Von Sascha Stani\u010di\u0107<\/em><\/p>\nDabei geht es nicht darum, in einer schematischen Art und Weise die Herausforderungen von vor hundert Jahren auf heute zu \u00fcbertragen. Vieles ist heute anders. Nat\u00fcrlich bestand im Russland des Jahres 1917 unzweifelhaft eine revolution\u00e4re Situation, das hei\u00dft die Massen, vor allem des st\u00e4dtischen Proletariats, aber auch der Soldaten und Bauernschaft, hatten begonnen, sich aktiv in das politische Geschehen einzumischen und ihre eigenen Organe \u2013 in Form der Sowjets (R\u00e4te) \u2013 zu bilden. Einiges ist heute weltweit, aber vor allem in Deutschland komplizierter. Einiges aber auch nicht: die Arbeiterklasse in Russland war eine kleine Minderheit der Bev\u00f6lkerung, das Kultur- und Bildungsniveau war niedrig, das Land durch den Weltkrieg ausgeblutet \u2013 und: die Linke ist heute um vielf\u00e4ltige Erfahrungen reicher und hat die Chance, daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, w\u00e4hrend sich die russische Linke auf unbekanntem Terrain fortbewegen musste.<\/p>\n
Wenn wir aus der Politik der russischen Linken \u2013 und insbesondere der Partei der Bolschewiki \u2013 Lehren f\u00fcr heute ziehen wollen, dann sollte es darum gehen, die Herangehensweise und Prinzipien zu erkennen, die daf\u00fcr verantwortlich waren, dass die bolschewistische Partei innerhalb von wenigen Monaten von circa zwei Prozent Unterst\u00fctzung in den Sowjets zur Mehrheitspartei werden konnte, unter deren F\u00fchrung der Oktoberumsturz gelang. Eine entscheidende Frage war auch damals die nach der Regierungsbeteiligung mit prokapitalistischen Parteien und im Rahmen der kapitalistischen Ordnung. Das klare Nein, das die Partei unter Lenins Einfluss dazu formulierte, war eine entscheidende Vorbedingung f\u00fcr den sp\u00e4teren Erfolg.<\/p>\n
Februarrevolution<\/h4>\n
Diese Absage an eine Koalitionsregierung war alles andere als selbstverst\u00e4ndlich, auch in den Reihen der Bolschewiki. Kein Wunder, wenn man sich die Situation im M\u00e4rz 1917 vergegenw\u00e4rtigt. Russland war vom Ersten Weltkrieg gezeichnet, in dem f\u00fcnf Millionen russische Opfer zu beklagen waren. Krieg, Zarenherrschaft, Unterdr\u00fcckung der vielen nationalen Minderheiten im \u201eNationengef\u00e4ngnis\u201c, Gro\u00dfgrundbesitz, schlechte Versorgungslage \u2013 all das schuf eine der Grundvoraussetzungen f\u00fcr jede Revolution: die Massen k\u00f6nnen und wollen nicht mehr unter den gegebenen Bedingungen ihr Dasein fristen. Es waren die Textilarbeiterinnen Petrograds, die als erste \u201eGenug ist genug\u201c ausriefen und zur Tat schritten. Am 22. Februar (nach dem damals geltenden Julianischen Kalender) traten sie in den Streik und l\u00f6sten damit die Februarrevolution \u2013 den Sturz des Zaren \u2013 aus. Die Revolution war \u201espontan\u201c, \u201evon unten\u201c, das hei\u00dft sie folgte keinem Plan der Arbeiterparteien oder revolution\u00e4ren Zirkel. Deren Mitglieder spielten aber nat\u00fcrlich eine f\u00fchrende Rolle bei den Streiks und Demonstrationen. Vor allem griffen sie auf die Erfahrungen der ersten, gescheiterten, russischen Revolution des Jahres 1905 zur\u00fcck \u2013 und bildeten Sowjets, R\u00e4te von Arbeiterdelegierten aus allen Betrieben und von Delegierten der Soldaten von der Front und aus den Kasernen (kurze Zeit sp\u00e4ter sollten auch die B\u00e4uerinnen und Bauern ihre Sowjets bilden).<\/p>\n
