Eine andere Welt ist möglich – eine sozialistische Welt ist nötig

Bericht vom 2. Weltsozialforum in Porto Alegre 2002
von Sascha Stanicic, SAV-Bundessprecher und Teilnehmer beim WSF

 
„Eine andere Welt ist möglich“ war das Motto des zweiten Weltsozialforums (WSF), das vom 31. Januar bis 5. Februar 2002 im brasilianischen Porto Alegre im Bundesstaat Rio Grande do Sul stattfand. Für eine Woche war das WSF so etwas wie eine kleine „andere Welt“. Mit über 50.000 TeilnehmerInnen nahmen diesmal fast dreimal so viele Menschen teil, wie im letzten Jahr. darunter waren über 15.ooo Delegierte, die über 5.000 verschiedene Organisationen – Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Bauernvereinigungen, soziale Bewegungen, politische Organisationen – repräsentierten. Es fanden über 700 verschiedene Veranstaltungen – Konferenzen, Seminare, Workshops – statt.
Allein diese Zahlen drücken aus, dass das WSF als ein großer politischer Erfolg für die Bewegung gegen Neoliberalismus und kapitalistische Globalisierung zu bewerten ist. Die Bewegung befindet sich seit der Demonstration gegen die Welthandelsorganisation (WTO) im Herbst 1999 in einem Aufschwung und dieser wurde durch den 11. September und den Krieg gegen Afghanistan nicht unterbrochen. Diese Wahrheit manifestierte sich beim WSF, auch wenn bürgerliche Medien, Politiker und Wirtschaftsbosse in den letzten Monaten versucht haben, die Bewegung in „gute“ und „schlechte“ GlobalisierungskritikerInnen zu spalten, auch wenn versucht wurde die AktivistInnen der Bewegung in die Ecke von Terroristen zu schieben und auch wenn von den VertreterInnen des Kapitalismus gehofft wurde, die Bewegung könne durch die Ereignisse des 11. September in eine Desorientierung geraten. Das Gegenteil war der Fall: die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung hat sich mit der Bewegung gegen den Krieg verbunden und beide Bewegungen haben sich gegenseitig befruchtet.
Das Komitee für eine Arbeiterinternationale hat am Weltsozialforum und dem Interkontinentalen Jugendcamp (an dem noch einmal ca. 15.000 Jugendliche teilgenommen haben) mit einer Delegation von Mitgliedern aus Brasilien, Irland, Deutschland und dem Internationalen Sekretariat aktiv teilgenommen. Wir haben eigene Veranstaltungen im Rahmen des Jugendcamps angeboten und aktiv den Aufbau der „Movimento Dos Sem Educacao“ (MSE – Bewegung der Bildungslosen) voran getrieben. MSE kämpft für ein kostenloses und öffentliches Bildungswesen und fordert die Möglichkeit für alle Jugendlichen, die Universität besuchen zu können. Hintergrund ist ein weitgehend privates Universitätswesen in Brasilien, in dem hohe Studiengebühren und sehr anspruchsvolle Aufnahmeprüfungen der breiten Mehrheit der Jugend den Zugang zu den Hochschulen verwehren. Während diese Bewegung vor dem WSF nur im Großraum Sao Paulo (mit über 20 Millionen EinwohnerInnen tatsächlich ein Großraum) existierte, konnten während des WSF/Jugendcamps Jugendliche aus acht brasilianischen Bundesstaaten kennen gelernt werden, die nun ein Netzwerk bilden wollen und gemeinsam an den Aufbau von MSE gehen wollen.
