Iran vor 25 Jahren

Eine gestohlene Revolution
 
Vor 25 Jahren wurde der iranische Schah durch Massendemonstrationen gest?rzt. ArbeiterInnen besetzten Fabriken und viele iranische Kapitalisten fl?chteten ins Ausland. Am Ende dieser Revolution stand aber keine gerechte, sozialistische Gesellschaft, sondern ein reaktion?res und unterdr?ckerisches Regime der Mullahs, das sich bis heute gehalten hat. Wie konnte aus den Hoffnungen auf eine bessere Gesellschaft der Aufstieg des islamischen Fundamentalismus im Iran werden?
Bis 1978/79 herrschte im Iran eine brutale Diktatur, unterst?tzt von den USA, mit guten Beziehungen auch nach Deutschland. 65.000 Polizisten der SAVAK, der ber?chtigten Geheimpolizei, sorgten mit Verhaftungen, Folter und Morden f?r Friedhofsruhe im Land. Jede politische Opposition wurde zerschlagen, Gewerkschaften waren illegal und das Milit?r wurde aufger?stet.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Besch?ftigten waren katastrophal, h?ufig mu?te 18 Stunden am Tag gearbeitet werden. 1978 waren in Mesched zwei Drittel der TeppicharbeiterInnen Kinder zwischen sechs und zehn Jahren und selbst in der Hauptstadt Teheran gab es keine Kanalisation.

Demonstrationen

Wegen des Verbots aller oppositionellen Parteien und Organisationen sammelte sich die Opposition vor allem in den Moscheen. Da keine linken Kr?fte auch nur versuchten, Widerstand zu organisieren, konnten radikale Predigten einen gro?en Einfluss auf die unzufriedenen Massen bekommen. Der Schah hatte zuvor den Grundbesitz der religi?sen Institutionen enteignet und so die Hauptvertreter des schiitischen, iranischen Islams gegen sich aufgebracht.
Zwischen Oktober 1977 und Februar 1978 kam es zu illegalen Massendemonstrationen f?r demokratische Rechte. Die Unterdr?ckung durch Armee und Polizei stachelte die Bev?lkerung nur weiter auf. Es kam zu Protesten der Studierenden, der Kaufleute und schlie?lich auch der ArbeiterInnen. Massenstreiks in der Industrie forderten die Freilassung politischer Gefangener und R?ckkehrm?glichkeiten f?r politische Fl?chtlinge. Die Besch?ftigten der iranischen Zentralbank enth?llten w?hrend eines Streiks, dass die herrschende Elite in drei Monaten eine Milliarde Pfund ins Ausland gebracht hatte. Daraufhin brannten w?tende DemonstrantInnen 400 Banken nieder.

Flucht des Schahs

Nachdem Streiks und Demonstrationen sich im Januar 1979 immer weiter ausbreiteten und die Armee sich in die Kasernen zur?ckziehen musste, weil sie drohte auseinanderzubrechen, floh der Schah aus dem Land.
Die Liberalen konnten die Hoffnungen der Bev?lkerung nicht ann?hernd erf?llen. Nur wenige Wochen nach der Flucht des Schahs wurde ihre Bachtiar-Regierung deshalb gest?rzt.
Schon lange richteten sich die Forderungen der Massendemonstrationen nicht mehr nur gegen den Schah: die B?uerInnen, Jugendlichen und Besch?ftigten sahen die M?glichkeit, grundlegend etwas an ihren Lebensbedingungen zu ver?ndern.
Hoffnung erweckte der Ajatollah (geistiger islamischer F?hrer) Khomeini, der aus dem Exil zur?ckkehrte und sich klar f?r ein Ende der Monarchie und gegen eine Milit?rdiktatur aussprach. Wegen dieser Positionen f?r Freiheit und Demokratie bekamen die Mullahs und Khomeini Unterst?tzung von gro?en Teilen der Mittelschicht und teilweise auch der ArbeiterInnen.

