Irak: Vier Jahre nach Kriegsbeginn

Die imperialistische Besatzung hat Irak in eine Ruine verwandelt. Mit massiven Bombardierungen wurden große Teile der Infrastruktur zerstört. Laut UN verfügt die Hälfte der Bevölkerung über unzureichende Wasserversorgung. Jeder zweite ist erwerbslos.


 

von Angelika Teweleit, Berlin

Nach Schätzungen sind bisher mehr als 650.000 Menschen an den Folgen des Krieges gestorben. Krieg und Chaos haben ethnische, nationale und religiöse Spaltungen vertieft.

Irak ist ein Land mit 60 Prozent schiitischer, 20 Prozent sunnitischer, 17 Prozent kurdischer Bevölkerung, außerdem gibt es noch andere Minderheiten wie TurkmenInnen und ChristInnen. Saddam Husseins Regime bestand vor allem aus einer sunnitischen Elite. KurdInnen wurden brutal unterdrückt. Auch SchiitInnen waren staatlichen Repressionen ausgesetzt; so war ihnen verboten, bedeutende schiitische Feiertage zu zelebrieren.

Befreiung á la Bush

Weit davon entfernt, sich für die demokratischen Belange der Masse der Bevölkerung einzusetzen, ging es dem Bush-Regime darum, den Widerstand mit typischer „Teile-und-Herrsche“-Politik zu brechen. Deutlich wurde dies zum Beispiel bei der Niederschlagung des Aufstands gegen die Besatzung in der Stadt Falludscha (mehrheitlich sunnitisch) im April 2004. Hier überließen US-Truppen den schiitischen Armeeteilen die Ausführung der brutalsten Übergriffe.

Trotz alledem gab es Versuche der arbeitenden Bevölkerung, der Spaltung entgegenzuwirken und den Kampf gegen den Imperialismus gemeinsam zu führen – so gab es als Antwort auf die brutale Unterdrückung Falludschas eine gemeinsame Demonstration von 200.000 SchiitInnen und SunnitInnen in Bagdad. Blutspenden und Lebensmittelsammlungen wurden auch in der schiitischen Bevölkerung organisiert.

Doch die ethnischen und religiösen Konflikte verschärften sich kontinuierlich, weil Führer der unterschiedlichen Gruppen vor allem auf ihre eigene Machterweiterung aus sind; wobei sie auch auf die Ölvorkommen schielen. Besonders seit einem Anschlag von sunnitischen Kräften auf die heilige schiitische Moschee in Samarra im Februar 2006 ist die Kette von Bomben-Attentaten nicht mehr abgebrochen. Dass die Spaltung eigentlich machtpolitische Hintergründe hat, zeigt sich auch an Konflikten zwischen verschiedenen schiitischen Organisationen. So versucht al-Sadr – Anführer der etwa 100.000 Mann starken Mahdi-Miliz – sich auf die ärmeren Teile in der Bevölkerung zu stützen, um gegen andere schiitische Führer zu konkurrieren. Dabei benutzt er teilweise radikale soziale Rhetorik und ging während 2004/2005 sogar, wenn auch kurzfristig, ein begrenztes Bündnis mit sunnitischen Organisationen ein. Aber auch al-Sadr bietet keinen Ausweg für die verarmte irakische Bevölkerung an, auch ihm geht es um die Erlangung von Einfluss und Gebietsherrschaft.

Bei den Wahlen zur neuen Regierung setzten sich schiitische Kräfte durch, die nicht auf der Favoritenliste der US-Regierung standen. Auch die irakische Armee ist mit schiitischen Milizen durchsetzt, die teilweise den Truppen gegenüber feindlich eingestellt sind. Das ist ein Problem für die US-Strategen. Vor allem aber ist inzwischen klar geworden, dass sie mit ihrer Politik einen „Geist aus der Flasche“ gelassen haben, der nicht nur den Irak, sondern den gesamten Nahen Osten noch instabiler macht.

Nun stehen sie vor dem Problem, einen Krieg angezettelt zu haben, den sie nicht gewinnen können. Tony Blair hat sich aktuell für einen Teil-Rückzug entschieden, die Bush-Riege setzt auf Truppenaufstockung. Aber selbst US-Militärstrategen sagen, allein um Bagdad zu „befrieden“, wäre mindestens das Fünffache an zusätzlichen Truppen nötig.