Das WSF ist als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum (WEF) konzipiert, welches seit Mitte der 70er Jahre jährlich im schweizerischen Kurort Davos stattfindet und dieses Jahr zum ersten Mal in New York City. Das WEF ist das Forum der großkapitalistischen „Elite“ der Welt. Dort kommen 2.500 Wirtschaftsbosse und Politiker zusammen. Die Teilnahme kostet $ 25.000 und Voraussetzung für die Teilnahme für Wirtschaftsvertreter ist, dass das Unternehmen einen Mindestumsatz von $ 1 Milliarde jährlich macht.
Auch das WEF hat ein Motto: „Verpflichtet den Zustand der Welt zu verbessern“. In Wirklichkeit ist das Leitmotiv der TeilnehmerInnen beim WEF „Verpflichtet den Zustand der Unternehmensbilanzen zu verbessern“. Das WEF ist das Forum zur Intensivierung neoliberaler Politik und weltweiter Ausbeutung. Darüber dürfen die heuchlerischen Diskussionen über Bekämpfung der Armut und Lösung der Schuldenkrise der armen Länder nicht hinwegtäuschen. Diese Diskussionen drücken vor allen Dingen den Druck aus, den die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung seit 1999 entfalten konnte, auf den auch die SpitzenvertreterInnen von Wirtschaft und Politik reagieren müssen.
Diese sind nach NYC gegangen, weil sie hofften dort Gegendemonstrationen und Protesten entgehen zu können. Im schweizerischen Davos war es im letzten Jahr zu Protesten und Demonstrationen gekommen und die Schweiz führte den größten Militäreinsatz ihrer Geschichte zum „Schutz“ des WEF durch. Ruhe hatten die Bosse und Bonzen in NYC aber nicht, dort demonstrierten über 10.000 Jugendliche, ArbeitnehmerInnen und Arbeitslose und machten deutlich, dass sie das WEF nicht willkommen heißen. Damit wurde der nach dem 11.9. in den USA zerrissene Faden der globalisierungskritischen Bewegung wieder aufgenommen und ist die Bewegung dort an ihren weiteren Aufbau gegangen.
Der Unterschied zwischen NYC und Porto Alegre hätte nicht größer sein können. Dort mussten sich die Kapitalisten von 4.000 Polizisten schützen lassen und sich verschanzen. Hier fand ein offenes und solidarisches Forum mit zehntausenden aus der ganzen Welt statt. Menschen aller Hautfarben, beider Geschlechter (43 Prozent der TeilnehmerInnen waren Frauen) und verschiedener sexueller Orientierungen kamen zusammen und gaben dem WSF auch einen Volksfestcharakter. Auf dem Campus der katholischen Universität konnte man keine zwei Schritte gehen ohne in eine Demonstration oder eine Musik- oder Theateraufführung zu geraten.
Das WSF wird getragen von verschiedenen Organisationen – Nichtregierungsorganisationen, ATTAC, der Zeitung Le Monde Diplomatique – und dem Stadtrat von Porto Alegre und der Regierung des Bundesstaates Rio Grande do Sul. Stadt und Bundesstaat werden von der Arbeiterpartei (PT) regiert. Dort gibt es den sogenannten „partizipativen Haushalt“ (oder Beteiligungshaushalt). Die Haushaltsberatungen werden öffentlich und unter Einbeziehung sozialer Bewegungen, Gewerkschaften etc. geführt. Diese kommen auf speziellen Versammlungen zusammen und können selber über die Vergabe von 15 Prozent der Haushaltsmittel entscheiden.

