“Wir versprechen euch – kommt Hartz IV, geht ihr!“

(Plakat auf der Montagsdemonstration am 9. August in Magdeburg)
Zu den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV
 
„Hartz IV, stoppen wir“, skandierten am 9. August unablässig 5.000 Menschen bei der ersten Rostocker Montagsdemonstration, denn „der IV. Hartz-Infarkt ist tödlich“, wie auf einem Plakat auf der ersten Montagsdemonstration in Leipzig zu lesen war.
Waren am 2. August 13.000 Menschen in Magdeburg, Senftenberg und Dessau gegen das größte Verarmungsprogramm der Regierung oder „den Negativgipfel der Agenda 2010“ auf der Straße, demonstrierten eine Woche später bereits 15.000 in Magdeburg, 10.000 in Leipzig, 5.000 in Rostock, 4.000 in Dresden, 3.000 in Dessau, 2.500 in Halle und mehrere Hundert oder Tausend in anderen ostdeutschen Städten. Auch in westdeutschen Städten kam es zu (weitaus kleineren) Protesten.
Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich eine kämpferische primär ostdeutsche Protestbewegung, die vielerorts den Anspruch erhebt, so lange jeden Montag zu demonstrieren, „bis Hartz IV verschwunden ist“ (so die Initiatoren der Demonstration in Magdeburg). Immer wieder erinnerten DemonstrationsteilnehmerInnen, dass sie bereits 1989 jeden Montag auf der Straße waren und dass sie es jetzt wieder sind. Die heutigen Montagsdemos sind dabei ein Ausdruck der zunehmenden explosiven Stimmung, die vor dem Hintergrund der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus existiert.
So war die Stimmung kämpferisch und von einer Wut auf „die da oben“ geprägt. In Leipzig meinte eine ältere Teilnehmerin der Demo, dass Demonstrationen nicht mehr ausreichen würden, sondern dass man die Manager endlich mal aus den Konzernetagen rausholen müsste und dass wir einen wirklichen Umsturz der Verhältnisse bräuchten. Vielen ging es nicht nur um Hartz IV, sondern um die soziale Ungerechtigkeit allgemein. Die Positionen und Forderungen der SAV fanden vor diesem Hintergrund großen Anklang. So konnten fünf SAV-Mitglieder in Leipzig 49 Zeitungen und etliche Broschüren verkaufen und sieben Leute kennen lernen, die weiteres Interesse an der SAV haben.
In Rostock hatte die SAV gemeinsam mit dem Bündnis gegen Sozialkahlschlag innerhalb von drei Tagen Tausende zur Demo mobilisiert. Tosenden Applaus bekam Christine Lehnert, SAV- Bürgerschaftsabgeordnete in Rostock, als sie die „Rostocker Erklärung“ verlas und darin forderte, dass die Gewerkschaften „endlich die Millionen Beschäftigten mobilisieren und gemeinsam mit den Erwerbslosen einen eintägigen Protest und Streiktag“ organisieren müsse. „So kann der Druck auf die Regierung und die hinter ihr stehenden Wirtschaftsbosse erhöht werden,“ erklärte sie.
Neben der SAV hatten in den jeweiligen Städten verschiedene Gruppen und Einzelpersonen zu den Demos aufgerufen. Während in einigen Städten die PDS aufrief, waren es andernorts Attac oder – wie in Magdeburg – ein ehemaliges CDU-Mitglied. Die PDS spielt in den Protesten insofern eine besondere Rolle, indem sie versucht, die explosive Stimmung zu ihren Gunsten zu nutzen und die eigene Verantwortung für die von ihr mitgetragene Sozialkahlschlagspolitik in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zu verdecken. Die Gewerkschaftsspitzen überließen es wieder einmal vor allem anderen, den Widerstand zu organisieren, statt die Kraft ihrer Organisationen zu nutzen.
Trotzdem kamen nicht nur Arbeitslose, die zum 1. Januar von der Streichung der Arbeitslosenhilfe betroffen sein werden, sondern auch ArbeiterInnen und Angestellte zu den Demos. Vielen ist klar, dass sie selbst bald die nächsten sein können und dass Hartz IV auch als Brechstange dient, bestehende Arbeitsplätze in 1 bis 2-Euro-Jobs zu verwandeln.
Als vor zwei Wochen in den Briefkästen von Hunderttausenden von Menschen der Antrag auf das „neue“ Arbeitslosengeld II lag und die Regierung verkündete, auch die Ersparnisse von Kindern in die Berechnung des Arbeitslosengeldes einzubeziehen, platzte vielen der Kragen. Nach Gesundheits- “reform“, Lohnkürzungen und Rentenklau brachte das für viele das Fass zum Überlaufen. Mit Arbeitslosenquoten in Höhe von rund 20 Prozent wie in Leipzig oder Rostock sind in Ostdeutschland massenhaft Erwerbslose und ihre Familien betroffen. Allein in Brandenburg fällt jede/r 10. Hartz IV zum Opfer. Die Frage, ob Hartz gestoppt wird oder nicht, erscheint in diesem Licht als eine lebensnotwendige Frage.

