Vor 60 Jahren. Ende von Faschismus und Zweitem Weltkrieg

Bericht über eine Veranstaltung der SAV Stuttgart mit Theodor Bergmann
 
Die bürgerlichen Medien sind voll von Berichten zum 60. Jahrestag des Kriegsendes. Während sie in der Gegenwart die Sozialreformen der Nachkriegszeit in Trümmer schlagen, die sie unter dem Druck der Arbeiterbewegung und der „Systemkonkurrenz“ mit der Sowjetunion und dem Stalinismus einführen mussten, schreiben sie auch die Vergangenheit um, indem sie den Widerstand der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus und den entscheidenden Beitrag der Sowjetunion zum Sieg über den Faschismus herunterspielen oder totschweigen. Aber diesen Zusammenhang sprechen sie natürlich nicht offen aus. Als Ausrede dafür, dass sie sich gerade mit diesem Jahrestag so ausführlich beschäftigen, sagen sie, das sei der letzte runde Jahrestag, an dem noch Zeitzeugen zu Wort kommen könnten – lassen dann aber diese Zeitzeugen nur sehr wenig zu Wort kommen.
bergmannDie SAV Stuttgart hat in ihrer Veranstaltung am 5. Mai einen Zeitzeugen ausführlich zu Wort kommen lassen. Theodor Bergmann, jüdischer Abstammung und 1916 in Berlin geboren, wurde als Schüler in sozialistischen Jugendorganisationen aktiv und schloss sich der Kommunistischen Partei Deutschland (Opposition) (KPO) an. Kurz vor der Machtergreifung der Nazis emigrierte er und kehrte 1946 nach Deutschland zurück. Sein Bruder Alfred wurde 1940 von den Nazis ermordet.

In seinem Referat ging er zuerst auf die Frage ein, wer Hitler an die Macht gebracht hat. Er betonte, dass Hitlers Ziele vor 1933 bekannt waren. Die aktive Schuld lag bei der deutschen Bourgeoisie, die Hitler an die Macht brachte, weil sie eine Zerstörung der Arbeiterbewegung und eine imperialistische Politik wollte. Bei den Organisationen der Arbeiterbewegung lag passive Schuld, weil sie im Kampf gegen den Faschismus eine falsche Politik betrieben. Die SPD war antikommunistisch und schürte u.a. Illusionen in Reichspräsident Hindenburg. Auch die KPD verstand die faschistische Gefahr nicht. Es gab aber auch Ausnahmen, wie Aufhäuser, den Vorsitzenden der Angestelltengewerkschaft Afa-Bund, der für eine Arbeitereinheitsfront eintrat, sich aber nicht durchsetzen konnte. Zum dritten liegt die Schuld bei den Konservativen aller Länder, die Hitler bis 1939 unterstützten. Z.B. ließ die britische Regierung während des spanischen Bürgerkriegs 1936-39 deutsche Kriegsschiffe durch die Straße von Gibraltar, so dass sie spanische Städte bombardieren konnten. Es gab aber keine deutsche Kollektivschuld. Man kann nicht einen deutschen KZ-Häftling und einen KZ-Wärter auf eine Stufe stellen. Die Nazis bekamen die Macht, ohne eine Mehrheit bei Wahlen bekommen zu haben.
Die zweite behandelte Frage war der antifaschistische Widerstand. Die Bürgerlichen tun so, als habe der Widerstand mit dem Attentat auf Hitler 1944 begonnen. Tatsächlich begann er 1928/29, als Organisationen wie die KPO und die Trotzkisten vor der Gefahr durch die Nazis zu warnen begannen. Der inhaltliche Unterschied war, dass die Linken den Faschismus bekämpfen wollten, während die meisten Leute des 20. Juli 1944 jahrelang mit ihm zusammenarbeiteten und ihr Ziel die Rettung des Kapitalismus war. Das Problem des Arbeiterwiderstands war aber, dass z.B. die KPD eine falsche Politik betrieb. So erklärten sie die ersten Jahre nach 1933, sie hätten keine Niederlage erlitten, da sie ja nicht gekämpft hätten.

