Nach dem 43 Syriza-Abgeordnete Mitte August dem dritten Reformpaket ihre Zustimmung verweigerten, verlor Tsipras die eigene Mehrheit und trat zur\u00fcck. Sein Kalk\u00fcl: mit Neuwahlen seine Unterst\u00fctzung auszubauen, da zum jetzigen Zeitpunkt viele GriechInnen die Regierung noch st\u00fctzen, weil die Einf\u00fchrung der K\u00fcrzungsma\u00dfnahmen erst im Herbst sp\u00fcrbar wird. Unmittelbar nach der Ank\u00fcndigung haben sich 25 Abgeordnete, die meisten von ihnen der Parteilinken \u201eLinke Plattform\u201c zugeh\u00f6rig, von Syriza abgespalten und die \u201eVolkseinheit\u201c (\u201eLaiki Enotita\u201c) gebildet. Diese wird auch von Xekinima, Schwesterorganisation der SAV, unterst\u00fctzt.<\/em><\/p>\nWas fordert die \u201eVolkseinheit\u201c?<\/h4>\n
Die \u201eVolkseinheit\u201c ist Ausdruck des derzeitigen Stands des sich rasch entwickelnden Klassenbewusstseins in Griechenland. In den letzten drei bis vier Jahren gab es einen massiven Anstieg der Unterst\u00fctzung f\u00fcr Syriza von damals drei bis vier Prozent auf 36 Prozent. Nach dem Ausverkauf durch die F\u00fchrung von Syriza kam es zur Spaltung der Partei, vor allem viele von der Basis haben der Partei den R\u00fccken gekehrt. Als neue Formation ist die \u201eVolkseinheit\u201c entstanden, die links von SYRIZA steht.<\/p>\n
Ihre Kernaussage ist die Ablehnung des Ausverkaufs des Wahlprogramms von Syriza und der Prinzipien der Linken, um in der Eurozone zu bleiben. Die Haltung zur Eurozone ist ein zentraler Punkt der Gr\u00fcndung der \u201eVolkseinheit\u201c. Ihre Haltung ist klar und deutlich: wir brauchen ein Programm im Interesse der arbeitenden Bev\u00f6lkerung. Wenn das dazu f\u00fchrt, dass wir den Euro verlassen m\u00fcssen, m\u00fcssen wir das ohne zu z\u00f6gern tun. Die \u201eVolkseinheit\u201c steht f\u00fcr den Bruch mit der Eurozone. Sie ist aber keine nationalistische Formation, die alles um den Programmpunkt \u201eZur\u00fcck zur Drachme\u201c gruppiert. Das Programm, das derzeit von der Basis der \u201eVolkseinheit\u201c diskutiert wird, ist stark antikapitalistisch: F\u00fcr die Streichung der Schulden, die unmittelbare Verstaatlichung des Bankensystems und die \u00dcberf\u00fchrung der Schl\u00fcsselindustrien in Gemeineigentum. Sie werfen au\u00dferdem die Forderung von Arbeiterkontrolle und -verwaltung in Wirtschaft und Gesellschaft auf und greifen die Idee einer geplanten Wirtschaft auf, um die Wirtschaft mit besonderer Betonung auf die Landwirtschaft und Rohstoffe und die verarbeitende Industrie zu entwickeln. Statt die Wirtschaft, wie in der Vergangenheit, vor allem auf Dienstleistungen und Tourismus auszurichten, soll sie der \u201eVolkseinheit\u201c zufolge wieder st\u00e4rker auf die Erzeugung von realen Produkten gerichtet werden. Das Programm ist noch nicht fertig gestellt, wird aber gerade von den Organisationen, die die \u201eVolkseinheit\u201c gegr\u00fcndet haben, diskutiert.<\/p>\n
Welche Organisationen geh\u00f6ren denn zu den Gr\u00fcndern?<\/h4>\n
Die \u201eVolkseinheit\u201c wurde urspr\u00fcnglich von den Kr\u00e4ften um die Linke Plattform (innerhalb von Syriza) und von vier weiteren Kr\u00e4ften aus der Initiative der 1000 inklusive Xekinima gegr\u00fcndet. Ebenfalls unterst\u00fctzt wird die \u201eVolkseinheit\u201c von zwei fr\u00fcheren Abspaltungen der KKE, der Sozialistischen Linken Dikki und zwei Gruppierungen von Antarsya, die aber bisher nicht die Mehrheit von Antarsya darstellen.<\/p>\n