Die Massen hatten \u201edie B\u00fchne der Geschichte betreten\u201c und begonnen, \u201eihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen\u201c. Sie sp\u00fcrten instinktiv, dass sie Organe brauchten, die ihren Kampf organisieren und eine Kontrolle \u00fcber die weiteren gesellschaftlichen Ver\u00e4nderungen aus\u00fcben konnten. Sie hatten aber (noch) kein Bewusstsein \u00fcber ihre tats\u00e4chliche Macht und keine Vorstellung, wie ein revolution\u00e4rer Umsturz aussehen m\u00fcsste, der ihre Ziele h\u00e4tte sichern k\u00f6nnen. Diese Ziele waren recht bescheiden: Frieden, Landverteilung, L\u00f6sung der Versorgungsengp\u00e4sse, demokratische Rechte und ein Ende der Unterdr\u00fcckung der nationalen Minderheiten.<\/p>\n
Sowjets und Doppelmacht<\/h4>\n
W\u00e4hrend die Sowjets Ausdruck des Erwachens der Massen als Subjekt der Geschichte waren, fiel die politische Macht doch in die H\u00e4nde bereits existierender Kr\u00e4fte. So bildete sich neben den R\u00e4ten die so genannte Provisorische Regierung, eine Koalition aus Kadetten (b\u00fcrgerlichen Liberaldemokraten), Menschewiki (sozialdemokratische Str\u00f6mung der russischen Arbeiterbewegung) und der Sozialrevolution\u00e4re (einer radikalen Partei der<\/p>\n
Bauernschaft und des st\u00e4dtischen Kleinb\u00fcrgertums). Eine Regierung also, die von ihrer Zusammensetzung und ihrem Charakter her sp\u00e4teren so genannten Volksfrontregierungen entsprach: Koalitionen aus linken Arbeiterparteien und kleinb\u00fcrgerlichen bzw. b\u00fcrgerlichen Parteien, die sich zum Ziel setzen im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Eigentums- und Staatsordnung Verbesserungen f\u00fcr die Massen durchzusetzen. In Russland, wo noch keine b\u00fcrgerlich-parlamentarische Demokratie bestand, w\u00e4re die erste Aufgabe einer solchen Regierung gewesen, die Aufgaben der b\u00fcrgerlichen Revolution durchzuf\u00fchren: die Macht der Aristokratie zu brechen, eine parlamentarische Demokratie zu etablieren, das Land an die Bauern verteilen, den unterdr\u00fcckten Nationen die Freiheit zu gew\u00e4hren.<\/p>\n
Das entsprach auch der klassischen Interpretation des marxistischen Verst\u00e4ndnisses \u00fcber den Verlauf der Geschichte. Die M\u00f6glichkeit eines ununterbrochenen \u00dcbergangs der b\u00fcrgerlichen in die sozialistische Revolution in einem Land wie Russland hatten vor dem Februar 1917 nur sehr wenige MarxistInnen f\u00fcr m\u00f6glich (oder gar n\u00f6tig) gehalten, darunter der sp\u00e4tere F\u00fchrer der Roten Armee Leo Trotzki (in seiner Theorie der Permanenten Revolution). Selbst die radikalsten VertreterInnen der russischen Linken \u2013 Lenin und die Bolschewiki \u2013 hielten es f\u00fcr ausgeschlossen, dass Russland mehr oder weniger direkt vom (Halb-)Feudalismus und Zarenherrschaft zu einer sozialistischen Demokratie und Arbeitermacht \u00fcbergehen k\u00f6nnte. Sie hatten zwar erkannt, dass die russischen Kapitalisten keine vorw\u00e4rts treibende Kraft im Kampf gegen die Zarenherrschaft waren, aber sie hielten eine kapitalistische Phase der Entwicklung f\u00fcr notwendig, bevor eine sozialistische Revolution m\u00f6glich sein sollte. Das nannten sie dann \u201edemokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern\u201c. Sie hatten also die Vorstellung, dass im Rahmen der kapitalistischen Eigentumsverh\u00e4ltnisse und Produktionsweise eine revolution\u00e4re Regierung der Arbeiterklasse und Bauernschaft, einen Prozess der kapitalistischen Modernisierung voran treibt, der als notwendige Voraussetzung f\u00fcr sozialistische Ver\u00e4nderungen betrachtet wurde. Sie hofften, dass eine solche \u201edemokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern\u201c in Russland Ausl\u00f6ser der sozialistischen Revolution in Westeuropa h\u00e4tte sein k\u00f6nnen \u2013 und in diesem Sinne Startpunkt einer sozialistischen Revolution auch in ihrem Land.<\/p>\n
