Der Irak-Krieg provoziert Massenbewegung im gesamten Nahen Osten<\/p>\n
von Tommy Lindqvist, Berlin
\u00a0
\u201eDie arabischen Regierungen m\u00fcssen f\u00fcr den schnellst m\u00f6glichen Fall von Saddam Hussein beten\u201c, schreibt BBC am Beginn des Krieges. Auch wenn dem irakische Regime der Baath-Partei nicht mehr viel Zeit bleibt, ist die Frage, ob es das erste Regime im Nahen Osten sein wird, das f\u00e4llt. Der jordanische Prinz bin Talat warnte schon vor einem \u201eDominoeffekt von Regimewechseln\u201c.
Die reaktion\u00e4ren Diktaturen der Region versuchen zwischen der Anti-Kriegs-Stimmung in der Bev\u00f6lkerung einerseits und der Unterst\u00fctzung f\u00fcr die US-Regierung, von der sie abh\u00e4ngig sind, andererseits hin und her zu balancieren. Die Drohung als Teil der \u201eAchse des B\u00f6sen\u201c eingeordnet zu werden wie Syrien oder der Iran, ist ebenfalls ein Faktor.
Schon in den ersten Tagen des Krieges kam es in \u00c4gypten, Jemen, Bahrain, Jordanien, Libanon und Mauretanien zu gewaltsamen Zusammenst\u00f6\u00dfen zwischen DemonstrantInnen und Sondereinheiten der Polizei. Im Jemen, einem Land mit 18 Millionen EinwohnerInnen, gab es bisher die gr\u00f6\u00dften Anti-Kriegs-Proteste der Region. Mehr als 500.000, 200.000 allein in der Hauptstadt Sana, waren schon einige Tage vor Kriegsbeginn auf der Stra\u00dfe.
Auch wenn die Proteste der ersten Tage nach Kriegsbeginn noch nicht die Ausma\u00dfe der Proteste 1991 im Nahen Osten angenommen haben, so tr\u00e4gt jeder weitere Tag Krieg dazu bei, das zu \u00e4ndern. Die der Situation zugrunde liegenden Widerspr\u00fcche sind gr\u00f6\u00dfer als 1991. Die Regime m\u00fcssen eine vorsichtigere Haltung einnehmen, da der Krieg einen aggressiveren Charakter hat und keine vorgeschobene Begr\u00fcndung des Krieges, weder durch die UNO noch durch die Nationale Frage, wie 1991 mit Kuwait, heute verf\u00e4ngt.
Die letzte Periode war von versch\u00e4rfter Ausbeutung, \u00f6konomischer Krise und der verlorenen Hoffnung auf Frieden, haupts\u00e4chlich in Israel\/Pal\u00e4stina, gepr\u00e4gt.
Weitere wichtige Faktoren sind die unabh\u00e4ngigen TV-Sender und das Internet, die es diesen Regimen erschweren, Informationen unter Kontrolle zu halten und im Gegenteil der Bewegung in der Region aber auch international schneller und umfangreicher zur Verf\u00fcgung stehen.
Die Tatsachen, dass US-Bomben auch jenseits der Grenzen zur T\u00fcrkei und zum Iran eingeschlagen sind und dass schon in den ersten Tagen auch syrische Arbeitskr\u00e4fte auf der Flucht aus dem Irak get\u00f6tet wurden, sind symptomatisch und symbolisieren die Zusammenh\u00e4nge und Wechselwirkungen in der Region. Der ehemalige Verteidigungsminister von Britannien, Healey, warnte vor dem Krieg: \u201eAls erstes und wichtigstes wird er [der Krieg] die gesamte muslimische Welt gegen den Westen aufbringen\u201c, und weiter sagte er einen \u201eB\u00fcrgerkrieg zwischen KurdInnen, shiitischen und sunnitischen Moslems\u201c voraus, \u201eder sich in den umliegenden L\u00e4ndern wie Saudi-Arabien, Iran, Syrien und sogar Jordanien verbreiten wird\u201c.<\/p>\n
Saudi-Arabien<\/p>\n
Saudi-Arabien ist einer der wichtigsten Verb\u00fcndeten der USA in diesem Krieg, in milit\u00e4rischer Hinsicht der wichtigste \u2013 aber es ist auch einer instabilsten und wackeligsten. Wegen seiner gro\u00dfen \u00d6l-F\u00f6rderung \u2013 Saudi-Arabien besitzt ein Viertel der bekannten \u00d6l-Vorkommen der Welt \u2013 war es eines der reichsten L\u00e4nder mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf vergleichbar mit den USA. W\u00e4hrend des letzten Jahrzehnts viel dieser Wert auf ein Drittel, haupts\u00e4chlich wegen der gefallenen \u00d6l-Preise. Die Klassenunterschiede sind enorm. 30 Prozent der M\u00e4nner sind arbeitslos und nur wenige Frauen k\u00f6nnen auch nur davon tr\u00e4umen, einen Job zu bekommen oder wirtschaftlich unabh\u00e4ngig zu werden. Frauen wird nicht einmal erlaubt, ein Bankkonto zu er\u00f6ffnen. 15 der 19 Flugzeugentf\u00fchrer des 11. September waren Saudis wie bin Laden und sie sind dort popul\u00e4rer als Bush in den USA. Das extrem repressive und unterdr\u00fcckerische Regime Saudi-Arabiens konnte bisher Massenbewegungen verhindern. Aber wenn eine Massenbewegung dann ausbrechen wird, dann wird dies sehr wahrscheinlich in einem explosiven Szenario \u00e4hnlich dessen im Iran 1970 stattfinden.<\/p>\n