Lateinamerika

Der größte Teil der TeilnehmerInnen kam aus Brasilien und Lateinamerika. Es ist kein Zufall, dass das WSF auf diesem Kontinent stattfindet und sein Charakter ist nur vor dem Hintergrund der Ereignisse in Lateinamerika zu verstehen. Einerseits ist Lateinamerika durch Neoliberalismus und kapitalistische Globalisierung schwer getroffen. Als Stichworte seien hier nur die Schuldenkrise, massive Privatisierungsprogramme und die Wirtschaftskrise der letzten Jahre genannt. Lateinamerika ist aber auch zu einem Zentrum des Widerstandes geworden. So gab es vor zwei Jahren einen Volksaufstand in Ecuador, der für einige Tage die Regierung stürzte und der neue Formen der Selbstorganisation der Massen (die Volksparlamente) hervorbrachte. Im bolivianischen Cochabamba ging die Bevölkerung gegen die Privatisierung der Wasserversorgung erfolgreich auf die Barrikaden und im Dezember des letzten Jahres stürzte der argentinische Volksaufstand einen Präsidenten nach dem anderen.
Aber auch die Situation in Brasilien selber ist hochinteressant und explosiv. In diesem Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an und der wahrscheinliche Kandidat der Arbeiterpartei (PT), Lula, liegt bei den Meinungsumfragen vorne. Dabei darf die PT nicht mit der europäischen Sozialdemokratie gleich gesetzt werden. Während diese ehemalige Arbeiterparteien sind, die heute zu durch und durch bürgerlich-kapitalistischen Parteien und zur Speerspitze des Neoliberalismus geworden sind, ist die PT immer noch eine reformistische Arbeiterpartei. Auch sie hat eine Führung, die ihren Frieden mit dem Kapitalismus geschlossen und eine sozialistische Perspektive aufgegeben hat und auch die PT hat in den 90er Jahren dem Anpassungsdruck nachgegeben. Aber sie formuliert nach wie vor Reformforderungen, ist in der Arbeiterklasse und unter GewerkschafterInnen tief verankert und in ihr wirken verschieden linke und sozialistische Strömungen, die sich unter dem Namen „Sozialismus oder Barbarei“ zusammen geschlossen haben. Ein nationales Treffen von „Sozialismus oder Barbarei“ mit 400 VertreterInnen fand während des WSF in Porto Alegre statt. Bei diesem Treffen konnten Joe Higgins für die irische Socialist Party und Andrei Ferrari für die brasilianische CWI-Sektion „Socialismo Revolucionario“ sprechen.
Lula sprach unter anderem auf einer Kundgebung beim Jugendcamp und trat dort äußerst wortradikal auf. Würde Gysi eine solche Rede halten würde er wahrscheinlich verhaftet und aus der PDS ausgeschlossen. Lula bezeichnete das kapitalistische Wirtschaftssystem als pervers und sagte, es biete der Jugend keine Bildung und eine Zukunft der Drogenabhängigkeit und der Kriminalität. Er sagte, wenn er Präsident sei, werde das Volk Brasilien regieren und sprach sich gegen die nord- und südamerikanische Freihandelszone aus. Die herrschenden Klassen Brasiliens und der USA haben Panik, dass die PT die Wahlen gewinnen könnte. Nicht zuletzt, weil dann nach Argentinien und Venezuela ein drittes Land – und diesmal das größte des Kontinents – versuchen könnte aus dem neoliberalen Mainstream auszubrechen.
Die Wahlen werden auch vor dem Hintergrund einer Zunahme der sozialen Kämpfe stattfinden, so hat der Gewerkschaftsdachverband CUT für März einen Generalstreik gegen Flexibilisierung, Deregulierung und den Abbau von Arbeitnehmerrechten ausgerufen. Gegen diese Mobilisierungen der Arbeiterbewegung und der Linken organisiert sich die Rechte. So wurden in den letzten Wochen mehrere PT-Politiker entführt und zwei ermordet, gab es einen Mordanschlag auf José Rainha, den Führer der Landlosenbewegung MST und überfiel eine bewaffnete Bande die Zentrale der CUT und stahl die gesamte Computerausrüstung. Niemand zweifelt daran, dass an diesen Aktionen Teile des Staatsapparates und des Militärs beteiligt sind und es sich um Einschüchterungsversuche handelt

FTAA/ALCA

Neben den Ereignissen in Argentinien war die Freihandelszone der Amerikas (engl. FTAA, spanisch ALCA) ein wichtiges Thema während des WSF. Dieser Plan stieß auf einhellige Ablehnung, da die ALCA nur den Interessen des nordamerikanischen Kapitals dienen wird. ALCA soll letztlich eine Erweiterung der NAFTA (Freihandelszone seit 1994 zwischen Kanada, USA und Mexiko) sein. Ziel der USA ist es einen einheitlichen und liberalisierten Wirtschaftsblock unter ihrer Dominanz zu schaffen, durch den sie den Einfluss europäischer Konzerne in Lateinamerika zurück drängen können.
Die Auswirkungen, die ALCA auf die lateinamerikanischen Länder haben wird, kann man sich ausmalen, wenn man sich die Auswirkungen der NAFTA auf Mexiko betrachtet. Hier sind acht Millionen Menschen in Armut geraten und eine Million ist unter den Mindestlohn gefallen. In den Freihandelszonen wurden Arbeitsschutzstandards und Umweltschutzauflagen abgebaut, die Arbeitszeit beträgt zwölf Stunden und mehr, Kinderarbeit nimmt zu.
ALCA wird auch einen weiteren Privatisierungsschub bedeuten und das Vertragswerk sieht vor, dass einmal privatisierte Betriebe nicht mehr rückverstaatlicht werden dürfen. ALCA greift auch ein Prinzip des gescheiterten MAI-Abkommens und der WTO-Runde auf: die Gleichstellung von privaten Unternehmen und Staaten. Damit soll den ärmeren Ländern die Möglichkeit genommen werden, sich gegen Investitionen und Interventionen der nordamerikanischen Konzerne zur Wehr zu setzen.

