Ver.di-Jugend: Falsche Solidarität 

Protest gegen die Unterstützung des Staates Israels durch ver.di-Jugend-Kongress

Wir dokumentieren hier in leicht gekürzter Fassung eine Stellungnahme von jungen ver.di-Mitgliedern zu einem Beschluss des letzten ver.di-Bundesjugendkongresses:

Vom 10. bis 12. Mai hat die Bundesjugendkonferenz der ver.di Jugend (…) stattgefunden. Hier wurde über die Schwerpunktsetzung der Gewerkschaftsjugend für die kommenden Jahre entschieden.

Neben angenommen Anträgen zur Mindestausbildungsvergütung, zur Solidarisierung mit der zivilen Seenotrettung sowie (…) der Fridays for Future-Bewegung, ist auch ein Antrag zum Thema Israel/Palästina angenommen worden, der viele (…) aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aufschrecken ließ.

Falsche Distanzierung

In dem Antrag „Boykottieren wir den Boykott“ heißt es: „Die Gewerkschaften ver.di und alle ihre Untergliederungen distanzieren sich von den Kampagnen ´Boycott, Divestment and Sactions` und `For One State and Return in Palestine` und den ihr angehörenden Akteuren.“ Im Weiteren werden jede Zusammenarbeit mit diesen Organisationen ausgeschlossen und all ihre Aktivitäten verurteilt. Des Weiteren sagt der beschlossene Antrag: „ver.di und ihre Untergliederungen solidarisieren sich mit den Aktivitäten unserer Partner*innen der Gewerkschaftsbünde Histadrut und PGFTU, die sich auf nationaler Ebene diesen Bestrebungen auch in gewerkschaftlichem Kontext entgegenstellen. Bei diesem Kampf steht ver.di den Kollg*innen aktiv zur Seite.“

Über die konkreten Methoden der BDS-Kampagne kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Warum allerdings eine solche Distanzierung und Verurteilung von den Delegierten als notwendig erachtet worden ist, ist völlig unverständlich. Ein Grundpfeiler der Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung waren schon immer die internationale Solidarität und der Kampf gegen Unterdrückung. Und es ist nicht zu leugnen, dass Palästinenserinnen und Palästinenser massenhaft unter der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik leiden. (..)

Vor diesem Hintergrund wirkt es besonders befremdlich, dass mit der Veröffentlichung des abgestimmten Antrages zusätzlich noch ein Bild gepostet wurde, dass die Delegierten der Bundesjugendkonferenz auf einem Gruppenbild mit Israel-Fahne zeigt. Es wirkt so, als ob die Delegierten sich hinter einen kapitalistischen Nationalstaat stellen, der momentan auch noch von einer rechten bis rechtsextremen Koalition regiert wird und für neoliberale Angriffe auf die Beschäftigten, rassistische Diskriminierung und Besatzung verantwortlich ist.

(…)

Als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sollten wir immer auf der Seite der Lohnabhängigen und Unterdrückten stehen. Dieser Grundsatz wird durch die komplette und unreflektierte Verurteilung bestimmter palästinensischer Solidaritätsorganisationen und das unkritische Zeigen der israelischen Nationalfahne, in Frage gestellt.

(…)

BDS

Auch wir sind nicht der Meinung, dass die BDS-Kampagne bzw. die Politik von FOR geeignete Mittel sind, um Solidarität mit den Palästinenser*innen in der internationalen Arbeiter*innenbewegung zu mobilisieren. Wir weisen aber zurück, dass diese Kampagnen antisemitisch seien. Dem Versuch, fast jegliche Kritik am Staat Israel in die antisemitische Ecke zu rücken und damit Solidarität mit dem legitimen Widerstand der Palästinenser*innen unmöglich zu machen, stellen wir uns entgegen.

Wir wollen deutlich machen, dass der konsequente und notwendige Kampf gegen Antisemitismus in keinem Falle ausschließt, dass die systematische Unterdrückung der Palästinenserinnen und Palästinenser, die aktuelle reaktionäre israelische Politik im Allgemeinen und die Beteiligung an Diskriminierung durch die Histadrut, kritisiert werden darf.

Die Überwindung der Spaltung von Kolleg*innen entlang nationaler, religiöser oder anderer Grenzen muss das oberste Ziel aller Gewerkschaften sein. Eine wirkliche Politik im Interesse der Lohnabhängigen kann nur auf der Feststellung basieren, dass die Grenze in der Gesellschaft zwischen jenen verläuft, die Kapital besitzen und der absoluten Mehrheit, die von ihnen ausgebeutet wird.

Für Arbeiter*inneneinheit!

Unter dem so genannten Nahostkonflikt leider Lohnabhängige auf beiden Seiten der nationalen Spaltungslinie. Gewerkschafter*innen sollten die gemeinsamen Interessen in den Mittelpunkt rücken – nach guten Arbeitsbedingungen, angemessenen Löhnen und einem Leben in Würde, Frieden und Sicherheit, frei von Diskriminierung und Unterdrückung. Das Ende der Besatzung palästinensischer Gebiete durch den Staat Israel ist eine notwendige Voraussetzung dafür. Das sollten Gewerkschafter*innen zum Ausdruck bringen. (…)

Kritik an der Vorgehensweise von FOR oder BDS sollte vor allem von Gewerkschaften als Arbeiter*innenorganisationen so vertreten werden, dass gleichzeitig ein Weg aufgezeigt wird, wie die Spaltung überwunden werden kann. Durch die einseitige Herangehensweise und das pro-israelische Posieren der ver.di-Jugend wird es in Deutschland palästinensischen Jugendlichen und jungen Beschäftigten, die sich gegen die Besatzungspolitik Israels mit ihnen solidarisieren, erschwert, sich in der Gewerkschaft zu organisieren. Damit wird eine weitere Hürde beim gemeinsamen Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung geschaffen, der nur durch die Einheit aller Beschäftigten gewonnen werden kann.

Wir, als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, kritisieren den Beschluss aufs Schärfste und fordern alle Kolleginnen und Kollegen auf, sich von diesem zu distanzieren. Als Sozialist*innen in ver.di sind wir der Meinung, dass eine Lösung des Nahostkonflikts, wie auch der anderen großen Krisen und Konflikte auf der Welt, im Rahmen des Kapitalismus nicht möglich sind. Wir vertreten die Idee, dass ein sozialistisches Palästina und ein sozialistisches Israel gleichberechtigt und von der arbeitenden Bevölkerung regiert, existieren. Es ist höchste Zeit, dass auch in ver.di solche Debatten mit einer über den Kapitalismus hinaus weisenden Perspektive geführt werden.    n

Jan Horsthemke, ver.di-Vertrauensleuteleitung bei der Stadt Dortmund; Julian Koll, ver.di Vertrauensperson Sozial- und Erziehungsdienst Dortmund; René Arnsburg, ver.di-Landesfachgruppenvorstand Verlage, Druck und Papier Berlin; Tom Hoffmann, Delegierter ver.di Landesfachbereichskonferenz FB 8 Berlin (alle Funktionsangaben dienen nur zur Kenntlichmachung der Person)