von Claus Ludwig<\/em><\/p>\nWenig \u00fcberraschend tritt bei solch einer Untersuchung lediglich zu Tage, dass B\u00fc\u00adcher, die 1.400 Jahre oder \u00e4lter sind, Ideen enthalten, die heute als r\u00fcckst\u00e4ndig be\u00adtrachtet wer\u00adden m\u00fcssen; dass solch alte Schriften nicht die Idee der Gleichbe\u00adrechtigung der Ge\u00adschlechter enthalten, die ein Produkt der gewaltigen Entwick\u00adlung der Produktivkr\u00e4fte im Kapitalismus sowie der Arbeiter- und der Frauenbe\u00adwegung ist. Wer aus dem Alten und Neuen Testament oder dem Koran zitiert, ohne die darin enthaltenen Verhaltensregeln, moralischen Ma\u00dfst\u00e4be und Lehr\u00ads\u00e4tze in den Zu\u00adsammenhang der sozialen Realit\u00e4ten zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zu set\u00adzen, hat den Erkenntnisprozess abgew\u00fcrgt bevor er begonnen hat.<\/p>\n
Religion ist eine Form von Ideologie, im Mittelalter deren nahezu ausschlie\u00dfliche Form, und ist nicht aus sich selbst heraus zu erkl\u00e4ren. Sie ist ein Produkt gesell\u00adschaftlicher K\u00e4mpfe und Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnisse, spiegelt die Interessen bestimmter Gruppen und Klassen in der Gesellschaft in bestimmten Zeitr\u00e4umen der Ge\u00adschichte wider. Der islamische Glau\u00adbe ist keineswegs ein unbefristet allumfassen\u00adder Weltgeist der Frauendiskriminierung, sondern eine Ideologie, deren gesell\u00adschaftliche Funktion heute grundlegend anders ist als zur Zeit ihrer Entstehung oder, wie es August Bebel ausdr\u00fcckt, \u201e… dass f\u00fcr jede Re\u00adligion der Zeitpunkt kommt, in dem sie mit den Kulturbed\u00fcrfnissen der Menschheit in Widerspruch ger\u00e4t, weil sie selbst nur ein vor\u00fcbergehendes Produkt einer bestimmten Kulturperiode ist.\u201c118<\/p>\n
Die Frage, was der Islam ist, wie er sich durchsetzen konnte, wie es zur Entste\u00adhung des Fundamentalismus kam, ist keine akademische Frage. Sie hat Auswir\u00adkungen auf die Stra\u00adtegie der revolution\u00e4ren Kr\u00e4fte auch im Iran. Wer das Mullah-Re\u00adgime st\u00fcrzen, die kleri\u00adkale Herrschaft \u00fcberwinden will, muss eine Massenbe\u00adwegung der Arbeiterklasse, der Bauern und der st\u00e4dtischen Armen aufbauen. Nach wie vor ist der islamische Glaube je\u00addoch in Teilen des Proletariats und der Armen im Iran tief verankert. Einen antireligi\u00ad\u00f6sen Kampf gegen den islamischen Glauben an sich k\u00f6nnen sich die \u201eEx-Muslime\u201c unter der F\u00fchrung der Ex-Kom\u00admunistin Mina Ahadi119 leisten, die in Deutschland von reaktio\u00adn\u00e4ren Politikern und b\u00fcrgerlichen Medien als Stich\u00adwortgeber gegen \u201efalsche Toleranz\u201c geh\u00e4tschelt und von islamophoben Rassisten als brave Ausl\u00e4nder120 geduldet werden. Eine re\u00advolution\u00e4re Bewegung im Iran kann dies nicht. Sie muss das Regime bek\u00e4mpfen und f\u00fcr die Trennung von Staat und Religion eintreten und gleichzeitig ein Ange\u00adbot f\u00fcr die ArbeiterInnen und Armen machen, die mehr und mehr mit dem Regime zu\u00adsammenprallen ohne gleich ihren Glauben aufzugeben.<\/p>\n
SozialistInnen diskutieren mit der Arbeiterklasse nicht in erster Linie \u00fcber das Him\u00admelreich oder dessen Nicht-Existenz, denn dies ist dem Klassenkampf in dieser Welt untergeord\u00adnet. Sie diskutieren, wie das Leben im Diesseits revolutioniert werden kann oder wie Karl Marx es formuliert:<\/p>\n
\u201eDie Aufhebung der Religion als des illusorischen Gl\u00fccks des Volkes ist die Forderung seines wirkli\u00adchen Gl\u00fccks: Die Forderung, die Illusionen \u00fcber seinen Zustand aufzugeben, ist die Forde\u00adrung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusio\u00adnen bedarf.\u201c121<\/p>\n
Diesen Worten ist die ber\u00fchmte Formulierung von der Religion als \u201eOpium des Volkes\u201c vorangestellt:<\/p>\n
\u201eDie Religion ist der Seufzer der bedr\u00e4ngten Kreatur, das Gem\u00fct einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zust\u00e4nde ist. Sie ist das Opium des Vol\u00adkes.\u201c122<\/p>\n
Marx geht damit \u00fcber die b\u00fcrgerlich-aufkl\u00e4rerische Religionskritik hinaus und der Reli\u00adgion auf den Grund. Diese ist nicht einfach eine billige Droge, welche die Herr\u00adschenden dem Volk geben, damit es sich benebelt. Nat\u00fcrlich wird sie auch so ge\u00adnutzt, aber es w\u00e4re ein grobe Vereinfachung, die zur falschen Schlussfolgerung f\u00fchren w\u00fcrde, der Kampf ge\u00adgen die Religion m\u00fcsse lediglich im Sinne b\u00fcrgerli\u00adcher Aufkl\u00e4\u00adrung betrieben werden. Die Religion ist einerseits die ideologische Form realer ge\u00adsellschaftlicher Prozesse, anderer\u00adseits tief im Volk verankert, weil die Realit\u00e4t die\u00adse Illusionen n\u00f6tig macht, um ertr\u00e4glich zu sein.<\/p>\n
Lenin entwickelt Marx\u2018 Gedanken weiter:<\/p>\n
\u201eUnserem ganzen Programm liegt eine wissenschaftliche, und zwar die materialistische Weltan\u00adschauung zugrunde. Die Erl\u00e4uterung unseres Programms schlie\u00dft daher notwendi\u00adgerweise auch die Klarlegung der wahren historischen und \u00f6konomischen Quellen des reli\u00adgi\u00f6sen Nebels ein … Es w\u00e4re unsinnig, zu glauben, man k\u00f6nne in einer Gesellschaft, die auf schrankenloser Unterdr\u00fcckung und Verrohung der Arbeitermassen aufgebaut ist, die reli\u00adgi\u00f6sen Vorurteile auf rein propagandisti\u00adschem Wege zerstreuen. Es w\u00e4re b\u00fcrgerliche Be\u00adschr\u00e4nktheit, zu vergessen, dass der auf der Menschheit lastende Druck der Religion nur Produkt und Spiegelbild des \u00f6konomischen Drucks in\u00adnerhalb der Gesellschaft ist.\u201c123<\/p>\n
In die\u00adsen kurzen S\u00e4tzen stecken viele Ans\u00e4tze f\u00fcr das Heran\u00adgehen an religi\u00f6se Fragen auch heute. SozialistInnen aus arabischen L\u00e4ndern, der T\u00fcrkei und dem Iran weisen darauf hin, dass der Islam sich von den aktuellen Auspr\u00e4gungen des Christentums, des Bud\u00addhismus und ande\u00adrer Religionen unterscheidet und anders als diese f\u00fcr die Ar\u00adbeiterklasse und die Linke eine konkrete Gefahr darstellt. Auch andere funda\u00admentalistische Str\u00f6mungen wie die evangelikalen Christen, wachsen. In Russland gewinnt die orthodoxe Kirche mehr Ein\u00adfluss und verbindet sich mit rus\u00adsischem Nationalismus und imperialem Denken. Die Ge\u00adfahren dieser Entwicklun\u00adgen sind nicht zu untersch\u00e4tzen. Richtig ist allerdings, dass der Islam eine weit st\u00e4rkere politische Bedeutung erreicht hat. Die fundamentalistische Interpretati\u00adon des Islams hat Massen\u00adcharakter, der islamische Fundamentalismus ist in vie\u00adlen muslimischen L\u00e4ndern die vorherrschende Str\u00f6mung.<\/p>\n
Die reaktion\u00e4re Rolle der Religion unter der Herrschaft der Fundamentalisten be\u00adschr\u00e4nkt sich nicht auf Glaube, Moral, Familienleben, sondern ist eine handfeste politische Reali\u00adt\u00e4t, der auch nicht-religi\u00f6se Familien, Viertel, St\u00e4dte und Re\u00adgionen nicht entkommen k\u00f6nnen. Die Islamisten haben in Pakistan, Afghanistan, Kasch\u00admir, Irak, Sudan und anderen L\u00e4ndern Terror gegen abweichende Meinun\u00adgen, nicht zuletzt gegen die Linke, die Arbei\u00adter- und die Frauenbewegung ent\u00adfacht. Das Khomeini-Regime hat die phy\u00adsische Vernichtung der Linken organi\u00adsiert.<\/p>\n
Die muslimische Welt hat keine grundlegende S\u00e4kularisierung wie Europa erlebt. Der Islam ist einerseits eine mo\u00adnotheistische Religion wie andere auch, die Wei\u00adterentwicklung der abrahamiti\u00adschen Religionen Juden- und Christentum. Aber seine Wirkung in der heuti\u00adgen Welt ist anders. Den Grund daf\u00fcr sucht man ver\u00adgebens in den Suren des Koran. Im Alten und Neuen Testament, Grundlagen des Christentums, lassen sich ebenso viele For\u00admulierungen finden, die heute als kom\u00adplett reaktion\u00e4r angesehen werden. Geschicht\u00adlich betrachtet sind im Namen Jesu Christi weit umfassendere Verbrechen als im Namen Al\u00adlahs began\u00adgen worden, \u00fcber die Kreuzz\u00fcge nach Pal\u00e4stina und die v\u00f6lkerm\u00f6rderische Kolonialisie\u00adrung Amerikas bis zu den Weltkriegen des 20. Jahr\u00adhunderts, in denen die Priester die Ka\u00adnonen segneten. Im klerikal-faschistischen, mit Nazi-Deutschland verb\u00fcndeten Kroatien leiteten katholische M\u00f6nche die Konzentrationslager, in denen Oppositionelle, Juden und Serben ermordet wurden.<\/p>\n
Die heutige Rolle des Islams ist Produkt des \u00f6konomischen Zur\u00fcckbleibens der arabi\u00adschen und muslimischen L\u00e4nder gegen\u00fcber dem europ\u00e4ischen und sp\u00e4ter amerikani\u00adschen Kapitalismus; sie ist untrennbar verbunden mit dem Aufkommen des Imperialismus und der Aufteilung der Welt durch die f\u00fchrenden imperialisti\u00adschen L\u00e4nder. Die enorme St\u00e4rkung des rechten politischen Islam in den letzten 30 Jahren ist wiederum Ergebnis der Nie\u00adderlagen der Linken in der Region, Er\u00adgebnis der verpassten Chancen, den Kapitalismus zu st\u00fcrzen, des Nichtumsetzens der \u201eForderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen be\u00addarf.\u201c<\/p>\n
