Zeit für eine Strategie der Gegenwehr

Mit politischen Streiks die Interessen der Mitglieder verteidigen
von Ursel Beck, Stuttgart
 
Die Gewerkschaftstage von IG Metall und ver.di zeigten, dass die Vorstände der beiden größten Einzelgewerkschaften der Welt nicht bereit sind, die gewerkschaftliche Kampfkraft einzusetzen, um die Angriffe von Seiten der Unternehmer und ihrer Parteien zurückzuschlagen.
Sie sind auch nicht bereit den Bruch mit der SPD zu vollziehen, obwohl die SPD längst zur Unternehmerpartei geworden ist. Ganz anders sehen das eine Reihe Delegierter und gewerkschaftlicher Gliederungen, die in verschiedenen Anträgen und Redebeiträgen bei den Kongressen Gegenwehr – auch gegen die Schröder-Regierung – einforderten.
Die Blockade der Gewerkschaftsführungen erlaubte der Schröder-Regierung, ihre Maßnahmen bisher durchzusetzen. Daraus entwickelte sich eine Diskussion über die Konsequenzen. Die Debatten auf den Kongressen müssen weitergeführt werden, um die bisherigen kampflosen Niederlagen wett zu machen. Das gilt für das Verhältnis zur SPD genauso wie für politische Streiks, für Tarifpolitik, Gesundheitspolitik und alle anderen Bereiche.

Unmut bricht sich Bahn

Eine Vielzahl kritischer RednerInnen kam zu Wort, die auf sehr viel Zustimmung stießen. Auf dem ver.di-Gewerkschaftstag wurde in vier Anträgen die Unterstützung der Demonstration am 1. November gefordert. Das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di, ein bundesweiter Zusammenschluss kritischer GewerkschafterInnen, brachte darüberhinaus einen Initiativantrag zu einem bundesweiten Generalstreik ein (zu Redaktionsschluss wurde über die Anträge noch nicht beraten).
Obwohl bei beiden Gewerkschaftstagen (IG Metall und ver.di) eine klare Stimmung für einen Aufruf zur Demo am 1. November vorhanden war, lehnen die Bundesvorstände das ab.
Ein Antrag der Bezirkskonferenz Nordhessen fordert „demokratische Planung und Investitionslenkung, Überführung von markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmen in Gemeineigentum“. Die Bezirkskonferenz Märkischer Kreis fordert gleichlautendes.
Auf Treffen von linken Delegierten des ver.di-Kongresses nahmen bis zu 60 Leute aus verschiedenen Regionen, vor allem aus Nordrhein-Westfalen teil.
Eine wichtige Diskussion dort war eine Initiative für ein bundesweites Treffen der Linken in ver.di im Frühjahr 2004. Dies stellt einen großen Fortschritt dar.
Aufgabe von Linken in ver.di ist es, eine Strategie für den Widerstand vorzuschlagen. Dazu gehören politische Streiks gegen Sozialkahlschlag. Demonstrieren allein reicht nicht, nur mit Streiks wird die Regierung in die Knie zu zwingen sein. Um diese durchzusetzen, ist ein Kampf in den Gewerkschaften für das Mittel des politischen Streiks nötig.
Die ver.di-Linke muss sich aber auch das Ziel setzen, eine inhaltliche und personelle Alternative zur heutigen ver.di-Spitze aufzubauen und auch bei Wahlen – spätestens beim nächsten Gewerkschaftstag – mit Gegenkandidaturen für eine Alternative einzustehen.

Betriebliche Kämpfe

Die Entwicklung in den nächsten Wochen und Monaten wird die Auseinandersetzung verstärkt in die Betriebe tragen. Nicht nur im öffentlichen Dienst greifen die Arbeitgeber die Beschäftigten an.
Diese betrieblichen Auseinandersetzungen müssen mit dem Kampf gegen Sozialabbau insbesondere gegen die anstehenden Angriffe auf die Renten und die Tarifautonomie verbunden werden.
Die Streiks in den Metallbetrieben im Mittleren Neckarraum haben das Argument der Gewerkschaftsführung bereits widerlegt, dass wir nach dem Streikabbruch in Ostdeutschland nicht mehr streikfähig wären. Die nächsten Treffen der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken müssen genutzt werden, um zu diskutieren, welchen Beitrag die Linken in den Gewerkschaften leisten können, um eine große Streikbewegung aufzubauen.

