Konflikt im öffentlichen Dienst

Lohnraub und Arbeitszeitverlängerung stoppen – ver.di muss streiken
 
Die Wut auf die Arbeitgeber und Politiker ist enorm gestiegen. Überall, wo Kampfangebote gemacht werden, wird sichtbar, dass diese Wut in Kampfbereitschaft verwandelt werden kann. 
Das wurde bei den Warnstreiks in der Tarifrunde 2002 und bei den Demonstrationen in den letzten zwei Jahren deutlich. Das demonstrierten die Busfahrer der Herweger Busbetriebe (HBB), die seit zehn Monaten streiken.
Dass auch Nicht-Organisierte für einen Streik gewonnen werden können, zeigte der Warnstreik an der Uni-Klinik in Tübingen am 29. Juni. Bei 8.000 Beschäftigten, einem Organisationsgrad von 20 Prozent und bei Aufrechterhaltung eines Notdienstes beteiligten sich 2.000 KollegInnen und Kollegen, Pflegkräfte, Ärzte, ArbeiterInnen und Azubis an einem Warnstreik.
Im Knappschaftskrankenhaus Sulzbach nahmen am 26. August 95 Prozent der Beschäftigten an einem Warnstreik teil. Zusammen mit 4.000 KollegInnen des öffentlichen Dienstes aus dem Saarland demonstrierten sie am selben Tag in Saarbrücken gegen die Angriffe auf die Tarifverträge. In Hamburg kam es am 2. September zur größten Kita-Demo seit 20 Jahren.
Viele KollegInnen wissen: Mit Demonstrationen, Mittagspausenaktionen, verzettelten Warnstreiks oder Nadelstichen ist den Arbeitgebern nicht beizukommen. Mit jeder Woche, die vergeht, verlieren Tausende von Beschäftigten bisher geltende tarifliche Arbeitszeiten und Löhne. Mit jeder Woche werden zugunsten der Arbeitgeber Tatsachen geschaffen. Damit schwindet das Vertrauen, dass ver.di den Kampf gewinnen kann.
Die derzeitige Auseinandersetzung ist aber zu gewinnen. Wenn die sechs Millionen ArbeiterInnen, Angestellten und BeamtInnen im direkten und indirekten öffentlichen Dienst, die alle mehr oder weniger am BAT hängen, gemeinsam zum Streik aufgerufen werden, dann geht nichts mehr bei den Verkehrsbetrieben, See- und Binnenschaffahrtshäfen, bei den Flughäfen, bei der Müllabfuhr, bei den Ämtern. Allein mit einem Streik bei den Flughäfen kann innerhalb von Stunden ein immenser ökonomischer Druck ausgeübt werden.
Die ver.di-Führung scheint vor einem solchen Szenario Angst zu haben. Wenn die Führung blockiert, dann muss Widerstand von unten durchgesetzt werden.
Durch die Abwehr der Angriffe kann die Grundlage geschaffen werden für eine offensive Tarifrunde 2005. Die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich und eine Lohnforderung von 250 Euro mehr im Monat für alle sollten die Kernforderungen für die kommende Tarifrunde sein.
Um einen Kurswechsel durchzusetzen, braucht ver.di eine starke innergewerkschaftliche Opposition. Wir rufen unsere LeserInnen dazu auf, sich aktiv am Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di zu beteiligen.

von Ursel Beck, Stuttgart

Schritt für Schritt – die bisherigen Angriffe:

Ab Herbst 2003: Erhöhung der Arbeitszeit für die BeamtInnen der Länder bis zu 42 Stunden, Kürzung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. 1. Oktober 04: 40 Stunden für die 300.000 BeamtInnen des Bundes, ihr Urlaubsgeld war schon gestrichen, Weihnachtsgeld auf 60 Prozent gekürzt.

Juni 2003: Kündigung der Tarifverträge für Weihnachts- und Urlaubsgeld durch die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL). März 04: Kündigung der Tarifverträge über Arbeitszeit durch die TdL. Für Neueingestellte und bei neuen Verträgen (Befristete, Aufstieg) gelten bereits schlechtere Bedingungen.

Arbeitgeber im indirekten öffentlichen Dienst (AWO, AOK, Berufsgenossenschaft, Bundesknappschaft, Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit) kündigen Tarifverträge.

Drohung der Kommunen: Kündigung von Tarifverträgen, möglicherweise Ende September (stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest)

Trotz Tarifbruch durch die Kündigungen: Verhandlung von ver.di mit Bund und Kommunen über „Modernisierung des Tarifrechts“ (Prozessvereinbarung). Bisherige Zugeständnisse: Absenkung im Arbeiterbereich, Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes, von Sozial- und Überstundenzuschlägen, Einführung von „Leistungslohnbestandteilen“.