Der Aufstieg des Islam<\/h4>\n
Die arabische Halbinsel war zu Beginn des 7. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung von der Aufteilung in St\u00e4mme gepr\u00e4gt. In der zentralen Karawanenstadt Mekka waren die vielf\u00e4l\u00adtigen G\u00f6tter der St\u00e4mme Arabiens um die Pilgerst\u00e4tte der Ka\u2018ba gruppiert. Die Stammes\u00adgesellschaft bedingte das Fehlen jeder Rechtssicherheit und f\u00fchrte zur Rechtlosigkeit ge\u00adrade der Armen und der Frauen.<\/p>\n
\u201eVerbrechen gegen Menschen au\u00dferhalb des eigenen Stammes blieben nicht nur straflos, sondern galten \u00fcberhaupt nicht als Straftaten \u2026 H\u00e4ufig war es der Fall, dass der Einzelne au\u00dferhalb seines Stammes, der sozialen Identit\u00e4t beraubt, keinerlei Schutz und keinerlei Rechte genoss.\u201c124<\/p>\n
Diese Rechtlosigkeit stellte ein gro\u00dfes Hindernis f\u00fcr die Entwicklung des Handels dar, denn keine Karawane konnte sicher sein. Gleichzeitig wurden die St\u00e4mme durch den wachsenden Reichtum Mekkas und die soziale Polarisierung in der Stadt von innen ausge\u00adh\u00f6hlt, ihre Werte verfielen. Mohammed, um 570 geboren, war wahrscheinlich als Waise aufgewachsen und lebte bis zur Heirat mit seiner Arbeitgeberin, der reichen Kaufmanns\u00adwitwe Chadi\u00addscha, als eine Art Handelsge\u00adhilfe. Mit seinen Thesen \u00fcber den einen Gott, Allah, attackierte er ab 610 nicht nur die Ka\u2018ba als Wallfahrtsort f\u00fcr allerlei G\u00f6tter, son\u00addern forderte auch die poli\u00adtische und wirtschaftliche Macht der herrschenden Clans in Mekka heraus. Seine Offenbarungen, die sp\u00e4ter im Koran zusammengefasst wurden, ent\u00adhielten die Bot\u00adschaft einer sozialen Revolte gegen die Herrschenden in Mekka. Sein einziger, m\u00e4chtiger Gott, Allah, war das Symbol f\u00fcr die Notwendigkeit, die Zersplit\u00adterung in St\u00e4mme zu \u00fcberwinden, einheitliche moralische und rechtliche Normen f\u00fcr alle zu schaffen:<\/p>\n
\u201eDie Spannung zwischen der zivilisierenden Rolle des Handels und dem primitiven und re\u00adaktion\u00e4ren Eifer der St\u00e4mme bildet die eigentlich ma\u00adterielle, soziale Basis f\u00fcr den Vorsto\u00df des Propheten Mohammed.\u201c125<\/p>\n
\u201eHierdurch wurden sie (die Ideen von Mohammed) das vorz\u00fcglichste Bindemittel, wel\u00adches die bis dahin zersplitterten, jedes gemeinsamen Handelns baren St\u00e4mme vereinigte.\u201c126<\/p>\n
In Medina, wohin Mohammed mit seinen Anh\u00e4ngern vor der Unterdr\u00fcckung durch die Herrschenden Mekkas geflohen war, wurde der Keim einer neuen Ge\u00adsellschaft formiert. F\u00fcr den Beitritt zur Umma, der Gemeinschaft der Gl\u00e4ubigen, waren ethnische, rassische oder famili\u00e4re Herkunft unbedeutend. Alle konnten sich der Bewegung anschlie\u00dfen, die\u00adse revolution\u00e4re Regelung entfaltete in kurz\u00ader Zeit ein enormes Potenzial. W\u00e4hrend der Islam heute als Inbegriff der Frauen\u00adunterdr\u00fcckung gilt und dies schon den Suren des Ko\u00adran zugeschrieben wird, hat\u00adten Mohammeds Formulierun\u00adgen eine andere Wirkung. Der barbarische Umgang mit den Frauen in den arabi\u00adschen St\u00e4mmen wurde beendet, zum ersten Mal wur\u00adden ihnen \u00fcberhaupt Rechte zugestanden. Das altarabische Erbrecht wur\u00adde ver\u00ad\u00e4ndert, die Zahl der Ehefrauen begrenzt.<\/p>\n
\u201eDie Bestimmungen des Erbrechts verbesserten die Stellung der arabischen Frauen, die vordem kein Erbrecht besessen, wesentlich und machten sie dem Islam geneigt.\u201c127<\/p>\n
Entgegen landl\u00e4ufiger Vorurteile f\u00fchrten Mohammed und seine Nachfolger nicht die Verschleierung der Frau ein. Diese war schon vorher in Arabien bekannt. Ei\u00adnige Histori\u00adker meinen, der Schleier stamme aus dem Iran, wo er ein Symbol f\u00fcr die vor\u00adnehme, wohlhabende Stellung einer Frau war, der t\u00fcrkische Arch\u00e4ologe Dr. Cig f\u00fchrt ihn auf die Tempelpriesterinnen der sumerischen Zivilisa\u00adtion zur\u00fcck128. Auch christliche und j\u00fcdische Tra\u00additionen kennen die Verschleie\u00adrung als Symbol f\u00fcr den Reichtum einer Frau. Auch ist f\u00fcr die Zeit nach der gro\u00dfen Expansion des Islam in Nordafrika und ganz Arabien keine umfassende Verschleierung bekannt.129 Es w\u00e4re allerdings absurd, von ei\u00adner Befreiung der Frau zu reden, schlie\u00dflich ging es um die Etablierung und Festigung ei\u00adner auf Un\u00adgleichheit beruhenden Klassengesellschaft. Den Frauen wurde die Beziehung zu mehreren M\u00e4nnern verboten, das Patriarchat wurde durch die Regelungen des Koran \u2013 auf einem h\u00f6heren Zivilisationsniveau als in der Stammesgesellschaft \u2013 gefestigt.<\/p>\n
Innerhalb weniger Jahre bauten Mohammed und die ersten Muslime eine Bewe\u00adgung auf, die von einer Gruppe von Fl\u00fcchtlingen zu einer sozialen und milit\u00e4ri\u00adschen Realit\u00e4t wur\u00adde, erst die heidnischen Herrscher von Mekka besiegte und dann die gesamte arabische Halbinsel im Sturm nahm. Nach dem Tod Moham\u00admeds eroberten arabische Heere gro\u00dfe Territorien der per\u00adsischen und byzantini\u00adschen Gro\u00dfreiche. Diese hatten sich in lang an\u00adhaltenden Kriegen ersch\u00f6pft, ihre Bev\u00f6lkerung gepl\u00fcndert und terrorisiert. Sie hatten dem Ansturm der arabischen Truppen nichts entgegenzusetzen, weder milit\u00e4risch noch sozial. Nur 120 Jahre nach dem Tod Mohammeds standen ganz Nordafrika, Spani\u00aden, der gesamte Nahe Osten, Persien sowie Gebiete im heutigen Afghanistan, Pa\u00adkistan und Indien unter muslimischer Kontrolle.<\/p>\n
Die heutigen Islam-GegnerInnen erw\u00e4hnen den Dschihad, den \u201eHeiligen Krieg\u201c und f\u00fch\u00adren die muslimischen Eroberungen auf Gewalt- und Opferbereitschaft, auf den Fa\u00adnatismus der muslimischen K\u00e4mpfer zur\u00fcck, ziehen zu allem \u00dcberfluss Ver\u00adgleiche zwischen den ers\u00adten muslimischen Eroberungen und der Migration von Menschen aus muslimischen L\u00e4n\u00addern nach Europa heute. Doch die Vorstellung, dass halbe Kontinen\u00adte rein milit\u00e4risch er\u00adobert, Dutzende V\u00f6lker lediglich durch Fanatismus unterwor\u00adfen werden k\u00f6nnen, liegt auf dem Niveau des Geschichts\u00adverst\u00e4ndnisses von San\u00addalenfilmen aus Hollywood. Byzanz und Persien verloren ebenso wie Rom rund 200 Jahre zuvor gegen die arabischen bzw. germanischen \u201eBarbaren\u201c, weil ihr soziales Sys\u00adtem, die Sklavenhalterge\u00adsellschaft, sozial und \u00f6konomisch verfault war. Die Pro\u00adduktivit\u00e4t lag am Boden, die Land\u00adwirtschaft brach. Die militarisierten Riesenreiche sorgten nicht f\u00fcr Sicherheit, sondern ver\u00adallgemeinerten die Unsicherheit. Der An\u00adsturm der \u201eBarbaren\u201c war erfolgreich, weil gro\u00dfe Teile der BewohnerInnen der alten Reiche diese nicht als fremde Unter\u00addr\u00fccker sahen, sondern als Befreier vom despo\u00adtischen Joch.<\/p>\n
Die rasche Ausdehnung des Islam ist laut Bebel unter anderem dem Umstand zu\u00adzuschreiben,<\/p>\n
\u201edass die unterworfenen Ungl\u00e4ubigen mit einer im Orient bis dahin unbekannten Milde behandelt wurden und mit verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfiger Leichtigkeit sich ein gewisses Ma\u00df an Frei\u00adheit und Unabh\u00e4n\u00adgigkeit erkaufen konnten \u2026 In scharfem Gegensatz zu den heute in Eu\u00adropa noch weit verbreiteten Anschauungen, als sei der Mohamedanismus von fanatischer Unduldsamkeit gegen Andersgl\u00e4ubi\u00adge beseelt gewesen, muss das Gegenteil konstatiert werden.\u201c130.<\/p>\n
Der ehemalige Vorsitzende der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), Abdullah \u00d6calan, fasst in seinem historischen \u00dcberblick \u201eGilgameschs Erben\u201c zusammen:<\/p>\n
\u201eF\u00fcr den Islam ist es nicht schwer, nicht nur f\u00fcr die W\u00fcstenst\u00e4mme, sondern f\u00fcr alle V\u00f6l\u00adker der Imperien dieser Zeit zu einer Inspiration der Erl\u00f6sung zu werden. Ein wenig Ge\u00adrechtigkeit und Re\u00adspekt vor ihren Kulturen reicht schon aus, um sich Akzeptanz zu ver\u00adschaffen.\u201c131<\/p>\n
Errungenschaften des fr\u00fchen Islam<\/h4>\n
Der Islam vollendete die geschichtliche Aufgabe, die das Christentum begon\u00adnen hatte, schuf mit der Mobilisie\u00adrung der Menschen aus den Randgebieten der W\u00fcs\u00adte, die bis dahin nicht den gro\u00dfen Reichen unterworfen waren, die milit\u00e4rische und soziale Kraft, welche die Reste der Sklavenhaltergesellschaf zertr\u00fcmmerte:<\/p>\n