Khomeini

Khomeini nutzte diese Situation aus, um sich mit einem nicht gew?hlten ?Revolutionsrat? an die Spitze der Gesellschaft zu stellen und eine islamische Republik auszurufen. W?hrend er f?r eine utopische Gesellschaft eintrat, die in vielen Punkten ein Zur?ck zum Mittelalter bedeutet h?tte (zum Beispiel Zinsen und Wucher abzuschaffen, ohne das kapitalistische Profitsystem anzutasten), wurde er unter dem Druck der Massenbewegung zu immer weitergehenden Ma?nahmen getrieben.
Nur knappe vier Monate nach dem Zusammenbruch des Schahregimes wurden die Banken, Versicherungen und der gro?e Teil der iranischen Industrie verstaatlicht, ohne dass die Eigent?mer sich trauten, offen Widerstand zu leisten.
W?hrend Khomeini von den Aufst?nden zu diesen Ma?nahmen gezwungen wurde, versuchte er gleichzeitig die Bewegung zu bremsen, wo immer er konnte. Als Reaktion auf die Bewaffnung der Massen forderte er alle auf, die Waffen an den Kasernen oder Moscheen abzugeben.
Als nach dem Aufstand im Februar 1979 eine Welle von Streiks und Betriebsbesetzungen begann, warnte er die ArbeiterInnen vor AktivistInnen mit ?attraktiven Forderungen? und bezeichnete diejenigen, die den Generalstreik fortsetzen wollten, als ?Verr?ter? .
Trotzdem setzten die ArbeiterInnen ihre Streiks fort. Wo die Bosse geflohen waren, versuchten sie die Produktion selbst wieder aufzunehmen. Es kam zu einer Massenabwanderung iranischer Kapitalisten und immer ?fter zu Zusammenst??en zwischen DemonstrantInnen und Khomeinis Revolutionsgarden, die versuchten, die Arbeiterbewegung zur?ckzuhalten.
Immer wieder blieb dem ?Revolutionsrat? nichts anderes ?brig, als den Forderungen der ArbeiterInnen nachzukommen, um sich an der Macht zu halten. So wurde zum Beispiel eine kostenlose medizinische Versorgung, kostenloser Transport, die Streichung von Strom- und Wasserrechnungen und die Subvention von Konsumg?tern erreicht. Die Streiks in den Betrieben wurden dabei durch Massenm?rsche der Arbeitslosen und Landbesetzungen durch die B?uerInnen unterst?tzt.
Zunehmend setzte Khomeinis ?Revolutionsrat? dagegen auf direkte Unterdr?ckung der AktivistInnen.
Auch sonst wurde immer deutlicher, f?r welche reaktion?ren Ideen Khomeini stand: das Verbot von Musik, das Auspeitschen von nicht verheirateten Liebespaaren, das Erschie?en von Prostituierten … Der Versuch Schleierpflicht f?r Frauen einzuf?hren scheiterte zun?chst im M?rz 1979 am Widerstand von ArbeiterInnen, aber w?hrend die Entfremdung vieler Besch?ftigter von Khomeini zunahm, fehlte eine Alternative.

Arbeiterbewegung ohne Organisation

Die iranischen ArbeiterInnen waren durch die Massenproteste, den viermonatigen Generalstreik und den Aufstand im Februar 1979 die entscheidende Kraft in der Bewegung gegen den Schah. Die Fabrikbesetzungen hatten im Ansatz gezeigt, zu was die ArbeiterInnen in der Lage gewesen w?ren, wenn sie ein klares Programm nicht nur zum Sturz des Schahs, sondern auch des kapitalistischen Ausbeutungssystems gehabt h?tten.
Wegen ihrer ?konomischen Macht und durch die gemeinsame Erfahrung im Kampf gegen die Unternehmer ist die arbeitende Bev?lkerung die Kraft in der Gesellschaft, die eine sozialistische Revolution anf?hren kann.
Im Iran stand eine Revolution der Besch?ftigten, B?uerInnen und Arbeitslosen auf der Tagesordnung, die mit Ausbeutung und Unterdr?ckung f?r immer Schluss gemacht h?tte. Die Erfolge, die w?hrend der iranischen Revolution erzielt wurden, gingen auf die Aktivit?t der ArbeiterInnen zur?ck.
Eine marxistische Partei, mit Verankerung in den Betrieben und den richtigen Vorschl?gen zum weiteren Aufbau der Revolution h?tte verhindert, dass die islamischen Kr?fte um Khomeini mit ihren schwammigen Parolen die Macht in die H?nde bekommt, um die Uhr zur?ck zu drehen. Sie h?tte damit angefangen Rede- und Organisationsfreiheit, freie Wahlen und Pressefreiheit zu fordern, f?r den Acht-Stunden-Tag und die F?nf-Tage-Woche zu k?mpfen und dies mit der Forderung nach einer revolution?ren verfassungsgebenden Versammlung verbunden. Neben der Verstaatlichung der gro?en Industrien h?tte auch der Au?enhandel verstaatlicht und die gesamte Industrie unter die demokratische Kontrolle der Besch?ftigten gestellt werden m?ssen. In den besetzten Betrieben und L?ndereien w?re es notwendig gewesen, Komitees zu w?hlen. Nur durch eine gesellschaftliche Planung h?tte der Reichtum des Landes gerecht verteilt und die Reste der feudalen Struktur aufgehoben werden k?nnen.
Eine revolution?re Kraft, mit einer klaren Vorstellung einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft h?tte es einfach gehabt, die Armee nicht nur vor?bergehend au?er Kraft zu setzen, sondern f?r den gemeinsamen Kampf zu gewinnen Das h?tte enorme Auswirkungen auch auf alle umliegenden L?nder gehabt.

