Corbyn und die Gewerkschaften müssen die Arbeiter*innenklasse mobilisieren, um die konservative Regierung zu Fall zu bringen.
Die aktuelle Ausgabe unserer Zeitung, „The Socialist“, wird in einer Woche gedruckt, die von einer beispiellosen Regierungskrise gekennzeichnet ist. Nur eine Woche bevor die Parlamentsabstimmung über Theresa May‘s Brexit-Deal stattfinden hätte sollen, war die Premierministerin gezwungen diese noch zu verschieben.
Editorial des „The Socialist“ die Zeitung der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England & Wales)
Sie hätte nicht nur eine Niederlage einstecken müssen – das war schon seit Wochen klar. Es ging vielmehr darum, dass immer deutlicher wurde, dass das Ausmaß dieser Niederlage May als Regierungschefin in Frage gestellt hätte.
Jeremy Corbyn, der „Labour“-Vorsitzende, hat korrekterweise, darauf hingewiesen, dass die Verschiebung der Parlamentsabstimmung zeigt, dass es aktuell in Großbritannien keine funktionierende Regierung gibt. Aber die Frage die wir uns jetzt stellen müssen ist wie wir als Beschäftigten, Gewerkschafter*innen und Sozialist*innen auf diese Situation regieren können und welche Rolle Corbyn selbst in diesem Prozess spielen kann?
Mit einer effektiven Strategie könnte ein Durchbruch im Sinne der Interessen der Bevölkerungsmehrheit geschafft werden – vielleicht schon bis zur nächste Ausgabe des „The Socialist“ im neuen Jahr. Doch das wirkt alles andere als sicher.
May scheint darauf zu hoffen die rebellischen Kräfte innerhalb der Tories zurückdrängen zu können indem sie die Abstimmung bis zu einem Zeitpunkt verschiebt, zu dem es zu spät für die Ausarbeitung eines alternativen Deals ist. Das Parlament wird sich zwischen dem Brexit-Deal von May oder keinem Deal entscheiden müssen und May hofft, dass Abgeordnete von einem „Rauswurf“ noch stärker abgeschreckt sind als von ihrem Brexit-Deal. Es gibt keine rechtlich bindende Vorgabe die eine entscheidende Abstimmung im Parlament vor dem 28. März einfordern würde. Das ist der Tag vor dem geplanten Austrittsdatum.
May plant erneute Verhandlungen um weitere Zusicherungen zu erhalten, die garantieren sollen, dass die „Backstop“-Vereinbarungen vorübergehend und unwahrscheinlich bleiben. (der „Backstop“ ist eine Bezeichnung für ein „Sicherheitsnetz“ aus verschiedener Maßnahmen, die eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindern sollen, AdÜ). Die „Backstop“-Vereinbarungen sind für viele der Brexit-Befürworter*innen unter den „Tories“ ein wichtiger Knackpunkt, da sie befürchten, dass Großbritannien durch diese Vereinbarungen in der Zollunion verbleiben könnte.
Doch die Hinterbänkler*innen der „Tories“ wollen das, was sie als rechtlich bindende Zusicherung bezeichnen, eine Forderung die gesamte Austrittsvereinbarung in Frage stellen würde.
Die Frage ist, wie sie reagieren werden, wenn der Deal erneut zur sogenannten entscheidenden Abstimmung steht? Ganz offensichtlich sind viele über den Ansatz von May an sich schon erbost und die Gefahr eines Misstrauensvotums gegen sie bleibt auch innerhalb der eigenen Partei weiter aktuell.
Andererseits gibt es auch Faktoren, die die Handlungsmöglichkeiten der konservativen Brexit-Opposition einschränken. Es war für die Kritiker*innen unter den Konservativen zum Beispiel klar, dass sie „Labour“ nicht unterstützen, falls Corbyn ein Misstrauensvotum gegen die Regierung einbringen würde.