\u201eDer Islam erschlie\u00dft weniger neue Gebiete der Zivilisation, als dass er bis\u00adher von der Zivi\u00adlisation ausgeschlossenen W\u00fcstenaraber und in \u00e4hnlicher Position befind\u00adliche Gruppen anderer V\u00f6lker als frisches Blut der Zivilisation benutzt, die unter seiner ei\u00adgenen ideologi\u00adschen Identit\u00e4t erneuert wird. Im Kern der psychologischen \u00dcberlegenheit des Islam liegt das Zerbrechen der erniedrigen\u00adden mentalen und moralischen Struktur des Sklaventums und die Etablierung einer neuen Identi\u00adt\u00e4t, die dem Menschen Ehre, Respekt und Gerech\u00adtigkeit verspricht. Ohne Zweifel hat der Islam die hervorstechendsten milit\u00e4ri\u00adschen und politischen Aufgaben der feudalen Revolution \u00fcbernom\u00admen.\u201c132<\/p>\n
Der Koran formulierte die Interessen der aufsteigenden H\u00e4ndlerklasse. Allah war der ein\u00adzige Gott f\u00fcr alle St\u00e4mme und V\u00f6lker, weil der Handel einen allgegenw\u00e4r\u00adtigen Gott brauchte, der nicht willk\u00fcrlich handelt, son\u00addern allgemein verbindli\u00adche Regeln festlegt. Die Schari\u2018a war in dieser Phase der sozialen Entwicklung keine Ansammlung grausamer Bestrafungen sondern ein in sich geschlossenes Rechtssystem mit, soweit dies in einer Klassengesell\u00adschaft m\u00f6glich ist, rechtli\u00adchen Garantien f\u00fcr Alle.133 Gro\u00dfe Teile der St\u00e4mme und V\u00f6lker in Nordafrika und dem Nahen Osten schlossen sich der muslimischen Ge\u00admeinschaft freiwillig an. Is\u00adlamische Regierung und Rechtssystem erschienen als Garantie f\u00fcr Handel, \u00f6ko\u00adnomischen Aufschwung und sozialen Aufstieg.<\/p>\n
\u201eDurch die Etablierung verl\u00e4sslicher Staaten zwischen den gro\u00dfen Produktionszentren wird der Is\u00adlam von Atlantik zum Pazifik, vom Indischen Ozean bis in die Steppen Sibiri\u00adens zu einer unabding\u00adbaren Kraft der Entwicklung der Zivilisation.\u201c134<\/p>\n
Die Ausbreitung des Islams schuf stabile Regierungen und erm\u00f6glichte eine ge\u00adwaltige Ausdehnung des Handels. Wissenschaften wie Medizin, Literatur und Ma\u00adthematik entwi\u00adckelten sich in den muslimischen Zentren im \u00dcbergang zum Hochmittelalter weiter als in Europa. Nichts k\u00f6nnte falscher sein, als den Islam als eine Ideologie zu bezeichnen, die von Beginn an r\u00fcckst\u00e4ndig und zerst\u00f6re\u00adrisch gewesen sei. Das Kalifenreich war ein hoch organisierter Staat, im gesamten Reich gab es ein entwickeltes Post-, M\u00fcnz- und Gewichtswesen. Es gab, anders als im zersplitterten Europa, keine Zoll- oder Handelschranken. Mit Staatsgeldern wurden umfangreiche Bew\u00e4sserungssysteme vor allem an Euphrat und Tigris ge\u00adbaut. Die Karawanseraien waren staatlich finanzierte Unterk\u00fcnfte f\u00fcr Menschen und Tiere, um auch Mittellosen das Reisen zu erm\u00f6glichen. Auf dem Gebiet der Land\u00adwirtschaft und Gartenkultur war das islamische Reich weit fortgeschritten, die AraberInnen kultivierten Obstb\u00e4ume und Gem\u00fcsearten wie zum Beispiel den Spargel und machten gro\u00dfe Fortschritte bei der Konservierung von Obst und Gem\u00fcse.<\/p>\n
Ebenfalls wurde eine Kultur der Debatte und der geistigen Auseinandersetzung gef\u00f6r\u00addert und beeinflusste so die geistige Entwicklung Europas. Dissidenten und Oppo\u00adsitionelle wurden nicht auf den Scheiterhaufen geworfen, sondern durften ihre Ideen \u00f6ffentlich vorstellen, zumindest w\u00e4hrend der Bl\u00fctezeit des Kalifats, bevor das Regime immer despotischer wurde. Es gab verschiedene Sekten und religi\u00f6se Gruppen, einige wie die Motaziliten gin\u00adgen so weit, allein die menschliche Ver\u00adnunft zum Ma\u00dfstab zu erheben und beschrieben den Koran lediglich als das Werk eines von Gott begeisterten Menschen, sahen darin keine g\u00f6ttliche Offenbarung. Die Zahiriten vertraten eine rein materialistische Auffassung, lehnten die Vor\u00adstellung eines Sch\u00f6pfers ab und sahen im Lauf der Geschichte nur die Umgestal\u00adtung von Materie.135<\/p>\n
Es besteht kein Zweifel, dass die europ\u00e4ische Renaissance, das Ankn\u00fcpfen an den antiken Wissenschaften durch die entstehende b\u00fcrgerliche Klasse, in jeder Hin\u00adsicht durch die Er\u00adrungenschaften der arabisch-islamischen Wissenschaft, Tech\u00adnik und Kultur entschei\u00addend bef\u00f6rdert wurden. Islamische Expansion und das Kalifat retteten die Kenntnisse der antiken Kultur ins Mittelalter hin\u00fcber und trugen dazu bei, die Grundlagen der kapitalis\u00adtischen Entwicklung Europas zu schaffen. Warum aber geriet diese weit entwickelte Regi\u00adon so sehr ins Hintertref\u00adfen, warum erfasste die Aufkl\u00e4rung nicht Persien, das Osmani\u00adsche Reich und Ara\u00adbien? Warum durchlief der Islam keine Reformation, die Region keine grundle\u00adgende Befreiung von der Dominanz der Religion, keine S\u00e4kularisierung?<\/p>\n
Die Bourgeoisie in Europa<\/h4>\n
Keineswegs war die starre Ideologie des Islam die Ursache. Dieser war im Hoch\u00admittelalter weit flexibler als das Christentum. Auch die banale eurozentrische Sicht, das die heute armen Regionen schon immer arm waren, ihre Unterent\u00adwicklung demnach gar nicht er\u00adkl\u00e4rt werden m\u00fcsse, haben wir oben widerlegt. Aufkl\u00e4rung und Modernisierung in Euro\u00adpa sind nicht vom Himmel gefallen, wa\u00adren nicht die Erkenntnis schlauer Menschen. Neue Ideen brauchen einen Tr\u00e4ger, eine soziale Klasse, welche die Ideen entwickelt und sie in materielle Realit\u00e4t um\u00adsetzt. Aufkl\u00e4rung und S\u00e4kularisierung sind Ausdruck der Interessen der Klasse der Kapitalisten, der Bourgeoisie. Sie sind ihre Waffen im Kampf ge\u00adgen die Herrschaft von Adel und Feudalherren, zur Herausbildung kapitalistischer Pro\u00adduktionsverh\u00e4ltnisse, von Nationalstaaten und kolonialer Expansion.<\/p>\n
Kein islamisches Land hat diese b\u00fcrgerliche Klasse hervorgebracht. W\u00e4hrend das r\u00fcck\u00adst\u00e4ndige, bornierte, karge, zersplitterte Europa vom 13. bis zum 19. Jahrhun\u00addert Umw\u00e4l\u00adzungen und B\u00fcrgerkriege erlebte, sich in den St\u00e4dten neue Schichten und Klassen for\u00admierten und um die Macht k\u00e4mpften, sich Produktion und Vertei\u00adlung \u00e4nderten, hatten die Machtk\u00e4mpfe, Kriege und Eroberungen in Persien und dem Osmanischen Reich kei\u00adne gr\u00f6\u00dferen Folgen f\u00fcr die Produktions- und Herr\u00adschaftsverh\u00e4ltnisse. Bauernaufst\u00e4nde entwickelten sich nicht zu machtvollen Klassenk\u00e4mpfen \u2013 ihnen fehlten sowohl der ver\u00adarmte Landadel als auch die st\u00e4d\u00adtischen B\u00fcrger als B\u00fcndnispartner \u2013 sondern blieben re\u00adgional begrenzt und scheiterten an der Repression der m\u00e4chtigen Zentralreiche. Statt zu Revolutio\u00adnen kam es lediglich zu kl\u00e4glichen Palastrevolten und der Abl\u00f6sung der einen Dy\u00adnastie durch die n\u00e4chste:<\/p>\n
\u201eDie \u2026 Epoche vom 15. bis zum 20. Jahrhundert l\u00e4sst sich f\u00fcr die islamischen Gesellschaf\u00adten als eine undurchdringliche Finsternis beschreiben. Nirgendwo l\u00e4sst sich ein Anzeichen von Entwicklung ausmachen.\u201c136<\/p>\n
Die islamische Ausdehnung leistete zwar einen wichtigen Beitrag zur Beseitigung der Sklavenhaltergesellschaft und zur Durchsetzung feudaler Verh\u00e4ltnisse, doch die Produk\u00adtionsverh\u00e4ltnisse im Kalifat und seinen Nachfolgereichen waren ge\u00adnau genommen nicht feudalistisch. Stattdessen herrschte in den islamischen Staaten die von Karl Marx so ge\u00adnannte \u201easiatische Produktionsweise\u201c.<\/p>\n
Der europ\u00e4ische Feudalismus war gekennzeichnet durch die abh\u00e4ngige Bauern\u00adschaft, welche gegen\u00fcber den einzelnen Feudalherren zu Abgaben verpflichtet und an den Boden ge\u00adbunden war. Die Zentralmacht war schwach entwickelt, es gab kei\u00adne einheitliche Recht\u00adsprechung oder W\u00e4hrung. Die St\u00e4dte waren keine Verwal\u00adtungszentren gro\u00dfer Reiche, keine gro\u00dfz\u00fcgig angelegten architektonischen Wunder wie in den islamischen Staaten, waren viel kleiner als Bagdad, C\u00f3rdoba oder Isfahan. Aber sie hatten ein h\u00f6heres Ma\u00df an Unabh\u00e4ngigkeit. In ihnen ent\u00adwickelten sich Formen der Produktion, die sich von der agrarischen Wirtschaft l\u00f6sten, entwickelten sich \u00fcber Handwerk und Handel neue Klas\u00adsen, die mehr und mehr in offenen Interessengegensatz zu Feudalherren, K\u00f6nigen und Kirche gerie\u00adten. Die Bourgeoisie, die sich zuerst in den norditalienischen Stadtstaaten zu ei\u00adner neuen Klasse formierte, wurde zum Gegengewicht gegen Kirchen und K\u00f6nig\u00adtum und beschr\u00e4nkte zunehmend deren Macht.<\/p>\n
