Wer war Leo Trotzki?

Kämpfer gegen Kapitalismus und Stalinismus – für Sozialismus


 

Im Auftrag Stalins wurde der Revolutionär Leo Trotzki am 20. August 1940 ermordet. Heute sind Leben und Werk Trotzkis  weit weniger bekannt als das der Sozialisten Marx, Engels, Lenin. Das, obwohl er zweifellos in einer Reihe mit diesen genialen Theoretikern und Kämpfern für den Sozialismus steht. Seine Unterbewertung in der Geschichtsschreibung befindet sich im krassen Gegensatz zu seiner führenden Rolle in der sozialistischen Arbeiterbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Trotzki war anerkannter Arbeiterführer in der Russischen Revolution 1905 und stand mit Lenin an der Spitze der Oktoberrevolution 1917 in Russland. Der begeisternde Redner Trotzki organisierte und mobilisierte die Rote Armee, die die junge Sowjetunion nach dem Sturz des Kapitalismus  in den darauf folgenden Jahren des Bürgerkrieges erfolgreich verteidigte. Trotzki ist der Verfasser der Manifeste der ersten fünf Kongresse der 1919 gegründeten Kommunistischen (III.) Internationale. Er führte den unversöhnlichen Kampf der linken Opposition gegen Stalin und die Bürokratisierung der Sowjetunion an.

von Stephan Kimmerle, Stuttgart (zuerst erschienen in der VORAN 216 – Juli/August 2000)

Trotzki war nach Lenins Tod die herausragende revolutionäre Persönlichkeit seiner Zeit. Mit dieser Charakterisierung werden keineswegs die großen Verdienste von hunderttausenden Mitkämpfern der sozialistischen Arbeiterbewegung geschmälert.

Kapitalismus bedeutet heute weltweit Armut, Massenarbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Rüstung und Kriege. Die Herrschenden dieser Welt fürchten zu recht, dass das Totenglöckchen für dieses wahnsinnige Profitsystem geläutet hat, sobald die Menschen eine Alternative zu diesem System sehen. Deshalb versuchen sie alles, um die Oktoberrevolution und die Idee des  Sozialismus zu verleumden. Sie behaupten, der Stalinismus sei die logische Fortsetzung der Politik der Bolschewiki unter Lenin und Trotzki gewesen. Allein die Tatsache, dass an erster Stelle die Verteidiger der Ziele der Oktoberrevolution, die „Trotzkisten“, und am Ende Trotzki selbst, die Opfer der stalinistischen Diktatur wurden, straft diese Behauptung Lügen.

Trotzkis Bedeutung für die internationale Arbeiterbewegung entsteht nicht nur aus der Rolle, die er in der Russischen Revolution 1917 und im Kampf gegen die stalinistische Zerstörung der Revolution spielte. Entscheidend – auch für seine Aktualität heute – ist Trotzkis Verständnis des Marxismus als Methode zur Analyse der gesellschaftlichen Entwicklungen von einem internationalistischen Standpunkt aus. Auf dieser Grundlage war er in der Lage, Entwicklungen, wie Stalinismus und Faschismus nicht nur zu verstehen, sondern auch Perspektiven für die weiteren Abläufe und damit Handlungsmöglichkeiten für SozialistInnen zu entwickeln. Dabei  vertraute er auf die Möglichkeiten der Arbeiter und Jugendlichen, der „normalen“ Menschen, sich zu organisieren, aktiv zu werden, die Gesellschaft in ihre Hände zu nehmen und zu leiten. Dreh- und Angelpunkt seiner Ideen war die Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse, ihre Fähigkeit die Gesellschaft grundlegend umzugestalten und eine sozialistische Demokratie aufzubauen.

Zu seinen hervorragenden theoretischen Beiträgen gehören seine

– Analyse und Perspektive für den Verlauf der Revolution in einem unterentwickelten Land (Theorie der permanenten Revolution)

– wissenschaftliche Erklärung für den Aufstieg Stalins und den Charakter der Sowjetunion

– Schriften über das Wesen und die Ursachen des Faschismus und wie er bekämpft werden kann.

