Der Kampf gegen einen rechtsextremen Präsidenten
Ende Oktober wurde der rechtsextreme Politiker Jair Bolsonaro mit 55 Prozent (57,8 Millionen Stimmen) zum brasilianischen Staatspräsidenten gewählt. Er gewann in einer Stichwahl gegen den Kandidaten der Arbeiter*innenpartei (PT), Fernando Haddad.
von Anne Engelhardt
Schon vor den Wahlen ist vor allem in den Favelas und im Norden ein Klassenkrieg ausgebrochen. Im März 2018 wurde in Rio de Janeiro Marielle Franco, linke Abgeordnete der PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit, der auch die Schwesterorganisation der SAV, LSR, in Brasilien angehört) erschossen. Sie deckte auf, dass die Militärpolizei und paramilitärische Milizen in den Favelas wahllos Schwarze ermorden. Außer Franco starben in den letzten Monaten und Jahren viele Aktivist*innen, die gegen die Zerstörung des Regenwaldes, die Wohnraumpolitik und gegen zahlreiche Frauen- und Transmorde aktiv waren. Allein dieses Jahr wurden in Brasilien knapp 64.000 Menschen getötet.
Krise in Brasilien
Die politische und soziale Lage hat sich seit der Wirtschaftskrise 2015 enorm verschärft. Neben den sinkenden Exportzahlen, insbesondere von Rohstoffen nach China, wurde das Land 2016 von einem riesigen Korruptionsskandal erschüttert, der als „Autowäsche“ bekannt wurde. Die PT (Partido dos Trabalhadores, „Arbeiterpartei“) hat 2002 zum ersten Mal den Präsidentschaftskandidaten Lula da Silva durchgesetzt. Aufgrund der damaligen wirtschaftlichen Erholung konnte sie teilweise fortschrittliche Reformen erzielen, ohne dass sie sich grundlegend mit dem Kapital anlegen musste. Angesichts der Minderheitenposition im Parlament setzte Lula auf Klassenkollaboration mit den bürgerlichen Parteien, anstatt auf die breiten sozialen- und Gewerkschaftsbewegungen. Indem die PT einem neoliberalen Hardliner wie Michel Temer den Sitz des Vizepräsidenten zugestand und den juristischen Staatsapparat lockerte, um die Korruptionsskandale der bürgerlichen Parteien zu deckeln, hat sie die Basis für die aktuelle politische Krise der Linken und den Vormarsch der Rechten gelegt. Zugleich rückte die PT-Regierung schon unter Lula, aber insbesondere unter Dilma Rousseff nach rechts, was sich in Angriffen auf die Renten und die sinkende Unterstützung der Landlosenbewegung ausdrückte. Michel Temer hatte 2016 die Lage genutzt und durch einen juristischen und parlamentarischen Putsch gegen die PT und Präsidentin Dilma Rousseff die Macht erlangt.
Kämpfe unter Temer
Temer war der Traumkandidat der Herrschenden, unter ihm sollten neoliberale Programme im Schnelldurchlauf durchgebracht werden. So kündigte er bei seinem Amtsantritt eine Arbeitsmarktreform an, die eine enorme Verschlechterung der Arbeitsrechte für die brasilianische Bevölkerung bedeutet. Sie wurde trotz eines Generalstreiks im April 2017 durchgesetzt. Die geplante Rentenreform konnte jedoch durch den Widerstand insbesondere im Bildungs- und Transportsektor verhindert werden. Zeitgleich wurde gegen den auf der Linken immer noch beliebten PT-Politiker Lula da Silva ermittelt, der in einen Bestechungsskandal verwickelt sein soll. Es gibt keine Beweise, die den Vorwurf belegen, was nicht bedeutet, dass Teile der PT-Führung nicht selbst in Korruptionsskandale verwickelt sind. Dennoch war die Verurteilung Lulas zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren ein klarer Versuch der Herrschenden, trotz seines Rechtsrucks, seine Kandidatur zu verhindern. Sie wollen Privatisierungen und Kürzungen schneller durchsetzen, als das unter einer von Lula geführten Regierung möglich wäre.
Die neue Regierung
Das Kabinett soll erst Mitte Dezember vorgestellt werden. Aber schon jetzt ist klar, dass die Bolsonaro-Regierung eins zu eins die Fraktion der Herrschenden vertritt, die in Brasilien auch als die drei Bs „Boi, Biblía und Bala“ bekannt sind: 1. Agrar- und Fleischindustrie, 2. Religion – im Falle von Bolsonaro die Evangelikalen, 3. das Militär und die Waffenlobby. Für letztere will Bolsonaro das Waffengesetz entschärfen, um den Markt anzukurbeln. Für die Evangelikalen soll der erzreaktionäre Prediger Magno Malta als Familienminister eingesetzt werden. Das Agrar- und Umweltministerium wird zwar nicht, wie geplant, zusammengelegt, doch die neue Agrarministerin ist eine Unterstützerin der Großkonzerne und setzt sich für umweltschädliche Pestizide ein. Das Justizministerium wird mit Sérgio Moro besetzt, der als Bundesrichter die Aufklärung des Korruptionsskandals „Autowäsche“ leitete und für die Verurteilung von Lula verantwortlich ist. Soziale Bewegungen und Proteste gegen die Regierung, die schon vor den Wahlen mit dem Slogan #elenão (er nicht!) gegen Bolsonaro Zehntausende mobilisierten, werden kriminalisiert. Mindestens drei Ministerien sollen durch ehemalige Generäle besetzt werden.
#Elenão! Widerstand nötig!
Durch den Wahlausgang ermutigt, haben vor allem rechtsradikale Kräfte Aufwind. Es vermehren sich Messerangriffe auf LGBTQ Menschen, Schwarze und Linke. Es gab erste kleinere Demonstrationen und Versammlungen, die gegen die Regierung protestierten. LSR, die Schwesterorganisation der SAV in Brasilien, baut derzeit als Teil von PSOL und gemeinsam mit der Landlosenbewegung und den Gewerkschaften Selbstverteidigungsgruppen und eine breite Front gegen die geplante Rentenreform, die Privatisierung des Ölkonzerns Petrobras und die weitere Zerstörung des Regenwaldes auf. Auch wenn Bolsonaro eine Verschärfung der bisherigen politischen Situation Brasiliens bedeutet, ist seine Regierung nicht unumstritten. Aufgrund der wirtschaftlich und politisch instabilen Lage sitzt er nicht fest im Sattel. Ein Aufbau einer breiten unabhängigen Front der Landlosen- sozialen und Arbeiter*innenbewegung ist weiterhin möglich und notwendiger denn je. n
Anne Engelhardt ist aktiv in der SAV Kassel und hat 2018 Brasilien besucht.