Die asiatische Produktionsweise ist im Gegensatz zum europ\u00e4ischen Feudalismus von ei\u00adner starken Zentralmacht gepr\u00e4gt, die w\u00e4hrend des historischen Aufstiegs eines Landes in der Lage ist, gro\u00dfe Infrastrukturma\u00dfnahmen auf den Weg zu bringen. Oftmals, aller\u00addings nicht im Fall des Iran, ist die im gro\u00dfen Ma\u00dfstab or\u00adganisierte Bew\u00e4sserung ein Kennzeichen der asiatischen Produktionsweise. Statt unabh\u00e4ngiger und vielf\u00e4ltiger Zwi\u00adschenklassen existieren gro\u00dfe B\u00fcrokratien oder Aristokratien, welche in den Provinzen die Zentralmacht vertreten und f\u00fcr die Eintreibung von Steuern zust\u00e4ndig sind. Die b\u00e4u\u00aderlichen Massen sind nicht gegen\u00fcber den einzelnen Feudalherren tributpflichtig, son\u00addern gegen\u00fcber dem Reich. Ein Teil des b\u00e4uerlichen Mehrprodukts wird direkt durch die b\u00fcrokrati\u00adschen Vertreter der Zentralmacht angeeignet. Das f\u00fchrt dazu, dass sich der Klas\u00adsenkampf zwischen den Bauern und den Herrschenden als Kampf um die H\u00f6he der Steuern entwickelt.<\/p>\n
In der Phase der islamischen Expansion wuchsen auch die Staatsfinanzen. Durch das Sys\u00adtem, Steuern zuerst nur von tributpflichtigen Nicht-Muslimen zu kassie\u00adren und diesen daf\u00fcr ihre religi\u00f6sen und kulturellen Freiheiten zu belassen, floss reichlich Geld in die staatlichen Kassen. Doch daraus resultierte auch eine hohe Bereitschaft, zum Islam zu konvertieren. Zur Finanzierung des umfangreichen staatlichen Apparates mussten schon bald indirekte Steuern von allen erhoben werden:<\/p>\n
\u201eFr\u00fcher waren im Kalifenreich Konsumsteuern unbekannt, diese wurden jetzt in ausge\u00addehntem Ma\u00dfe erhoben \u2026 es kam vor, dass die verschiedenen Steuern mehr als die H\u00e4lfte des Bodenertrages oder des Einkommens verschlangen.\u201c137<\/p>\n
Viele islamische St\u00e4dte waren pr\u00e4chtig, aber zu gro\u00df. Der Aufwand zu ihrer Er\u00adn\u00e4hrung und Finanzierung war enorm, zu gro\u00dfe Anteile des Mehrprodukts wur\u00adden f\u00fcr die Auf\u00adrechterhaltung von Staatsapparat, B\u00fcrokratie und \u2013 vor allem w\u00e4hrend des lang dauern\u00adden Niedergangs des Osmanischen Reiches \u2013 f\u00fcr den Hof, den Luxus einer kleinen Schicht von Herrschenden verbraucht:<\/p>\n
\u201eAls die Produktivit\u00e4t stagniert, wird es immer schwerer, die Existenz der in Anzahl und jeweiliger Gr\u00f6\u00dfe rapide gewachsenen St\u00e4dte aufrechtzuerhalten. \u00dcberm\u00e4\u00dfige Verst\u00e4dte\u00adrung und hohe Le\u00adbenshaltungskosten sind einer der zentralen Faktoren des Zerfalls.\u201c138<\/p>\n
Dieses System f\u00fchrte dazu, dass die Anreize, die Produktivit\u00e4t zu steigern, sehr gering waren. Die Bauern litten unter der Belastung durch Abgaben. Die Provinz-B\u00fcrokratien trieben das Geld f\u00fcr den Zentralstaat ein, behielten aber immer mehr f\u00fcr sich selbst. Die Macht des Kalifats und seiner Nachfolger verfiel fak\u00adtisch. Nominell war das Osmanische Reich w\u00e4hrend seiner Stagnation ein hoch zentralisierter Staat, faktisch schwand die Kontrolle \u00fcber die Provinzen. Die \u00f6rtli\u00adchen B\u00fcrokratien konnten sich nicht zu einer un\u00adabh\u00e4ngigen Klasse entwickeln. In Europa existierte ein Landadel, der auf der Grundlage der Kleinstaaterei den Spielraum besa\u00df durch Raub und Betrug seinen Besitz zu vergr\u00f6\u00ad\u00dfern. Die B\u00fcro\u00adkraten in den Osmanischen und Persischen Reichen zogen ihre Vorteile aus der Bewahrung des status quo. Nat\u00fcrlich gab es auch in Persien und Arabien Klassen\u00adk\u00e4mpfe. Aber diese f\u00fchrten nicht zu Durchbr\u00fcchen. Die St\u00e4dte konsumierten, es entwi\u00adckelte sich dort keine unabh\u00e4ngige Klasse von Handwerkern und H\u00e4nd\u00adlern, welche den Kampf mit der Zentralmacht f\u00fchren konnten. Die Rebellion der Bauern kehrte periodisch wieder, ersch\u00fctterte die Gesellschaft jedoch nicht.<\/p>\n
Die Dynamik des kulturell primitiven europ\u00e4ischen Feudalismus wird am Beispiel der iberischen Halbinsel besonders deutlich. Ohne Zweifel hatte die islamische Eroberung der Region einen gro\u00dfen kulturellen Aufschwung verschafft. Bebel er\u00adw\u00e4hnt die Hygiene, die Architektur, den hohen Bildungsgrad, die Stellung der Frau im arabischen Reich auf spanischem Boden und die Lage der Juden:<\/p>\n
\u201eAm wohlsten befanden sich in Spanien die Juden im Gegensatz zu den Zeiten ihrer Ver\u00adfolgung und Unterdr\u00fcckung durch die Christen; sie erwiesen sich den Arabern sehr dank\u00adbar und wurden die eifrigsten Verfechter der neuen Ordnung der Dinge.\u201c139<\/p>\n
Den christlichen spanischen Feudalherren und der Kirche gelang jedoch \u00fcber Jahrhun\u00adderte eine Mobilisierung vor allem der armen christlichen Massen gegen die maurisch-is\u00adlamische Besetzung. Ab dem 8. Jahrhundert bis 1492 lief die Re\u00adconquista, die christliche R\u00fcckeroberung Spaniens. Das Bildungs- und Kulturni\u00adveau des christlichen Widerstandes lag weit unter dem der Mauren. So wurde Ba\u00adden von den Christen als heidnische Sitte be\u00adtrachtet, \u00f6ffentliche B\u00e4der daher zerst\u00f6rt. Bei der Eroberung islamischer St\u00e4dte wurden Hochschulen und Biblio\u00adtheken gebrandschatzt, allein Kardinal Ximenes r\u00fchmte sich, die Vernichtung von einer Million B\u00fccher angeordnet zu haben.140 Muslime und Juden, die am Besten ausgebilde\u00adten und f\u00e4higsten BewohnerInnen, wurden ausgeraubt und au\u00dfer Landes gewiesen. Vor allem Juden waren m\u00f6rderischen Verfolgungen ausgesetzt. Die Vernich\u00adtung von Kultur und Wissen und die Vertreibung der Muslime und Juden f\u00fchrte zum schnellen Verfall Spaniens, seiner Wirtschaft, seiner St\u00e4dte.<\/p>\n
Und doch war die Reconquista ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung des Kapita\u00adlismus. Die spanischen Ritter waren oft analphabetische Lumpen, auf niedrigem kulturellen Ni\u00adveau, getrieben von der Aussicht, bei der Pl\u00fcnderung reiche Beute zu machen. Doch sie bildeten eine enorm dynamische soziale Schicht, waren Abenteurer und Raubritter. Die Beute aus der Pl\u00fcnderung des eroberten islami\u00adschen Kalifats schwand schnell, doch die spanischen Ritter entwickelten sich zu Konquistadoren, zu den Eroberern und Pl\u00fcnde\u00adrern Lateinamerikas.<\/p>\n
Abenteurer wie Pizarro und Hernandez mordeten sich durch das Reich der Inka, der Azteken und andere in Teilbereichen hoch entwickelten Imperien, die auf einer sehr starren Variante der asiatischen Produktionsweise basierten und f\u00fchrten deren schnellen Zusammenbruch herbei. Sie wurden da\u00admit zu wichtigen Exekutoren der urspr\u00fcnglichen kapitalistischen Akkumulation, der Anh\u00e4ufung von \u2013 meist durch Raub zusammengerafftem \u2013 Kapital in den H\u00e4nden der Unternehmer und Bankiers in Europa. Spanien und Portugal selbst verarmten in kurzer Zeit und sanken zur\u00fcck in mittelalterli\u00adche Dumpfheit. Aber das Silber, was die spanischen Eroberer durch die Sklavenarbeit von Millionen In\u00addigenen den Anden entrissen, bildete den Grundstock f\u00fcr die Herausbildung gro\u00dfer kapitalistischer Unternehmen zuerst in England und Holland, den wahren Profi\u00adteuren der Eroberung Lateinamerikas.<\/p>\n
Die wissenschaftlichen und k\u00fcnstlerischen Errungenschaften der islamischen Mauren in Spanien verschwanden in kurzer Zeit, zu starr war ihre Gesellschaft. Die kulturlosen Zer\u00adst\u00f6rer der Reicht\u00fcmer von Granada und C\u00f3rdoba, der arme Landadel Spaniens hingegen, spielten ihre Rolle als Geburtshelfer des Kapitalis\u00admus und damit einer weiter entwickelten Stufe der Kultur.<\/p>\n
S\u00e4kularisierung von oben<\/h4>\n
In den fr\u00fch entwickelten kapitalistischen L\u00e4ndern, in denen eine revolution\u00e4re Bourgeoisie entstand, waren und sind die Ideen der b\u00fcrgerlichen Gleichheit und der Trennung von Staat und Kirche in den Massen tief verankert. In der ersten gro\u00dfen b\u00fcr\u00adgerlichen Revolution Mitte des 17. Jahrhunderts in England mobilisierte die Bourgeoisie noch mit religi\u00f6sen, protestantischen Parolen. Doch die New Model Army des Kriegsherrn des Parlaments, Oliver Cromwell, war in ihrem Kern kei\u00adne religi\u00f6s-sektiererische Truppe, sondern eine po\u00adlitische Armee, eine Klassenar\u00admee, zur Durchsetzung b\u00fcrgerlicher Normen und der kapi\u00adtalistischen Produkti\u00adonsweise. Die Heere der franz\u00f6sischen Revolution ab 1789 brauchten die Sprache der Religion nicht mehr, sie k\u00e4mpften offen unter den b\u00fcrgerlichen Parolen von Br\u00fcderlichkeit, Gleichheit und Freiheit.<\/p>\n
