„Können Sie mir das erklären?“  

Wählerinitiative Neue Linke und Linkspartei.PDS starten Berlin-Wahlkampf 
 

Das Interesse an den Auftritten derjenigen Berliner WASG-Mitglieder, die einen gemeinsamen Wahlantritt mit der Linkspartei.PDS befürwortet hatten, ist merklich zurück gegangen. Gerade mal zwanzig Personen verirrten sich ins IG Metall-Haus zur Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung der Wählerinitiative Neue Linke, einer Gruppe von Berliner WASG-Mitgliedern, die Wahlkampf für die Linkspartei.PDS machen werden – und davon waren knapp die Hälfte die eigenen Leute. Und das, obwohl mit Oskar Lafontaine die Parteiprominenz aufgefahren wurde.

Die Journalisten verließen die Veranstaltung kopfschütttelnd. Einer fragte die anwesenden VertreterInnen des WASG-Landesverbandes und der SAV nach der Pressekonferenz: „Können sie mir das erklären? Ihre Politik verstehe ich, aber das was Lafontaine da gerade gemacht hat, verstehe ich nicht.“

Denn Oskar Lafontaine hatte eine Position eingenommen, die widersprüchlicher kaum hätte sein können. Er wetterte gegen Privatisierungen, Bildungsabbau und Ein-Euro-Jobs, um dann für eine der Parteien zur Wahl aufzurufen, die genau solche Maßnahmen in den letzten fünf Jahren als Teil des Berliner Senats zu verantworten hatte. Auf die Frage, wie er denn angesichts der inhaltlichen Übereinstimmung mit der Berliner WASG dies den Wählerinnen und Wählern erklären wolle, bestätigte Lafontaine „große inhaltliche Gemeinsamkeiten“, aber Differenzen bei der Strategie und Taktik. Schließlich führe ein Wahlerfolg der WASG zu verschärftem Sozialabbau, da dann die Gefahr bestehe, dass CDU, FDP oder Grüne an der Regierung beteiligt würden. Offener hätte er eine Politik des (vermeintlich) kleineren Übels nicht vertreten können. Dementsprechend sei für ihn eine Fortsetzung der rot-roten Senatskoalition auch die beste Lösung.

Doch er rechtfertigte auch die Senats-Politik der letzten fünf Jahre und konnte nur „die eine oder andere“ kritikwürdige Entscheidung benennen. Der WASG Berlin warf er Unglaubwürdigkeit vor, da sie die positiven Aspekte der rot-roten Koaltion nicht benenne. In einem ausliegenden Zeitungsartikel bescheinigte er der Linkspartei.PDS eine „Politik mit sozialem Augenmaß“. Ohne die Regierungsbeteiligung der L.PDS wäre mittlerweile sicher auch die BVG privatisiert. Und überhaupt: die Deutschen seien nun einmal nicht so wie die Franzosen, wie die unterschiedliche Reaktion auf die Verschlechterungen beim Kündigungsschutz gezeigt habe. Er würde sich ja stärkere Proteste wünschen, da es diese aber nicht gebe, müsse die Linke mitregieren.

Auf die Frage, ob es gemeinsame Veranstaltungen mit Lucy Redler, der Spitzenkandidatin der WASG gebe, sagte Lafontaine, er habe kein Interesse an einer „weiteren Auseinandersetzung mit Frau Redler“.

Was also verspricht Oskar Lafontaine den Berliner Wählerinnen und Wählern? Dass die Linkspartei.PDS weiter macht mit ihrer fünf Jahre lang betriebenen Politik von Sozialkürzungen, Privatisierungen etc. – weil andere Parteien es möglicherweise schlimmer machen würden. Und gleichzeitig sagt er: nur eine starke Linke kann Privatisierungen verhindern. Das verstehe, wer will. Offensichtlicher kann man kaum um den heißen Brei herum reden. Die Journalisten nahmen es verwundert hin und fragten sich, wie sie diesen Eiertanz ihren LeserInnen erklären sollen.

Neben Lafontaine saß Christine Buchholtz. Mitglied des WASG-Bundesvorstands und der sich selbst als marxistisch und revolutionär bezeichnenden Organisation Linksruck. Eine bravere Adjutantin könnte sich Oskar Lafontaine kaum wünschen. Selbst als er offensiv eine Politik der Beteiligung an kapitalistischen Regierungen vertrat, kam kein Wort des Widerspruchs über ihre Lippen. Ihre Rolle war es zu erklären, dass die Wählerinitiative die Rückendeckung des Bundesvorstands habe. Auch an Dialektik mangelte es der „Marxistin“ nicht: man solle die Linke wählen, gerade weil man sich in bestimmten Punkten nicht einig ist.

Über positive Signal aus der L.PDS hatte sich vorher schon Klaus-Dieter Heiser gefreut. Er nannte die Aufstellung der KandidatInnen durch die L.PDS als ein solches. Nur blöd, dass da noch mal nachgefragt wurde, wie viele aus dem WASG-Bereich es denn seien. Heisers Antwort: Ganze zwei und sicher hätte man sich da auch eine andere Entwicklung vorstellen können, aber es sei trotzdem ein Zeichen der Öffnung. Einer dieser Kandidaten, Wolfgang Albers, vertritt unter anderem die Ansicht, dass die Beschäftigten der Charité auf Lohn verzichten sollen, da sie ja mehr verdienen als die Beschäftigten beim Krankenhauskonzern Vivantes. Dass die L.PDS keine der auch nur ansatzweise kritischen Personen auf ihre Kandidatenliste gewählt hat, blieb unerwähnt.

