Zur Lage der Weltwirtschaft

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Kein Ausweg aus der Krise

Immer wieder neue, widersprüchliche Nachrichten über die Situation auf den Weltmärkten erreichen uns – mal Erholungsverlautbarungen, mal düstere Prognosen. Aktuell überwiegen die Anzeichen für eine sich verstärkende krisenhafte Entwicklung. Exakte Vorhersagen über den genauen Verlauf kann niemand treffen, aber es lohnt sich den Blick auf die aktuelle Weltwirtschaftslage und die Entwicklungen der letzten Jahre zu richten: Welche Folgen hatte die Wirtschafts- und Finanzkrise für die Arbeitenden und Armen? Was soll man von den verschiedenen Anti-Krisen-Rezepten halten? Was könnte ein Ausweg sein?

von Linda Fischer, Hamburg

Die Weltbank hat im Juni ihre Wachstumsvorhersage für die Weltwirtschaft im Jahre 2016 auf nur noch 2,4 Prozent reduziert. Schaut man sich die Entwicklungen seit 2007 an, so hat eine Erholung nur bedingt stattgefunden. 2010 und 2011 wuchs die Wirtschaft um 5,4 bzw. 4,1 Prozent und verlangsamte sich dann in den Jahren 2012 bis 2015 auf 3,4 bis 3,1 Prozent (statista.com). Das ist im Vergleich zu den sogenannten Boom-Jahren der Nachkriegszeit wenig. Von Anfang der 1950er bis Anfang der 1970er Jahre wuchs die Weltwirtschaft im Mittel immer mit über vier Prozent, phasenweise mit über fünf Prozent. Anders als heute, kam damals ein größerer Teil des jährlichen Steigerung der Produktion der breiten Masse der Bevölkerung zugute, ihr Lebensstandard stieg. Heute fahren Regierungen und Kapitalisten rund um den Globus massive Angriffe gegen die Bevölkerung.

Aus Sicht der kapitalistischen Kommentatoren ist besonders besorgniserregend, dass es keine neuen Antworten auf kommende Krisen gibt. Zinssenkung lautete bisher ein Rezept gegen Krisen. Doch inzwischen gibt es fast keine Zinsen auf Bankeinlagen mehr (bzw. sogar negativ Zinsraten). Neuerdings werden Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit sogar negativ verzinst. Der Bund erhält also Geld dafür, dass er es sich geliehen hat und Anleger zahlen drauf, wenn sie Geld verleihen.

„Quantitative Lockerung“

Die „Quantitative Lockerung“, eine Maßnahme zur Bereitstellung günstiger Kredite durch die Zentralbanken (insbesondere in den USA, Großbritannien und der EU), hat nicht dazu geführt, die Produktion von Waren bzw. die Zurverfügungstellung von Dienstleistungen deutlich wiederzubeleben. Was aber hat die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) und das Expertengefasel über Krisenentwicklungen und finanzpolitische Maßnahmen (von dem jeder normale Mensch nur einen Bruchteil versteht) mit den eigenen Lebensbedingungen zu tun?

Verkürzt kann zusammengefasst werden, dass, um Banken und Konzerne zu retten, die Kosten der Krise auf die normale Bevölkerung abgewälzt werden.

Beispiel EZB: Ihr „Krisenmanagement“ bestand und besteht weiterhin aus Zinssenkung, Geld drucken und Kürzungspolitik. In gefühlt immer kürzeren Abständen verkündet die EZB die Zinsen für Kredite an Banken erneut zu senken. Aktuell ist der sogenannte Leitzins der EZB bei Null Prozent gelandet! Erklärtes Ziel ist es, Anreize für Investitionen zu schaffen. Das gelingt nur mäßig. Sehen Unternehmen keine ausreichenden Möglichkeiten, ihr Kapital profitabel zu verwerten, werden auch die billigsten Kredite nicht in Anspruch genommen. Deswegen fordert die EZB zeitgleich die ‚Verbesserung der Bedingungen‘ für das Wirtschaftswachstum. Gemeint sind damit massive Kürzungen der Sozialausgaben und Löhne, Massenentlassungen usw. Die normale Bevölkerung soll für die Profite der Banken und Konzerne bluten. Im Mai 2010 begann die EZB erstmals mit dem Kauf von Staatsanleihen. Anfang 2015 beschloss sie ein Programm, nach dem sie monatlich Anleihen über sechzig Milliarden Euro kauft, dies wurde mittlerweile auf achtzig Milliarden erhöht. Im Frühjahr wurde beschlossen, nicht nur Staatsanleihen sondern zusätzlich (private) Unternehmenspapiere zu kaufen. Während versucht wird, Banken und Wirtschaft mit künstlich gedrucktem Geld zu füttern, läuft parallel dazu in vielen Ländern eine massive Austeritätspolitik (Kürzungspolitik) die bereits Millionen in Armut gestürzt hat. Auch wenn es bezüglich Griechenland oder anderen Ländern gebetsmühlenartig wiederholt wird: Gekürzt wird nicht, weil zu wenig Geld da ist, sondern weil zu viel Kapital angehäuft wird, was sich nicht profitabel genug verwerten lässt. Für die USA berichtete beispielsweise die Financial Times (25. Juli 2013): „Die Profite befinden sich in den USA auf einem Allzeithoch, aber perverser Weise stagnieren die Investitionen.“