Es dauerte bis tief ins 20. Jahrhundert, bis auch in den r\u00fcckst\u00e4ndigen europ\u00e4isch-christli\u00adchen L\u00e4ndern die Macht der Kirchen entscheidend eingeschr\u00e4nkt wurde, zuletzt im nach-frankistischen Spanien, in der die Kirche w\u00e4hrend der faschisti\u00adschen Diktatur von 1936 bis 1975 eine wichtige Rolle bei der Herrschaftssiche\u00adrung spielte. Auch in Europa existieren heute viele Formen von religi\u00f6sem Ob\u00adskurantismus, in r\u00fcckst\u00e4ndigen Regionen \u00fcbt die Kirche weiterhin ihre Macht aus, geh\u00f6rt auch immer noch zu den gr\u00f6\u00dften Grund\u00adbesitzern. Im \u00f6konomisch m\u00e4chtigsten Staat Europas, Deutschland, ist bis heute nicht die vollst\u00e4ndige Trennung von Staat und Kirche vollzogen, dort kassiert der Staat die Kirchen\u00adsteuer und in staatlichen Schulen werden christliche Lehren im Unterricht ver\u00adbreitet. Doch ohne Zweifel gibt es zur Zeit kein Land christlicher Tradition, in der die Errich\u00adtung einer klerikalen Diktatur durch eine fundamentalistisch-christli\u00adche Str\u00f6mung droht.<\/p>\n
Dies hat jedoch nichts, aber auch gar nichts mit dem Charakter der christlichen Religion zu tun. Der mittelalterliche Katholizismus war totalit\u00e4r, hat eine geistige Schre\u00adckensherrschaft \u00fcber die Bauernmassen ausge\u00fcbt. Der fr\u00fche Protestantismus hat keineswegs die Philoso\u00adphie bereichert, sondern war intellektuell vernagelt. Sein Verdienst besteht vor allem darin, die T\u00fcr ge\u00f6ffnet und die Allmacht der katholi\u00adschen Kirche gebrochen zu haben. Die umfassende und tief gehende S\u00e4kularisie\u00adrung der Massen in Europa ist Produkt des revolution\u00e4ren Wirkens der Bourgeoi\u00adsie und des Ankn\u00fcpfens der Arbeiterbewegung an den Ideen der Aufkl\u00e4rung. Die europ\u00e4ischen L\u00e4nder durchliefen daher mindestens zwei Wellen der S\u00e4kularisie\u00adrung, erst unter der aufstrebenden Kapitalistenklasse, dann, gr\u00fcndlicher, bewuss\u00adter, mit dem Aufstieg der Arbeiterbewegung. In der islamischen Welt fehlte jede revolution\u00e4re Bourgeoisie und damit deren Ideenwelt.<\/p>\n
Aufkl\u00e4rung, S\u00e4kularisierung und b\u00fcrgerliche Ideologie traten den islamischen L\u00e4ndern von au\u00dfen entgegen, in Form des kolonial-imperialistischen Strebens der weiter entwi\u00adckelten kapitalistischen Staaten, und sp\u00e4ter in Form von b\u00fcro\u00adkratischen, teils repressi\u00adven Ma\u00dfnahmen der eigenen herrschenden Elite. Der daraus resultierende Widerstand gegen die imperialistische Ausbeutung entwi\u00adckelte eine widerspr\u00fcchliche Form. So nahm im Iran die schiitische Geistlichkeit an diesem Widerstand teil. Anstatt immer unwichti\u00adger zu werden, wurde ihre po\u00adlitische Rolle in der Gesellschaft gest\u00e4rkt. Als 1890 die schwache und korrupte iranische Herrscherfamilie der Kadscharen der britischen Imperial Tobacco Corpo\u00adration of Persia das Tabakmonopol f\u00fcr 50 Jahre \u00fcbergab, f\u00fchrte das zur ersten Massenbewegung im modernen Iran, zu einem erfolgreichen Tabakboykott. Da\u00adbei verb\u00fcndete sich das kleine st\u00e4dtische B\u00fcrgertum mit der schiitischen Geist\u00adlichkeit. In Abwesenheit einer starken nationalen Bourgeosie \u201efiel der schiitischen Geistlichkeit eine gewisserma\u00dfen ,nationale\u2018 Rolle zu: die des H\u00fcters der Be\u00adlange der iranischen Bev\u00f6lkerung gegen ausl\u00e4ndische Einfl\u00fcsse einerseits, gegen die Konzessions\u00advergabe und Modernisierungsversuche der Kadscharenschahs andererseits.\u201c141<\/p>\n
Im Iran und der T\u00fcrkei wurde versucht, eine Modernisierung von oben durchzu\u00adsetzen. Mit den Atat\u00fcrkschen Reformen der 20er Jahre wurden europ\u00e4ische Rechtsnormen und das lateinische Alphabet eingef\u00fchrt. Die Trennung von Staat und Religion wurde formal sehr scharf durchgesetzt, bis hin zum Verbot f\u00fcr Stu\u00addierende und Beamte, in \u00f6ffentli\u00adchen Geb\u00e4uden das Kopftuch oder osmanische Kopfbedeckungen wie den Fez zu tragen. Der Kemalismus, die t\u00fcrkisch-nationa\u00adlistischen, laizistischen Ideen des Pr\u00e4sidenten Mustafa Kemal Pascha, genannt Ata\u00adt\u00fcrk, wurden zur offiziellen Ideologie des milit\u00e4risch-b\u00fcrokra\u00adtisch gepr\u00e4gten Einparteienstaates. Doch tiefe Wurzeln schlugen diese Reformen bei den Bauern\u00admassen nicht. Lediglich die d\u00fcnne st\u00e4dtische Schicht, die eng mit dem kemalisti\u00adschen Staatsapparat verbunden war, f\u00fchlte sich mit diesen Ideen eng verbunden. Erst die gro\u00dfen Klassenk\u00e4mpfe der jungen und dynamischen Arbeiterbewegung der T\u00fcrkei ab Mitte der 1960er Jahre f\u00fchrten dazu, die Vorherrschaft traditioneller is\u00adlamischer Ideen bei den Massen zur\u00fcck zu dr\u00e4ngen und moderne Werte und Ide\u00aden bei den Bauern und Arbeitern zu verankern. Die S\u00e4kularisierung in der T\u00fcrkei hatte die Form b\u00fcrgerlich-demokratischer Ideen \u00fcberwunden, Aufkl\u00e4rung und Modernisierung erschie\u00adnen den Massen in Form sozialistischer Ideen.<\/p>\n
Im Iran versuchte der neue, selbst ernannte Schah Reza Khan eine kapitalistische Mo\u00addernisierung des Landes ab 1925 durchzusetzen. Er verbot den Schleier und schr\u00e4nkte die T\u00e4tigkeit der Geistlichen ein. Doch er und ab 1941 sein Sohn st\u00fctz\u00adten sich nicht auf eine breite soziale Basis, sondern auf eine d\u00fcnne Schicht von Unternehmern, einen gro\u00dfen Beamten- und Milit\u00e4rapparat und \u2013 bis Anfang der 1960er Jahre \u2013 auf die Gro\u00dfgrundbesit\u00adzer. Sie traten den armen Massen als Beauf\u00adtragte der imperialistischen Ausbeutung des Landes entgegen. Das Verbot des Schleiers lie\u00df sich nicht durchhalten, vor allem Frauen aus \u00e4rmeren Schichten trugen diesen weiter. Der erste ernsthafte Versuch, die Verh\u00e4lt\u00adnisse auf dem Land zu ver\u00e4ndern, die Wei\u00dfe Revolution der fr\u00fchen 60er Jahre, f\u00fchrte zu er\u00adbittertem Widerstand der schiitischen Geistlichkeit. Diese bek\u00e4mpfte die Agrare\u00adform zwar aus reaktion\u00e4ren Gr\u00fcnden, konnte aber wegen ihres Widerstandes ge\u00adgen das verhasste Pahlavi-Regime auch bei den armen Schichten an Ansehen ge\u00adwinnen.<\/p>\n
Auch im Iran war es vor allem die Entwicklung der Arbeiterbewegung, das Wachstum der Tudeh-Partei nach dem 2. Weltkrieg und die Entwicklung der Fe\u00addayin sowie der studenti\u00adschen Gruppen in den 1970er Jahren, welches die Ideen\u00adwelt von Teilen der Arbeiterklasse und der Bauern sowie der st\u00e4dtischen Intellek\u00adtuellen grundlegend und tiefgehend modernisierten und s\u00e4kularisierten. Nicht der Schah, seine modernen Technokraten und die schwache, vom Imperialismus abh\u00e4ngige Bourgeoisie waren in der Lage, das Denken der Volksmassen entschei\u00addend zu modernisieren, nur die Arbeiterbewegung hatte diese geistige Kraft.<\/p>\n
Niederlagen der Arbeiterbewegung<\/h4>\n
In der Periode nach dem 2. Weltkrieg entstanden im Nahen Osten kommunisti\u00adsche Mas\u00adsenparteien, meist moskau-stalinistischer Pr\u00e4gung. Linke Ideen domi\u00adnierten die \u00f6ffentli\u00adche Diskusssion, der politische Islam spielte nur eine Neben\u00adrolle. In einer Reihe von L\u00e4ndern ergaben sich M\u00f6glich\u00adkeiten f\u00fcr die Arbei\u00adterklasse, den Kapitalismus zu st\u00fcrzen. Diese M\u00f6glichkeiten wurden nicht genutzt, weil die KPen sich nur als Hilfstruppe ihrer b\u00fcrgerlichen B\u00fcndnispart\u00adner sahen. Die starke Kommunistische Partei des Irak sah ab 1958 den nationalis\u00adtischen General Qa\u00adsim als Repr\u00e4sentanten des b\u00fcrgerlichen Fortschritts, als \u201eal\u00adleinigen F\u00fchrer\u201c und blieb politisch in seinem Schlepptau. Sie verschob, \u201ein einem Kniefall vor Moskau, das den Irak nur als Handelsmasse im Kalten Krieg ansah\u201c, die Ver\u00adstaatlichung der \u00d6lindustrie. Bis 1963 verlor sie ihre Basis und konnte nach dem Putsch der Baath-Partei blutig unter\u00addr\u00fcckt werden.142 Im Iran versagten Tudeh-Partei und Fedayin 1978\/79 dabei, die Khomeini-Bewegung korrekt zu analysie\u00adren und ein unabh\u00e4ngiges Programm f\u00fcr eine Machteroberung der Arbeiterklas\u00adse zu entwickeln.<\/p>\n
Der sogenannte \u201earabische Sozialismus\u201c der b\u00fcrokratischen und Milit\u00e4r-Eliten um Nasser in \u00c4gypten oder die Baath-Parteien in Irak und Syrien war kein Sozialis\u00admus, sondern Na\u00adtionalismus. Die Regime dieser Pr\u00e4gung waren nicht willens, den Kapitalismus zu st\u00fcr\u00adzen, in der Folge blieb auch ihr Panarabismus, die Idee, Ara\u00adbien politisch und \u00f6kono\u00admisch zu einigen, wirkungslos, weil alle Regime sich auf ihren eigenen Staatsapparat und ihre nationale Kapitalistenklasse st\u00fctzten. Irak, \u00c4gypten und Syrien entwickelten sich zu Diktaturen gegen das einfache Volk; Saddam Hussein organisierte im Irak eine brutale national-religi\u00f6se Unter\u00addr\u00fcckung von Kurden und Schiiten bis hin zum Massenmord. Die Entt\u00e4uschung mit dem f\u00fcr links gehaltenen Panarabismus f\u00fchrte dazu, dass der Wider\u00adstand ge\u00adgen die Regime z.B. in \u00c4gypten, Algerien und Teilen des Irak sich auf islamisti\u00adsche Ideen beruft.<\/p>\n
