Mehr Soldaten und mehr Heroin

Das sind die einzigen Bereiche des Aufschwungs in Afghanistan
 
Seit etwa zweieinhalb Jahren befindet sich die Bundeswehr mit ungefähr 2.000 deutschen Soldaten in Afghanistan, um Menschenrechte und Demokratie einzuführen, das Land aus der Knechtschaft der Warlords zu befreien und den entrechteten Frauen ihre Freiheit zurückerobern. Das waren die hehren Ziele der allierten Streitkräfte. Weit von der versprochenen Stabilität entfernt, gerät Afghanistan außer Kontrolle der Besatzer und die Situation der Menschen verschlechtert sich ? auch wenn das kaum möglich scheint.
Seit dem 4. Januar 2004, dem Ende der Afghanischen Ratsversammlung, der Loja Dschirga, ist Afghanistan eine Islamische Republik. So steht es in der von 502  Delegierten (90 weibliche Delegierte)  verabschiedeten Verfassung.
Dass bei der Auszählung der Stimmen insgesamt 23 Stimmen mehr abgegeben wurden als stimmberechtigte Delegierte anwesend waren, störte nur wenig, denn Stimmenkauf und Korruption gehörten ohnehin zum Politgeschäft. So ist der  Reigierungsbevollmächtigte Modjadedi am 4. Januar mit einer Verfassung vor die Presse getreten, die hinter den Kulissen ausgehandelt wurde, ohne endgültig abgestimmt worden zu sein.
Ein weiteres Ergebnis sind  zwar weitreichende Machtbefugnisse des Präsidenten Karsai, doch scheint dies das Vertrauen der sogenannten Geberländer in die Interimsregierung (ATA) nicht zu stäken.
Wie hoch das Vertrauen der westlichen Regierungen in die ATA ist sieht man daran, dass das Gros der 2002 versprochenen  5,25 Milliarden US-Dollar auf Konten der Weltbank liegt und  von den Geberländern vewaltet wird. An dieser Vergabepraxis wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern.
Skepsis bezüglich den Wiederaufbaufähigkeiten der Regierung sind durchaus angemessen. So ist die ATA bei ihrer wichtigsten Wiederaufbaumassnahme, der Räumung der etwa 30 Millionen Landminen nur minimal vorangekommen. Mit der jetztigen Kapazität an Mienenräumungskräften würde die Räumung 400 Jahre dauern.

Drogenhandel boomt

Was die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans anbelangt, könnten die Zahlen düsterer nicht sein. Der Staat ist bankrott und der einzige Wirtschaftszweig, der boomt ist der Drogenhandel. Laut UNO-Angaben stammen zwei Drittel des weltweit gehandelten Heroins aus Afghanistan.  Die Heroinproduktion hat sich von 2001 bis 2003 auf 360 Tonnen verdoppelt. Dass bei Drogengeschäften dieser Grössenordnung nicht lediglich eine kleine Gruppe von großen Gangstern am Werk ist, sondern eine grosse Gruppe von Politikern und Warlords versteht sich von selbst. Insofern kann auch das Eingeständnis des afghanischen Finanzministers Ashraf Ghani, es handele sich um einen ?Drogenmafia-Staat? nicht wundern.

Modell Afghanistan?

Zur Situation der Frauen sagte die Frauenrechtlerin Shahla Asad im  Interview mit der Wochenzeitung Freitag: ?Es gibt eine kaum veränderte Situation ? noch immer müssen die meisten Frauen die Burka tragen, noch immer ist es gefährlich für sie, Jobs anzunehmen, in die Schule oder auf die Straße zu gehen. Noch immer gibt es in verschiedenen Landesteilen Fälle von Kidnapping und Mord an Frauen.?
Die Delegierte Malalei Joia fand schon bei der Ratsversammlung im Januar ähnlich klare Worte: ?Hier unter diesem Zelt sitzen lauter Räuber, Drogenhändler, Verbrecher und Mörder. Sie haben das Land aus Machtgier und Geldgier zugrunde gerichtet. Sie gehören nicht in eine freie, erhabene Versammlung, sondern vor Gericht?. Seit ihrer Rede steht sie wegen Morddrohungen unter permanentem Personenschutz.
Angesichts dieser Fakten verwundert die Einschätzung von Bundeskanzler Gerhard Schröders zur Situation in Afghanistan: Er bezeichnete Afghanistan ? nach der Afghanistan-Konferenz ? als Modell für das Vorgehen der Internationalen Gemeinschaft.

Neue Kämpfe, wachsende Unruhen

Aus Sicht der NATO-Staaten muss insbesondere der stets wachsende Einfluss der Warlords der ehemaligen Nordallianz besorgniserregend sein. So hat laut Spiegel online von Anfang April Rashid Dostam Regierungstruppen in die Flucht geschlagen, seinen Einfluss ausgedehnt und die Provinzhauptstadt Maymana besetzt.
Seit Jahresbeginn seien über 200 Menschen getötet worden und aufgrund der aktuellen Sicherheitslage sei zweifelhaft, ob die für September geplanten Parlamentswahlen stattfinden können.
In einer DPA-Meldung vom 12. April 04 heisst es, der Warlord  Gulbuddin Hekmatyar habe seine Landsleute zum Aufstand gegen die USA aufgerufen. Wie im Irak sei nun auch in Afghanistan die Zeit für den Aufstand gegen die Besetzer gekommen.
In Afghanistan schein momentan alles möglich zu sein, bloss kein Ende von Krieg, Hunger und Elend für den überwiegenden Teil der Menschen.

von Eckhard Geitz, Kassel