Bei Milosevic und Lafontaine

Zu Jürgen Elsässers Angriff auf die SAV und die WASG Berlin
 

Als ich Jürgen Elsässer das erste Mal traf, war seine erste Frage: „Bist Du Serbe?“. Ich antwortete darauf wahrheitsgemäß, dass ich Internationalist bin. Seine zweite Frage war: „Ist Dein Vater Serbe?“ Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass mein Vater aus dem ehemaligen Jugoslawien stammte, und zwar aus dem Gebiet des heutigen Kroatiens. Nach dieser Antwort stellte sich Jürgen Elsässer mir als „Serbien-Fan“ vor und zeigte sich verwundert, dass mein Familienname südslawisch sei und ich doch kein Serbe bin. Dies scheint ihn so sehr zu ärgern, dass er seitdem konsequent meinen Namen falsch schreibt.

Über letzteres kann ich hinweg sehen, habe ich doch auch meine Schwierigkeiten mit serbo-kroatischer Rechtschreibung. Von Elsässer in die Nähe der albanischen UCK gerückt zu werden, ist allerdings nicht mehr lustig.

Dabei ist klar, welche politischen Motivationen sich in Jürgen Elsässers Artikel vom 18. Mai „UCK-Lobby will Wahlantritt der WASG-Berlin unterstützen“ verbinden: Er ist nämlich nicht nur Milosevic-Fan, sondern auch Lafontaine-Fan. Sein Artikel ist ein durchsichtiger Versuch der eigenständigen Kandidatur der WASG Berlin mit allen Mitteln zu schaden. Schade, dass sich die junge Welt dafür her gibt.

UCK-Lobby?

Erst einmal zu den Fakten. Auf der Website kosova-aktuell ist ein Artikel erschienen, der Solidarität mit dem abgesetzten Landesvorstand der WASG Berlin ausdrückt. Diese Website ist keine, wie von Jürgen Elsässer behauptet, „UCK-Lobby“, sondern ein unabhängiges Informationsportal zum Thema Kosova. In der Redaktion dieser Website, die Artikel verschiedenster AutorInnen aus dem Kosova, Albanien und der albanischen Emigration und Dokumente zur Politik und Geschichte der Region veröffentlicht, arbeiten auch Mitglieder der SAV mit. Im Editorial der Redaktion heißt es: „Wir stimmen mit dem Ziel, ein demokratisches, unabhängiges und glückliches Kosova zu schaffen, überein. Dabei geht es nicht darum, nur für eine „nationale Partei“ einzutreten. Im Gegenteil, nur durch eine demokratische Lösung der nationalen Frage kann das Verhältnis zwischen den verschiedenen nationalen Gruppen entspannt werden. Ein souveränes Kosova mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Bürger, egal welcher Herkunft, bietet die Perspektive, allen fortschrittlichen Kräften auf dem Balkan zu nützen.

Die Zukunft des Balkans besteht in der Reorganisation demokratischer und sozialer Strukturen. Chauvinismus und Rassismus müssen überwunden werden.“ Dies als „militanten albanischen Nationalismus“ zu bezeichnen, wie Elsässer es tut, ist absurd.

Elsässer spricht von der UCK, wenn er die albanische Bevölkerung des Kosova meint und er spricht von Rechtsextremismus, wenn er die Forderung nach demokratischen Rechten und Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung meint. In seinem Artikel kommt ein Zynismus und eine Ignoranz gegenüber der albanischen Bevölkerungsmehrheit und ihrem Schicksal hervor, der geradezu widerlich ist, wenn man bedenkt, dass Elsässer ein glühender Verteidiger des chauvinistischen Slobodan Milosevic ist, der nicht nur für die nationale Unterdrückung der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosova mitverantwortlich war, sondern auch ein Turbo-Privatisierer öffentlichen Eigentums in Serbien war und sich an der Arbeitskraft der eigenen arbeitenden Bevölkerung bereicherte.

SAV und Kosova

Da Jürgen Elsässer mich in seinem Artikel äußerst selektiv und sinnentstellend zitiert, bin ich dazu gezwungen meine Position und die der SAV zur Frage des Kosova und des NATO-Angriffs auf das ehemalige Jugoslawien im Jahr 1999 darzustellen.

Wir haben uns zu jeder Zeit gegen den Krieg und für den Rückzug der NATO-Truppen aus dem Balkan ausgesprochen. Die SAV war von Beginn an aktiver Bestandteil der Anti-Kriegsbewegung gegen die NATO-Aggression und gegen die Beteiligung der Bundeswehr daran.

Wir haben aber nicht ignoriert, dass die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosova durch den serbischen Staatsapparat unterdrückt und elementarer demokratischer und nationaler Rechte beraubt wurde. Den marxistischen Grundsatz für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen einzutreten, haben wir in dieser Situation nicht über Bord geworfen. Dabei haben wir nicht Partei für eine der nationalen Seiten ergriffen, sondern auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Widerstandes der ArbeiterInnen und Bauern gegen NATO-Angriffe, soziale Unterdrückung aller Bevölkerungsteile und Besetzung durch die serbische Armee im Kosova hingewiesen. Letztere Position nahmen wir ein, ohne rechts-nationalistische Kräfte, wie die UCK zu unterstützen.