Das einzige Mitglied der Wählerinitiative, das sich traute dem großen Vorsitzenden zu widersprechen, war der Ökonom Joachim Kreimer – de Fries. Er konnte es nicht unkommentiert stehen lassen, dass Lafontaine von großen inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen WASG Berlin und ihm sprach. Kreimer – de Fries betonte, dass er diese nicht habe, schließlich sei die WASG-Politik abenteuerlich.

Weniger abenteurlich, dafür aber dreist, sind einige der von der Wählerinitiative und Lafontaine vorgetragenen Positionen. So wird in einer Stellungnahme die „Sicherung der Tarifverträge in Berlin“ gefordert. Klingt erst einmal gut, bedeutet aber die Festschreibung der Absenkungs- und Notlagentarifverträge für die Beschäftigten beim Land Berlin und verschiedenen landeseigenen Unternehmen, sprich: Bestätigung des Lohnverzichts von acht bis zwölf Prozent.

Der Gipfel ist aber die Behauptung, die Linkspartei.PDS kämpfe gegen die Privatisierung der Berliner Sparkasse. Besser als Jörn Boewe es in der heutigen Ausgabe der jungen Welt gemacht hat, kann man dies nicht kommentieren: „Man reibt sich die Augen: Die Novelle zum Berliner Sparkassengesetz von 2005 hatten sich Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei.PDS) von der Wirtschaftskanzlei Freshfields formulieren lassen, einer Agentur, die seit Jahren im Auftrag privater Großbanken Expertisen für die Privatisierung öffentlicher Sparkassen erarbeitet.

Der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Banken, Klaus-Peter Müller, lobte das »rot-rote« Gesetz öffentlich als »Meilenstein« bei der Zerschlagung des öffentlichen Bankensektors. Doch diese Niederungen konkreter Politik fechten Lafontaine nicht an: Man werde »alle Möglichkeiten ausschöpfen«, um den Verkauf der Sparkasse an den privaten Bankensektor zu verhindern. Welche Möglichkeiten? Na, »alle« eben. Noch Fragen?“

Am Nachmittag sprach Lafontaine dann auf der offiziellen Auftaktkundgebung der L.PDS in Berlin-Pankow, einer ihrer Hochburgen. Ein trauriger Anblick. Etwa 200 ParteianhängerInnen hatten sich eingefunden und lauschten Harald Wolf, Oskar Lafontaine, Heidi Knake-Werner und Klaus Lederer. Während Wolf die WASG mit Ignoranz strafte, konnte Lafontaine sich einen längeren Kommentar nicht verkneifen – angesichts der gut 15 WASG-Mitglieder, die ein Transparent mit der Aufschrift „Kein Verkauf von WBM-Wohnungen – Haltelinien einhalten!“ ausgerollt hatten.

Die Argumentation blieb dieselbe: es gebe ja kritikwürdige Entscheidungen des SPD/L.PDS-Senats, aber die WASG-Kandidatur stärke nur die bürgerlichen Parteien und führe zu „noch schärferem“ Sozialabbau – noch schlimmer als das Schlimme, was von der L.PDS zu erwarten ist. Mit den Argumenten der WASG setzte er sich nicht auseinander. Dafür war er aber voll des Lobes für den L.PDS-Spitzenkandidaten Harald Wolf – genau der Harald Wolf, der sich des Vorsatzes bei der unsozialen Politik der letzten fünf Jahre rühmt.

Der WASG wurde verboten auf dem Kundgebungsplatz Flugblätter zu verteilen. Das mag den einen oder anderen an vergangene Zeiten erinnern, hielt die WASG-Mitglieder aber nicht davon ab, auf dem Bürgersteig vor der Kundgebung einen Info-Tisch aufzubauen und das Gespräch mit Passanten und Kundgebungs-Besuchern zu suchen. Die Resonanz war oftmals sehr positiv. Abgesehen von der einen oder anderen Provokation durch L.PDS-Mitglieder drückten Menschen ihr Unverständnis dafür aus, dass Lafontaine Wahlkampf für die L.PDS macht, nahmen sich Wahlkampfmaterial zum weiter verteilen mit und wünschten der WASG viel Glück.

Nach den ersten drei Wahlkampf-Wochen gibt es allen Grund optimistisch zu sein und keinen Grund auf Glück zu hoffen. Die Resonanz auf der Straße, in Betrieben und sozialen und gewerkschaftlichen Gruppen ist sehr positiv. Die 9.000 WASG-Plakate sorgen für eine flächendeckende Präsenz im Stadtbild. Die letzte Meinungsumfrage von Emnid gab der WASG wieder fünf Prozent. Und in der L.PDS gibt es erste Stimmen, die dazu auffordern WASG zu wählen. Die Sensation ist greifbar nahe. Jetzt sollten alle Berliner WASG-Mitglieder und die vielen UnterstützerInnen aus dem Bundesgebiet noch eine Schippe drauf legen, um den Einzug ins Abgeordnetenhaus zu sichern.

Sascha Stanicic, 17.8.2006