Erfolgskurs? Krisenkurs!

Die EU zwischen Erweiterung und Neuwahlen
 
Am 1. Mai traten zehn Staaten mit 75 Millionen Menschen der EU bei. Begleitet wurde das von einer langgezogenen Medienkampagne, die direkt in den Wahlkampf zum EU-Parlament übergeht. All das kann aber nicht vertuschen, dass die EU für die Banken und Konzerne und gegen die Masse der Bevölkerung sowohl in den alten als auch neuen Mitgliedsländern arbeitet. Es kann auch nicht vertuschen, dass die EU in der Krise steckt.
In vielen Beitrittsländern gab es zunächst große Hoffnungen in die EU. Sie sind immer mehr der Enttäuschung gewichen. Statt Freizügigkeit für ArbeitnehmerInnen gibt es ?Übergangsfristen? bis 2011 (und wird dieser Termin genauer eingehalten werden als die Maastricht-Kriterien?), während denen diese 75 Millionen Menschen EU-BürgerInnen zweiter Klasse sind.
Die EU-Agrarsubventionen für die Neuländer betragen nur rund ein Viertel der Subventionen für die westeuropäischen Agrarkonzerne, so dass sie ihnen in einem sehr ungleichen Wettbewerb gegenüberstehen. Polen ist im ersten Jahr sogar Netto-Zuzahler in die EU-Kasse.
In den meisten Beitrittsländern herrschte bis 1989/91 Stalinismus. Die danach entstandenen Parteien haben fast alle ihre ganzen Hoffnungen auf den EU-Beitritt gesetzt. Sie versuchen, durch eine knallharte neoliberale Politik internationale Investoren anzulocken. Zum Beispiel gibt es in der Slowakei einen Einheitssteuersatz von 19 Prozent. Tatsächlich benutzen multinationale Konzerne diese Länder als ?verlängerte Werkbank?. VW, Peugeot-Citroën und Hyundai errichten in der Slowakei riesige Autofabriken. 2007 sollen 150 Autos pro 1.000 Einwohner produziert werden. Aber in der Autoindustrie gibt es jetzt schon gigantische Überkapazitäten und die Nachfrage schwankt im Konjunkturverlauf stark.
Wenn Länder so einseitig von einer Branche abhängig gemacht werden, ist eine schwere Krise vorprogrammiert.
Abgesehen davon gieren die Konzerne schon über die neuen EU-Grenzen hinaus: Nicht nur wir sollen mit den niedrigen Löhnen in Polen oder der Slowakei erpresst werden. Die ArbeiterInnen dort werden genauso mit den noch niedrigeren Löhnen in Rumänien oder Bulgarien erpresst.
Dagegen hilft nicht Nachgeben, sondern Widerstand. Jetzt schon trägt die wachsende Kontrolle der Wirtschaften der Beitrittsländer durch deutsche und andere westeuropäische Konzerne zur steigenden Opposition der Bevölkerung gegen die EU bei.
Die wachsende Kluft zwischen der Politik der Parteien und der Stimmung der Bevölkerung führt zu massiver Instabilität. In Polen ist fraglich, ob die jetzigen Regierungsparteien im nächsten Parlament überhaupt vertreten sein werden. Neue Parteien werden gebildet, die vor den Wahlen das Blaue vom Himmel versprechen und nach den Wahlen vor der neoliberalen Politik kapitulieren und bei der darauffolgenden Wahl fortgejagt werden.
Die EU-Kommission will mehr Geld von den Mitgliedsländern; aber dagegen laufen viele reiche EU-Länder (die Schröder-Regierung allen voran) Sturm. 2004 bis 2006 sollen die Beitrittsländer netto 25 Milliarden Euro bekommen. Verglichen mit den Zahlungen für das viel kleinere Ostdeutschland ist das lächerlich und auch die waren offensichtlich viel zu niedrig (abgesehen davon, dass in beiden Fällen ein Großteil des Geldes in die Taschen westlicher Konzerne fließt und nicht bei der Bevölkerung ankommt).

von Wolfram Klein, Stuttgart

Welche Wahl haben wir?
Am 13. Juni sind Europawahlen. Viele ArbeiterInnen, Erwerbslose und Jugendliche fragen sich angesichts der Bedeutungslosigkeit des Europaparlaments zurecht, welchen Sinn diese Wahl macht.

Zur Wahl stehen die Sozialabbauer aus den Bundes- und Landesregierungen, Rechtsextremisten und kleine, unbedeutende Gruppierungen. Man kann es niemandem verdenken, wenn er oder sie nicht an der Europawahl teilnimmt oder ungültig wählt. Die SAV sagt: keine Stimme den Rechten und den Regierungsparteien SPD, Grüne, CDU / CSU, FDP und PDS. Der Sozialabbau und die gewerkschaftsfeindliche Politik des ?rot-roten? Senates in Berlin sollte nicht durch eine Stimmabgabe für das vermeintlich kleinere Übel PDS akzeptiert werden.
Leider wurde die bundesweite Initiative für eine neue Partei, die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit, zu spät gegründet, um bei diesen Wahlen antreten zu können. Manche werden der Meinung sein, dass man an den Wahlen teilnehmen muss, um die Rechtsextremisten zu schwächen. Es ist verständlich, wenn aus dieser Erwägung heraus ArbeiterInnen und Jugendliche für eine der kleinen linken Kandidaturen stimmen. Die linken Kandidaturen sind aber völlig bedeutungslos, haben keine Verankerung in der Arbeiterklasse und weder Aussicht auf einen Wahlerfolg noch darauf, starke sozialistische Arbeiterorganisationen aufzubauen. Aus unserer Sicht bietet keine der antretenden linken Listen ein Programm und eine Perspektive für den Widerstand der Arbeiterklasse und der Jugend gegen die kapitalistische Sozialkahlschlagspolitik und für den Aufbau einer neuen Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm. Ein Wahlaufruf für eine dieser Listen kommt für die SAV daher nicht in Frage.
Wir rufen dazu auf, sich aktiv in den Widerstand im Betrieb, in den Gewerkschaften und auf der Straße einzubringen und diesen europaweit gemeinsam mit den Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen der anderen Länder zu führen. Wir rufen dazu auf den Diskussionsprozess über die Bildung einer neuen Linkspartei voran zu treiben und treten darin dafür ein, eine neue kämpferische und demokratische Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm aufzubauen. Wir rufen jeden und jede dazu auf, in der SAV für eine sozialistische Zukunft aktiv zu werden.

von Sascha Stanicic, Berlin