Gewerkschafter*innen planen Vernetzung
Eine Koordinierung von kritischen Kolleg*innen ist dringend nötig, um sich gemeinsam für eine Kursänderung der Gewerkschaften einzusetzen.
von Sebastian Förster, Kassel
„Der deutschen Wirtschaft geht es gut“. Diese Parole bestimmte lange Zeit die Medien, begleitet von Erfolgsmeldungen über sinkende Arbeitslosenquoten, ausgelastete Produktionskapazitäten und gestiegene Reallöhne.
Beschäftigte und Erwerbslose haben allerdings wenig Anlass zu jubeln. Für viele Kolleg*innen ist die enorme Arbeitshetze unerträglich geworden. Die Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse ist 2017 auf 7,7 Millionen gestiegen. Fast ein Drittel aller Frauen ist hiervon betroffen. Vierzig Prozent der arbeitenden Bevölkerung haben heute ein geringeres Realeinkommen als Mitte der 1990er Jahre.
Weltweit sind die Potenziale für eine neue ökonomische Krise gestiegen, die die stark exportabhängige deutsche Wirtschaft schwer treffen kann. Dann kommen auf Beschäftigte größere Angriffe zu, sowohl in Bezug auf gewerkschaftliche Rechte als auch Löhne und Arbeitsbedingungen. Aussprüche wie „Die fetten Jahre sind vorbei“ wie jüngst von Finanzminister Olalf Scholz (SPD) sind nicht als Warnung an die Superreichen gerichtet, sondern sollen die Masse der arbeitenden Bevölkerung auf Abstriche im Lebensstandard vorbereiten.
Nein zu Co-Management
DGB-Chef Reiner Hoffmann, der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann und andere Gewerkschafts-führer*innen setzen auf Co-Management mit den Unternehmen. Erst kürzlich hatte die DGB-Führung mit der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) die Feierlichkeiten zu „100 Jahre Sozialpartnerschaft – erfolgreich in die Zukunft“ begangen. In Reden wurde von beiden Seiten die gute langjährige Zusammenarbeit gelobt. Nur wenige Tage später wärmte der BDA-Präsident Ingo Kramer die Forderung nach Lockerung des Arbeitszeitgesetzes und Abschaffung des Acht-Stunden-Tags auf, was wie aktuell in Österreich einem zentralen Angriff auf die arbeitende Bevölkerung gleich käme.
Nicht nur, dass der Anpassungskurs der Gewerkschafts-, aber auch vieler Betriebsratsvorsitzenden, Illusionen schürt. Ganz real schwächt er auch die Kampfkraft von Kolleg*innen, wenn – vor allem in Krisenzeiten – von „Sachzwängen“ geredet wird. Nötige Solidarität unter Beschäftigten wird untergraben, wenn die Standort- und Konkurrenzlogik der Unternehmen übernommen wird und Beschäftigte gegeneinander ausgespielt werden.
ver.di steht insgesamt zwar etwas weiter links als IG Metall und DGB, und die Führung stellt zum Beispiel die Forderung nach einer höheren Besteuerung von Reichen und Unternehmen auf, doch in der Tarifpolitik schlägt sich das nicht nieder. In den Bereichen, in denen ver.di über einen relativ hohen Organisationsgrad verfügt (wie in Bund und Kommunen), wird meist nicht über das Ritual von Warnstreiks hinaus gegangen, obwohl Kampfbereitschaft vorhanden wäre, auch um für die volle Durchsetzung der Forderungen zu kämpfen. Letztlich wird auch von der ver.di-Führung oft mit Sachzwängen argumentiert.
Es ist auch nötig, auf gewerkschaftlicher, betrieblicher und auch gesellschaftlicher Ebene konsequente Kampagnen gegen die rassistische AfD zu führen. Trotz einzelner Ansätze sind die Gewerkschaften jedoch weit davon entfernt, ihr Potenzial als Massenorganisationen zu nutzen.
Neue Kämpfe
Seit einigen Jahren ist eine deutliche Zunahme von Tarifkonflikten zu verzeichnen, was zum Einen auch damit zusammenhängt dass die Tariflandschaft zunehmend fragmentiert ist und sich große Unternehmen wie Amazon und andere weigern, Tarifverträge abzuschließen. Zum Anderen gibt es gerade aber im Dienstleistungssektor, in prekären Bereichen, bei Pflege- und Sozialberufen neue Kämpfe, die mit großer Entschlossenheit und Ausdauer geführt werden.