Es ist offensichtlich, dass wir uns beim Kampf um ein Ergebnis im Interesse der Arbeiter*innenklasse nicht auf diese rechten Tories verlassen können. Den für die meisten von ihnen ist die Verteidigung der Interessen des Kapitalismus wichtiger als irgendwelche „Prinzipien“ bezüglich des Brexit.
Blairites
Selbiges gilt für die Mehrheit auf der anderen Seite des Parlaments, die Blairites (politische Erben Tony Blairs), die sich für den Verbleib in der EU einsetzen. Diese Verteidiger*innen des Kapitalismus könnten sich ebenfalls hinter May stellen, falls ein abrupter Abbruch der Verhandlungen und somit ein Brexit ohne Deal droht. Aus Sicht der Interessen der kapitalistischen Klasse wie auch aus der Perspektive der neoliberalen EU wäre diese Option verheerend.
Andererseits könnte ihr Pragmatismus sie davon abhalten, den Bürgerkrieg in „Labour“ weiter zuzuspitzen. Vor allem weil sie erkennen, dass May diesen Prozess sowieso nicht durchstehen wird. Wieso sollten sie ihre Karrieren (und dadurch ihre Möglichkeit eine möglichen Regierung Corbyn zu sabotieren) gefährden, um ein sinkendes Schiff zu retten?
Grundsätzlich sind weder die EU, noch die „Tories“ oder die „Blairites“ imstande, die etwas im Interesse der Bevölkerungsmehrheit zu erreichen. Wir können uns nur auf unsere eigene Stärke verlassen. Aber was heißt das für uns? Wie erreichen wir einen Brexit der im Interesse der Mehrheit der Gesellschaft vonstatten geht? Es stellt sich die Frage ob der gesamte Prozess mit einem anderen Zugang neu aufgerollt werden muss. Einer der das kapitalistische Chaos, das sich gerade vor unseren Augen entwickelt, ablehnt und von neuen Verhandler*innen geführt wird.
In einem offenen Brief von führenden Köpfen der sogenannten „Sozialistischen Internationale“ (die „Internationale“, der z.B. die deutsche SPD und die „Part Socialiste“ des französischen Ex-Präsidenten Hollande angehören) wurde Corbyn dazu aufgefordert, sich für die Rücknahme des Brexit einzusetzen, sollte er an die Macht kommen.
Das Vorgehen dieser alten verrotteten Organisation zeigt einmal mehr wie notwendig es ist Kräfte aufzubauen, die den Kapitalismus, inklusive der Institutionen der EU, aus einer sozialistischen und internationalistischen Perspektive herausfordern. Das gilt nicht nur für Großbritannien sondern auch für jedes andere Land in Europa, vor allem für Frankreich und die inspirierenden „Gelbwesten“-Proteste.
Corbyn hat in diese Situation große Chance, die er unbedingt nutzen muss, dafür ist der Kampf für Neuwahlen am wichtigsten. Dieser Kampf kann nur durch den Aufbau einer Bewegung auf den Straßen, in den Arbeitsplätzen und unter jungen Menschen erfolgreich sein.
Die Ereignisse in Frankreich zeigen, dass Menschen denen die Möglichkeit geboten wird sich gegen das Establishment zu organisieren, diese Chance auch ergreifen.
Corbyn und die Gewerkschaften sollten jetzt eine Massenkampagne für vorgezogene Neuwahlen organisieren um dadurch das neue Jahr mit einer riesigen landesweiten Samstags-Demonstration zu beginnen.
Neben dem Kampf für Neuwahlen muss Corbyn sich jetzt darauf vorbereiten, dass diese jederzeit ausgerufen werden können. Er sollte, zum Beispiel, unmittelbar den parteiinternen Abstimmungsprozess („trigger ballot“) öffnen, der die Neuwahl der Parlamentskandidat*innen möglich machen würde. Das würde den Parteigliederungen vor Ort und den angeschlossenen Gewerkschaftsstrukturen die Möglichkeit geben, Kandidat*innen auszuwählen, die in der Lage sind, die hunderttausenden zu repräsentieren, die der „Labour Party“ beigetreten sind, um das Anti-Kürzungssprogramm von Corbyn zu unterstützen.
