Neue Tabubrüche in der Metallindustrie

Mit dem Tarifabschluss gibt die IG-Metall-Spitze wichtige Haltelinien kampflos preis
 

Nach massiver Warnstreikbeteiligung kam es kurz vor Einleitung einer Urabstimmung über Streikmaßnahmen zu einem Tarifabschluss für die rund 3,4 Millionen Beschäftigten.

von Torsten Sting, Rostock

Etwa 880.000 Beschäftigte haben sich laut IG Metall (IGM) an den Warnstreiks beteiligt. Viele KollegInnen waren bereit, für die Forderungen der Gewerkschaft auch zu streiken. Wenn die gesamte Kampfkraft genutzt worden wäre, dann hätten die Unternehmerpläne abgeschmettert und die „Steinkühler-Pause“ verteidigt werden können. Dann wäre es zudem möglich gewesen, die Pausenregelung auf andere Beschäftigtengruppen und Tarifgebiete auszuweiten sowie die fünf Prozent voll durchzusetzen. In letzter Sekunde wurde jedoch ein Ergebnis präsentiert, das neue Tabubrüche enthält.

Flächentarifvertrag wird weiter ausgehöhlt

Kaum war der Abschluss erzielt, kam es zum Aufschrei der Repräsentanten der kleinen und mittleren Betriebe. Dabei liegt allein die durchschnittliche Produktivitätssteigerung deutlich über der vereinbarten Lohnerhöhung von drei Prozent (der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 13 Monaten).

Diese Diskussion lenkt nur davon ab, dass die Arbeitgeberseite immense politische Erfolge verbuchen konnte. So wurde die Einmalzahlung für die Monate März bis Mai erstmals mit einer betrieblichen Öffnungsklausel versehen. Je nach wirtschaftlicher Lage kann demzufolge der Betrag von 310 Euro auch gestrichen werden (zur ebenfalls möglichen Verdoppelung des Betrags wird es sicherlich nur in Ausnahmefällen kommen). Dies entscheiden Geschäftsleitung und Betriebsrat. Mal ganz abgesehen davon, dass die wirkliche Lage des Unternehmens immer nur die Kapitalseite kennt, bedeutet diese Regelung eine weitere Untergrabung des Flächentarifvertrages. Betriebsräte sind erpressbar, weil sie kein Streikrecht haben, um ihren Forderungen Nachdruck verleihen zu können. Die Kluft zwischen den Belegschaften wird weiter vergrößert, weil die Betriebe künftig noch unterschiedlichere Regelungen haben. Das erschwert in Zukunft die erfolgreiche Mobilisierung der Belegschaften für gemeinsame Forderungen.

„Steinkühler-Pause“

Bei der Pausenregelung betont die IGM-Spitze um Peters und Huber, standhaft geblieben zu sein. Formell wird diese Sonderregelung für die 92.000 Bandarbeiter in Nordwürttemberg-Nordbaden erhalten. Da sie nun aber nur für Fließbandarbeiter mit kurzen Takten weiterhin gilt, lobt Gesamtmetall in einer Stellungnahme: „Die Pauschalierung der Erholzeiten konnte für eine Reihe von Arbeitsplätzen aufgehoben werden.“ Die Vertreter des Unternehmerlagers haben allen Grund zu jubeln. Nach Angaben des Verhandlungsführers der Arbeitgeber in Baden-Württemberg kann diese Regelung bedeuten, dass etwa zwei Drittel der Betroffenen entweder kürzere oder gar keine stündliche Pause mehr haben werden. In der Konsequenz bedeutet das Arbeitsverdichtung und Verlängerung der Arbeitszeit.

Ausgelagerte Verhandlungen

Bei der Präsentation des Abschlusses von der IG Metall verschwiegen wurde, dass zwei Verhandlungen ausgelagert und damit der demokratischen Kontrolle der Gewerkschaftsmitglieder entzogen wurden:

1. „Verhandlungsverpflichtung für produktionsferne Tätigkeiten“

Mit der Behauptung, der Verlagerung von Arbeitsplätzen entgegenzuwirken, sollen die Arbeitskosten für produktionsferne Tätigkeiten wie zum Beispiel Logistik oder Rechnungswesen reduziert werden. Konkrete Verhandlungen werden dazu in Kürze aufgenommen. Angestrebt ist ein Ergebnis, das sich an den konkurrierenden Dienstleistungsbereichen orientiert. Dabei sollen alle tariflichen Standards auf den Prüfstand, vor allem die Dauer der Arbeitszeit.

2. „Tarifpolitische Belohnung für den Aufbau von Arbeitsplätzen“

Schließlich sieht der Tarifabschluss eine Verhandlungsverpflichtung vor, mit dem laut Gesamtmetall der „Aufbau von Beschäftigung tarifpolitisch gefördert“ werden soll. „Die Arbeitgeber halten eine Regelung für notwendig, bei der die Kosten für die Einstellung neuer Mitarbeiter solidarisch zwischen Betrieb und Beschäftigten geteilt werden.“

IGM-Spitze gibt gewerkschaftliche Grundpositionen auf

Zwar haben die Unternehmer eine Lohnerhöhung zugestanden, die sie wochenlang als indiskutabel bezeichneten. Das ist der enormen Warnstreikbeteiligung zu verdanken – verbunden mit der Angst von Gesamtmetall vor einer Streikdynamik. Trotzdem ist der Abschluss verheerend. Schließlich ist die IG Metall eine der größten Gewerkschaften der Welt mit gewaltiger Kampfkraft. Angesichts der derzeit vollen Auftragsbücher waren die Unternehmer erst Recht angreifbar. Zudem wurde die Chance vertan, mit ver.di den Kampf gegen Arbeitszeitverlängerung zu verbinden.

Der Abschluss fördert die Erpressbarkeit der Belegschaften enorm und erschwert die Kampfbedingungen der Gewerkschaft. Die Regelung zur „Steinkühler-Pause“ und die ausgelagerten Verhandlungen zum Thema Arbeitszeit bereiten den nächsten Ausverkauf der Gewerkschaftsspitzen vor.

Eine Branche – ein Tarifvertrag, ein Betrieb – eine Belegschaft, kein neuer Arbeitsplatz durch Lohnverzicht – das waren lange Zeit Grundpositionen der Gewerkschaften. Grundpositionen, die von der IGM-Spitze heute aufgegeben werden. IGM-Verhandlungsführer beim Pilotabschluss in NRW war Detlef Wetzel. Er gilt als „heißester Kandidat“ (Berliner Zeitung) für den Posten des Vize-Chefs in der IG Metall. Damit droht auf dem Gewerkschaftstag 2007 ein weiterer Rechtsruck.