Geboren wurde Trotzki (sein richtiger Name war Leo Dawidowitsch Bronstein) am 7. November 1879, (26. Oktober  nach dem alten russischen Kalender), in der heutigen Ukraine, die damals zu Russland gehörte. Russland war  – von einzelnen hoch-industrialisierten Zentren abgesehen – von Großgrundbesitz und verarmten Bauern geprägt.

Die Permanente Revolution

Weil der Sozialismus die Gesellschaftsform ist die den Kapitalismus ablösen soll, erwarteten Marx und Engels, dass die sozialistische Revolution in einem der Länder beginnt, in dem der Kapitalismus am weitesten entwickelt ist. Anfang des 20. Jahrhunderts waren Bürgerliche aber auch Sozialisten der Meinung, in den rückständigen, unterentwickelten Ländern, in denen noch Adel und Großgrundbesitzer herrschten, stünde nur die klassische bürgerliche Revolution, nicht aber die sozialistische Revolution auf der Tagesordnung.

Trotzki erkannte schon vor 1905 die Unmöglichkeit für halbfeudale Länder wie Russland sich auf kapitalistischer Grundlage weiter zu entwickeln, auch weil die mächtigen imperialistischen Staaten dies verhindern würden. Heute, ein ganzes Jahrhundert später, haben sich die „Entwicklungsländer“ dieser Welt noch immer nicht entwickelt. Stattdessen herrschen in ihnen Armut und Hunger: Eine schlagende Bestätigung dieser Analyse.

Trotzki zog aus seinen Feststellungen die Schlussfolgerung, dass in einem Land wie Russland die Revolution nicht bei den Aufgaben der bürgerlichen Revolution (Landverteilung, Schaffung eines einheitlichen Nationalstaates, Entmachtung von Adel und Großgrundbesitz) stehen bleiben kann, sondern übergehen muss in eine sozialistische Revolution, in der der Kapitalismus gestürzt wird (Diesem Übergang,  der „Permanenz“ der Revolution, verdankt diese Theorie ihren Namen: Permanente Revolution). Diese sozialistische Revolution könnte also durchaus in einem unterentwickelten Land beginnen, aber nur durch den Sieg des Sozialismus international vollendet werden.

1905 kam es in Russland zu einem ersten Aufstand gegen das zaristische Regime. Diese Revolution, in deren Verlauf Trotzki zum Vorsitzenden des Petrograder Arbeiterrates (Sowjet) gewählt wurde, war gewissermaßen die Generalprobe für die Revolution von 1917.

Russische Revolution 1917

Die Februarrevolution 1917 setzte an, wo die Revolution 1905 aufgehört hatte: Sie fegte beeindruckend schnell die alte zaristische Herrschaft beiseite. Aus den Erfahrungen von 1905 zogen die ArbeiterInnen die Schlussfolgerung, im ganzen Land Sowjets zu errichten. Parallel dazu bildete sich eine bürgerliche Regierung. In der Zeit von Februar bis Oktober wurde deutlich, dass Trotzkis Analyse richtig gewesen war: Zusammen mit den Bürgerlichen gelang es nicht, auch nur eines der grundlegenden Probleme der russischen Gesellschaft zu lösen: Statt den Krieg zu beenden, setzten die Bürgerlichen ihre Hoffnungen in die Zusammenarbeit mit den imperialistischen Mächten Frankreich und Großbritannien im Krieg. Die drängenden Fragen einer Landreform wurden aus Rücksichtnahme auf die Großgrundbesitzer und Adligen verschoben. Dem Hunger der Bevölkerung hatte diese Regierung nichts entgegen zu setzen.

Trotzki, der sich 1917 den Bolschewiki angeschlossen hatte, nachdem frühere Meinungsverschiedenheiten mit der Entwicklung der Revolution beseitigt worden waren, kämpfte nun mit ihnen unter der Parole „Brot – Friede – Land“ für die Lösung dieser Fragen. Die Bolschewiki waren 1917 unter Lenins Führung ebenfalls zu der Schlussfolgerung gekommen, dass nur die Arbeiterklasse, gestützt auf die Bauern, diese Aufgaben lösen und gleichzeitig mit diesem Kampf den Auftakt zur sozialistischen Revolution in West-Europa und weltweit geben könnten.