Die Provisorische Regierung war zwar eine Folge des Februaraufstands, aber keine revolution\u00e4re Regierung. Sie war nicht vorantreibende Kraft von revolution\u00e4ren Ver\u00e4nderungen, sondern Bremse. In Wirklichkeit bedeutete die parallele Existenz von Sowjets und Provisorischer Regierung eine Periode der Doppelmacht antagonistischer<\/p>\n
K\u00f6rperschaften. Die Februarrevolution markierte den Beginn der sozialistischen Revolution, weil auch die \u201eb\u00fcrgerlichen\u201c Aufgaben der Revolution nur durch einen Bruch mit b\u00fcrgerlichen Macht- und Eigentumsverh\u00e4ltnissen erreicht werden konnten \u2013 nur erkannte das kaum jemand. Auch nicht in den Reihen der Bolschewiki. Lenin schon. Auf Basis dieser Erkenntnis verwarf er die alten Formeln und Prognosen und \u00fcbernahm faktisch Trotzkis Position der „Permanenten Revolution“, also der v\u00f6lligen Machtergreifung durch die Arbeiter- und Soldatenr\u00e4te und der Umsetzung sozialistischer Ma\u00dfnahmen durch diese – aber er war mit dieser Einsch\u00e4tzung und seinen politischen Schlussfolgerungen anfangs in einer kleinen Minderheit. Die Mehrheit der Bolschewiki, insbesondere ihrer Inlands-F\u00fchrung um Kamenew und Stalin, vertrat eine Politik der Unterst\u00fctzung der Provisorischen Regierung von au\u00dfen (wobei einige auch mit einem Eintritt in die Regierung und einer Fusion mit den Menschewiki sympathisierten). Sie konnten sich nicht vorstellen, dass eine alleinige Machteroberung der Arbeiter- und Soldatenr\u00e4te m\u00f6glich und n\u00f6tig war. Dies sollte in den wenigen Monaten bis zum Oktober aber deutlich werden und Lenins (und Trotzkis) Position best\u00e4tigen.<\/p>\n
Lenins Politik<\/h4>\n
Lenin kam erst im April aus dem Schweizer Exil zur\u00fcck in das revolution\u00e4re Russland. Seine Position schockte die bolschewistische F\u00fchrung. Einige dachten insgeheim, er habe im Exil den Kontakt zur Realit\u00e4t verloren. Schon unmittelbar nach dem Februarumsturz hatte Lenin an die F\u00fchrung seiner Partei telegraphiert und gefordert, dass diese keinerlei Unterst\u00fctzung f\u00fcr die Provisorische Regierung aussprechen solle und es keine Ann\u00e4herung an eine der anderen Parteien geben d\u00fcrfe. In den Aprilthesen formulierte er dann eindeutig sein Programm: Alle Macht den R\u00e4ten!<\/p>\n
Warum? Weil er erkannte, dass eine Koalition mit b\u00fcrgerlichen, prokapitalistischen Parteien und eine Aufrechterhaltung kapitalistischer Verh\u00e4ltnisse es unm\u00f6glich machen, die Ziele der Revolution auch nur ansatzweise zu verwirklichen. Auf dem ersten Sowjetkongress sagte Lenin: \u201eBei uns ist alles beim Alten geblieben, die Koalitionsregierung hat nichts ge\u00e4ndert, sie hat nur den Haufen von Deklarationen, von prunkvollen Erkl\u00e4rungen vergr\u00f6\u00dfert. Wie aufrichtig die Leute auch sein, wie aufrichtig sie auch das Wohl der werkt\u00e4tigen Massen w\u00fcnschen m\u00f6gen, an der Sache hat sich nichts ge\u00e4ndert \u2013 dieselbe Klasse ist an der Macht geblieben.\u201c1<\/p>\n
Die folgenden Monate gaben Lenin Recht. Der Krieg wurde fortgesetzt \u2013 im Interesse der russischen Kapitalisten und ihrer Verb\u00fcndeten. Die Einberufung der Verfassunggebenden Versammlung wurde verz\u00f6gert und verz\u00f6gert. Das Land wurde nicht an die B\u00e4uerinnen und Bauern verteilt. Den unterdr\u00fcckten Nationen der FinnInnen, UkrainerInnen, GeorgierInnen etc. wurde nicht das Selbstbestimmungsrecht gew\u00e4hrt. Die Not wurde nicht gelindert. Der Zar war gegangen worden \u2013 die Gener\u00e4le und Kapitalisten waren geblieben!<\/p>\n