\u00c4gypten<\/p>\n
In \u00c4gypten, das mit 68 Millionen an Einwohnerzahlen gr\u00f6\u00dfte Land der Region, wurden 800 Anti-Kriegs-AktivistInnen inhaftiert. Trotz der Sondergesetze von 1981, die Demonstrationen generell verbieten, gehen die Proteste weiter. Nur sechs Prozent der \u00c4gypterInnen haben ein positives Bild der USA. Das Regime von Mubarah versucht sich als neutral darzustellen, lie\u00df aber schon US-Truppen-Transporte dort zu.<\/p>\n
Jordanien<\/p>\n
K\u00f6nig Abdullah von Jordanien versucht nicht nur zwischen der Bev\u00f6lkerungsmeinung und den USA zu balancieren, auch geographisch ist er eingeklemmt zwischen Israel und dem Irak. Die H\u00e4lfte der sechs Millionen EinwohnerInnen sind Pal\u00e4stinenserInnen. Jetzt werden viele Fl\u00fcchtlinge aus dem Irak erwartet, die das Regime nicht ins Land lassen will. Die demagogische Unterst\u00fctzung f\u00fcr Pal\u00e4stina von Saddam Hussein, l\u00e4sst eher Saddam als die verkommene Monarchie in den Augen der jordanischen Menschen als arabischen F\u00fchrer erscheinen. W\u00e4hrend das Land der drittgr\u00f6\u00dfte Empf\u00e4nger US-amerikanischer Hilfen ist, versucht das Regime die Verbindungen und die Unterst\u00fctzung f\u00fcr die USA im Krieg zu leugnen. Als die USA die \u201eAchse der Willigen\u201c pr\u00e4sentierten, lie\u00dfen sie die arabischen Staaten au\u00dfen vor \u2013 nicht wegen der Bedrohung durch Saddam Hussein sondern wegen der Bedrohung durch die dortige Bev\u00f6lkerung.
Die politische Hauptkraft der Proteste sind Moslems, bei denen Fundamentalisten mehr und mehr Boden gewinnen. Die Gebete in den Moscheen sind Ausgangspunkte der Proteste. Nicht zu vergessen ist, dass gerade der letzte Golf-Krieg bin Laden zum Feind der USA machte.<\/p>\n
Wie viele anti-westliche Terroristen wird dieser Krieg hervor bringen?<\/p>\n
Im Nahen Osten gab es eine starke Tradition kommunistischer Bewegungen, nicht zuletzt im Irak, bevor diese durch den US-gest\u00fctzten Baath-Putsch in den 1950ern und 60ern zerschlagen wurde. Diese kommunistischen Parteien konnten aber nur wegen ihrer stalinistischen Politik der Zusammenarbeit mit von ihnen als \u201efortschrittlich\u201c bezeichneten nationalen, b\u00fcrgerlichen Kr\u00e4ften eliminiert werden.
Die Arbeiterklasse spielt jetzt eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Krieg. Sichtbar wird dies zum Beispiel beim Generalstreik gegen den Krieg in Bangladesch. Zusammen mit der Wirkung der Anti-Kriegs-Bewegung gerade im Westen k\u00f6nnen die anti-imperialistischen Stimmungen der Massen des Nahen Ostens wieder verbunden werden mit revolution\u00e4ren, sozialistischen Ideen.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
Der Irak-Krieg provoziert Massenbewegung im gesamten Nahen Osten<\/p>\n
von Tommy Lindqvist, Berlin<\/p>\n","protected":false},"author":3,"featured_media":17827,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[63],"tags":[148],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/10447"}],"collection":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/users\/3"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=10447"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/10447\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/media\/17827"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=10447"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=10447"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/archiv.sozialismus.info\/maschinenraum\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=10447"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}