dennoch ist dieser scheinbar so kommode und dem Zeitgeist entsprechende Verzicht fatal. Die Idee einer grundlegenden Alternative muß wieder entwickelt, in die gesellschaftliche Debatte gebracht und der gewerkschaftlichen Alltagspraxis zugrunde gelegt werden. Wer nicht bereit ist, zumindest aus sozialer Verantwortung heraus die Eigentumsfrage zu stellen, auf dessen demütige Bitten um Mäßigung werden die Eigentümer der großen Kapitalien rüde und mit Verachtung reagieren.

Ziel ist eine demokratisch geplante Wirtschaftsordnung, in der die menschlichen Bedürfnisse einschließlich der ökologischen Verantwortlichkeit im Vordergrund stehen. Gemeinwirtschaftliche Betriebe in Selbstverwaltung bei intensivem ständigem Austausch zwischen deren Selbstverwaltungsorganen und den Organisationen der Verbraucher bzw. der Nutzer der entsprechenden Dienste, sollen sich wiederum gegenseitig nicht »niederkonkurrieren« müssen. Darum ist eine demokratische Planung, eine demokratische Festlegung der Prioritäten bei den Investitionen, unumgänglich. Dazu gehört unabdingbar ein demokratisches politisches System mit einer Pluralität von Parteien, die um Mehrheiten ringen müssen. Dazu gehören umfassende demokratische Rechte einschließlich materieller Bedingungen, die es den »normalen Menschen« erlauben, sich wirksam an der Willensbildung zu beteiligen. (…)

Arbeitszeitverkürzung aktualisieren

An der Schwierigkeit, Arbeitszeitverkürzung neu zu thematisieren, sind wir als Gewerkschaften nicht ganz schuldlos. Zum Teil ist diese Forderung inzwischen sogar ziemlich diskreditiert. Die 35-Stunden-Wochen-Kampagne war ohne Zweifel ein bedeutender Erfolg, doch haben die bescheidenen »kleinen Schritte« beim Abschluß der einschlägigen Tarifverträge dazu geführt, daß sie nicht zu einem spürbaren Abbau der Erwerbslosigkeit beitrugen. Gleichzeitig erfuhren viele Arbeitsintensivierung und Flexibilisierung, was die Lage der Beschäftigten verschlechterte und Entsolidarisierungseffekte begünstigte. Zwar ist permanente Rationalisierung systemimmanent, aber viele Beschäftigte schrieben ihre strengere Ausbeutung der Arbeitszeitverkürzung zu. Eine kritische Bilanz ist Voraussetzung für einen neuen Anlauf.

Um die Erwerbslosigkeit spürbar und massiv abzubauen, brauchen wir eine radikale Arbeitszeitverkürzung ohne Lohneinbußen und müssen zudem verhindern, daß sie durch Arbeitsintensivierungen aufgefangen wird. Eine Kampagne für die 30-Stunden-Woche wäre zwar ökonomisch und gesellschaftspolitisch richtig, aber bewußtseinsmäßig völlig gegen den Strom. In der Routine der Tarifauseinandersetzungen ist sie nicht auf die Tagesordnung zu bringen. Man muß sie sorgfältig vorbereiten – in der Mitgliedschaft, in der Öffentlichkeit, mit anderen Gewerkschaften und Bewegungen, auch über die Bundesrepublik Deutschland hinaus. (…)

Offensive Lohnpolitik

Keine andere Frage ist unmittelbar und kurzfristig so wichtig für die Glaubwürdigkeit einer Gewerkschaft wie diejenige, die die Beschäftigten unmittelbar im Geldbeutel spüren bzw. auf ihren Kontoauszügen sehen. Die Hinnahme von Real­lohnabbau ist ein anderes Wort für den Abbau unserer Mitgliederbestände.

Die Höhe und die Struktur von Lohnforderungen muß aus einer breiten Diskussion in der gesamten Mitgliedschaft hervorgehen. Die Vorgaben des Vorstandes sollten sich auf die Darlegung der Gegebenheiten konzentrieren, die einer möglichen Forderungshöhe und -struktur zugrunde liegen. (…) Darüber hinaus müssen die am schlechtesten gestellten Schichten aus jeder Lohnrunde gestärkt hervorgehen. Wichtig dafür sind z. B. Festgeldforderungen, mit denen ein weiteres Auseinandergehen der Schere zwischen den höchsten und den niedrigsten Einkommen verhindert wird. Besondere Forderungen für besonders Benachteiligte sind aufzustellen, etwa bei Ausbildungsvergütungen oder beim besseren Zugang von Frauen zu besser bezahlten Arbeitsstellen. (…)

Unsere Tarifpolitik muß auch in ihren Formen weiterentwickelt werden. Wir müssen jeweils Zusammenarbeit und Synergieeffekte mit anderen DGB-Gewerkschaften suchen, denn es geht nicht um partikulare Interessen von Berufsgruppen (»Korporatismus«), sondern um die Änderung der Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft. Wir müssen die Mitglieder zur aktiven Beteiligung ermutigen, denn nur so wächst Identifizierung mit der gewerkschaftlichen Organisation und ihren Zielen. Wir müssen offen für alle Bevölkerungsgruppen auftreten und gerade auch diejenigen einbeziehen, die Nutzerinnen und Nutzer der Dienstleistungen unserer Mitglieder sind. (…)