Lenins Vorhersage aus seinem Brief an den Bauernkongress im Mai 1917 sollte innerhalb weniger Monate in Erf\u00fcllung gehen: \u201eWir sind fest davon \u00fcberzeugt, dass die Erfahrung bald den breitesten Massen des Volkes zeigen wird, wie falsch die Politik der Narodniki und Menschewiki ist. Die Erfahrung wird den Massen bald zeigen, dass die Rettung Russlands, das sich ebenso wie Deutschland und die anderen L\u00e4nder am Rande des Abgrundes befindet, dass die Rettung der durch den Krieg zermarterten V\u00f6lker nicht durch Kompromisse mit den Kapitalisten erreicht werden kann. Die Rettung aller V\u00f6lker ist nur m\u00f6glich durch den direkten \u00dcbergang der Staatsmacht in die H\u00e4nde der Mehrheit der Bev\u00f6lkerung.\u201c2<\/p>\n
Lenin konnte in einer breiten und demokratischen Debatte im Verlauf des Monats April die Mehrheit der bolschewistischen Partei f\u00fcr seine Position gewinnen und eine Politik der Opposition gegen die Provisorische Regierung und der v\u00f6lligen Unabh\u00e4ngigkeit der Bolschewiki von der Regierung und den Regierungsparteien durchsetzen. Diese Haltung erm\u00f6glichte es den Bolschewiki, innerhalb von sechs Monaten von einer kleinen Minderheit in den Sowjets zur Mehrheitspartei zu werden und den Oktoberumsturz zu f\u00fchren, der die Forderung der Aprilthesen \u2013 Alle Macht den R\u00e4ten \u2013 in die Tat umsetzte. Nur durch diese Haltung war es den Bolschewiki m\u00f6glich, nicht als mitverantwortlich f\u00fcr die gebrochenen Versprechen der Menschewiki und Sozialrevolution\u00e4re zu erscheinen. Nur so konnten sie in den Augen der Massen als glaubw\u00fcrdig und vertrauensw\u00fcrdig erscheinen \u2013 und vor allem als Teil der Massen selbst!<\/p>\n
Bedeutung f\u00fcr heute<\/h4>\n
Nun mag eingewendet werden, dass heute, anders als im Russland des Jahres 1917, keine revolution\u00e4re Situation besteht. Das gilt sicher f\u00fcr Deutschland und viele L\u00e4nder. Vom internationalen Blickwinkel sei aber darauf hingewiesen, dass es zumindest in Griechenland nach Ausbruch der Euro-Krise und in Venezuela und anderen L\u00e4ndern Lateinamerikas in den letzten Jahren revolution\u00e4re oder zumindest vorrevolution\u00e4re Situationen gab (welche durch eine \u201ebolschewistische\u201c Politik der gro\u00dfen linken Parteien in revolution\u00e4re Situationen h\u00e4tten umschlagen k\u00f6nnen). Die politischen Kr\u00e4fte dieser L\u00e4nder, an denen sich DIE LINKE in Deutschland orientiert, bildeten ebenfalls Koalitionen mit prokapitalistischen Parteien bzw. begrenzten ihre Regierungspolitik auf den b\u00fcrgerlich-parlamentarischen und kapitalistischen Rahmen.<\/p>\n
Gleichzeitig gibt es unz\u00e4hlige Beispiele daf\u00fcr, dass linke Parteien durch den Eintritt in Koalitionsregierungen zur Sachverwalterin kapitalistischer Misswirtschaft und K\u00fcrzungspolitik werden und dadurch an Vertrauen und Verankerung in der Arbeiterklasse verlieren. Die Lehre der Leninschen Politik des Jahres 1917 ist nicht zuletzt, dass es eine Koh\u00e4renz in politischer Perspektive, Taktik und Programm geben muss. Und dass die Opposition einer linken Partei zu allen Schattierungen kapitalistischer Macht und ihre Eigenst\u00e4ndigkeit gegen\u00fcber allen anderen Parteien dringende Voraussetzung daf\u00fcr ist, dass sie zur Mehrheitskraft in der Gesellschaft werden kann. Die Vorbereitung auf vorrevolution\u00e4re und revolution\u00e4re Situationen muss in den nichtrevolution\u00e4ren Zeiten betrieben werden. Beteiligung an prokapitalistischen Regierungskoalitionen ist in dieser Logik keine Vorbereitung auf eine sozialistische Ver\u00e4nderung der Gesellschaft, sondern \u2013 Vorbereitung der Niederlage.<\/p>\n