Nach bisherigem Diskussionsstand ist klar, dass das Programm viel fortschrittlicher und klarer als die bisherigen Programme von Syriza, wie beispielsweise das Programm von Thessaloniki, sein wird. Es ist auch nicht, wie viele Programme von Syriza, zweideutig oder kann verschiedenartig interpretiert werden, es ist sehr eindeutig.<\/p>\n
Die Forderungen des Programms k\u00f6nnen nicht in der Eurozone durchgesetzt werden. Die R\u00fcckkehr zu einer nationalen W\u00e4hrung ist kein Zweck an sich, aber wird als Mittel gesehen, um ein Programm anzuwenden, das die Wirtschaft aus der Krise bringen und diese im Interesse der Arbeiterklasse ausrichtet.<\/p>\n
Wie gro\u00df ist das Potential der \u201eVolkseinheit\u201c bei den Neuwahlen im September?<\/h4>\n
Umfragen legen nahe, dass sie eine sehr wichtige Kraft wird und zwischen sieben und acht Prozent erreichen kann. Daf\u00fcr gibt es keine Garantie, aber es entspricht ihrem Potential, eventuell kann das sogar \u00fcbertroffen werden. Der Zuspruch f\u00fcr sie spiegelt sich im selben Ma\u00dfe gesunkenen Umfragewert f\u00fcr Syriza wider. Wichtig ist aber vor allem auch, dass viele nicht zur Wahl gehen werden. Wahrscheinlich werden die Nichtw\u00e4hlerInnen die gr\u00f6\u00dfte Partei stellen. Der Grund daf\u00fcr ist, dass es eine massenhafte Demoralisierung gibt.<\/p>\n
Hat der Wahlantritt der \u201eVolkseinheit\u201c eine d\u00e4mpfende Wirkung auf die Wahlchancen der Goldenen Morgenr\u00f6te?<\/h4>\n
Ich denke ja. Es ist sehr wichtig, dass sich die \u201eVolkseinheit\u201c entwickelt hat und zu den Wahlen antritt. Wenn dies nicht der Fall w\u00e4re, w\u00fcrde die Goldene Morgenr\u00f6te sicher von dem Ausverkauf, den Syriza begangen hat, profitieren. Wir gehen trotzdem davon aus, dass die Goldene Morgenr\u00f6te bei den Wahlen etwas zulegen wird, aber der Zugewinn wird viel kleiner sein, als er ohne den Antritt der \u201eVolkseinheit\u201c der Fall gewesen w\u00e4re.<\/p>\n
Wird es Ortsgruppen der \u201eVolkseinheit\u201c geben?<\/h4>\n
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Ortsgruppen, die \u201eVolkseinheit\u201c ist ein B\u00fcndnis verschiedener Organisationen ohne Individualmitgliedschaft. Es ist ja eine sehr neue Formation. Xekinima schl\u00e4gt vor, dass Ortsgruppen gegr\u00fcndet werden und auch individuelle Mitgliedschaften m\u00f6glich sind, damit sich m\u00f6glichst viele Menschen einbringen k\u00f6nnen.<\/p>\n
Xekinima beteiligt sich an der \u201eVolkseinheit\u201c, baut aber auch die \u201eInitiative 17. Juli\u201c weiter auf. Warum?<\/h4>\n
Ja, das stimmt. Die \u201eInitiative des 17. Juli\u201c gab es schon vor der Gr\u00fcndung der \u201eVolkseinheit\u201c und wurde als Appell zur Gr\u00fcndung einer neuen linken Kraft entwickelt. Aufgrund dieses Appells und eines sehr radikalen Programms hat die \u201eInitiative des 17. Juli\u201c verschiedene Kr\u00e4fte angezogen. In der Zwischenzeit hat sich dann die \u201eVolkseinheit\u201c gebildet, aber die meisten Kr\u00e4fte die bei der \u201eInitiative des 17. Juli\u201c mitmachen, sind nicht bereit, sich der \u201eVolkseinheit\u201c anzuschlie\u00dfen. Sie haben unterschiedliche politische Hintergr\u00fcnde, sind bereit die \u201eVolkseinheit\u201c bei Wahlen zu unterst\u00fctzen, aber werden ihr nicht beitreten.<\/p>\n