Unter der Führung der Bolschewiki, mit Lenin und Trotzki an der Spitze, eroberte die Arbeiterklasse Russlands in der  Oktoberrevolution 1917 die Macht. Die neue Regierung gab das Land der Großgrundbesitzer an die Bauern und übertrug die Industrie in die Hände der Arbeiter.

Trotzki wurde Kommissar für Äußeres und begann sofort die Friedensverhandlungen mit der deutschen Heeresleitung in Brest-Litowsk.

Weltrevolution 

Nach Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution und durch die Praxis von 1917 war deutlich geworden, dass die sozialistische Revolution in einem unterentwickelten Land wie Russland beginnen konnte. Doch niemand ging damals davon aus, den Sozialismus in einem Land, schon gar nicht in einem rückständigen, aufbauen zu können.

So richteten sich die Hoffnungen zur Verteidigung der Russischen Revolution in erster Linie in ihre Ausdehnung nach Europa, in die Entwicklung der Weltrevolution. Die Oktoberrevolution in Russland hatte den ArbeiterInnen in anderen Ländern gezeigt, dass es möglich ist, das verhasste kapitalistische System zu stürzen.

Die durch dieses Beispiel entstandene Bedrohung schockte die Herrschenden in den kapitalistischen Staaten. Sie schickten Truppen gegen Russland und unterstützten mit Geld und Waffen die reaktionären Kräfte im Land, die die Herrschaft von Großgrundbesitz und Kapitalismus wiederherstellen wollten.

Trotzki wurde Leiter der Roten Armee, die aus dem Nichts aus dem Boden gestampft werden musste, um diesen imperialistischen Truppen etwas entgegen zu setzen. Das war nur erfolgreich, weil die ArbeiterInnen und BäuerInnen in Russland die Erfahrung mit der Oktober-Revolution gemacht hatten, weil da etwas entstanden war, das sich zu verteidigen lohnte.

Die Russische Revolution trat eine Welle von Revolutionen los, die ganz Europa erfasste. Die deutsche Revolution 1918 und Räte in Ungarn und Österreich waren Teile dieser Kette. Durch das Fehlen einer revolutionären Führung gelang es den Führern von SPD und Gewerkschaften immer wieder, sich an die Spitze dieser Bewegungen zu stellen und einen Sturz des Kapitalismus zu verhindern. Nicht aus Mangel an revolutionärem Willen der Arbeiterklasse sondern wegen des Fehlens einer Partei wie den russischen Bolschewiki scheiterten diese Revolutionen. Die russische Revolution blieb isoliert.

Bürokratisierung

Die Voraussetzungen für die Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft ist die durch die kapitalistische Entwicklung möglich gewordene Überflussproduktion. Mit den weltweit vorhandenen Ressourcen wäre es möglich, allen Menschen genügend zu Essen, eine gute Gesundheitsversorgung, Bildung und materiellen Wohlstand zugute kommen zu lassen. Russland 1917 war allerdings von diesem Zustand des Überflusses weit entfernt. Im Gegenteil: Nachdem die Hilfe durch weitere erfolgreiche sozialistische Revolutionen ausblieb, spitzte sich die Lage in Russland zu. Geschwächt von dreieinhalb Jahren Weltkrieg und  dem dreijährigen Kampf gegen die  konterrevolutionären Armeen im Bürgerkrieg, in Kombination mit  der schon vorher vorhandenen Rückständigkeit der Wirtschaft, verschlechterten sich die Lebensbedingungen bis hin zu Hungersnöten und barbarischen Zuständen.