Aber die Massen erwarten doch die Bereitschaft zum Regieren und haben kein Verst\u00e4ndnis f\u00fcr \u201eOpposition um jeden Preis\u201c – das ist ein weiteres Argument derjenigen, die sich f\u00fcr Regierungsbeteiligungen mit SPD und Gr\u00fcnen aussprechen. Auch hier k\u00f6nnen wir von Lenin und den Bolschewiki lernen. In ihrer Propaganda verstanden sie es, die Unabh\u00e4ngigkeit der Arbeiterklasse und die Notwendigkeit der R\u00e4temacht immer mit den konkreten Gegebenheiten zu verkn\u00fcpfen und im Sinne eines \u00dcbergangsprogramms die Br\u00fccke von der Notwendigkeit der sozialistischen Revolution zu den Alltagsk\u00e4mpfen und dem bestehenden Bewusstsein breiterer Teile der Arbeiterklasse zu schlagen.<\/p>\n
Die von den Bolschewiki aufgestellte Losung \u201eNieder mit den Minister-Kapitalisten\u201c ist Ausdruck hiervon. Denn die Opposition zur Provisorischen Regierung hielt die Bolschewiki nicht davon ab, die Illusionen die in Teilen der Massen noch in diese Regierung bestanden zur Kenntnis zu nehmen und f\u00fcr ihre Propaganda zu ber\u00fccksichtigen.<\/p>\n
Denn die Bolschewiki waren mit einem Ph\u00e4nomen konfrontiert, das auch DIE LINKE heute betrifft. Ihre inhaltlichen Positionen wurden von viel mehr ArbeiterInnen geteilt, als sie bei den Wahlen zu den R\u00e4ten (vor dem Oktober) gew\u00e4hlt hatten. Die russischen Massen verlangten sozusagen von der Provisorischen Regierung die Umsetzung des bolschewistischen Programms (siehe die Demonstrationen im Juni und Juli in Petrograd, wo die Massen die Parolen der Bolschewiki unterst\u00fctzen). Damit gingen die Bolschewiki geschickt um, indem sie den Gedanken der Notwendigkeit einer Regierung aus Arbeiterparteien bzw. (selbst ernannten) Parteien der Revolution dadurch zum Ausdruck brachten, dass sie die Klassenkollaboration anprangerten, die in der Regierung ihre Manifestation fand. Den Ausschluss derjenigen Minister zu fordern, die b\u00fcrgerlichen Parteien angeh\u00f6rten, war ein Mittel die Notwendigkeit einer Arbeiter- (und Bauern) regierung deutlich zu machen und Menschewiki und Sozialrevolution\u00e4re unter Druck zu setzen \u2013 und zu entlarven.<\/p>\n
Auch die Anwendung der Einheitsfronttaktik angesichts des drohenden quasi-faschistischen Putsches des Generals Kornilow im August 1917, also die Bereitschaft, Kornilow in Aktionseinheit mit Menschewiki und Sozialrevolution\u00e4ren zur\u00fcckzuschlagen, war Teil einer solchen nichtsektiererischen Politik, die aber niemals die Grenze zum Opportunismus und zur Unterst\u00fctzung der kapitalistischen Ordnung \u00fcberschritt. Kein Zweifel: von dieser Herangehensweise k\u00f6nnen linke Parteien heute viel lernen!<\/p>\n
Exkurs: Liebknecht und die Regierungsfrage im November 1918<\/h4>\n
Im Deutschland sollte etwas mehr als ein Jahr nach der Oktoberrevolution eine Revolution ausbrechen, die ebenfalls R\u00e4te hervorbrachte und kurzfristig zu einer Situation der Doppelmacht f\u00fchrte. Mit den R\u00e4ten und deren am 10. November von einer Delegiertenversammlung der Berliner R\u00e4te gew\u00e4hltem Vollzugsrat gab es embryonale Organe eines Arbeiterstaates, der eine Entwicklung zu einer sozialistischen Gesellschaft h\u00e4tte einleiten k\u00f6nnen. Gleichzeitig wurde am 9. November, nach langen Verhandlungen zwischen SPD und USPD eine Regierung gebildet. Karl Liebknecht war an diesen Verhandlungen beteiligt gewesen. Er wurde von vielen Arbeiterdelegationen bedr\u00e4ngt, in eine Regierung einzutreten. In ihm, dem prinzipienfesten Kriegsgegner, sahen sie einen Garanten f\u00fcr eine Regierung, die Arbeiterinteressen vertreten w\u00fcrde. Liebknecht war sich<\/p>\n