Derzeit gibt es massenhafte Austritte aus Syriza, von denen aber nicht alle in die \u201eVolkseinheit\u201c eintreten. Der Kern der \u201eVolkseinheit\u201c besteht aus der Linken Plattform, die fr\u00fcher Teil der Kommunistischen Partei war. Die Linke in Griechenland ist breiter, nicht alle identifizieren sich mit diesem Teil der griechischen Linken, der keine starke Tradition von innerparteilicher Demokratie und Einbindung in sozialen Bewegungen hat.<\/p>\n
Es gibt zwei weitere Faktoren, warum einige, die Syriza verlassen, z\u00f6gern der \u201eVolkseinheit\u201c beizutreten: Erstens gibt es eine massenhafte Demoralisierung und einen allgemeinen Vertrauensverlust in linke Formationen nach Tsipras‘ Ausverkauf. Zweitens waren einige der f\u00fchrenden Mitglieder der \u201eVolkseinheit\u201c bis vor kurzem Minister der Syriza-Regierung, was zu Zweifeln bei einigen AktivistInnen f\u00fchrt.<\/p>\n
Xekinima beteiligt sich an der\u201eVolkseinheit\u201c und macht Vorschl\u00e4ge, wie die Volkseinheit, die bisher eine Allianz verschiedener Organisationen ist, demokratisch aufgebaut werden kann, ohne dass eine Gruppe dominiert und wie es freie demokratische Diskussionen und auch Einzelmitgliedschaften in der Zukunft geben kann.Das sind wichtige Bedingungen, damit die \u201eVolkseinheit\u201c erfolgreich sein kann. Sie muss auf die Bewegungen der Arbeiterklasse orientieren, um weitere K\u00e4mpfe zu bef\u00f6rdern und soziale K\u00e4mpfe um ihr Programm herum zu entwickeln. Wir behalten Xekinima als revolution\u00e4re Organisation bei und setzen uns daf\u00fcr ein, dass aus der \u201eVolkseinheit\u201c heraus eine massenhafte revolution\u00e4re Kraft entsteht.<\/p>\n
In Deutschland haben sich Vertreter der LINKEN wie Gysi, Riexinger und Kipping an die Seite von Tsipras gestellt. Was denkst du ist die Aufgabe von Parteien wie der LINKEN?<\/h4>\n
Tsipras unter diesen Umst\u00e4nden zu unterst\u00fctzen ist ein f\u00fcrchterlicher Fehler. Er hat die Seiten gewechselt. Die herrschende Klasse Griechenlands ist neuerdings versessen auf Tsipras. Die Massenmedien, die von der herrschenden Klasse (Schiffseigent\u00fcmer, B\u00e4nker, Gro\u00dfkapital) kontrolliert werden, stehen voll hinter Tsipras und greifen die \u201eVolkseinheit\u201c an.<\/p>\n
ND, Pasok and To Potami sagen, dass sie offen daf\u00fcr sind, eine \u201eRegierung der nationalen Einheit\u201c mit Tsipras zu bilden. Tsipras wird den Weg bis zum Ende gehen, er f\u00fchrt Ma\u00dfnahmen ein, die ND sich nie getraut h\u00e4tte einzuf\u00fchren, wie das gr\u00f6\u00dfte Privatisierungsprogramm in der Geschichte des Landes. Bereits jetzt wurden durch die Regierung unter Tsipras die Mindestrenten von 490 Euro auf 360 Euro abgesenkt. ND hat sich das nicht getraut. Tsipras hat zudem unterschrieben, dass jedes einzelne Gesetz von der Troika abgenickt werden muss. Das hei\u00dft, dass Tsipras an das dritte Memorandum gebunden ist und keine freie Handhabe hat, etwas zu tun, was gegen den Willen der Troika verst\u00f6\u00dft. Von einigen wird nun das Ergebnis zum Prim\u00e4r\u00fcberschuss genutzt, um das Memorandum zu rechtfertigen. Auch das ist Betrug, weil die Prim\u00e4r\u00fcbersch\u00fcsse zwar f\u00fcr die n\u00e4chsten zwei Jahre geringer sein d\u00fcrfen, aber ab dem dritten Jahr mit 3,5 Prozent wieder ungef\u00e4hr so hoch sein muss, wie der Wert von vier Prozent, dem ND im zweitem Memorandum zugestimmt hatte.<\/p>\n