Vor dem Hintergrund dieser besonderen Situation entwickelte sich eine privilegierte, parasitäre Bürokratie in der Sowjetunion. Die Einschränkungen der demokratischen Rechte, die  aus der Not des Bürgerkrieg heraus gemacht und als vorübergehende Maßnahmen gedacht waren, wurde von dieser sozialen Schicht zementiert, um die eigene Herrschaft zu ermöglichen.

Trotzki begann mit Lenin – kurz vor dessen Tod – den Kampf gegen diese Form der Konterrevolution in Russland. Sein wichtigstes Instrument in diesem Kampf, war eine klare marxistische Analyse der Entwicklungen in der Sowjetunion:

Marx und Engels hatten eine solche Entwicklung nicht vorhergesehen. Sie waren von der Entwicklung des Sozialismus in entwickelten Ländern ausgegangen. Marx schrieb einmal über die Notwendigkeit des gesellschaftlich vorhandenen Wohlstands: Die „Entwicklung der Produktivkräfte [=Fabriken, Werkzeuge, Ausbildungsniveau der ArbeiterInnen …] ist auch deswegen eine absolut notwendige praktische Voraussetzung [für den Sozialismus], weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendigste wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen müsste.“

Stalinismus

Trotzki wandte dies auf die Entwicklung Russlands an. „Grundlage des bürokratischen Kommandos ist die Armut der Gesellschaft an Konsumgütern mit dem daraus entstehenden Kampf aller gegen alle. Wenn genug Waren im Laden sind, können die Käufer kommen, wann sie wollen. Wenn die Waren knapp sind, müssen die Käufer Schlange stehen. Wird die Schlange sehr lang, muss ein Polizist für Ordnung sorgen. Das ist der Ausgangspunkt für die Macht der Sowjetbürokratie.“ (Trotzki in „Verratene Revolution“, seinem Hauptwerk über und gegen die stalinistische Bürokratie). Diejenigen, die sich über die Gesellschaft erheben, um den Mangel zu verwalten (die „Polizisten“, die „Ordnung“ schaffen), sorgen dabei dafür, dass sie nicht zu kurz kommen. So entstehen aus einer Mangelsituation neue Privilegien.

Dabei stützte sich die Bürokratie auf die sozialen Errungenschaften der Oktober-Revolution: Verstaatlichung der Banken und Konzerne, der Beginn einer geplanten Wirtschaft, der Schutz dieser Wirtschaft gegenüber den Imperialisten bzw. dem Weltmarkt durch ein Außenhandelsmonopol – all dies wurde zunächst nicht angetastet. Denn nur auf dieser ökonomischen Grundlage war der Aufbau der sowjetischen Wirtschaft von einer rückständigen Ökonomie zur späteren Super-Macht möglich. Nur so konnten die Grundlagen gelegt werden, die es im Zweiten Weltkrieg ermöglichten, den Angriff des hochgerüsteten Hitler-Deutschland siegreich zurück zu schlagen. Auch wenn die Bürokratie nie besonders weitsichtig war, war für sie fassbar, dass die Möglichkeit, für sich Privilegien zu erhalten, von dieser schnellen Entwicklung der Wirtschaft abhing. Andererseits hätte die unmittelbare Wiedererrichtung kapitalistischer, halbfeudaler Verhältnisse diese Privilegien bedroht. Die erste Gefahr bestand für die Bürokratie allerdings im Wiederaufleben der Sowjets, der Räte. In diesem Sinne brach die Bürokratie voll und ganz mit den Traditionen der Oktober-Revolution: Ihre Macht beruhte auf der Entmachtung und Entmündigung der Arbeiterklasse. Jede Form von Arbeiter-Demokratie – in Gewerkschaften, Parteien, Streik-Komitees usw. – war eine unmittelbare Bedrohung ihrer Macht. Entsprechend brutal versuchten die Stalinisten ihre Herrschaft zu sichern. Diese Unterdrückung jeglicher Initiative der ArbeiterInnen führte zu einer ökonomischen Erstickung der Planwirtschaft durch die Bürokratie und zum Zusammenbruch der stalinistischen Systeme kaum 70 Jahre später – trotz der zwischenzeitlich enormen, nur durch die Planwirtschaft möglich gewordenen Fortschritte.