Krieg und Militarismus

Auch der Krieg gegen Afghanistan und die Militarisierung im allgemeinen waren ein zentrales Thema und stießen auf einhellige Ablehnung. Zu den bestbesuchten Veranstaltungen gehörte die Veranstaltung „Eine Welt ohne Kriege ist möglich“, auf der Noam Chomsky sprach.
Vittorio Agnolotti, der Sprecher des Genua Sozial Forums, sagte zu dem Thema: „Wir sind ein und dieselbe Bewegung: unser Kampf ist gegen den Neoliberalismus und gegen den Krieg.“ Und in der Erklärung der sozialen Bewegungen, die sich im Laufe des WSF mehrmals getroffen haben, heißt es: „Im Namen des ‘Krieges gegen den Terrorismus‘ werden in der ganzen Welt zivile und politische Rechte verletzt. Mit dem Krieg gegen Afghanistan, in dem ebenfalls terroristische Methoden angewandt wurden, und mit den zukünftigen bereits vorbereiteten Kriegen, befinden wir uns in einem permanenten globalen Krieg. Seine Ausweitung wurde durch die Regierung der USA und ihrer Alliierten entfesselt, um ihre Herrschaft zu festigen. Dieser Krieg enthüllt das brutalste und nicht akzeptable Gesicht des Neoliberalismus. (…) Die Opposition gegen diesen Krieg ist eines der konstitutiven Elemente unserer Bewegungen.“

Konflikte auf dem WSF

Es gab bei diesem WSF aber auch Widersprüche, Auseinandersetzungen und Kontroversen und Entwicklungen, die eine Gefahr für die Bewegung darstellen. Vergleicht man die „offiziellen Reden“, die bei den Konferenzen während des WSF gehalten wurden mit den Debatten, die auf den Fluren und den Diskussionen in Seminaren und auf dem Jugendcamp stattfanden, dann drängt sich der Eindruck auf, dass die Masse der TeilnehmerInnen deutlich weiter links stand und weiter gehende, antikapitalistische Positionen vertrat, als die RednerInnen bei den Konferenzen (zu denen ja auch nur die Delegierten Zugang hatten und bei denen es keine offenen Diskussionen gab, sondern nur schriftlichen Fragen an das Podium gerichtet werden konnten).
Es gab auch eine Auseinandersetzung über die Teilnehmerpolitik des WSF. Einerseits haben zum Beispiel sechs französische Minister, ein Vertreter von Chirac, ParlamentarierInnen, die für den Krieg gestimmt haben, KommunalpolitikerInnen, die Abschiebungen unterstützen teilgenommen. Aus diesem „Spektrum“ wurde von Seiten des Organisationskomitees des WSF nur zwei Menschen geraten, auf die Teilnahme zu verzichten: dem belgischen Premierminister und einem Vertreter der Weltbank. Andererseits wurde Fidel Castro, Hugo Chavéz, baskischen Befreiungsorganisationen und der kolumbianischen Guerilla FARC die Teilnahme verweigert. Begründung: Staatsmänner und bewaffnete Organisationen können nicht teilnehmen. Doch mit Mitgliedern der französischen Regierung war offensichtlich eine bewaffnete Organisation anwesend, nämlich der französische Staat.
Diese Teilnehmerpolitik halten wir für falsch, da sie eine Abgrenzung nach links darstellt, während betont wird, dass der Dialog mit den Institutionen des Kapitalismus geführt werden soll. Sie drückt aus, dass die führenden Kräfte des WSF keine Politik betrieben, die über die Grenzen der kapitalistischen Gesellschaft hinausgeht, sondern einen rein reformistischen Ansatz vertreten.

Alternativen?