Tudeh ? die Kommunistische Partei

Doch die Kommunistische Partei, Tudeh, h?ngte sich nach dem Sturz des Schahs an den Rockzipfel Khomeinis.
Im Januar 1979 ver?ffentlichte sie eine Erkl?rung, ?die der Forderung nach der Errichtung islamischer Revolutionsr?te im ganzen Land volle Unterst?tzung gibt. […] Die Tudeh-Partei sagte, sie sehe das politische Programm von Ajatollah Khomeini in ?bereinstimmung mit der Position, die sie selbst eingenommen hatte.? (?Morning Star?, Zeitung der britischen KP, 27. Januar 1979)
Gerade in dem Moment, in dem die Massen die Macht in den H?nden hielten, als der Schah gest?rzt war und ein gewisses Machtvakuum existierte, sprach die Tudeh von der Errichtung ?einer demokratischen moslemischen Republik?.
Mit dieser Vorstellung einer b?rgerlichen, demokratischen Republik ? mit R?cksicht auf den moslemischen Klerus ? ordnete die Tudeh die Bed?rfnisse der k?mpfenden ArbeiterInnen, die die Revolution trugen, den Bed?rfnissen der Mittelschichten und einheimischen Kapitalisten unter. Dies entspricht der stalinistischen ?Etappentheorie? der Kommunistischen Parteien: Ihr zufolge stellt sich f?r r?ckst?ndige L?nder die Aufgabe, zun?chst eine kapitalistische ?Etappe? zu erk?mpfen, um dann auf der Grundlage der kapitalistischen Entwicklung f?r eine sozialistische Revolution einzutreten. Doch f?r diesen Zwischenschritt, der b?rgerlichen Entwicklung wie etwa in England oder Frankreich nach den b?rgerlichen Revolutionen, l?sst heute die Aufteilung der Welt unter den imperialistischen M?chten, ihre ?konomische und politische Vorherrschaft, keinerlei Spielraum. Auf kapitalistischer Grundlage gibt es keinen Ausweg, diese L?nder zu entwickeln. Somit kann ? wie bei der Russischen Revolution 1917 ? von r?ckst?ndigen L?ndern aus die Revolution begonnen werden. Sie muss aber, solange sie einen Ausweg f?r die ArbeiterInnen und kleinen B?uerInnen aufzeigen soll, einen sozialistischen Charakter annehmen. Sie kann nur im internationalen Rahmen, durch die Ausbreitung der Revolution, letztendlich erfolgreich sein.
Hintergrund der ?Etappentheorie? war, dass die Tudeh, wie auch die kommunistischen Parteien in anderen L?ndern, weitgehend von der Moskauer B?rokratie beherrscht wurde. Nach der russischen Revolution gelang es der B?rokratie mit Stalin an der Spitze ? aufgrund der R?ckst?ndigkeit Russlands und der internationalen Isolation der russischen Revolution ?, die Kontrolle ?ber den Staatsapparat zu gewinnen. Anstatt der ArbeiterInnen durch R?te (auf russisch: Sowjets) herrschte eine abgehobene Schicht. Kapitalismus und Gro?grundbesitz blieben in Russland abgeschafft, aber die Gesellschaft stand unter der Diktatur dieser B?rokratie. Stalin und Co hatten kein Interesse mehr an der Ausbreitung einer sozialistischen Revolution. Viel mehr h?tte eine demokratische, sozialistische Gesellschaft ihre eigene Macht bedroht, wenn die Bev?lkerung der Sowjetunion diesem Beispiel gefolgt w?re und die B?rokratie gest?rzt h?tte.
Ziel der Sowjetunion war deshalb nicht mehr die Ausbreitung der Revolution, sondern die eigenen au?enpolitischen Interessen. Noch im Dezember 1978 hatte Stalins Nach-Nachfolger Breschnew dem Schah einen Geburtstagsgru? mit vielen Freundschaftsbeteuerungen geschickt.