Weil er wusste, dass eine Planwirtschaft ohne Demokratie auf Dauer nicht lebensfähig ist, charakterisierte Trotzki die Sowjetunion im historischen Sinn immer als Übergangsregime, für das es nur zwei Perspektiven geben konnte: Entweder Sturz der Bürokratie durch die sowjetische Arbeiterklasse in einer politischen Revolution, um dann im Rahmen der internationalen Revolution zum Sozialismus zu kommen, oder aber kapitalistische Konterrevolution. Vor zehn Jahren ist letzteres eingetreten, allerdings erst nachdem mehrere Versuche der politischen Revolution gescheitert waren (siehe auch Artikel über Arbeiteraufstand in Polen 1980).

Sozialismus in einem Land?

Genauso wie innerhalb der Sowjetunion die  Bürokratie sich vor der eigenen Arbeiterklasse fürchten musste, entwickelten Stalin und seine Helfer eine berechtigte Angst vor der Entwicklung der Revolution weltweit. Da für die stalinistische Bürokratie der eigene Machterhalt das einzige Ziel war,  verwandelte sie die Parteien der Kommunistischen Internationale, gegründet um die Revolution von Russland aus weltweit weiterzutragen, in reine Außenagenturen des Kreml. Sie ordneten ihrem nationalen, russischen Interesse die Interessen der internationalen Arbeiterklasse unter. Dazu proklamierte Stalin 1926 die „Theorie vom Sozialismus in einem Land“. Ganz offensichtlich im Gegensatz zu allem, wofür Marx, Engels und Lenin eingetreten waren, sollte es jetzt möglich sein, trotz Rückständigkeit, Isolation und materiellem Elend in Russland den Sozialismus aufzubauen. Diese Theorie diente als „Argumentation“, die Unterdrückung revolutionärer Bewegungen weltweit zu rechtfertigen, da sie angeblich den Aufbau des „Sozialismus“ in Russland gefährden würden.Diese Politik führte bis hin zur Rechtfertigung des „Hitler-Stalin-Paktes“. Die Stalinisten übernahmen so eine konterrevolutionäre Rolle in den sich entwickelnden Revolutionen.

Isolation und Rückständigkeit in Russland waren die Grundlage auch für die Erschöpfung und Demoralisierung der russischen ArbeiterInnen und BäuerInnen, die aufopferungsvoll in Revolution und Bürgerkrieg für ihre Interessen gekämpft hatten. Die durch sozialdemokratische und stalinistische Führer weltweit verursachten Niederlagen stärkten die Demoralisierung und damit – paradoxerweise – die Machtbasis der Stalinisten. So endeten die revolutionären Kämpfe einer ganzen Periode in Niederlagen: „Die Niederwerfung des bulgarischen Aufstandes und der ruhmlose Rückzug der deutschen Arbeiterparteien im Jahre 1923, der Zusammenbruch des estnischen Aufstandsversuches 1924, die heimtückische Liquidierung des Generalstreiks in England und das unwürdige Verhalten der polnischen Arbeiterparteien bei Pilsudskis Machtübernahme im Jahre 1926, die gräßliche Vernichtung der chinesischen Revolution 1927, später die noch fürchterlicheren Niederlagen in Deutschland (1933) und Österreich (1934), das sind die historischen Katastrophen, die in den Sowjetmassen den Glauben an die Weltrevolution erlöschen ließen und es der Bürokratie erlaubten, als einziger rettender Leuchtturm immer höher aufzuragen.“ (Trotzki in „Verratene Revolution“, 1936)

Linke Opposition für Arbeiter-Demokratie und Sozialismus

Trotzki organisierte die Linke Opposition in der Sowjetunion und später die Internationale Linke Opposition im Kampf gegen den Stalinismus. Sie boten den AktivistInnen der Arbeiterbewegung nicht nur eine marxistische Analyse des Stalinismus, sondern darauf aufbauend auch das Programm der politischen Revolution: Um eine sozialistische Gesellschaft zu erkämpfen, musste die Bürokratie gestürzt werden und die direkte Ausübung der Macht durch eine Wiedereinführung der Räte, der Sowjets, wieder in die Hände der ArbeiterInnen gelangen. Dazu forderten sie

– jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller FunkrionärInnen und VertreterInnen.

– einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn für alle FunktionärInnen, BeamtInnen usw. Ende aller bürokratischen Privilegien.

– Abschaffung der stehenden Armee und Ersetzung durch demokratische Arbeiter-Milizen.

– für eine demokratische Kontrolle und Leitung der Betriebe, für die Wiedererrichtung der Macht der Arbeiter- und Bauernräte, wie sie im Oktober 1917 geschaffen wurden. 

Die faschistische Gefahr

Je tiefer die wirtschaftliche Krise des Kapitalismus wurde, umso brutaler versuchten die Herrschenden, sich der Bedrohung durch die Arbeiterbewegung zu entledigen.

Beginnend mit den Ereignissen in Italien zeichnete sich in Europa eine besondere Form der Konterrevolution ab: der Faschismus, eine Massenbewegung der vom sozialen Abstieg bedrohten Kleinbürger, d.h. der Handwerker, Bauern und  kleinen Selbständigen.

Nach der Phase von Revolutionen und Konterrevolutionen nach dem Ersten Weltkrieg galt für die Herrschenden: „Die Periode der Halbmaßnahmen ist vorbei. Um zu versuchen, einen neuen Ausweg zu finden, muss sich die Bourgeoisie [Kapitalistenklasse] vollends des Drucks der Arbeiterorganisationen entledigen, sie hinwegräumen, zertrümmern, zersplittern. Hier setzt die historische Funktion des Faschismus ein. Er bringt jene Klassen auf die Beine, die sich unmittelbar über das Proletariat erheben und fürchten, in dessen Reihen gestürzt zu werden, organisiert und militariseirt sie unter Deckung des offiziellen Staates mit den Mitteln des Finanzkapitals und treibt sie zur Zertrümmerung der proletarischen Organisationen, der revolutionären wie der gemäßigten.

Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repression, Gewalttaten, Polizeiterror. Der Faschismus ist ein besonderes Staatssystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustand erzwungener Zersplitterung zu halten. Dazu ist die physische Ausrottung der revolutionären Arbeiterschicht ungenügend. Es heißt, alle selbständigen und freiwilligen Organisationen zu zertrümmern, alle Stützpunkte des Proletariats zu zerstören und die Ergebnisse eines dreiviertel Jahrhunderts Arbeit der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zu vernichten. Denn auf diese Arbeit stützt sich in letzter Instanz auch die Kommunistische Partei.“ (Trotzki,  „Was nun?“ 27.1.1932)

Die Stalinisten aber sahen im Faschismus nur eine weitere Form kapitalistischer Herrschaft und stellten ihn auf eine Stufe mit anderen bürgerlichen Regimen. So kam es zu der Äußerung, Sozialdemokratie und Faschismus seien „Zwillinge“, d.h. eben nur zwei verschiedene Formen bürgerlicher Herrschaft, der „Sozialfaschismus-Theorie“. Diese „Theorie“ verwirrte die Arbeiterbewegung: Wenn das eine so schlimm ist wie das andere, worin liegt dann noch die Gefahr von Hitlers Aufstieg?

Volksfront führt zur Niederlage

Nach dem blutigen Scheitern ihrer Sozialfaschismus- „Theorie“ schwenkten die Stalinisten um, und forderten eine „Volksfront“, d.h. die Zusammenarbeit der Arbeiterorganisationen mit „fortschrittlichen“ Bürgerlichen gegen den Faschismus. Die Folgen dieser Wende zahlten die ArbeiterInnen im Spanischen Bürgerkrieg mit ihrer Niederlage. „Die Arbeiter und Bauern vermögen nur dann den Sieg zu erringen, wenn sie um ihre eigene Befreiung kämpfen. Unterstellt man unter diesen Umständen das Proletariat [Arbeiterklasse] der Führung der Bourgeoisie [Kapitalistenklasse], so garantiert man ihm von vornherein eine Niederlage im Bürgerkrieg.“ (Trotzki, „Die spanische Lehre“)