Wir haben das Bewusstsein der Masse der AktivstInnen der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung oft so charakterisiert: sie wissen wogegen sie sind, aber sie wissen nicht wofür sie sind (bzw. sie haben keine Vorstellung einer gesellschaftlichen Alternative).
Dies hat sich auch bei dem WSF ausgedrückt. Natürlich hat es intensive Diskussionen über aufzustellende Forderungen und mögliche Alternativen gegeben. Aber die offiziellen RednerInnen sind weit hinter den Diskussionsstand zurückgefallen, den die Linke vor 1989 zur Frage gesellschaftlicher Alternativen entwickelt hatte. In vielen Fällen mögen sie nicht wissen wofür sie sind, sie wissen aber wofür sie nicht sind – für eine grundlegend sozialistische Veränderung der Gesellschaft. So bleiben die meisten der VertreterInnen der verschiedenen NGO‘s, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ganz im Rahmen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Nur sehr wenige werfen die Systemfrage in allgemeiner Form auf und kaum einer von ihnen beantwortet sie.
Auf die Frage, welche Antworten denn zu geben sind, bekommt man viele verschiedene Antworten.
Naomi Klein, ganz Aktivistin, würde sagen, dass es nicht nur eine Alternative zur kapitalistischen Globalisierung gibt, sondern hunderte und dass von diesen keine verworfen werden sollte. Gleichzeitig drückt sie einen kämpferischen und aktionistischeren Ansatz aus, wenn sie sagt „Wir brauchen keine Zivilgesellschaft, sondern zivilen Ungehorsam.“
José Bové‚ sagt, dass die fanzösischen Volksmassen 1789 auch nicht wussten, was am nächsten Tag passieren würde, als sie die Bastille stürmten und spricht sich dafür aus, die Frage der Alternativen zu klären, wenn „die Bastille gestürmt ist“.
Vandana Shiva betonte, dass die „andere Welt“ auf weiblichen Werten aufgebaut sein sollte.
Martin Khor spricht sich eindeutig für eine keynesianistische Wirtschaftspolitik aus.
Roberto Savio sagt, die Zivilgesellschaft müsse darauf bestehen, dass die gewählten Regierungen die Aufgaben erfüllen, die von ihnen erwartet werden.
ATTAC stellt weiterhin die Besteuerung von Devisentransaktionen in den Mittelpunkt ihrer Alternativen.
Das Internationale Forum zur Globalisierung, dem auch Vandana Shiva und Walden Bello angehören, betont unter anderem die Bedeutung einer Reform der Vereinten Nationen.
Walden Bello spricht sich eindeutig für eine Entglobalisierung auf kapitalistischer Grundlage aus und fordert die Stärkung nationaler Ökonomien und regionaler Wirtschaftsblöcke. Er fordert die Auflösung des IWF und betont, dieser solle durch keine neue internationale Institution ersetzt werden. Sehr allgemein spricht er sich dann für eine Stärkung von NGO‘s und multilateralen Abkommen aus und fordert ein „pluralistisches, dezentrales und demokratisches System“.
Susan George schlägt in ihrer Zustandsbeschreibung der Welt einen schärferen Ton an, als die meisten anderen RednerInnen. Sie bezeichnet den Krieg der USA gegen Afghanistan als „imperialistisch“ und sagt, das System müsse aufgebrochen und die Herrschenden dazu gezwungen werden, ihre Macht aufzugeben, da sie es nicht freiwillig machen werden. Sie spricht von drei Krisen, denen die Menschheit sich ausgesetzt sieht: erstens die Krise der Armut und Ungleichheit (zu der sie die Weltwirtschaftsrezession, Entlassungen und Überkapazitäten zählt), zweitens die ökologische Krise und drittens die Krise der Demokratie.
Doch in ihren Schlussfolgerungen geht sie nicht über die Forderung nach Umverteilung der Ressourcen, eine Demokratisierung des internationalen Raums und nach der Kontrolle über die Konzerne und Finanzmärkte hinaus.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die meisten der RednerInnen sich in einigen Fragen einig waren: so der Einführung einer Tobinsteuer, der Streichung der Auslandsschulden der armen Länder, der Ablehnung von Krieg und Militarismus, der Notwendigkeit der Kontrolle der Finanzmärkte und multinationalen Konzerne und ganz allgemein den Zielen von Demokratie, Frieden, sozialer Gerechtigkeit, einer nachhaltigen umweltgerechten Entwicklung. Eine klare Strategie zur Erreichung dieser Ziele wurde nicht vertreten. Die vertretenen Ideen bewegten sich meist deutlich im Rahmen der kapitalistischen Marktwirtschaft. Die Frage der Kontrolle über Märkte und Konzerne wurde zwar immer wieder aufgeworfen, aber letztlich wurde die Idee vertreten, man könne die Multis kontrollieren und in Schach halten, ohne ihr Eigentum anzutasten.
Diese Vorstellungen basieren auf der Annahme, die Ursache der heutigen Probleme liege nicht in der kapitalistischen Produktionsweise im allgemeinen, sondern in der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Dies wird auch in der Erklärung der sozialen Bewegungen deutlich. Dort heißt es unter anderem: „All das vollzieht sich im Kontext einer globalen Rezession. Das neoliberale ökonomische Modell zerstört die Rechte, die Lebensbedingungen und den Lebensstandard der Völker.“
Das beinhaltet implizit die Möglichkeit eines Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, einer sozialen Marktwirtschaft und den Gedanken eine „andere Politik“ auf der Basis der bestehenden Produktionsverhältnisse reiche aus, um eine „andere Welt“ zu erreichen.