Doch wie kann Hartz IV gestoppt werden?

Die Streichung der Arbeitslosenhilfe, die Zwangsmaßnahmen für Erwerbslose und die Schaffung eines noch billigeren Niedriglohnsektors durch Hartz IV sind ein zentrales Projekt der Herrschenden. Diese „Reformen“ auf dem Arbeitsmarkt bilden das Herzstück der Agenda 2010.
Der Druck der Herrschenden, diese „Reformen“ durchzusetzen ist so groß, dass die SPD-geführte Bundesregierung Hartz IV nicht aufgeben wird (von einigen möglichen kosmetischen Veränderungen abgesehen), ohne von einer massiven politischen Massenbewegung herausgefordert zu werden. Dafür nimmt die SPD in Kauf, die eigene Krise zu beschleunigen und bei den nächsten Landtagswahlen weiter abgestraft zu werden. Dies brachte Clement deutlich zum Ausdruck, als er sagte: „Wir sind für Deutschland und nicht für die SPD gewählt worden.“ Auch Schröder betonte: „Mit mir kann es keine andere Politik geben“.
Die Montagsdemonstrationen sind ein großartiger Anfang, um die Wut der Menschen auf die Straße zu tragen. Die Regierung wird sich aber von Montagsdemonstrationen nicht von ihrem Kurs abbringen lassen. Selbst vereinzelte Streiks würden Hartz IV nicht stoppen können. Was nötig wäre, wäre eine Massenmobilisierung der Beschäftigten und der Erwerbslosen durch die Gewerkschaften. Ein bundesweiter Streik- und Protesttag mit gemeinsamen Aktionen von Beschäftigten und Erwerbslosen – ein eintägiger Generalstreik – wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Denn zeitgleich zu Hartz IV finden momentan umfassende Angriffe auf der betrieblichen Ebene statt. Lohnkürzungen von 20-30% durch Arbeitszeitverlängerung, Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld und von Schichtzuschlägen wurden bei Großbetrieben wie Siemens und DaimlerChrysler durchgesetzt. Obwohl die Stimmung unter den KollegInnen kochte, führte die IG- Metall-Spitze keinen ernstzunehmenden Kampf.
Um die Gewerkschaftsspitzen zu umfassenden Streikmaßnahmen zu zwingen ist es erforderlich, dass es auf lokaler und regionaler Ebene zu Streik- und Protesttagen von Beschäftigten und Erwerbslosen kommt. Hierbei können örtliche Bündnisse von ErwerbslosenvertreterInnen und GewerkschafterInnen eine wichtige Rolle spielen. Gewerkschaftliche und betriebliche Linke müssen sich vernetzen und die Initiative dazu ergreifen, um die Blockade der Gewerkschaftsführung zu durchbrechen.
Dringend notwendig ist es aber auch, den Neonazis, die in einigen Orten die Montagsdemonstrationen für ihre rassistische Propaganda nutzen, entgegenzutreten. Nicht unsere ausländischen ArbeitskollegInnen sind an der Arbeitslosigkeit schuld, sondern Konzerne wie Siemens und DaimlerChrysler, die trotz horrender Gewinne ohne Rücksicht auf das Schicksal von tausenden Menschen und ihren Familien Konzernteile verlagern oder dichtmachen wollen. Deshalb müssen wir uns den Nazis in den Weg stellen und sie aus den Demos vertreiben. Wir müssen davor warnen, dass die Herrschenden und ihre Medienmaschinerien die Existenz von Neonazis auf den Demos nutzen werden, um unsere Proteste zu verunglimpfen.

von Lucy Redler, Berlin