Genauso agierten allerdings in Spanien die Stalinisten: Aus Rücksicht auf die Kapitalisten wurden Landbesetzungen und Betriebsbesetzungen im Bürgerkrieg zurückgenommen, eine neue Front in den eigenen Reihen damit eröffnet, RevolutionärInnen ermordet, die dagegen ankämpften. Dies mündete im Sieg Francos.

Einheitsfront

Gegen „Sozialfaschismus“- und „Volksfront“-Theorie kämpfte die Internationale Linke Opposition für eine Einheitsfront der Arbeiterorganisationen. Auch wenn die sozialdemokratischen Führer schon damals eine klare Politik im Interesse des Kapitals machten, so sahen doch noch viele ArbeiterInnen die sozialdemokratischen Parteien als ihre Parteien an. Sie stellten damals die Basis dieser Organisationen. Ein Wesenszug des Faschismus lag in seiner existenziellen Bedrohung auch für diese Arbeiterparteien mit bürgerlicher Führung. Das heißt auch für die sozialdemokratischen Parteien bestand ebenso wie für Gewerkschaften und Kommunistische Parteien die Bedrohung und damit die Notwendigkeit der Selbstverteidigung gegen die faschistische Gefahr. Auf dieser Grundlage forderte Trotzki die Bildung einer Einheitsfront: Gemeinsamer Kampf gegen den Faschismus auf der Grundlage einer scharfen Trennung zwischen den Organisationen der  Arbeiterklasse auf der einen  und den Parteien des Kapitals auf der anderen Seite. Also eine scharfe Trennung auch gegenüber den bürgerlichen Parteien, die aus Angst vor ihrer eigenen politischen Entmachtung dem Faschismus ablehnend gegenüberstanden. Einem solchen Appell zu einer Einheitsfront aller Arbeiterorganisationen hätten sich auch sozialdemokratische Parteien und Gewerkschaften nicht entziehen können – war die Bedrohung doch greifbar. Die Dynamik dieses Bündnisses hätte auf der Grundlage des Interesses der Arbeiterklasse – ohne falsche Rücksichtnahmen auf die „fortschrittlichen“ Bürgerlichen – erfolgen können. Forderungen zur Verteidigung der ArbeiterInnen, zum Beispiel eine Entmachtung der hinter den Faschisten stehenden Kapitalisten, hätten sich recht natürlich aus dem gemeinsamen Kampf heraus entwickelt. Aus dem Kampf aller  Arbeiterorganisationen gegen die unmittelbare Bedrohung des Faschismus hätte sich der Kampf um die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse für revolutionär-sozialistische Ideen entwickelt, als einzigem Ausweg vor der kapitalistischen Konterrevolution in Gestalt des Nationalsozialismus entwickelt.

Statt diese Einheit zu organisieren, vertieften sozialdemokratische und stalinistische Führer die Spaltung der ArbeiterInnen. Die SPD beschimpfte die KPD als rot-lackierte Nazis, die KPD antwortete mit der „Sozialfaschismus-Theorie“. Die Spaltung führte zur Niederlage. Erst in den KZs fanden sich SozialdemokratInnen, KommunistInnen, GewerkschafterInnen vereint. Die Vernichtung der AktivistInnen der Arbeiterbewegung, der Juden, Sinti und Roma, Homosexueller und unzähliger anderer wurde grausameRealität.

Gründung der Vierten Internationale

Nachdem die kommunistischen Parteien weltweit zu reinen Außenstellen Moskaus geworden waren und ihre Verräterische Rolle besonders beim Sieg des Faschismus in Deutschland 1933 deutlich geworden war, zogen Trotzki und die MitkämpferInnen der Internationalen Linken Opposition die Schlussfolgerung, dass eine neue Internationale aufgebaut werden müsse, um der Arbeiterklasse einen Ausweg aus Kapitalismus und Stalinismus aufzuzeigen und anzubieten. So entstand 1938 die Vierte Internationale, in deren Tradition das Komitee für eine Arbeiterinternationale (KAI) steht. Dessen Mitglied in Deutschland ist die Sozialistische Alternative.