In Pal\u00e4stina erwies sich die weltlich orientierte, b\u00fcrgerlich-nationale F\u00fchrung um Ara\u00adfats PLO als korrupt und unf\u00e4hig, die Befreiung der besetzten Gebiete und \u00fcberhaupt ir\u00adgendeinen Fortschritt zu erreichen. Die linken Organisationen wie die PFLP (Volksfront zur Befreiung Pal\u00e4stinas), die Anfang der 1970er Jahre noch \u00fcber einen gro\u00dfen Einfluss ver\u00adf\u00fcgten, hatten kein von der PLO unabh\u00e4ngiges Programm. Sie blieben im Rahmen des Na\u00adtionalismus, waren nur \u201eradikaler\u201c in ihren Kampfmethoden und trieben den indivi\u00adduellen Terrorismus auf die Spitze. Dieser politische Bankrott f\u00fchrte dazu, dass in Pal\u00e4stina islamistische Gruppen wie die Hamas einen Massenanhang gewannen.<\/p>\n
Die islamischen L\u00e4nder waren nicht immer von fundamentalistischen Str\u00f6mun\u00adgen domi\u00adniert. W\u00e4hrend des Aufschwungs der Arbeiterbewegung wurden religi\u00ad\u00f6se Ideen in den Hintergrund gedr\u00e4ngt, blieben aber vor allem in der Landbev\u00f6l\u00adkerung, den Mittelschich\u00adten sowie bei den st\u00e4dtischen Armen verankert. Die verpassten Chancen der Arbei\u00adterbewegung, der Niedergang der arabisch-natio\u00adnalen Regime sowie die Unf\u00e4higkeit der b\u00fcrgerlich-nationalen und linken Orga\u00adnisationen, bez\u00fcglich der Befreiung vom Imperia\u00adlismus Fortschritte zu machen, f\u00fchrten zu einer Diskreditierung b\u00fcrgerlich-demokrati\u00adscher und sozialistischer Ideen. Der Zusammenbruch der stalinistischen Staaten Osteuro\u00adpas vertiefte diese ideologische Krise. In dieses Vakuum stie\u00dfen die Islamisten. Das f\u00fchrte zu einer religi\u00f6sen Durchdringung auch in L\u00e4ndern, in denen die St\u00e4rke linker Ideen die Dominanz weltlicher Ideen erm\u00f6glicht hatte, wie im Irak und in Pal\u00e4stina.<\/p>\n
Verst\u00e4rkt wurde dieser Prozess durch die weltweite Durchsetzung neoliberaler Verh\u00e4lt\u00adnisse. Der Abbau staatlicher Dienste und Subventionen vertiefte erneute die massenhafte Armut im Nahen Osten. Dies nutzen islamistische Organisatio\u00adnen, finanziert von reichen Hinterm\u00e4nnern z.B. in Saudi-Arabien und den Golf\u00adstaaten. Sie boten gut ausgestattete Koranschulen als Alternative zu qualitativ schlechten staatlichen Schulen an, organisier\u00adten Hilfen f\u00fcr die Armen, als die Staaten ihre Sozialleistungen und Subventionen k\u00fcrz\u00adten. Diese Methoden setzen Islamisten auch in Europa ein, im Nahen Osten entfalteten sie eine gr\u00f6\u00dfere Wir\u00adkung.<\/p>\n
Die westlichen Staaten, vor allem der US-Imperialismus, sahen die Islamisten als kleine\u00adres \u00dcbel und setzten sie ab Mitte der 1970er Jahre bewusst gegen die Linke und den Sowjet\u00adblock ein. In Afghanistan wurden die reaktion\u00e4ren Mudschahedin vom CIA ausbildet und fi\u00adnanziert, um das mit der Sowjetunion verb\u00fcndete stali\u00adnistische Regime zu zerschlagen. Dieses hatte erstmals Freiheitsrechte f\u00fcr die af\u00adghanischen Frauen eingef\u00fchrt \u2013 wenn auch mit komplett falschen, stalinistischen Methoden. Frankreich lie\u00df Khomeini w\u00e4h\u00adrend des revolution\u00e4ren Aufstandes 1979 in den Iran reisen, seine Reden wurden auf per\u00adsisch in den Iran hinein ge\u00adsendet. F\u00fcr den Imperialismus war der Ayatollah das kleinere \u00dcbel verglichen mit einer erfolgreichen Arbeiterrevolution im Iran. Die t\u00fcrkischen Putschgener\u00e4\u00adle von 1980 zerschlugen die Linke gewaltsam und gaben islamistischen Gruppen den Spielraum, das geistige Vakuum zu f\u00fcllen, was die Linke hinterlie\u00df. Sie schw\u00e4chten das staatliche Bildungswesen und erweiterten die M\u00f6glichkeiten f\u00fcr Koran-Schulen.<\/p>\n
In den islamischen L\u00e4ndern fehlt die \u00f6konomische und Klassenbasis f\u00fcr eine Auf\u00adkl\u00e4rung b\u00fcrgerlichen Typs. Nur eine neu aufzubauende sozialistische Arbeiterbe\u00adwegung wird in der Lage sein, eine geistige Modernisierung dieser L\u00e4nder herbei\u00adzuf\u00fchren. Der afghani\u00adsche Intellektuelle Nadschim ud-Din Bammat schrieb 1959:<\/p>\n
\u201eDer heutige Islam muss eine Reihe von Revolutionen gleichzeitig durchleben: eine religi\u00ad\u00f6se Revo\u00adlution wie die Reformation; eine intellektuelle und moralische Revolution wie die Aufkl\u00e4rung des 18. Jahrhunderts; eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Revolution wie die europ\u00e4ische indus\u00adtrielle Revolution des 19. Jahrhunderts.\u201c143<\/p>\n
Hinzugef\u00fcgt werden muss, dass all diese Aufgaben heute zusammenwachsen in der Auf\u00adgabe der Arbeiterklasse, den Kapitalismus abzuschaffen. Ohne diesen Kampf werden die islamischen L\u00e4nder Horte der R\u00fcckst\u00e4ndigkeit bleiben.<\/p>\n
Massenreligiosit\u00e4t im Iran<\/h4>\n
Teile der iranischen Bev\u00f6lkerung, vor allem Frauen und Jugendliche, hassen das islamis\u00adtische Regime aus tiefem Herzen. Die Grausamkeiten, die L\u00fcgen, die Bor\u00adniertheit sind f\u00fcr viele kaum auszuhalten. Die weite Verbreitung moderner Kom\u00admunikation und das rela\u00adtiv hohe Bildungsniveau machen den Widerspruch zum Regime des mittelalterlichen Stumpfsinns nur sch\u00e4rfer. Das Mullah-Regime weist in seiner totalit\u00e4ren Auspr\u00e4gung Ele\u00admente auf, die denen des Faschismus \u00e4hnlich sind. Die Basidschi-Schl\u00e4ger, rekrutiert aus \u00e4r\u00admeren Schichten, finanziell vom Re\u00adgime unterst\u00fctzt, erinnern an die SA, Pasdaran und andere \u201eSittenw\u00e4chter\u201c be\u00adspitzeln die Bev\u00f6lkerung wie Blockwarte.<\/p>\n
Es sind vor allem diese Frauen und Jugendlichen, welche eine Speerspitze des Kampfes gegen das Ahmadinedschad-Regime bilden. Sie waren am Beginn auf der Stra\u00dfe, sie haben geholfen, die Proteste zu radikalisieren, sie haben geholfen, dass nicht nur der Ruf \u201eWo ist meine Stimme?\u201c durch die Stra\u00dfen von Teheran, T\u00e4bris und Isfahan schallt, sondern dass auch gerufen wird \u201eNieder mit der islami\u00adschen Republik\u201c oder \u201eTod dem Diktator\u201c. Viele von ihnen hassen nicht nur das Re\u00adgime, sondern auch die islamische Religion. Das ist verst\u00e4ndlich und die Forde\u00adrung nach Trennung von Staat und Religion ist zentral. Al\u00adlerdings m\u00fcssen wir davon ausgehen, dass breite Schichten der iranischen Bev\u00f6lkerung \u2013 gerade der Landbev\u00f6lkerung und der st\u00e4dtischen Armen \u2013 sich als islamisch sehen. Ahmadinedschad ist nicht der Schah. Auch er st\u00fctzt sich in erster Linie auf Repression und Angst, aber gleichzeitig verf\u00fcgt er \u00fcber eine breitere gesellschaftliche Basis als der Schah 1978.<\/p>\n
Den politisch bewussten Schichten der Jugend, der Frauen und der ArbeiterInnen f\u00e4llt daher eine besondere Verantwortung zu: W\u00e4hrend sie entschlossen gegen die klerikale Dikta\u00adtur k\u00e4mpfen, sollten sie nicht der Versuchung erliegen, einen Kampf gegen die Gl\u00e4ubigen selbst zu f\u00fchren. W\u00e4hrend es wichtig ist, dass Frauen das Kopftuch ab\u00adlegen, um ihre Unabh\u00e4ngigkeit von der Diktatur zu demonstrie\u00adren, sollte das Ablegen des Kopftuches nicht als Bedingung definiert werden, um als Verb\u00fcndete im Kampf akzep\u00adtiert zu werden. Das f\u00fchrt uns zur\u00fcck an den An\u00adfang des Kapitels, zu Lenins For\u00admulierungen. In seinem schon oben zitierten Text \u201eSozialismus und Religion\u201c hei\u00dft es weiter:<\/p>\n
\u201e\u2026 Die Einheit dieses wirklich revolution\u00e4ren Kampfes der unterdr\u00fcckten Klasse f\u00fcr ein Paradies auf Erden ist uns wichtiger als die Einheit der Meinungen der Proletarier \u00fcber das Paradies im Himmel …\u201c<\/p>\n
Nach Lenin d\u00fcrfe nicht zugelassen werden, dass der revolution\u00e4re Kampf ge\u00adschw\u00e4cht werde \u201e… um drittrangiger Meinungen oder Hirngespinste willen (…), die rasch jede politische Be\u00addeutung verlieren und durch den ganzen Gang der \u00f6konomischen Entwicklung bald in die Rumpel\u00adkammer geworfen werden \u2026\u201c144<\/p>\n
Rukhsana Manzoor vom Socialist Movement Pakistan, der pakistanischen Sektion des CWI, konkretisiert dies in Bezug auf die im Iran und in Europa viel diskutierte Frage des Schleiers:<\/p>\n
\u201eMedien, Politiker und religi\u00f6se F\u00fchrer versuchen den Eindruck zu vermitteln, dass (der Schlei\u00ader) die zentrale Sache f\u00fcr die Frauen ist \u2026. Aber das Entscheidende f\u00fcr die Frauen ist nicht der Schleier sondern die Notwendigkeit sich von Ausbeutung und entsetzlichen Lebensbedingun\u00adgen zu befreien \u2026 H\u00e4usliche Gewalt, soziale, politische und wirtschaftliche Diskriminierung, Arbeitslosigkeit, Ar\u00admut, Hunger, Bildung, Gesundheit und geschlechtliche Diskriminierung sind die zentralen Proble\u00adme, denen sich die Frauen aus der Arbeiterklasse gegen\u00fcber sehen \u2013 mit Schleier und ohne.\u201c145<\/p>\n