Streikformen und -taktiken haben sich weiterentwickelt. So hat der Streik an der Berliner Charité 2015 eine Pilotwirkung für Belegschaften anderer Krankenhäuser gehabt, für tarifliche Vereinbarungen zur Personalbemessung zu kämpfen – etwas, das zuvor nicht für möglich gehalten wurde. Gleichzeitig gab es hier mit der Einrichtung der Tarifberater*innen wichtige Schritte in Richtung Demokratisierung von Streiks. Auch beim Streik von Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen mit einer bislang einzigartigen bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz gab es neue Ansätze von Beteiligung an Diskussionen über Strategie und Taktik für die Streikenden selbst.
Auch die 24-stündigen Warnstreiks in der Fläche während der Tarifrunde der IG Metall 2018 waren ein neues Element. Sie haben eine große Streikbereitschaft der Kolleg*innen gezeigt, wenngleich mit der Forderung nach einer begrenzten Arbeitszeitverkürzung ohne Lohn- und Personalausgleich das wichtige Thema Arbeitszeit durch die IG Metall-Führung falsch beantwortet wurde. Einen wirklichen Erzwingungsstreik, wie zum Beispiel 1984 beim Kampf um die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Druckindustrie, hat es schon lange nicht mehr gegeben. Es darf nicht vergessen werden, dass die IG Metall-Führung damals ebenfalls nur durch Druck von unten, aus aktiven, kämpferischen Vertrauensleutestrukuren heraus, dazu gebracht wurde, diese Forderung aufzustellen und zur Urabstimmung aufzurufen.
Im Vergleich zu den 1980er Jahren ist die Gewerkschaftsbewegung zwar zurückgeworfen. In vielen Betrieben ist heute erst einmal nötig, einzelne mutige Kolleg*innen zu finden, die bereit sind, aktiv zu werden, um Gewerkschaftsgruppen aufzubauen beziehungsweise diese wiederzubeleben. Gleichzeitig hat sich aber immer wieder gezeigt, wie gewerkschaftlich und betrieblich Aktive neue Wege gehen, bereit sind sich zu engagieren und Angebote für Streiks oftmals mit hoher Beteiligung wahrgenommen werden.
Gemeinsame Strategie nötig
Die Konferenz „Aus unseren Kämpfen lernen“ vom 15. bis 17.2. in Braunschweig bietet ein gutes Forum, um Erfahrungen auszutauschen. Jedoch findet über die Konferenz hinaus keine engere Koordinierung von kämpfenden, aktiven Kolleg*innen und den bestehenden Zusammenschlüssen von Gewerkschaftslinken statt. Doch objektiv besteht eine Notwendigkeit für Diskussionen über die Strategie der Gewerkschaften und zur tatsächlichen praktischen Zusammenarbeit.
Gemeinsam mit fünfzehn verschiedenen Gruppen der Gewerkschaftslinken (u.a. ver.di Linke NRW, LabourNet Germany, Arbeitsausschuss der Gewerkschaftslinken) will das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di, in dem SAV-Mitglieder aktiv sind, hierfür ein Angebot schaffen. Geplant ist, für 2020 eine Strategiekonferenz vorzubereiten, um aktive und kritische Kolleg*innen zusammenzubringen, um darüber zu beraten, wie man gemeinsam eine kämpferische Ausrichtung ihrer Gewerkschaften durchsetzen kann. Als Vorbereitung ist ein Treffen am 18. Mai in Frankfurt am Main geplant.
Es soll eine gemeinsame Plattform für eine kämpferische Ausrichtung der Gewerkschaften als Alternative zu Co-Management und sozialpartnerschaftlichem Kurs diskutiert werden. Außerdem sollen Möglichkeiten erörtert werden, wie Arbeitskämpfe erfolgreicher geführt werden können.