Die Herrschenden haben Grund zur Beunruhigung. Die billigen Kredite haben vordergründig zu spekulativen Investitionstätigkeiten der Industriestaaten in die sogenannten Schwellenländern geführt aber nicht in deren Realwirtschaft. Und so schaffen die Maßnahmen zur Bekämpfung der alten Krise die Voraussetzungen für eine Neue: Blasen auf den Immobilienmärkten, im Rohstoffhandel und bei den Finanzanlagen. Es gibt keine neuen Antworten auf erneute Krisen. Vermehrt wird die Politik der EZB und Co. kritisiert, aber grundlegend andere Antworten gibt es nicht.

Schwellenländer

Die deutlich schwächelnde Wirtschaft in China, und die Krisenentwicklungen in Brasilien und anderen Schwellenländern könnten in dieser Situation massive Auswirkungen auf den Rest der Welt haben, da die „Erholung“ vordergründig auf die Entwicklungen in diesen Ländern zurückzuführen ist. Brasilien leidet unter der härtesten Rezession seit den 1930ern (bzw. seit Beginn der entsprechenden Statistiken). Im ersten Quartal 2016 war das Bruttoinlandsprodukt um 5,4 Prozent geringer als ein Jahr zuvor. In den letzten zwei Jahren ist die Anzahl der (offiziell) Arbeitslosen in Brasilien von sieben auf elf Million gestiegen. Der nach dem Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin der so genannten Arbeiterpartei, Dilma Roussef, als Regierungschef eingesetzte Konservative Michel Temer plant ein massives Kürzungsprogramm der öffentlichen Ausgaben: Angriffe auf die Rente, Bildung, Gesundheit. Er wird von kapitalistischen Kommentatoren dafür gefeiert, dass endlich Privatisierung kein Tabu mehr sei (vgl. The Economist, 4. Juni 2016).

Nachdem in den letzten Jahren spekulatives Kapital in die Schwellenländer gepumpt wurde, dreht sich nun der Trend um und Kapital wird abgezogen. Viele der weniger entwickelten Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika geraten in die Krise.

In China führen die riesigen Immobilien- und Finanzblasen, Schulden und massiven Überkapazitäten zu einer explosiven Mischung. Die Ausmaße der Überkapazitäten zeigen sich an den Regierungsplänen, in den nächsten drei bis fünf Jahren die Erzeugungskapazitäten für 150 Millionen Tonnen Rohstahl stillzulegen (das entspricht in etwa der gesamten EU-Jahresproduktion). Vielen Unternehmen droht die Pleite, auch wenn das chinesische Regime weiterhin Ressourcen hat, um Banken, Unternehmen und Einkommen zu subventionieren.

Situation in Deutschland

Die Entwicklungen in China und den Schwellenländern haben Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Beim exportabhängigen Deutschland (2015 gab es mit 250 Milliarden Euro wieder ein Rekordüberschuss im Außenhandel) schwächeln die Ausfuhren in den Rest der Welt, so Anton Börner, Chef des Außenhandelsverbands BDA. Umso wichtiger sei daher ein stabiler Absatzmarkt in den EU-Ländern. Deshalb ist für Deutschland das Fortbestehen des Schengen-Abkommens wichtig. „Das Risiko ist unsere große Abhängigkeit von den Exporten. Circa fünfzig Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung hängen am Export, vor allem in die europäischen Nachbarstaaten. Das bedeutet, dass Deutschland einen hohen Preis zahlt, wenn es Europa oder der Weltwirtschaft schlecht geht oder die Grenzen durch eine Rücknahme des Schengen-Abkommens geschlossen werden.“ so Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. (Mit ‚Deutschland‘ ist natürlich immer die deutsche Wirtschaft und damit die Interessen der Kapitalbesitzer gemeint). Deshalb wird auch der Brexit mit großen Sorgen aus der deutschen Wirtschaft betrachtet.