der Gefahren einer Regierungsbildung, die nicht aus den R\u00e4ten selber erwachsen w\u00e4re, bewusst. Er spielte nur mit dem Gedanken, f\u00fcr wenige Tage einer Regierungsbildung zuzustimmen und daran teilzunehmen, um einen Waffenstillstand aushandeln zu k\u00f6nnen. Selbst daf\u00fcr wurde er von seinen GenossInnen der Spartakusgruppe (die sich bald Spartakusbund nannte) scharf kritisiert, denn jedes Zusammengehen mit den Mehrheitssozialdemokraten konnte die Massen nur verwirren. Unter seinem Einfluss stellte die USPD verschiedene Bedingungen f\u00fcr eine Regierungsbildung mit Vertretern der Mehrheitssozialdemokratie, darunter folgende:<\/p>\n
1.Deutschland soll eine soziale Republik sein.<\/p>\n
2.In dieser Republik soll die gesamte exekutive, legislative und jurisdiktionelle (ausf\u00fchrende, gesetzgebende und rechtsprechende) Macht ausschlie\u00dflich in den H\u00e4nden von gew\u00e4hlten Vertrauensm\u00e4nnern der gesamten werkt\u00e4tigen Bev\u00f6lkerung und der Soldaten sein.<\/p>\n
3.Ausschluss aller b\u00fcrgerlichen Mitglieder aus der Regierung.<\/p>\n
4.Die Beteiligung der Unabh\u00e4ngigen gilt nur f\u00fcr drei Tage als ein Provisorium, um eine f\u00fcr den Abschluss des Waffenstillstands f\u00e4hige Regierung zu schaffen.<\/p>\n
Mit diesen Bedingungen sollte sich eine \u00dcbergangsregierung auf die Schaffung einer Republik der Arbeiter- und Soldatenr\u00e4te verpflichten. Die Mehrheits-SPD lehnte diese Bedingungen ab, f\u00fcr Liebknecht kam ein Regierungsbeitritt nun nicht mehr in Frage. Die USPD-Vertreter aber einigten sich auf eine Regierungsbildung mit abgespeckten Bedingungen. Diese beinhalteten immerhin die Aussage, dass die \u201epolitische Gewalt in den H\u00e4nden der Arbeiter- und Soldatenr\u00e4te liegt\u201c, gleichzeitig aber auch einen Bezug auf eine Konstituierende Versammlung. Diese Frage solle zwar \u201eerst nach einer Konsolidierung der durch die Revolution geschaffenen Zust\u00e4nde\u201c er\u00f6rtert werden. Aber damit war die Verfassunggebende Versammlung auf dem Tisch. Die Regierung bestand aus jeweils drei Vertretern von MSPD und USPD und nannte sich, in Anlehnung an die russische Arbeiterregierung, Rat der Volksbeauftragten. Es gab also zwei Machtzentren: den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenr\u00e4te und den Rat der Volksbeauftragten. Ersterer erkannte die Regierung an, letzterer in Worten die politische Macht der R\u00e4te. Was zu keinem Zeitpunkt angetastet wurde, war der eigentliche alte kapitalistische Staatsapparat. Minister und andere Staatsbeamte blieben im Amt, was auch f\u00fcr die Provinzen und Kommunen im ganzen Land, mit der Ausnahme von Bremen und Hamburg, galt. So wurde mit dem Eintritt der USPD in eine Regierung, die nicht mit dem kapitalistischen System brechen wollte, der Boden bereitet, die Macht der Arbeiter- und Soldatenr\u00e4te zu untergraben und den Kapitalismus in Deutschland zu retten.<\/p>\n
Sascha Stani\u010di\u0107 ist Bundessprecher der SAV und aktiv in der LINKEn Neuk\u00f6lln. Der Artikel erschien zuerst in Gleiss\/H\u00f6ger\/Redler\/Stanicic (Hrsg): Nach Goldsch\u00e4tzen graben, Regenw\u00fcrmer finden, Papyrossa 2016.<\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"Von Lenin lernen \u2026<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":0,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[95],"tags":[834,831,909,790,907],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/34809"}],"collection":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=34809"}],"version-history":[{"count":2,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/34809\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":34894,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/34809\/revisions\/34894"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=34809"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=34809"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=34809"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}