Es ist auch zentral, dass Corbyn klarmacht: egal wann die Abstimmung über May‘s Deal stattfindet, jedem Labour-Abgeordnete der abstimmt um May zu retten muss unmittelbar die Fraktionsmitgliedschaft entzogen werden („withdraw the wip“, ein Vorgang im britischen Parlamentarismus, AdÜ.)
Wenn man diesen Ansatz nicht schnell anwendet, kann das gefährliche Konsequenzen haben. Len McCluskey, Generalsekretär von UNITE (zweitgrößte Gewerkschaft in GB; Erg. d. Übers.), hatte zurecht davor gewarnt, dass Viele sich verraten fühlen werden sollte Labour den Eindruck vermitteln einen Rückzug vom Brexit zu machen.
Und es war falsch, dass John McDonnell, Finanzminister in Corbyns Schattenkabinett, meinte, Neuwalen seien „nicht die wahrscheinlichste“ Folge der „Tory“-Krise. Wenn die enorme potentielle Macht der Arbeiter*innenklasse, organisiert durch die Gewerkschaftsbewegung, ins Spiel gebracht wird, dann ist rein gar nichts unmöglich. Seit Generationen war so ein Kampf nicht mehr so nötig und möglich wie heute.
Wir fordern:
- Sofortige Neuwahlen! Jeremy Corbyn und die Gewerkschaften müssen umgehend zusammenkommen, um zu Massenaktionen aufzurufen, inklusive einer bundesweiten Demonstration um die Tory-Regierung zu Fall zu bringen.
- Tories raus, Corbyn rein! Die Parlamentswahlen 2017 haben gezeigt, dass ein Programm das sich gegen die Kürzungspolitik richtet extrem populär ist. Jeremy Corbyn sollte auf diesen Erfolgen aufbauen und eine klare sozialistische Politik vertreten, die tatsächlich eine Ausweg und eine Alternative für die 99 Prozent darstellen kann, auch bezüglich der Frage des Brexit.
- Keine Unterstützung für den „Tory“-Deal – der nur im Interesse der Großkonzerne und Superreichen verhandelt wurde. Die Verhandlungen müssen neu aufgenommen werden, auf der Grundlage einer klaren Opposition gegenüber sämtlichen Regeln des EU-Binnenmarkts und der Zollunion, die den Interessen der Arbeiter*innenklasse widersprechen. Darunter fallen unter anderem die bisherigen Bestimmungen über „staatliche Beihilfen“, die „Liberalisierung der Märkte“ oder die aufgestellten Richtlinien für Arbeitnehmer*innen.
- Eine sozialistische Alternative zur EU. Corbyn sollte den Schutz der Interessen der Arbeiter*innenklasse zum Ausgangspunkt für alle EU-Verhandlungen machen. Das bedeutet den Aufbau einer europaweiten Kampagne von Sozialist*innen und Organisationen der Arbeiter*innenbewegung. Diese Bewegung muss die aktuellen Verhandlungen dazu nutzen um die EU-Verträge, im Interesse der Banken, Bosse und Konzerne, zu zerschlagen.
- Verstaatlichung der Banken und großen Monopole unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter*innenklasse. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass Kapitalist*innen versuchen eine Corbyn-Regierung durch ökonomische Sabotage davon abzuhalten ihr Programm umzusetzen. Diese Maßnahme können der Ausgangspunkt für einen sozialistischen Wirtschaftsplan darstellen, um die Bedürfnisse der Mehrheit zu befriedigen.
- Für eine neue Zusammenarbeit der Menschen Europas auf sozialistischer Grundlage, basierend auf der grenzübergreifenden Solidarität der Arbeiter*innenklasse.