Wahrer Verlierer des Krieges ist die Bevölkerung, die immer tiefer in den Sumpf eines Bürgerkriegs-Szenarios gezogen wird. Zwei Millionen Menschen sind bereits geflohen – 1,7 Millionen sind innerhalb des Irak auf der Flucht. Insgesamt macht das bereits 15 Prozent der Bevölkerung aus. Ein vollständiges Auseinanderbrechen des Irak in drei Teile – einen kurdischen, einen sunnitischen und einen schiitischen – ist nicht mehr auszuschließen. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in den vier großen Städten Basra, Mosul, Kirkuk und Bagdad. Die Bevölkerungsanteile sind besonders in den drei zuletzt genannten sehr gemischt. Ethnische Säuberungen und neue Flüchtlingsströme würden die jetzige Situation noch um vieles übertreffen.

Go home!

Die Besatzungstruppen sind unter ständigem Beschuss. Die große Mehrheit der irakischen Bevölkerung will sie loswerden. 60 Prozent sagen, Angriffe auf die Besatzungskräfte sind gerechtfertigt. Und sogar in den USA sind 75 Prozent gegen die geplante Entsendung von 21.500 zusätzlichen Soldaten. Der Krieg hat über 3.000 US-Soldaten das Leben gekostet. Der Krieg kostet jetzt schon mehr Geld als der Vietnam-Krieg. Nach Schätzungen von Joseph Stiglitz (früher Chefökonom der Weltbank, jetzt Bush-Kritiker) werden sich die Gesamtkosten des Irak-Krieges inklusive volkswirtschaftlicher Kosten auf zwei Billionen Dollar belaufen. Was ließe sich mit einer solchen Summe bewerkstelligen! Doch keine der etablierten Parteien in den USA zeigt einen Ausweg auf, auch die Demokraten nicht. Ein sofortiger Abzug würde aus Sicht der Herrschenden in den USA Chaos und weiteren Niedergang hervorrufen, in der ihre Interessen in keiner Weise gesichert wären. Doch dort zu bleiben, macht es nicht besser: Es wird immer deutlicher, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist und immer mehr ziehen Parallelen zu der Niederlage der USA in Vietnam.

Auf der anderen Seite fragen sich auch viele Menschen, die nicht mit dem Krieg übereinstimmen: Was passiert, wenn alle Truppen abgezogen werden? Es wäre utopisch zu glauben, dass allein damit Frieden einkehren würde. Unter kapitalistischen Bedingungen von Ausbeutung und sozialer Verelendung und ohne eine starke Arbeiterbewegung droht ein Auseinanderbrechen des Irak. In der Folge würde auch eine Ausweitung des Konflikts auf den gesamten Nahen Osten wahrscheinlich. Länder wie Syrien, Iran, Jordanien, Türkei, Saudi-Arabien und andere könnten direkt oder indirekt mit hineingezogen werden. Die angespannte Weltlage würde sich weiter verschärfen.

Arbeiterorganisationen

Die einzige Kraft, die eine weitere Eskalation verhindern kann, ist die unterdrückte und ausgebeutete Arbeiterklasse im Irak. Statt nationaler und religiöser Führer mit eigenen Machtambitionen ist ein Programm zur Überwindung der ethnischen und religiösen Konflikte nötig. Momentan sind unabhängige Arbeiterorganisationen im Irak noch sehr schwach, obwohl es im Irak starke Traditionen gibt. In den fünfziger Jahren erlangte die Kommunistische Partei Massenunterstützung. Doch die Fehler der stalinistischen Führung führten zur Niederlage der Arbeiterbewegung und unter Saddam Husseins Herrschaft wurden die unabhängigen Arbeiterorganisationen zerschlagen.

Seit 2003 gibt es die Herausbildung neuer Gewerkschaften. Besonders die Ölarbeiter konnten so höhere Löhne erkämpfen. Die Gewerkschaften wurden von den Besatzungstruppen unter dem damaligen obersten US-Verwalter Paul Bremer bekämpft – ironischerweise mit dem Argument, sie seien ja nach den irakischen Gesetzen (denen von Hussein) verboten. Natürlich wollten die Besatzer nicht zulassen, dass sich Gewerkschaften bilden, die erklärte Gegner der Privatisierung der Ölindustrie sind. Die neue irakische Regierung hat zwar offiziell Gewerkschaften legalisiert, schränkt aber ihre Wirkungsweise extrem ein: Die neue Verfassung sieht vor, dass die Gewerkschaften die Ausgabe jeglicher Gelder nur über ein Ministerium abwickeln dürfen.

Die positiven Ansätze der Gewerkschaftsbewegung müssen unterstützt werden. Darüber hinaus ist es aber auch dringend notwendig, eine politische Alternative aufzubauen – eine Partei, die mit einem sozialistischen Programm die Einheit der Arbeiterklasse herstellt und als starker Pol der Zersplitterung entgegenwirkt.

Welches Programm?