Im Juni 1999 schrieben wir in unserer damaligen Zeitung VORAN: „Die UCK ist eine nationalistische und pro-kapitalistische Organisation. Sie hat kein Programm und keine Strategie, um die Probleme der kosovarischen Massen zu lösen. Die SAV lehnt jegliche politische oder militärische Unterstützung für die UCK ab. Gleichwohl ist die UCK nicht mit der jugoslawischen Armee oder der NATO gleichzusetzen. Die Kosovo-AlbanerInnen haben ein Recht darauf, sich gegen die serbische Unterdrückung bewaffnet zur Wehr zu setzen und sich zu verteidigen – genauso wie serbische ArbeiterInnen und Bauern ein Recht haben, sich gegen Übergriffe der UCK zu verteidigen.“

Wir haben damals schon davor gewarnt, dass der Krieg zu einer Fortsetzung der nationalen Fremdbestimmung der KosovarInnen durch neue Besatzer in Form von NATO/UNO führen wird und zweitens die serbische Minderheit im Kosova das nächste Opfer wird. Wir haben immer genauso deutlich Position gegen Vertreibungen der serbischen Bevölkerungsminderheit bezogen und sind für Minderheitenrechte eingetreten, wie wir die Vertreibungen von AlbanerInnen angeprangert haben und das Selbstbestimmungsrecht eingefordert haben.

Der Fehler, den so manche Linke in der damaligen Situation gemacht haben, indem sie aus der richtigen Opposition gegen die NATO-Angriffe heraus, ihre Kritik am serbischen Regime eingestellt haben, wurde schon von Lenin während des Ersten Weltkriegs beantwortet: „Die Tatsache, dass der Kampf gegen eine imperialistische Regierung für die nationale Freiheit unter bestimmten Bedingungen von einer andern „Großmacht“ für ihre ebenfalls imperialistischen Ziele ausgenutzt werden kann, kann die Sozialdemokratie ebensowenig bewegen, auf die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen zu verzichten.“ (Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht, LW Band 22, Seite 150) Ersetzt man „Großmacht“ durch „Regionalmacht“ passt diese Haltung exakt auf die Situation auf dem Balkan 1999. Ignoranz der Situation der albanischen Bevölkerung im Kosova musste diese in die Arme der NATO und der UCK treiben.

Die UCK

Über die Geschichte der UCK ist hier nicht zu referieren, aber die von Jürgen Elsässer in Frage gestellte These, dass die UCK zu Beginn ihrer Entwicklung „links stand“ entspricht nun einmal der Realität. Dies zeigt aber auch, wie schnell eine Organisation mit linkem Selbstverständnis rechts-nationalistisch degenerieren kann, wenn sie in einer zugespitzten Situation keinen internationalistischen Klassenstandpunkt einnimmt. Dazu schrieben wir in dem schon zitierten Artikel vom Juni 1999: „Innerhalb von zwei Jahren ist die UCK von einer unbedeutenden und verschwindend kleinen Gruppe zur bestimmenden politischen Kraft unter den Kosovo-AlbanerInnen geworden. Die UCK ist hervorgegangen aus verschiedenen kosovo-albanischen Organisationen, die schon in den 80er Jahren für ein unabhängiges Kosovo bzw. eine Vereinigung mit Albanien gekämpft haben. Die dominierende Kraft war die LPK, die Volksbewegung für Kosova (albanisch für Kosovo), die sich am damals nicht-kapitalistischen System Albaniens orientierte. In diesem Sinne war die UCK ursprünglich eine „linke“ Bewegung. Davon ist heute nichts mehr übrig. Die UCK hat sich auf die Unterstützung der NATO-Bombenangriffe festgelegt und auf UCK-Demonstrationen heißt es immer wieder: „NATO – wir sind Deine Bodentruppen.“

LPV

Die von Jürgen Elsässer erwähnte LPV (Bewegung für Selbstbestimmung) ist keine rechte Organisation. Sie sieht in der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts und der Durchsetzung staatlicher Unabhängigkeit für den Kosova die einzige Chance für sozialen und demokratischen Fortschritt. Dabei spricht sie sich für gleiche Rechte für alle im Kosova lebenden Menschen und gegen Übergriffe und Diskriminierungen gegen die serbische Minderheit aus.