In der innergewerkschaftlichen Auseinandersetzung um die Aufstellung von Forderungen könnten sich Aktivist*innen so besser absprechen und sich auf eine gemeinsame Strategie einigen. Auch bei Organisationswahlen und Arbeit in Gremien wäre eine engere Koordinierung hilfreich. Denn letztlich braucht es auch personelle Veränderungen in den Vorständen, um eine kämpferische Ausrichtung durchzusetzen.
Arbeitszeiten und Flexibilisierung
Konkret soll auch die in allen Bereichen gestiegene Arbeitshetze Thema sein. Der Kampf für eine bessere Personalausstattung, gegen Flexibilisierung und für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung in großen Schritten bei vollem Lohn- und Personalausgleich könnte ein verbindendes Element werden. Ein solcher Kampf um eine Arbeitszeitverkürzung muss gewerkschaftlich gut vorbereitet und organisiert sein und braucht die aktive Solidarität und Unterstützung aus Betrieben, allen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, um erfolgreich zu sein. Die Gewerkschaftsführungen geben zur Zeit die falschen Antworten auf diese brennenden Fragen, zum Beispiel wenn eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverzicht oder weiterer Flexibilisierung kompensiert werden soll.
Schon bei der Tarifauseinandersetzung 2020 bei Bund und Kommunen wird das Thema eine Rolle spielen. Deshalb sollten Aktive schon jetzt diskutieren, welche Forderungen eingebracht werden sollten. Nötig sind auch Vorbereitungen für Streiks, über die üblichen Warnstreik-Rituale hinaus. Über eine gezielte Koordination von aktiven und kämpferischen Kolleg*innen in den Arbeitskampfleitungen könnte man gemeinsam daran arbeiten, Elemente von Streikdemokratie wie tägliche Streikversammlungen und Streik-Delegierten-Konferenzen wie 2015 im Sozial- und Erziehungsdienst durchzusetzen. Nötig ist, eine vollständige Transparenz und Rechenschaftspflicht von der Verhandlungsführung gegenüber den Mitgliedern zu erreichen und zu verhindern, dass Streiks bürokratisch von oben beendet oder abgeblockt werden. Die Streikenden selbst sollten in die Lage versetzt werden, die jeweiligen Schritte im Arbeitskampf demokratisch zu diskutieren und darüber zu entscheiden.
Eine Vernetzungsstruktur kann auch helfen, den Druck in den DGB-Gewerkschaften aufzubauen, Solidaritätskampagnen für einzelne Kämpfe auf den Weg zu bringen, die auf die Unterstützung von außen angewiesen sind, beziehungsweise selbst selbst aktiv zu werden und wo möglich Soli-Aktionen zu organisieren.
Kämpfe an Krankenhäusern
Aufgrund kämpferischer Betriebsgruppen, einzelner Aktiver und unterstützender Soli-Bündnisse gibt es inzwischen mehrere Erfolge in Krankenhäusern. Auch hier ist eine Strategiedebatte nötig, wie der Druck weiter aufgebaut werden kann. So könnten die streikfähigsten Kliniken auf breiterer Ebene gemeinsam und stellvertretend auch für andere, weniger streikfähige Krankenhäuser für eine tarifvertragliche Regelung kämpfen. Es wäre möglich, über eine Verstärkung von Soli-Kampagnen in der Bevölkerung, aber auch in den anderen ver.di-Fachbereichen sowie im ganzen DGB, eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung darüber zuzuspitzen. Dafür muss auch die Abschaffung des Fallpauschalensystems und die Rücknahme aller Privatisierungen gefordert werden. Statt einem Gesundheitswesen, welches Profitmöglichkeiten für Privatkonzerne bietet, müssen die Gewerkschaften sich für ein Gesundheitswesen einsetzen, welches auf Grundlage von öffentlichem Eigentum und unter demokratischer Kontrolle von Beschäftigten, Gewerkschaften und Kommunen, Land und Bund steht.
Der Kapitalismus ist ein krisenhaftes System, in dem wir ständig für Verbesserungen kämpfen müssen und dagegen, dass uns bereits Erkämpftes wieder genommen wird. Deswegen ist es auch notwendig, die Idee einer demokratisch geplanten Wirtschaft auf Grundlage von Gemeineigentum anstatt kapitalistischem Chaos in die täglichen Kämpfe einzubringen.