Ein sozialistisches Programm könnte einen Ausweg aus Armut und sozialer Krise aufzeigen. Es wäre nötig, multinationale Konzerne daran zu hindern, den Ölreichtum aus dem Land zu schaffen. Das hieße, den Kampf gegen Privatisierung und für (Rück-)Verstaatlichung der Öl- und Schlüsselindustrien zu organisieren. An erster Stelle stünde der dringend notwendige Wiederaufbau des Gesundheitswesens, der Schulen, der sanitären Anlagen und der Stromversorgung. All das könnte aber nur unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung von gewählten Komitees aus Betrieben, Wohnvierteln, Städten und Dörfern, unter Berücksichtigung aller Bevölkerungsgruppen, funktionieren. Gewählte Delegierte der Komitees könnten in einem überregionalen irakischen Rat zusammenkommen, um die Fragen vom Wiederaufbau der Infrastruktur und der Verteilung von Gütern zu koordinieren.

Arbeitereinheit ist zentral, um die Konflikte zu überwinden. Dies ist ein Grundpfeiler für ein sozialistisches Programm. Die irakische Bevölkerung hat das Recht, sich gegen die Besatzung zu wehren, auch mithilfe von Waffen. Milizen sollten aber nicht auf religiöser und ethnischer Ausrichtung basieren, denn das bedeutet weiteres Blutvergießen unter den arbeitenden Menschen. Erforderlich ist es, sich in demokratisch gewählten Verteidigungskomitees zu organisieren, die alle ethnischen und religiösen Gruppen miteinander verbindet. Grundlage für eine Einheit der ArbeiterInnen und der Bauernschaft im Irak wäre, dass der Schutz und das Recht auf Selbstbestimmung aller Nationalitäten garantiert wird.

Was zu tun ist

Im Februar 2003 hat es mit über 30 Millionen weltweit die größten Antikriegsdemonstrationen in der Geschichte gegeben. Den Demonstrierenden war schon zu dem Zeitpunkt klar, dass dieser Krieg die Weltlage noch unsicherer machen wird. Dessen ungeachtet haben Bush und Co. den Krieg vorangetrieben. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Bush aus „Verzweiflung“ über seine eigene fehlgeschlagene Politik die Flucht nach vorn antritt, obwohl es militärischer und strategischer Wahnsinn für den US-Imperialismus wäre. Ein Luftangriff auf militärische oder atomare Anlagen im Iran, der immer wieder angedroht wird, hätte sofort eine massive Ausweitung des Krieges zur Folge. Ein solcher Angriff würde aber auch zu Aufruhr und Massenprotesten im gesamten Nahen Osten wie auch weltweit führen.

Deutsche Beteiligung

Auch wenn die Bundesregierung sich beim Irak-Einsatz offiziell herausgehalten hat, hat sie trotzdem logistische Unterstützung geleistet. Nicht zuletzt haben auch die Enthüllungen um den Fall Kurnaz deutlich gemacht, dass deutsche Truppen tief im so genannten Krieg gegen den Terror drin stecken, indem sie zum Beispiel eine viel größere Rolle in Afghanistan spielen als bisher behauptet.

Die Antikriegsbewegung muss den Kampf für den Rückzug aller imperialistischen Truppen aus dem Irak und der gesamten Region fortführen. Der G8-Gipfel im Juni darf nicht ohne massive Demonstrationen gegen die Kriegspolitik der G8 verlaufen. Wir müssen dort lautstark unseren Protest und unsere Forderung nach sofortiger Beendigung dieser wahnwitzigen Politik deutlich machen.

Ein sozialistisches Programm gegen Besatzung und Bürgerkrieg

  • Für den sofortigen Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Irak undder gesamten Region
  • Für den gemeinsamen Kampf von ArbeiterInnen und Jugendlichen gegen dieimperialistische Besatzung
  • Für multi-ethnische demokratische Verteidigungskomitees
  • Gegen nationalistische und religiös-sektiererische Gewalt undÜbergriffe
  • Recht auf Selbstbestimmung für alle ethnischen Bevölkerungsgruppen.Für Religionsfreiheit
  • Kampf gegen die Privatisierung der Ölindustrie
  • Für den Aufbau unabhängiger, kämpferischer und demokratischerGewerkschaften
  • Für die Schaffung einer Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm
  • Für die Überführung der Schlüsselindustrie in Gemeineigentum beidemokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung
  • Für den Wiederaufbau Iraks auf der Basis eines demokratischen Plans
  • Für eine sozialistische Föderation von Staaten im Nahen Osten
  • Schluss mit Kriegen &ndash für eine sozialistische Welt!

Angelika Teweleit ist Mitglied der SAV-Bundesleitung