Europäisches Sozialforum in Florenz

Eine Million demonstrieren gegen den drohenden Irak-Krieg
60.000 Menschen aus über 100 Nationen nahmen vom 7. bis 10. November am ersten Europäischen Sozialforum (ESF) in Florenz teil. Wie bereits beim Weltsozialforum in Porto Allegre, Brasilien, gab es auch hier vier Tage lang Diskussionen, Veranstaltungen, Workshops …

von Davide Bastone, Malena Alderete, Stuttgart, und Sascha Stanicic, Berlin

Dies ist eine ausführlichere Version des Artikels der in der Solidarität Nr. 9 erschien.
 
Schon eine Woche zuvor wurden BesucherInnnen des ESF schikaniert: Die italienische Regierung setzte das Schengener Abkommen außer Kraft. Zehn Tage lang wurden die Grenzübergänge nach Österreich und Frankreich kontrolliert. Man wollte so verhindern, dass „Störer“ in die toskanische Hauptstadt kommen, hieß es aus Rom. 1.000 AktivistInnen wurden an den Grenzen zurückgewiesen. Die italienische Regierung hatte erst am Donnerstag entschieden, das Sozialforum und die geplante Großdemonstration gegen den drohenden US-Angriff auf den Irak doch nicht zu verbieten.
Genutzt haben ihre Einschüchterungsversuche nichts: Das ESF und die Demonstration gegen den Krieg waren ein riesiger Erfolg der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung.

An der Anti-Kriegs-Demonstration am Samstag, dem 9. November, nahmen anstatt der erwarteten 200.000 Menschen, circa eine Million teil. Die Kreativität der Bewegung kannte wieder einmal keine Grenzen. Es gab ein Meer von Schildern, Transparenten und Fahnen, einige hatten sich ihre Gesichter bemalt, TrommlerInnen machten Musik und viele tanzten.
Es herrschte eine sehr friedliche, festliche und politisierte Stimmung. Die Parolen waren sehr kämpferisch und ständig wurden Arbeiterlieder gesungen.
EinwohnerInnen von Florenz, die nicht auf der Straße waren, standen an den Fenstern und beteiligten sich mit Jubel und Beifallsbekundungen.
Aus den Fenstern wurden rote Fahnen geschwenkt, weiße Bettlaken und die überall zu sehende Regenbogen-Friedensfahne rausgehängt, die AnwohnerInnen winkten und applaudierten dem Demozug. Viele erhoben ihre Fäuste.
An einem Fenster hielt eine Familie ein Stück Pappe mit der Aufschrift raus: „tornate anche domani“ – „kommt morgen wieder“.
Aber auch am Straßenrand standen Menschenreihen, die auf die DemonstrantInnen warteten. Ein Mann hatte seinen Regenschirm beschriftet und aufgespannt: „grazie ragazzi“ – „Danke Jugend“.

Proteste aus Betrieben und Gewerkschaften

Die Proteste waren auch deshalb so stark, da die italienischen Gewerkschaften sehr gut vertreten waren, allen voran die CGIL aber auch die Cobas und weitere Basisgewerkschaften. Laut der italienischen Tageszeitung „La Republica“ nahmen 200.000 CGIL-Mitglieder an der Demo teil. Diese stellten auch einen großen Anteil der OrdnerInnen. Leider marschierten diese GewerkschafterInnen nicht gemeinsam in einem Block, der die Macht der Gewerkschaften und der Arbeiterklasse eindrucksvoll hätte zur Schau stellen können. Die Demo richtete sich nicht nur gegen den geplanten Irak-Krieg, sondern zum Beispiel auch gegen die Änderung des Artikel 18, dem Abbau von Kündigungsschutz.
Vor allem die Fiat-ArbeiterInnen waren in den Blöcken verschiedener Gewerkschaften vertreten. Das Management des italienischen Autoherstellers hatte vergangene Woche Massenentlassungen und die Schließung des Werks Termini Imerese bei Palermo angekündigt. Dadurch würde die Arbeitsplatzsituation auf Sizilien sich noch weiter verschlechtern.
Entsprechend forderte der CGIL-Bezirk Palermo auf einem Transparent in Florenz den Generalstreik gegen die Massenentlassungen. Auch auf einem Podium des ESF hatten Vertreter von CGIL und COBAS davon gesprochen, dass die gesamte italienische Arbeiterbewegung auf die Fiat-Krise reagieren müsse.