Krise des Kapitalismus

Doch Neoliberalismus und Globalisierung sind Folgen der Krise des Kapitalismus. Seit der Weltwirtschaftsrezession 1973-75 befindet sich der Kapitalismus in einer niedergehenden Phase, die durch einen Mangel an profitablen Kapitalanlagemöglichkeiten gekennzeichnet ist. Dies hatte die Aufblähung der Finanzmärkte zur Folge, da durch Finanzspekulationen mehr Gewinne erzielt werden konnten, als durch Investitionen in der Realwirtschaft. Neoliberalismus bedeutet vor allem eine verschärfte Ausbeutung der Arbeiterklasse, um die Profitraten zu verbessern. Das drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass der Anteil der Löhne am gesamten Volkseinkommen in den meisten Ländern auf historischen Tiefpunkten steht. Auch die Privatisierungswelle, die ja ein zentrales Merkmal der neoliberalen Offensive ist, diente dem Kapital dazu durch Aufkäufe (in der Regel zu Billigstpreisen) profitable Anlagemöglichkeiten zu finden.
Der Kernwiderspruch besteht also nicht in der neoliberalen Politik, sondern in einer Gesellschaft, die auf Profitmaximierung privater Konzerne und auf Konkurrenz und Marktwirtschaft aufgebaut ist. Um diese Krise zu lösen, müssen die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise überwunden werden und reicht eine alternative kapitalistische Politik zum Neoliberalismus nicht aus. Um die formulierten Ziele von Demokratie, Frieden, sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit zu erreichen, muss eine neue gesellschaftliche Grundlage geschaffen werden. Damit die Allgemeinheit die Kontrolle über die Wirtschaft ausüben kann, muss sie ihr gehören. Deshalb ist eine sozialistische Alternative nötig, die als Eckpfeiler die Überführung von Banken und Konzernen in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch Gremien der arbeitenden Bevölkerung und die Erarbeitung eines demokratisch aufgestellten Wirtschaftsplanes statt der Marktkonkurrenz vorsieht.
Die Trägerin einer solchen sozialistischen Veränderung der Gesellschaft kann nur die Arbeiterklasse, die Klasse der Lohnabhängigen, sein. Sie ist aufgrund ihrer Stellung in der Produktion als einzige gesellschaftliche Gruppe in der Lage gemeinsame Interessen und ein gemeinsames Klassenbewusstsein zu entwickeln und eine demokratische Kontrolle und Verwaltung der Wirtschaft auszuüben.
Das WSF war auch davon geprägt den Gedanken der Klassengesellschaft durch den der Zivilgesellschaft zu ersetzen (was wiederum ausdrückt, dass das WSF selber keine Arbeiterveranstaltung war, sondern einen „Mehrklassencharakter“ hatte). Für viele der RednerInnen waren die Widersprüche zwischen den Lohnabhängigen und den Unternehmern nicht die entscheidenden. Der Arbeiterklasse wurde keine zentrale Rolle im Prozess gesellschaftlicher Veränderungen zugesprochen. Ein Redner drückte das in dem Satz aus: „Wir sind acht Stunden Arbeiter, acht Stunden Konsumenten, aber 24 Stunden Bürger.“
Dem wurde durch die SpitzenvertreterInnen der anwesenden Gewerkschaften nichts entgegengesetzt. Sie schienen sich hinter der globalisierungskritischen Bewegung und der „Zivilgesellschaft“ verstecken zu wollen. So betonte ein COSATU-Sprecher, dass die Arbeiterbewegung „gemeinsam mit der Zivilgesellschaft“ vorgehen müsse, um sich nicht zu isolieren.