Eine weitere Frage, die während der letzten Monate breit in den Medien diskutiert wurde, war der Bombenkrieg der Alliierten. Bergmann sagte, dass er verschiedene Ziele hatte. Zum Teil ging es um die Zerstörung des Produktionspotenzials von Nazi-Deutschland, zum Teil aber auch um die Zerstörung der Arbeiterwohnviertel. Die Kapitalisten vergessen auch im Krieg den Klassenkampf nicht und wollten die deutsche Arbeiterklasse schwächen. Dabei betonte er aber, dass es in England selbst Proteste gegen „Bomber-Harris“ gab und dass die Zerstörung von Städten durch Luftangriffe von den Nazis 1937 in Guernica in Spanien begonnen und im Zweiten Weltkrieg fortgesetzt wurde.
Zur Rolle der Roten Armee sagte er, dass sie den härtesten Widerstand geleistet hat, nachdem (außer Großbritannien) alle anderen kapituliert hatten. Die Sowjetunion brachte die größten Opfer und leistete den größten Beitrag zur Niederlage Hitlerdeutschlands. Das ist aber keine Rechtfertigung Stalins, dessen Politik die Rote Armee geschwächt hat, der unter anderem 1937 einen Großteil der Führung der Roten Armee hinrichten ließ, andere ins Lager steckte.
Zur Lage 1945 sagte er, dass die Rote Armee an der Elbe stand, in Jugoslawien eine eigene Revolution stattgefunden hatte und in China die KP auf dem Weg zum Sieg über die Kuomintang war. Auch anderswo gab es große Proteste, z.B. eine Streikwelle in Japan, Meutereien britischer Truppen im Mittelmeer, die nicht zur Unterdrückung der Revolution in Griechenland eingesetzt werden wollten. Die USA zündeten ihre Atombomben in Hiroschima und Nagasaki auch, um die Sowjetunion einzuschüchtern. Diese betrieb eine defensive Politik und wollte nur die von ihr besetzten Gebiete halten. Z.B. in Westdeutschland arbeitete die KPD mit den Besatzungsbehörden zusammen, saß in den meisten Landesregierungen und dämpfte den Widerstand der ArbeiterInnen gegen reaktionäre Maßnahmen wie die Demontagen von Industrieanlagen.

Als letzten Punkt ging er auf die Neonazis heute und den Kampf gegen sie ein. Er betonte, dass wir uns da nicht auf den Staatsapparat verlassen können.
Nach dem ausführlichen Referat wurden vor allem Fragen gestellt, teils zu seinen persönlichen Erfahrungen, teils grundsätzlicher. Bei der Beantwortung der Fragen und im Schlusswort betonte er noch, dass der Faschismus kein deutsches, sondern ein kapitalistisches Phänomen ist, allerdings in Deutschland besonders schlimm war. Er ging auch auf die vielen Kontinuitäten vom Nazi-Regime zur Nachkriegszeit ein (in Wirtschaft, Militär, Staatsapparat, Hochschulen etc.). Ein weiterer wichtiger Aspekt war auch, dass die alliierten Besatzer keineswegs eine fortschrittliche Politik betrieben, sondern dass Bewegungen von unten wie die zu Kriegsende in vielen Orten spontan gebildeten Antifa-Komitees unterdrückt wurden. (Er selbst konnte erst 1946 aus Schweden zurückkehren, weil die Besatzer ihn vorher nicht hereinließen.)
Es ist immer wieder eine Freude, dass Bergmann mit 89 Jahren noch so hellwach und engagiert ist. Auch inhaltlich war das Referat hervorragend. Bei dieser Veranstaltung war nicht oft zu merken, dass Bergmann aus einer anderen politischen Tradition als die SAV kommt. Die Veranstaltung war gut besucht, mehrere TeilnehmerInnen waren zum ersten Mal auf einer SAV-Veranstaltung. Trotzdem hätten dieser Referent und dieses Referat noch viel mehr ZuhörerInnen verdient gehabt. Aber wir haben Bergmann sicher nicht zum letzten Mal eingeladen, wer diesmal den Fehler gemacht hat, nicht zu kommen, wird das noch bei einem anderen Thema nachholen können.