Delegiertenstimmen vom ver.di-Kongress
Die bürgerlichen Medien verbreiteten die Reden von Bsirske. Solidarität verbreitet einige Stimmen von Delegierten, die vor Redaktionsschluss protokolliert waren.

„Die Rede von Joschka Fischer gestern habe ich als eine Unverschämtheit und als Aggressivität empfunden, die teilweise unbeschreiblich war. (Lebhafte Zustimmung). Man fühlt sich körperlich schlecht, sich so etwas anhören zu müssen. Aber er hatte Gründe dafür und wusste, warum er hier so auftreten musste: um uns möglichst klein zu halten und unsere Opposition und unseren Widerstand nicht zur Geltung kommen zu lassen. […] Der Ministerpräsident von Italien hat Ende September verkündet: Wir wollen, dass die Menschen fünf Jahre länger arbeiten, bevor sie in Rente gehen können. Zehn Tage später haben die italienischen Gewerkschaften für den 24. Oktober zum Generalstreik aufgerufen. Ich sage: Die Regierung Berlusconi wird zurückweichen. Dazu sollten wir auch kommen.“ (lebhafter Beifall)
Helmut Born, Mitglied im Landesbezirksvorstand in Nordrhein-Westfalen

„Wir müssen wahrscheinlich Hungermärsche machen. Wir müssen wieder überlegen, wie wir überleben können. Das ist keine kleine Arbeit. Wir brauchen oft einen ganzen Tag, wenn wir kein Geld für Fahrkarten haben, um unsere Lebensmittel zusammenzuholen. Das wird auch eine Aufgabe von uns sein, um die Menschen wieder zusammen zu bringen und Stadtteilarbeit zu machen. (Beifall)“
Anne Eberle, einzige Delegierte der ver.di-Erwerbslosenkonferenz

„Verkürzt gesagt: Kolleginnen und Kollegen, wer in unserem Staat die Vermögenssteuer tabuisiert und gleichzeitig die Sozialhilfe kürzt, also mehrere Millionen Menschen sehenden Auges in Armut stürzt, der macht doch klar, für welche Politik er steht. (Beifall).
Aus meiner Sicht sind wir, die Gewerkschaften […] derzeit die einzige relativ starke gesellschaftliche Kraft, die möglicherweise diesen Kurs bremsen, vielleicht auch wenden kann. Dazu müssen wir allerdings kämpfen und müssen bei unseren offiziellen Ankündigungen immer darauf achten, dass wir nicht wie ein Tiger starten und dann schlussendlich als Bettvorleger landen. (Beifall) […] Wenn die Sozialdemokratie inzwischen soweit in der Realität angekommen ist, dass sie Begriffe wie soziale Gerechtigkeit und demokratischer Sozialismus als Vision aus ihrem Gedankengut streichen will, dann müssen wir uns überlegen, ob das für uns ein natürlicher Bündnispartner ist. (Beifall)“
Bernd Schumann

„Es wird oft gesagt, wir würden die Köpfe nicht erreichen. Ich frage mich wirklich, ob das stimmt. Ich war in den letzten zwei, drei Monaten auf einer ganzen Reihe von Betriebs-, Personal- und Mitarbeiterversammlungen. Immer ging es um die Themen Agenda, Sozialabbau, Gesundheitsreform. Ich habe festgestellt, dass ich in den meisten Versammlungen nicht mit Redebeiträgen oder Fragen, die etwa im Sinne der Arbeitgeber oder der Politik gewesen wären, konfrontiert wurde. Im Gegenteil. Aber das, was ich häufiger gefragt worden bin, war: Was tut eigentlich ver.di dazu?“
Wolfgang Zimmermann aus Nordrhein-Westfalen