Iran-Irak-Krieg

Im September 1980 begann der Irak mit dem Angriff auf den Schatt el Arab den Krieg gegen den Iran. Der irakische Pr?sident Sadam Hussein hatte zum einen gehofft, die iranische Armee sei durch die Revolution geschw?cht. Zum anderen wollte er ein f?r alle mal die Gefahr ausschlie?en, eine Revolution unter F?hrung der Mullahs k?nnte in den Irak ?berschwappen.
Allerdings hatte er sich dabei versch?tzt. Die irakische Armee war zwar technisch viel besser ausger?stet, stand aber einer viel motivierteren iranischen Revolution gegen?ber und konnte so kaum Erfolge erzielen. Die iranische Bev?lkerung hatte ihre Revolution noch nicht verloren gegeben und, weil viele ehemalige Gener?le des Schahs auf Seiten des Iraks k?mpften, konnte Khomeini den Krieg als Verteidigung der Revolution darstellen.
Milit?risch war keine Seite in der Lage, die andere zu besiegen, nicht zuletzt wegen den enormen milit?rischen Lieferungen der USA und anderer imperialistsicher Staaten an den Irak.
W?hrend des achtj?hrigen Krieges gab es insgesamt ?ber eine Million Tote und Verletzte und auf beiden Seiten wurden barbarische Methoden angewandt.
Die anf?ngliche Motivation, mit dem Khomeini-Regime die Revolution zu verteidigen, lie? in der iranischen Bev?lkerung auch schnell nach.

Iran heute

Nachdem die Revolution und die M?glichkeit zum Sturz des Kapitalismus vorbei waren gelang es der Regierungsclique, ein relativ stabiles reaktion?r-islamisches Regime aufzubauen. Die Linke und jede Form von Opposition wurden brutal unterdr?ckt. Die meistem versteckten sich, mussten fliehen oder waren Haft und Folter ausgesetzt.
Der islamische Fundamentalismus verbreitete sich in der moslemischen Welt. Einerseits fand damit eine Stimmung Ausdruck, die sich radikal gegen den US-Imperialismus wandte. Andererseits dr?ckte sich damit der Verrat der arabischen nationalen F?hrer und der Kommunistischen Parteien aus. Der politische Islam gab und gibt der antiimperialistischen Stimmung ein reaktion?res Gesicht, zumal die radikalen T?ne schnell verloren gingen, die Kohmeini zu Beginn der Revolution und in Folge der St?rke der Arbeiterklasse noch anschlagen musste.
Die Taliban oder Al-Qaida bieten ArbeiterInnen keinerlei Alternative und keinen Weg, ihre Unterdr?ckung zu beenden. Im Gegenteil, sie orientieren den Widerstand gegen den Imperialismus auf reaktion?re, religi?se Ziele. In den letzten Jahren hat es im Iran immer wieder Proteste, vor allem von Jugendlichen und Studierenden gegeben. Die iranische Elite ist gespalten, wie sie mit diesem wachsenden Unmut umgehen soll. Ein moderaterer Teil um den Pr?sidenten Chatami setzt auf Zugest?ndnisse und kleine Reformen, um die Bev?lkerung ruhig zu halten, ein anderer auf st?rkere Unterdr?ckung. W?hrend noch bei den Studentenprotesten 1999 viele der DemonstrantInnen Hoffnungen in den moderateren Teil hatten, hat sich das jetzt ge?ndert. Bei den letzten gro?en Protesten im Juni 2003 forderten die Studierenden die Abschaffung der islamischen Republik und bekamen gro?e Unterst?tzung aus der Bev?lkerung.
Es kann sehr schnell gehen, dass die Wut gegen das Regime und die anhalten Angriffe auf den Lebensstandard der iranischen Bev?lkerung in einer gro?en Welle von Streiks und Protesten ausbricht.

von Tinette Schnatterer, Stuttgart