Dies \u00e4ndert nichts daran, dass jeder Kampf der Frauen gegen den Schleier- und Kopftuch\u00adzwang unterst\u00fctzt werden muss, dass dieser Kampf gerade im Iran zu einem wichtigen Symbol werden kann. Aber aus dieser Analyse folgt, dass Sozia\u00adlistInnen es nicht zur Bedin\u00adgung eines gemeinsamen Kampfes machen, die Ver\u00adschleierung als Problem zu sehen, dass sie daf\u00fcr streiten, dass diese Frage nicht die Klassenfrage \u00fcberdeckt. Die Wirt\u00adschaftskrise, K\u00fcrzungen und Privatisierun\u00adgen werden zu Angriffen auf die Arbeiterklasse und zu M\u00f6glichkeiten des Wider\u00adstandes f\u00fchren, auch religi\u00f6se Schichten geraten mehr und mehr in Gegensatz zum Regime. Es ist die Aufgabe der sozialistischen Kr\u00e4fte in der Bewegung, Lo\u00adsungen und Strategien vorzuschlagen, welche die zentralen demokrati\u00adschen For\u00adderungen mit den sozialen Interessen der Arbeiterklasse verbinden. Entschei\u00addend bleibt, die Gemeinsamkeiten der Klasse zu betonen, \u00fcber religi\u00f6se Grenzen hinaus.<\/p>\n
Islamophobie in Europa<\/h4>\n
Die Frage des Islams ist nicht nur f\u00fcr den Kampf im Iran wichtig. F\u00fcr iranische ExilantInnen hierzulande aber auch f\u00fcr die Linke insgesamt stellt sich die Frage, wie mit dem Islam in Europa umzugehen ist. W\u00e4hrend der Fundamentalismus im Iran, Mittelasien und Arabien eine reale Ge\u00adfahr f\u00fcr die Arbeiterbewegung und die Linke ist, basieren die Warnungen vor ei\u00adner \u201eIslamisierung Europas\u201c auf Hysterie oder dem Kalk\u00fcl, dieses spaltende The\u00adma in den Vordergrund zu schieben.<\/p>\n
Das offensichtlich Reaktion\u00e4re am Fundamentalismus wird von b\u00fcrgerlichen Po\u00adlitikern und vielen Medien gezielt benutzt, um damit die ganze Religion, deren An\u00adh\u00e4ngerInnen und die EinwanderInnen aus vorwiegend muslimischen L\u00e4ndern, ungeach\u00adtet ihres pers\u00f6nlichen Glaubens, zu diskreditieren. Dem Islam insgesamt werden Ph\u00e4nomene zugeschrieben, die wie Terroranschl\u00e4ge nur von extremen Funda\u00admentalisten gutgehei\u00dfen werden. Dem Is\u00adlam zuge\u00adschriebene frauenfeindliche Elemente wie die Verschleierung, die Ab\u00adschottung der T\u00f6chter, die aggressive Diskrimierung Homosexueller, die soge\u00adnannten \u201eEhrenmorde\u201c, sind hingegen keine origin\u00e4r islamischen Regeln, sondern sind \u2013 in unter\u00adschiedlicher Auspr\u00e4\u00adgung \u2013 Elemente vieler feudaler, patriarchali\u00adscher Gesellschaften.<\/p>\n
Die meisten rassistischen und faschistischen Gruppen sind in Richtung des Kamp\u00adfes ge\u00adgen den Islam umgeschwenkt. Angesichts der unleugbaren Realit\u00e4t der mul\u00adtiethnischen Gesellschaften und der strukturellen Schw\u00e4che des klassischen Ras\u00adsismus nutzen die Rechten das Thema, um breitere Schichten zu erreichen. Die Feindschaft gegen den Islam ist die freundlich-liberale Maske, hinter der die Frat\u00adze des Rassismus steckt.<\/p>\n
Einige der unz\u00e4hligen \u201eIslam-Gegner\u201c, welche das Internet bev\u00f6lkern, m\u00f6gen es ernst meinen mit Liberalit\u00e4t, Gleichberechtigung von Frauen und Ablehnung von Antisemitis\u00admus. Doch wer glaubt, eine Form von Diskriminierung f\u00f6rdern zu k\u00f6n\u00adnen und die ande\u00adren dabei zur\u00fcckzudr\u00e4ngen, der t\u00e4uscht sich. Die \u201eIslam-Kri\u00adtikerInnen\u201c aus dem liberalen oder ex-liberalen Lager wie Ralph Giordano oder Necla Kelek machen einen Denkfehler. Sie denken, sie k\u00f6nnten gnadenlos auf die islamische Reli\u00adgion eindreschen und am Ende w\u00fcrde damit nur die \u201eIslam-Kritik\u201c gest\u00e4rkt. Tats\u00e4ch\u00adlich f\u00fchrt die aggressive \u201eIslam-Kri\u00adtik\u201c zur Ethnisierung der gesamten politischen De\u00adbatte und tr\u00e4gt Antisemitismus und Rassismus im Huckepack. Sie sagen \u201eIslam\u201c, aber bei denjenigen, die offen daf\u00fcr sind, na\u00adtionale oder religi\u00f6se Gruppen f\u00fcr soziale und politische Missst\u00e4nde verantwortlich zu machen, kommt was anderes an. Diese ma\u00adchen nicht den feinen Unterschied zwischen Arabern und Juden, f\u00fcr sie ist die Agita\u00adtion gegen Muslime eine Best\u00e4tigung ihrer Abnei\u00adgung gegen \u201eAusl\u00e4nder\u201c, \u201edie T\u00fcr\u00adken\u201c oder \u201edie Verr\u00fcckten aus dem Nahen Osten\u201c. Gruppen wie ProNRW und das Islamhasser-Blog Politically Incorrect machen sich dies bewusst zu Nutze. Sie sehen die Propaganda gegen Moscheen, Minarette und den Is\u00adlam als Einfallstor, um grundlegend rassistische Ideen zu verbreiten und den Hass gegen Nicht-Deut\u00adsche zu steigern. \u201eAntideutsche\u201c und b\u00fcrgerliche \u201eIslam-KritikerInnen\u201c hingegen be\u00adf\u00f6rdern dumpf-deutsche Ideen zumeist durch ihre Ignoranz.<\/p>\n
Die Gleichsetzung der Fundamentalisten mit dem Islam ist von b\u00fcrgerlichen Poli\u00adtikern und Medien nach 9\/11 vorangetrieben worden, um die Kriege in Afghanis\u00adtan, Irak und anderswo ideologisch abzusichern. In Deutschland spielt die Anti-Islam-Propaganda auch bei der Debatte um Bil\u00addungschancen und Arbeitslosigkeit eine Rolle. So sollen \u201eBildungs\u00adferne\u201c und \u201emangelnde Integration\u201c junger Men\u00adschen aus muslimischen L\u00e4ndern angeb\u00adlich f\u00fcr deren schlechten Ausbildungs\u00adstand verantwortlich sein, nicht etwa die Unterfi\u00adnanzierung des Bildungswesens, die fr\u00fche Auslese in den deutschen Schulen, die Arme und MigrantInnen benachtei\u00adligt, die Diskriminierung bei der Jobsuche. Die Hetzreden des ehemaligen Berliner Finanzsenators Sarrazin (SPD) gegen Ara\u00adber und T\u00fcrken146 verbinden Islamopho\u00adbie mit offenem Klassenhass eines Kapital\u00advertreters gegen die Armen und ha\u00adben seitens vieler Zeitungskommentatoren und b\u00fcrgerlicher Politiker Zustimmung be\u00adkommen.<\/p>\n
MarxistInnen fordern von den MigrantInnen nicht die \u201eIntegration\u201c in die deutsche Ge\u00adsellschaft. Sie fordern gleiche Rechte, gleiche Freiheiten, gleichen Respekt f\u00fcr alle. Und argumentieren f\u00fcr die gegenseitige Integration deutscher und migran\u00adtischer Arbeiter und Ju\u00adgendlicher im Kampf f\u00fcr ihre Klasseninteressen. Die Hin\u00addernisse f\u00fcr diesen gemeinsamen Kampf m\u00fcssen aus dem Weg ger\u00e4umt werden. Auch hier gilt, dass der Streit \u00fcber die verschiedenen Auffassungen \u00fcber das Himmelreich und die dazugeh\u00f6rigen Traditionen die Frage des gemeinsamen Klassenkampfes nicht \u00fcberlagern darf. Eine abstrakte anti-religi\u00f6se Haltung, die religi\u00f6sen Menschen den Respekt verweigert, beinhaltet jedoch die Gefahr, dass dieses Ziel nicht erreicht wird. Die Trennung von Staat und Religion ist eine notwendige Ma\u00dfnahme, die Subven\u00adtionierung der katholischen und evangelischen Kirchen mit Steuergeldern und konfessioneller Unterricht an staatlichen Schulen geh\u00f6ren abgeschafft. Die Kehrseite dieser Forderung ist allerdings, dass die Linke Religion als Privatsache betrachten und f\u00fcr deren Freiheit eintreten muss. MarxistInnen sind nicht daf\u00fcr, dass Moscheen gebaut werden. Aber wir lehnen es ab, dass der deutsche Staat das Recht einschr\u00e4nkt, mit privaten Geldern Moscheen zu errichten, wir verteidigen das Recht auf den Bau von Moscheen, nach eigenen Vor\u00adstellungen und Baupl\u00e4nen.<\/p>\n
Wir k\u00e4mpfen in den islamischen L\u00e4ndern gegen den Zwang zum Kopftuch oder Schleier. Wir lehnen es ab, dass ein Staat Menschen vorschreibt, welche Kleidung sie tragen, was sie denken sollen, wie sie ihre Sexualit\u00e4t ausleben. Das hei\u00dft aller\u00addings auch, dass wir in Deutschland und anderen L\u00e4ndern das Recht von Frauen verteidigen, Kopftuch, Schleier oder auch Burka zu tragen. In vielen F\u00e4llen ist das Tragen des Kopftuches ein Ausdruck patriarchali\u00adscher Herrschaft \u00fcber oder Aus\u00addruck der Akzeptanz patriarchali\u00adscher Ideo\u00adlogie durch die Frau. Viele Muslima in Deutschland und Europa sehen jedoch das Kopf\u00adtuch auch als Symbol des Stol\u00adzes, der Selbstbehauptung gegen\u00fcber einer Gesellschaft, von der sie sich zuneh\u00admend entfremdet f\u00fchlen. Auff\u00e4llig ist, dass es oftmals gut gebildete junge Frauen sind, die bewusst das Kopftuch tragen.<\/p>\n