Diskussionen auf dem ESF

Die Debatten auf dem ESF befassten sich vor allem mit den Themenkomplexen „Globalisierung und Liberalismus“, „Krieg und Frieden“ und „Bürgerrechte und Demokratie“. So breit wir die Themenpalette und die Teilnehmerschaft waren auch die geäußerten Meinungen. Abhängig von den jeweiligen Ausrichtern von Veranstaltungen, wurde entweder „brav“ im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung debattiert und überlegt, ob diese etwas sozialer gestaltet werden kann, während auf anderen Veranstaltungen die Notwendigkeit betont wurde, den Kapitalismus als das Grundübel der Welt anzuprangern und für seine Abschaffung zu kämpfen. Die Stimmung, vor allem der jungen italienischen TeilnehmerInnen, war sehr antikapitalistisch. Unterm Strich kann man sagen, dass sich die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung weiter nach links entwickelt und immer mehr AktivistInnen auf der Suche nach einer grundlegenden Systemalternative sind. Dem wird von den führenden Organisationen und Köpfem wie zum Beispiel Attac, aber nicht entsprochen. Sie bieten keine wirkliche Vorstellung an, wie eine andere Welt aussehen und wie sie erreicht werden kann.
Eine der größten Veranstaltungen, mit ca. 5.000 TeilnehmerInnen, fand zur Frage „Parteien in der Bewegung“ statt, daran nahmen unter anderem Fausto Bertinotti, Vorsitzender der Kommunistischen Partei (Rifondazione Comunista – RC), Christian Ströbele, Grüner Bundestagsabgeordneter und Bernard Cassen, Präsident von Attac Frankreich teil. Auch bei dieser Diskussion dominierte die Kriegsfrage. Bertinotti erklärte, dass keine Partei „die Führung“ der Bewegung übernehmen sollte. Er betonte hingegen, dass die Pluralität der Bewegung ihre Stärke sei.
Obwohl Bertinotti wie kein anderer Redner gefeiert wurde, passt er sich damit der Stimmung in der Bewegung an. Viele AktivistInnen haben eine berechtigte Skepsis gegenüber politischen Parteien, denn sie haben die schlechte Erfahrung mit der Verbürgerlichung der sozialdemokratischen Parteien und dem Rechtsruck, dem Parlamentarismus und den bürokratischen Strukturen der kommunistischen (in Wirklichkeit stalinistischen) Parteien gemacht. Leider hat kein Redner darauf hingewiesen, dass eine solche Diskussion nicht in erster Linie um die Frage der Organisationsform, sondern der politischen Inhalte und Programme gehen muss. Bertinottis Pluralismus ist letztlich ein Verzicht darauf, revolutionär-sozialistische Ideen offensiv zu verbreiten und eine Kampforganisation dafür zur Verfügung zu stellen. Er, aber auch die anwesenden Redner anderer sozialistischer Gruppierungen, hat die Gelegenheit verpasst die Debatte um eine sozialistische Alternative in den Mittelpunkt des ESF zu stellen. Dies ist umso bedauerlicher und unverständlicher, da  Stimmung auf dieser Veranstaltung aber auch insgesamt bei ESF vom fortgeschrittenen Bewusstsein in Italien geprägt war. Begriffe wie Sozialismus, Kommunismus und Revolution waren allgegenwärtig.
Nur in Nebensätzen wurde von den VertreterInnen der linken Parteien auf die Rolle und Kraft der Arbeiterklasse hingewiesen, was bei den zwei vergangenen Generalstreiks in Italien ohnehin offensichtlich wurde. Aber die Bedeutung der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen, vor allem der Gewerkschaften, für den Aufbau einer Bewegung, die tatsächlich eine „andere Welt“ möglich machen kann, wurde kaum betont.
Eine lebendige Diskussion über die nächsten Aufgaben und über den Aufbau der Bewegung, wäre ein wichtiger Schritt gewesen um die Bewegung voranzubringen.

SAV und CWI beim ESF

Das Komitee für eine Arbeiterinternationale (englische Abkürzung: CWI – die internationale sozialistische Organisation, der die SAV angeschlossen ist) war mit AktivistInnen aus Russland, der Ukraine, Kasachstan, England, Wales, Griechenland, Italien und Deutschland beim ESF vertreten. Unter anderem sprach der kasachische Arbeiterführer und CWI-Mitglied Aynur Kurmanow bei Veranstaltungen. Er betonte als einziger Redner die Notwendigkeit neue Arbeiterparteien aufzubauen.
Am Info-Stand des CWI und bei Veranstaltungen betonten CWI-Mitglieder die Notwendigkeit die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung mit den alltäglichen Kämpfen der Arbeiterklasse gegen Entlassungen, Werksschließungen, Sozialabbau und Privatisierungen zu verbinden. Und CWI-Mitglieder sprachen sich deutlich dafür aus, dass die andere Welt eine sozialistische Welt sein muss, wenn sie die Krisen und Kriege des Kapitalismus beenden will.

Gemeinsam gegen kapitalistische Globalisierung und Krieg

Das Sozialforum und die Demonstration waren trotzdem ein weiterer Erfolg für die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung. Allen bürgerlichen Kommentatoren, die die Bewegung nach dem 11. September 2001 tot geschrieben haben wurde eine klare Botschaft mitgeteilt: Wir sind da und wir werden immer mehr! Zwei Phänomene sind dabei von besonderer Bedeutung: Erstens die größere Beteiligung von Gewerkschaften bei diesem ESF als beim Weltsozialforum in Porto Alegre oder ähnlichen Veranstaltungen in der Vergangenheit. Das bietet die Chance den wachsenden Antikapitalismus mit den sozialen und betrieblichen Kämpfen der Arbeiterklasse zu vernetzen. Zweitens die Einheit der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung und der Bewegung gegen den Krieg. Dementsprechend beziehen sich die konkreten Ergebnisse des ESF auf den Aufbau einer massenhaften Protest- und Widerstandsbewegung gegen den drohenden Irak-Krieg. Es wurde festgehalten, dass sowohl am Samstag nach dem Kriegsbeginn als auch am 15.2. in allen europäischen Metropolen Massendemonstration durchgeführt werden sollen.