Übergangsprogramm

Die Gründung der Vierten Internationale beruhte also auf der Erkenntnis, dass sowohl sozialdemokratische als auch die „kommunistischen“, in Wahrheit stalinistischen, Parteien zu Hindernissen im Kampf um eine sozialistische Revolution geworden waren. Gleichzeitig orientierten sich aber viele ArbeiterInnen immer noch an ihnen. Während also die objektiven Bedingungen international längst reif für eine sozialistische Umgestaltung waren, ja sogar danach drängten – die Widersprüche im Kapitalismus trieben auf den zweiten Weltkrieg zu – war die Arbeiterklasse nicht auf der Höhe der Zeit. Genauer: „Die gegenwärtige Krise der menschlichen Kultur ist eine Krise der proletarischen Führung“ (Trotzki „Übergangsprogramm“, das Gründungsdokument der Vierten Internationale, 1938)

Daraus ergab sich die strategische Aufgabe, die sich die Vierte Internationale setzte: „Die strategische Aufgabe der nächsten Periode besteht darin, den Widerspruch zwischen der Reife der objektiven Voraussetzungen für die Revolution und der Unreife des Proletariats und seiner Vorhut (Ratlosigkeit und Entmutigung der alten Generation, Unerfahrenheit der jungen) zu überwinden. Man muss den Massen im Verlauf ihres täglichen Kampfes helfen, die Brücke zwischen ihrer augenblicklichen Forderungen und dem sozialistischen Programm der Revolution zu finden. Diese Brücke muss aus einem System von Übergangsforderungen bestehen, die von den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewußtsein breiter Schichten der Arbeiterklasse ausgehen und stets zu ein und demselben Schluss führen: zur Machterorberung des Proletariats.“ (Trotzki, „Übergangsprogramm“)

Im „Übergangsprogramm“ der Vierten Internationale wird dies bei wichtigen Fragen aufgezeigt, z.B. dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit durch die Forderung nach Verteilung der vorhanden Arbeit auf alle durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn. Es geht darum, die unmittelbaren Probleme der Beschäftigten und Jugendlichen aufzugreifen und Forderungen zu entwickeln, die keine Rücksicht auf die Erfüllbarkeit innerhalb des kapitalistischen System nehmen, sondern im Gegenteil die Notwendigkeit der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft deutlich werden lassen.

Für eine sozialistische Alternative

Trotzkis Analysen und sein Kampf für den Aufbau einer Arbeiter-Internationale und eine sozialistische Demokratie machten ihn zum Feind sowohl der Kapitalisten als auch der Stalinisten. Er wurde immer wieder ausgewiesen und landete schließlich nach der Türkei, Norwegen und Frankreich in Mexico. Die stalinistische Geheimpolizei, GPU, verfolgte ihn und brachte ihn schließlich um. Doch richtige Ideen und Überzeugungen können nicht ausgelöscht werden . Kurz vor seiner Ermordung schrieb Trotzki in seinem politischen Testament:

„Ich sterbe als proletarischer Revolutionär, als Marxist, als dialektischer Materialist und – folglich – als unversöhnlicher Atheist. Mein Glaube an die kommunistische Zukunft der Menschheit hat an Glut nichts eingebüßt.

Dieser Glaube an den Menschen und seine Zukunft gibt mir auch jetzt eine Widerstandskraft, wie sie keine Religion jemals geben könnte.

Ich sehe den breiten Streifen Grün unter der Mauer, den klaren, blauen Himmel darüber und das Sonnenlicht überall. Das Leben ist schön. Mögen es die kommenden Generationen von allem Übel, aller Unterdrückung, aller Gewalt befreien und es in vollem Maße genießen."