Kapitalisten in Zwickmühle

Die weltweite Krise 2007/2008 war die tiefste der Nachkriegszeit und steht für eine Phase, in der der Kapitalismus in einer chronischen Schwäche steckt. Die Erholungsphasen können nicht die Probleme des langfristigen Niedergangs aufwiegen. Die von der Arbeiterklasse in einigen Ländern erkämpften Zugeständnisse des Nachkriegsaufschwungs: relative Vollbeschäftigung, Lohnerhöhungen, Sozialstaat wurden mit zurückgehender Profitabilität ab Ende der 1960er Jahre angegriffen. Die Weltwirtschaftskrise 1974/75 markierte einen Wendepunkt: Neoliberale Reformen sollten die Profitabilität wieder herstellen. Durch Privatisierung, kapitalistischer Globalisierung, Deregulierung und Ausweitung des Finanzsektors sollten neue profitable Anlagemöglichkeiten für das Kapital geschaffen werden. Seit den 1980er Jahren ist die Entwicklung in den meisten OECD-Ländern tendenziell durch verlangsamtes Wachstum, steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne und eine zunehmende soziale Polarisierung geprägt. Die massive Austeritätspolitik der letzten Jahre hat die Situation verschärft und soziales Elend produziert.

Hinter den der Fokussierung auf die spekulativen Investitionen, steckt die (kurzfristig) deutlich höhere Renditeerwartung. Die zu erwartenden Profite in der Realwirtschaft sind niedriger, das „Investitionsklima“ unsicher, die Märkte gesättigt. Dies ist nicht vor allem auf eine schwächelnde kaufkräftige Nachfrage zurückzuführen, sondern ist Folge des privaten Profitsystems und Konkurrenzprinzips. Der Kapitalismus beruht auf Produktion für Profit, Privateigentum an den Produktionsmitteln und Konkurrenz. Investitionen müssen einen größtmöglichen Profit abwerfen und nicht den Bedürfnissen von Gesellschaft und Umwelt dienen. Hinzu kommt, dass jeder Kapitalist (und jeder kapitalistische Staat) um einen möglichst großen Anteil am Markt konkurriert, Kapazitäten werden ausgebaut, um durch Wachstum möglichst hohen Profit zu erwirtschaften. Das alte und weiterhin sehr treffende Zitat des ehemaligen BMW-Chefs von Kuenheim bringt es auf den Punkt: „Es gibt auf der Welt zu viele Autos, aber zu wenig BMW.“ Das Wett-Wirtschaften führt zu immer mehr Überproduktion und Überkapazitäten, wie oben am Beispiel der Erzeugungskapazitäten von Rohstahl in China erläutert. Krisen entstehen dann, wenn das angehäufte Kapital nicht mehr vermehrt werden kann, wenn für die Produkte kein profitabler Absatzmarkt mehr gefunden werden kann. Letztendlich ist der Abbau von Überkapazitäten und Überproduktion im Kapitalismus nur durch Massenentlassungen und Schließung ganzer Betriebe kurzfristig möglich – nur um das Spiel wieder von vorne beginnen zu lassen. Jedes Kind würde einem einen Vogel zeigen, wenn man ihm versucht zu erklären, dass das schon alles seine Richtigkeit habe und der Kapitalismus halt das einzige System sei, was „funktionieren“ würde.

Krise des gesamten Systems

Wir leben in einer Zeit, in der die Technik so weit fortgeschritten ist, um mehr als genug Essen, Kleidung, Wohnraum für alle Menschen auf der Welt zu produzieren und zwar nachhaltig. Und trotzdem gerät die Welt aus den Fugen. Das auf Privateigentum an der Wirtschaft und Konkurrenz beruhende kapitalisitsche Profitsystem verhindert, dass die vorhanden Möglichkeiten für alle nutzbar gemacht werden können. In Zeiten wirtschaftlicher Krise ist das besonders spürbar. Der Konkurrenzkampf um profitable Anlagemöglichkeiten zwischen Kapitalisten, Unternehmen aber auch Staaten wird stärker. Die Zunahme von Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen und die daraus folgende steigende Anzahl von Flüchtlingen ist Ausdruck davon. Auch Deutschland „bringt sich immer mehr ein“. Nicht mehr nur als einer der größten Waffenexporteure, sondern auch in der (militärischen) Erschließung neuer Regionen.

Dieser Wahnsinn kann nur gestoppt werden, wenn das Privateigentum an Firmen und das Profitsystem aufgehoben werden. Dann können wir eine Gesellschaft aufbauen, die im Interesse der Mehrheit funktioniert. Gemeinsam könnten wir planen was und wie viel benötigt wird und wie dies umweltschonend produziert werden könnte. Höchste Zeit, dass die Arbeitenden und Armen die Bühne der Geschichte betreten und sich den Kapitalisten organisiert entgegenstellen. Und das sie dies mit einem klaren Ziel tun: dieses verrückte System überwinden und durch eine sozialistische Demokratie ersetzen. Ob Frankreich, Brasilien, Griechenland – in vielen Ländern ist die Kampfbereitschaft da.

Linda Fischer ist aktiv in der Linksjugend [‘solid] Hamburg und Mitglied des SAV Bundesvorstands