Die SAV hingegen ist der Überzeugung, dass es auf kapitalistischer Basis keinen demokratischen und sozialen Fortschritt geben kann. Während wir das Recht auf nationale Selbstbestimmung bis hin zur staatlichen Eigenständigkeit unterstützen, sind wir der Meinung, dass der Kampf um demokratische und nationale Rechte mit dem Kampf für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft verbunden werden muss. Denn ein unabhängiges kapitalistisches Kosova wäre immer ökonomisch und politisch abhängig von den es dominierenden Großmächten und in ihm wäre die arbeitende Bevölkerung weiterhin Opfer der Privatisierungen, der Arbeitslosigkeit und der Armut. Nationale Spannungen wären weiterhin eine zwangsläufige Folge. Deshalb hat die SAV die Losung der freiwilligen sozialistischen Föderation der Länder des Balkan aufgestellt und sich in diesem Rahmen für ein sozialistisches Kosova ausgesprochen, wenn die staatliche Lostrennung der Wunsch der Bevölkerungsmehrheit ist. Diese Position, die weiter geht als die bürgerlich-demokratischen Positionen von kosova-aktuell und der LPV, wird von Max Brym genauso vertreten, wie vom Rest der SAV.

Großalbanien

In diesem Zusammenhang hat Jürgen Elsässer mich, ebenfalls selektiv, zur Frage eines „vereinigten sozialistischen Albaniens“ zitiert. In dem von Elsässer zitierten Referat geht es um die grundlegende Herangehensweise von MarxistInnen an die nationale Frage. Ich habe darin die theoretische Frage aufgeworfen, ob dies grundsätzlich auszuschließen ist. Hier das ganze Zitat: „Die Frage eines Grossalbaniens wurde vielfach aufgeworfen. Es ist keine Frage, dass zum jetzigen Zeitpunkt Bestrebungen ein kapitalistisches Grossalbanien zu schaffen, nur gewaltsam durchzusetzen sei und zu einer neuen Stufe der Kriege auf dem Balkan führen würde. Deshalb können wir der Idee zum jetzigen Zeitpunkt keine Unterstützung oder Sympathie entgegenbringen. Grundsätzlich können wir aber auch nicht ausschließen, das wir in Zukunft die Forderung nach einem vereinigten sozialistischen Albanien aufstellen in dem die Gebiete mit albanischer Bevölkerungsmehrheit aus dem Kosova, Mazedonien und Albanien selber zusammengeschlossen werden, wenn dies der Wunsch der Massen wird und sich dieser von unten, und nicht in erster Linie durch die UCK, artikuliert. Dann würde aber noch mehr gelten zu erklären, dass dies nur erreichbar ist, wenn die Arbeiterklassen der gesamten Region den Kapitalismus abschütteln und Arbeiterstaaten die nationale Frage nach dem Prinzip der Gleichheit und der Selbstbestimmung regeln würden.“

Elsässers Methode

Es gibt übrigens in der Haltung Jürgen Elsässers zum Balkan-Konflikt und zum Berlin-Konflikt einen methodischen Zusammenhang. Elsässers Haltung basiert auf Abstraktionen, Wunschvorstellungen und Worten statt Taten – und er nimmt keinen Klassenstandpunkt ein. Eine sozialistische Politik muss ausgehend von den realen Lebensbedingungen der Massen entwickelt werden. Milosevic konnte noch so oft die rote Fahne wedeln. Er war seit Beginn der 90er Jahre ein Staatsführer, der mit diktatorischen Mitteln die Einführung kapitalistischer Verhältnisse, eine nationalistisch-expansionistische Politik und die Unterdrückung der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosova betrieb. Um die kosovarischen Massen für eine linke Politik zu gewinnen, hätte diese nationale Unterdrückung anerkannt werden müssen und hätte der Kampf für soziale Rechte und für sozialistische Demokratie mit dem Kampf für das Selbstbestimmungsrecht verbunden werden müssen. Und nur die gegenseitige Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts kann nationalistische Spaltungen verschiedener Volksgruppen überwinden. Selbstbestimmungsrecht bedeutet, dass eine Bevölkerungsmehrheit frei und demokratisch entscheiden kann, in welchem Staatsgebilde sie leben will. Wenn die Linke und die Arbeiterbewegung kein Angebot macht, sowohl gegen soziale als auch nationale Unterdrückung zu kämpfen, werden rechts-nationalistische Kräfte profitieren. Das ist eine Lehre der Entwicklungen auf dem Balkan in den letzten 15 Jahren.

In Berlin kann die L.PDS noch so oft von Anti-Neoliberalismus reden. Solange sie die Politik der Sozialkürzungen, der Arbeitsplatzvernichtung und der Privatisierung nicht in der Praxis beendet, ist sie in dieser Stadt keine Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten und Benachteiligten. Der abstrakte Verweis auf linke Einheit hilft da keinem Ein-Euro-Jobber und keinem Beschäftigten, der auf zehn Prozent Lohn verzichten muss. Man muss sich zur Wehr setzen. Wenn die Linke kein Angebot für den Widerstand macht, werden die Rechten davon profitieren. Das ist ein Grund mehr, warum die eigenständige Kandidatur der WASG Berlin nötig ist.

von Sascha Stanicic