Argentinien

Die Dringlichkeit einer sozialistischen Alternative wird besonders deutlich, wenn man sich die Entwicklungen in Argentinien betrachtet. Nach dem völligen Zusammenbruch der argentinischen Volkswirtschaft und dem Volksaufstand im Dezember versucht die Regierung Duhalde nun einen neuen Ton anzuschlagen und eine Abkehr vom Neoliberalismus zu wagen. So sagte Duhalde: „Für viele Jahre hat man uns in Argentinien glauben gemacht, dass es in dieser neuen Weltordnung nur ein mögliches ökonomisches Modell gebe. Das ist eine völlige Unwahrheit.“
Dies bestätigt eine These, die wir in der Vergangenheit aufgestellt haben: die Weltwirtschaftsrezession kann den Prozess der Globalisierung stoppen und teilweise umkehren. Das kann zu Konflikten zwischen verschiedenen regionalen Wirtschaftsblöcken führen und den Weg bereiten für eine Zunahme protektionistischer Maßnahmen (Einführung neuer Zollschranken etc.) und von Staatsinterventionen.
Doch diese andere kapitalistische Politik dient nicht den verarmten argentinischen Volksmassen, sondern dem argentinischen Kapital. Eine Verbesserung der Lage für die breite Masse der Bevölkerung ist nicht in Sicht. Dementsprechend gering ist die Unterstützung für Duhalde, die nach Umfragen im Großraum Buenos Aires zur Zeit bei nur fünf Prozent liegt.
Während das Thema Argentinien zwar immer wieder Erwähnung bei den verschiedensten Veranstaltungen fand, wurden von Seiten der offiziellen WSF-RednerInnen kaum konkrete Alternativen für das Land vorgeschlagen.
Zumindest in Ansätzen fand man diese auf einer Veranstaltung, an der die vier größten trotzkistischen Organisationen Argentinien – MST, PO, MAS, FOS – teilnahmen. Hier wurde diskutiert, dass eine Lösung für Argentinien nur nach einem Systembruch möglich und deshalb eine Arbeiterregierung notwendig ist, die sich ausschließlich den Interessen der Arbeitenden und Arbeitslosen verpflichtet fühlt. Die Ansätze von demokratischer Selbstorganisation der Massen – in Form der Nachbarschaftskomitees und der Piqueteros – müssen dafür weiter entwickelt werden und die Enteignung von Banken und Konzernen durchgeführt werden.
Während diese Gruppen korrekt auf die Notwendigkeit von Arbeitermacht und Sozialismus hingewiesen haben, haben sie doch auch eine übertrieben optimistische Einschätzung der Lage in Argentinien vertreten, die zwangsläufig zu einer falschen Politik führen muss. So betonten sie, es handele sich um eine revolutionäre Situation, in der sich die Machtfrage für die Arbeiterklasse stelle. Als Voraussetzung dafür bezeichneten sie die Vereinigung ihrer, gerade mal etwa 5.000 Mitglieder zählenden, verschiedenen Organisationen. Wie die SAV erklärt hat, beinhaltet die Lage in Argentinien Elemente einer revolutionären Lage – die massenhafte Aktivität von ArbeiterInnen und Arbeitslosen, die Gärung unter den Mittelschichten, die Unfähigkeit der herrschenden Klasse eine einheitliche Politik zu formulieren -, die aber nicht ausreichen, um eine vollständig entwickelte revolutionäre Situation zu schaffen, in der sich die Frage der Machtergreifung für die Arbeiterklasse unmittelbar stellt. Dazu fehlt zum einen ein unter breiteren Teilen der Arbeiterklasse vorhandenes grundlegendes sozialistisches Bewusstsein. Auch hier gilt, dass die Massen wissen wogegen sie sind (nämlich gegen das gesamte kapitalistische Establishment, was in der Parole „alle müssen weg!“ zum Ausdruck kam), aber nicht genau wissen, wofür sie kämpfen sollen. Zweitens fehlt eine revolutionär-sozialistische Massenpartei mit tiefer Verankerung in der Arbeiterklasse. Diese fehlt heute nicht nur, sondern es gibt auch unter breiten Teilen der Jugend und der Arbeiterklasse eine explizite Ablehnung von Parteien und der Idee, sich in Parteien zu organisieren. Das sind verkomplizierende Faktoren, die den revolutionären Prozess in Argentinien verzögern. Deshalb kann man heute nur von einer vor-vor-revolutionären Lage sprechen.
Argentinien zeigt aber eines ganz deutlich: ohne revolutionäres Programm und eine revolutionäre Führung können die Massen einen Präsidenten nach dem anderen stürzen, der Kapitalismus bleibt aber bestehen und findet einen Ausweg, seine Macht zu erhalten.