MarxistInnen stehen in dieser Auseinandersetzung auf der Seite der Frau. Wenn eine Frau \u00adausbrechen will aus patriarchaler Unterdr\u00fcckung, sich von Mann und Fami\u00adlie trennen oder den Schleier ablegen will, dann unterst\u00fctzen wir sie. Wir unterst\u00fctzen homosexuelle MigrantInnen, die sich gegen die Homophobie in vielen Migranten-Communities zur Wehr setzen. Wir lehnen es allerdings ab, dass euro\u00adp\u00e4ische Staaten eine Kleiderordnung erlassen. Es w\u00e4re absurd zu glauben, dass der deutsche Staat, der den MigrantInnen seit Jahrzehnten Rechte vorenth\u00e4lt und sie in den letzten Jahren zu S\u00fcndenb\u00f6\u00adcken gemacht hat, Schritte zur Be\u00adfreiung der Frau unternehmen will oder kann. Staat und Politiker, die angeblich f\u00fcr die Rechte der Frauen eintreten, handeln tats\u00e4chlich entgegengesetzt. Sie haben durch \u00c4n\u00adderungen im Ausl\u00e4nderrecht die Frauen st\u00e4rker an ihre Ehem\u00e4n\u00adner gefesselt, auch wenn diese ge\u00adwaltt\u00e4tig sind147.<\/p>\n
Wir k\u00f6nnen es nachvollziehen, wenn Linke aus dem Iran oder der T\u00fcrkei auf Grundlage ihrer Erfahrungen mit dem Islamismus auch in Deutschland ungedul\u00addig sind und Repres\u00adsionen des deutschen Staates gegen die Aus\u00fcbung des Islams guthei\u00dfen und beispielswei\u00adse den Bau von Moscheen ablehnen. Aber dieser Weg f\u00fchrt in die Irre. Der Kampf f\u00fcr de\u00admokratische Rechte ist unteilbar. Die Unter\u00addr\u00fcckung einer Religion, auch wenn sie in der milden Form von Ablehnung von Bauantr\u00e4gen f\u00fcr Moscheen oder per Kopftuchverbot f\u00fcr Lehrerinnen erfolgt, treibt den Keil tiefer in die Arbeiterklasse hinein, spaltet entlang religi\u00f6ser und nationa\u00adler Linien, f\u00fchrt dazu, dass die \u00f6ffentliche Diskussion ethnisiert und kul\u00adturalisiert wird, dass von den sozialen Widerspr\u00fcchen und Interessen abgelenkt wird.<\/p>\n
Die Arbeiterbewegung und die Linke in Deutschland m\u00fcssen den MigrantInnen, vor allem der Jugend, beweisen, dass sich ein gemeinsamer Kampf lohnt, dass durch die Einheit der Lohnabh\u00e4ngigen und der Armen das Leben f\u00fcr Alle verbessert wer\u00adden kann. So kann die Entfremdung junger MigrantInnen von der deutschen Ge\u00adsellschaft gestoppt, eine Integrati\u00adon in die gemeinsame Arbeiterklasse bef\u00f6rdert wer\u00adden, denn die \u201e\u2026 Einheit dieses wirklich revolution\u00e4ren Kampfes der unterdr\u00fcckten Klasse f\u00fcr ein Para\u00addies auf Erden ist uns wichtiger als die Einheit der Meinungen der Proletarier \u00fcber das Paradies im Himmel …\u201c148<\/p>\n
118 August Bebel, Die Mohamedanisch-Arabische Kulturperiode<\/i><\/span>, S. 61. August Bebel war einer der Begr\u00fcnder der Arbei\u00adterbewegung in Deutschland und bis zu seinem Tod 1913 Vorsit\u00adzender der SPD. Als f\u00fchrender Marxist verfasste er viele wichtige und bekannte Schriften, so z.B. \u201eDie Frau und der Sozialismus\u201c.<\/i><\/span> Die hier zitierte Schrift \u00fcber die Geschich\u00adte des Islams, die zu seinen unbekannteren Werken geh\u00f6rt, ist vor allem eine Polemik gegen die christlich-eurozentri\u00adsche Sicht, welche das Abendland als einzigen Tr\u00e4ger der Kultur beschreibt. Heute wird der Begriff mohammeda\u00adnisch<\/i><\/span> im Deutschen nicht mehr ver\u00adwendet, stattdessen wird muslimisch bzw. islamisch verwendet.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n119 www.ex-muslime.de\/indexVerein.html.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n120 Das Islamhasser-Blog Politically Incorrect<\/i><\/span> erw\u00e4hnt Mina Ahadi lobend und interviewt sie. Unbekannt ist, ob Ahadi wusste, von wem sie interviewt wird; www.pi-news.net\/2009\/11\/video-interview-mina-ahadi\/.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n121 Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie<\/i><\/span>, MEW Bd. 1, S. 378ff. <\/span><\/span><\/span><\/p>\n122 Ebd.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n123 W.I. Lenin, Sozialismus und Religion<\/i><\/span>, in Nowaja Schisn<\/i><\/span> Nr. 28., 3. Dezember 1905, nach: Lenin, Werke, Band 10, S. 70-75.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n124 Reza Aslan, Kein Gott au\u00dfer Gott<\/i><\/span>, S. 50-51, M\u00fcn\u00adchen, 2008.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n125 Abdullah \u00d6calan, Gilgameschs Erben<\/i><\/span>, Bd. I, S. 229, Bremen 2003.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n126 August Bebel, Die Mohamedanisch-Arabische Kulturperiode<\/i><\/span>, S. 79.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n127 Ebd., S. 133.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n128 Rukhsana Manzoor, The veil and Muslim Women<\/i><\/span>, www.socialistworld.net\/z\/bin\/kw.cgi\/show?id=2436.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n129 Ebd.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n130 August Bebel, Die Mohamedanisch-Arabische Kulturperiode<\/i><\/span>, S. 79.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n131 Abdullah \u00d6calan, Gilgameschs Erben<\/i><\/span>, S. 255.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n132 Ebd., S. 256.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n133 \u201eEs gen\u00fcgt hervorzuheben, dass die Araber das einziger Volk im ganzen Mittelalter waren, die ein wissenschaftlich bearbei\u00adtetes Rechtssystem besa\u00dfen. Wie ihre Gelehrten sich bem\u00fchten, die \u00dcber\u00adlieferungen Mohammeds und seiner ersten Nach\u00adfolger gewis\u00adsenhaft zu sammeln und zu ordnen und kritisch zu beleuchten, so fuhren sie fort, alle Gebiete des Staats- und \u00f6ffentlichen Lebens ge\u00adwissenhaft zu untersuchen und \u00fcberall Rechtsnormen aufzustellen. Dadurch bildeten sich sehr fr\u00fch\u00adzeitig juristische Schulen und Lehrsysteme …\u201c<\/i><\/span>, August Bebel, Die Mohamedanisch-Arabi\u00adsche Kulturperiode<\/i><\/span>, S. 131.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n134 Abdullah \u00d6calan, Gilgameschs Erben<\/i><\/span>, Bd. I, S. 258<\/span><\/span><\/span><\/p>\n135 August Bebel, Die Mohamedanisch-Arabische Kulturperiode<\/i><\/span>, S. 145<\/span><\/span><\/span><\/p>\n136 Abdullah \u00d6calan, Gilgameschs Erben<\/i><\/span>, Bd. I, S. 280<\/span><\/span><\/span><\/p>\n137 August Bebel, Die Mohamedanisch-Arabische Kulturperiode<\/i><\/span>, S. 106<\/span><\/span><\/span><\/p>\n138 Abdullah \u00d6calan, Gilgameschs Erben<\/i><\/span>, Bd. I, S. 285<\/span><\/span><\/span><\/p>\n139 August Bebel, Die Mohamedanisch-Arabische Kulturperiode<\/i><\/span>, S. 160<\/span><\/span><\/span><\/p>\n140 Ebd., S. 160<\/span><\/span><\/span><\/p>\n141 Monika Gronke, Geschichte Irans<\/i><\/span>, M\u00fcnchen 2003, S. 93.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n142 Tariq Ali, Bush in Babylon<\/i><\/span>, London\/New York\/M\u00fcnchen 2003, S. 73ff.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n143 Der Islam und die Aufkl\u00e4rung<\/i><\/span>, \u00dcbersetzung eines englischsprachigen Textes von Neil Davidson, http:\/\/marx21.de.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n144 W.I. Lenin, Sozialismus und Religion<\/i><\/span>, Dezember 1905, Nowaja Schisn<\/i><\/span> Nr. 28., 3. Dezember 1905, nach: Lenin, Werke, Band 10, S. 70-75.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n145 Rukhsana Manzoor, The veil and Muslim Women<\/i><\/span>, www.socialistworld.net\/z\/bin\/kw.cgi\/show?id=2436.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n146 Interview mit Lettre International<\/i><\/span>, September 2009, http:\/\/de.wikipedia.org\/wiki\/Thilo_Sarrazin#Interview_mit_Lettre_International.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n147 \u201eIn Sonntagsreden fordern Politiker besseren Schutz von Ausl\u00e4nderinnen vor Gewalt in der Ehe. Doch die Beh\u00f6rden drohen den geschundenen Frauen nach Angaben von Hilfsorganisationen im\u00admer \u00f6fter mit Abschiebung. Die Folge: Migrantinnen bleiben bei ihren pr\u00fcgelnden Ehem\u00e4nnern.\u201c<\/i><\/span> SPIEGEL-Online<\/i><\/span>, 13.10.2007.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n148 W.I. Lenin, Sozialismus und Religion<\/i><\/span>, S. 70-75.<\/span><\/span><\/span><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"Auszug aus dem Buch „Iran: Freiheit durch Sozialismus“ von 2009<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":35741,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[34],"tags":[337,1146,792,1003],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/35777"}],"collection":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=35777"}],"version-history":[{"count":2,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/35777\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":35802,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/35777\/revisions\/35802"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/media\/35741"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=35777"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=35777"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=35777"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}