Die griechische Bev\u00f6lkerung wird trotzdem weiter k\u00e4mpfen. Die griechischen Massen k\u00f6nnen diesen Kampf aber nicht allein f\u00fchren. Sie brauchen die Unterst\u00fctzung von ArbeiterInnen in Europa und international. Die Erfahrungen in Griechenland beinhalten auch wertvolle Lehren f\u00fcr die Linke international. Auch in Bezug auf die Frage, welches Programm n\u00f6tig ist, um das Land aus der Krise zu f\u00fchren. Nur ein sozialistisches Programm kann Griechenland und in Wirklichkeit Menschen in ganz Europa und auf dem Planeten vor der Barbarei des kapitalistischen Systems retten.<\/p>\n
Mit Andreas Payiatsos sprach Lucy Redler.<\/em><\/h5>\nGlossar:<\/h4>\n
Antarsya:<\/strong> \u201eAntikapitalistische Linke Zusammenarbeit f\u00fcr den Umsturz\u201c, B\u00fcndnis der radikalen Linken au\u00dferhalb von Syriza<\/p>\nDikki<\/strong>: Sozialistische Linke, linke Abspaltung von Pasok (seit 1995), unterst\u00fctzt heute die \u201eVolkseinheit\u201c<\/p>\nInitiative der 1000:<\/strong> im November 2012 gegr\u00fcndete Initiative von 1000 Unterzeichnenden, um die Einheit der griechischen Linken zu bef\u00f6rdern und sich f\u00fcr eine Regierung der Linken auf Grundlage eines Bruchs mit dem kapitalistischen System einzusetzen<\/p>\nInitiative des 17. Juli:<\/strong> Die Initiative Versammlung 17. Juli wurde in Athen wenige Tage nach der Zustimmung Tsipras‘ zum dritten Memorandum einberufen, um einen Appell f\u00fcr den Aufbau einer neuen linken Kraft zu starten. Xekinima ist an dieser Initiative beteiligt. Am ersten Treffen nahmen 250 Menschen teil.<\/p>\nKKE:<\/strong> kommunistische Partei Griechenland, stalinistisch und stark sektiererisch<\/p>\nND: <\/strong>Nea Dimokratia, konservative b\u00fcrgerliche Partei, vor Syriza an der Regierung in Koalition mit Pasok<\/p>\nPasok:<\/strong> sozialdemokratische Partei Griechenlands, in den achtziger Jahren starke sozialistische Partei, heute b\u00fcrgerliche Partei, die massiv an Unterst\u00fctzung eingeb\u00fc\u00dft hat; zuvor in einer Regierung mit ND und Zustimmung zu der bisherigen K\u00fcrzungspolitik<\/p>\nTo Potami:<\/strong> Der Fluss, liberal-b\u00fcrgerliche Partei, gegr\u00fcndet 2014<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"Interview mit Andros Payiatsos, Sprecher von Xekinima<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":31153,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[102,123,28,44],"tags":[275,374],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/31152"}],"collection":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=31152"}],"version-history":[{"count":2,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/31152\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":31165,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/31152\/revisions\/31165"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/media\/31153"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=31152"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=31152"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=31152"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}