Jugendkonferenz

Oftmals hatte man den Eindruck, es finden zwei Weltsozialforen statt – das eine, „offizielle“ auf den Konferenzen, das andere während der Debatten auf den Fluren, in den kleineren Seminaren und auf dem Interkontinentalen Jugendcamp. Hier wurde intensiv darüber diskutiert, wie „eine andere Welt“ aussehen könnte und die Idee des Sozialismus war stark vertreten.
Die zweitägige Jugendkonferenz hatte einen deutlich antikapitalistischen und grundlegend sozialistischen Charakter. Viele der RednerInnen aus allen Teilen der Welt betonten die Notwendigkeit einer sozialistischen Veränderung der Gesellschaft. Eindrucksvoll forderte der argentinische Redner die über zweitausend Jugendlichen im Saal dazu auf, sich zu erheben und las dann die Namen der über dreißig beim Dezemberaufstand von Polizei und Militär erschossenen AktivistInnen vor, um diesen Tribut zu zollen. Anschließend betonte er, dass nicht nur ein sozialistisches Argentinien, sondern eine sozialistische Welt nötig sind, um solche Krisen und Katastrophen in Zukunft zu verhindern.
Zu Kontroversen führte auf der Jugendkonferenz die Anwesenheit von RednerInnen des „offiziellen“ Kuba, der Kommunistischen Jugend und des Studierendenverbandes. Während Teile der Anwesenden mit „Cuba si, Castro no“-Rufen ihre Ablehnung des politischen Regimes auf Kuba deutlich machten, reagierte ein anderer (größerer) Teil der Anwesenden darauf mit wütenden Pro-Castro-Rufen. Eine Diskussion zu dieser Frage war in dieser aufgehitzten Atmosphäre nicht möglich. Als dann noch ein Redner der brasilianischen KP auftreten sollte, kam es zu noch größeren Unmutsäußerungen. Hintergrund dafür sind die historischen Konflikte zwischen der PT (Arbeiterpartei) und den (stalinistischen) Kommunistischen Parteien, die in der Vergangenheit nicht selten bürgerliche Kräfte gegen die PT unterstützt haben. Leider führten diese Auseinandersetzungen dazu, dass viele Jugendliche die Konferenz verließen. Das wurde dadurch verstärkt, dass parallel die Massendemonstration gegen ALCA begann, an der viele teilnehmen wollten. So endete die Jugendkonferenz mit einigen hundert TeilnehmerInnen in einem ziemlichen Durcheinander. Trotz dieses Wermutstropfens, der auf die sektiererische Politik einiger Organisationen und allgemeiner Unerfahrenheit zurückzuführen ist, drückten das Jugendcamp und die Jugendkonferenz aus, dass die neue Generation von AktivistInnen sich aktiv in die Bewegung einbringen und auf der Suche nach grundlegenden Antworten und einer sozialistischen Alternative sehr aufgeschlossen sind.

Fazit

Das WSF war zweifelsfrei ein Erfolg für die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung. Alleine die Teilnehmerzahl von über 50.000 ist ein Schlag ins Gesicht all jener bürgerlicher Kommentatoren, die in den letzten Monaten das Ende der Bewegung herbeigeschrieben haben.
Doch das WSF hat auch klar gemacht, dass die Bewegung vor einer großen Herausforderung steht. Ein politischer Klärungsprozess ist notwendig. Die Fragen, wofür gekämpft werden soll, was die Alternativen sind, müssen debattiert und beantwortet werden. Der Gedanke, die Vielfalt der Ideen sei die Stärke der Bewegung ist gefährlich, denn sie kann zu Unverbindlichkeit und Lähmung führen. Angesichts der Weltwirtschaftskrise und Entwicklungen, wie der in Argentinien, sind deutliche Antworten gefragt. Entwickelt sich die Bewegung nicht weiter, wird sie ein Ende finden. Stillstand heißt Rückgang. Erich Fried schrieb einmal: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt.“ In Anlehnung daran kann man sagen: „Wer will, dass die Bewegung so bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt.“
Die politischen Kräfte, die das WSF ausgerichtet haben, verharren eindeutig im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft und entwickeln einen neuen Reformismus, der hinter den „sozialistischen“ Reformismus der alten Arbeiterbewegung zurückfällt. Die jungen AktivistInnen suchen nach radikaleren Alternativen. Während die Einheit in der Aktion gewahrt werden muss, muss in den Strukturen der Bewegung, auf den Sozialforen, bei ATTAC usw. eine politische Diskussion intensiviert werden, die nicht davor Halt macht das Privateigentum, die Marktwirtschaft, das kapitalistische System zu hinterfragen.
Die zweite wichtige Herausforderung für die Bewegung ist es, den Brückenschlag zu den alltäglichen sozialen Kämpfen in den Betrieben und Nachbarschaften zu erreichen. Das gilt auch für die Bundesrepublik. Die Rezession führt zu Massenentlassungen, Betriebsschließungen, weiteren Privatisierungen und Sozialkürzungen. Dagegen regt sich erster Widerstand. Wenn sich die Bewegung darin erschöpft, zu den internationalen Demonstrationen anlässlich der IWF-, WTO- oder EU-Gipfel zu mobilisieren, dann wird sie von den realen sozialen Kämpfen überholt werden. Aktive Unterstützung von Lohnkämpfen, Kämpfen zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und gegen Sozialabbau und Privatisierungen müssen zu einem Schwerpunkt von Organisationen wie ATTAC werden.
Die zentrale Aufgabe, die sich angesichts der wachsenden Bedrohung durch Krisen und Kriege im Kapitalismus, stellt, ist der Aufbau einer starken sozialistischen Kraft innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung und der Arbeiterklasse.