Bericht von der Großkundgebung und Massenbesetzung am 6. Oktober am und im Hambacher Forst
Seit Wochen ist der Kampf um den Hambacher Forst eine der zentralen politischen Auseinandersetzungen in Deutschland. Der Wald ist zum Symbol des Widerstands gegen die extrem klimaschädliche Braunkohleverbrennung geworden. Aktivist*innen hielten Teile des Waldes sechs Jahre besetzt, schon vorher wehrten sich Initiativen aus der Umgebung gegen die Zerstörung ihrer Heimat. Die NRW-Landesregierung mobilisierte über Wochen 3500 bis 4000 Polizeikräfte mit schwerem Gerät, um die Besetzungen zu räumen. Durch die Räumungen oder unter ihrem Einfluss wurden viele Menschen verletzt, einer verlor sein Leben. Mit diesem wohl größten Polizeieinsatz in der nordrhein-westfälischen Nachkriegsgeschichte wollte die Landesregierung Fakten schaffen und dem Energiekonzern RWE sowie der Industrie Profite sichern. Damit sind sie vorerst gescheitert.
Von Christian Walter, Teilnehmer an den Protesten
Für den 6. Oktober riefen mobilisierungsstarke Organisationen wie Campact, BUND, Greenpeace und andere zu einer Großkundgebung am Waldesrand auf. Erwartet wurden 20.000 Menschen. Gekommen sind 50.000. Sie protestierten bei einer Massenkundgebung lautstark, mindestens zehntausend Menschen beteiligten sich außerdem an direkten Aktionen zur Wiederbesetzung des Waldes. Einige drangen sogar in den Tagebau vor und erzwangen so die Abschaltung der Kohlebagger. Die Polizei war ob der schieren Masse an Menschen unfähig, irgendwas zu verhindern.
Konstante Proteste zeigen erste Erfolge
Schon in den letzten Wochen ist der Protest und Widerstand kontinuierlich gewachsen. Am letzten Sonntag beteiligten sich über zehntausend Menschen am „Waldspaziergang“, der längst kein Waldspaziergang mehr ist, sondern eine kraftvolle Demonstration. In der Vorwoche waren es trotz miserablem Wetter über 5000 Menschen. Täglich gibt es Aktionen am Wald, vor allem mit dem Ziel, die Besetzungen zu unterstützen. Im gesamten Bundesgebiet gab es Solidaritätsdemonstrationen, teilweise mit mehreren tausend Menschen. Vor dem Bundestag in Berlin, aber auch in vielen anderen Städten wurden symbolisch Bäume besetzt.
Wenige Tage vor der Großkundgebung schaffte die Polizei es schließlich, das letzte Baumhaus zu räumen. Sie kündigte auch an, das „Wiesencamp“, eine Art Basislager der Aktivist*innen am Waldrand, räumen zu wollen. Auch die Großkundgebung wurde von der Aachener Polizei verboten, angeblich wegen Sicherheitsbedenken. In den letzten Wochen hat die Aachener Polizei, die für den Einsatz zuständig ist, wiederholt unter Beweis gestellt, dass sie demokratische Grundrechte leichtfertig einschränkt oder ganz aussetzt. Am Freitag kamen jedoch zwei positive Gerichtsurteile: Das Kundgebungsverbot wurde gekippt. Und RWE wurde die Rodung des Waldes untersagt, weil der Konzern nicht plausibel belegen konnte, dass die Rodung zur Energieversorgungssicherheit nötig sei. Es steht außer Frage, dass dieses Gerichtsurteil nur zustande kam, weil die Proteste und Aktionen einen immensen Druck aufgebaut hatten. RWE selber schätzt, dass dieses Urteil das Aus für die Rodungspläne mindestens für die bis Ende Februar 2019 andauernde Rodungssaison bedeutet, möglicherweise sogar auch für die kommende Saison.
Großdemonstration, Festivalatmosphäre und Waldbesetzung
Am Samstag ging es für die Aachener SAV-Mitglieder um 8 Uhr los, obwohl die Kundgebung erst um 12 Uhr starten sollte. Wer später fuhr, hatte teilweise große Probleme: Aufgrund des massiven Andrangs waren Bahnhöfe verstopft. Die Bahn setzte mehr und längere Züge ein, außerdem fuhren Busse im 5-Minuten-Takt. Trotzdem war die Anreise vor allem aus Richtung Köln so überlastet, dass zwischenzeitlich die Info kam, dass 5000 Menschen sich vom Bahnhof Horrem (wo Menschen aus der Regionalbahn in die S-Bahn umsteigen wollten, die in der Nähe des Kundgebungsortes hält) zu Fuß auf den Weg zum gut 12 Kilometer entfernten Kundgebungsort gemacht hätten. Die Autobahnausfahrten waren so überlastet, dass es kilometerlangen Rückstau gab und die Autobahnen schließlich bis in die Abendstunden gesperrt wurden.
Vor Ort herrschte ausgelassene Festivalatmosphäre. Von der Bühne gab es neben politischen Reden auch ein großes musikalisches Programm. Überall waren Menschenmassen, viele hatten selbstgemalte Banner und Plakate mitgebracht.
Es gab viele Redebeiträge – nicht nur von hohen Funktionär*innen, sondern beispielsweise auch von drei Waldbesetzer*innen. Auch ein Aktivist aus dem Senegal kam zu Wort. In einigen Redebeiträgen wurde betont, dass verschiedene Akteure der Bewegung verschiedene Methoden hätten, aber man sich als eine Bewegung begreife. Der LINKE-Covorsitzende Bernd Riexinger forderte gute Jobs, die nicht die Umwelt zerstörten. Und er kritisierte die brandenburgische LINKE-Fraktion, die sich an der Landesregierung beteiligt und dafür die braunkohlefreundliche Politik der SPD mitträgt.
Die ganze Zeit über gingen Teilnehmer*innen in den wenige hundert Meter entfernten Hambacher Wald. RWE hatte zuvor angekündigt, ihn zu umfrieden, damit „illegales Eindringen in den Wald“ als Hausfriedensbruch und damit als Straftat verfolgt werden könne. Davon war nichts zu sehen, und wenn es das irgendwo doch gab, hielt sich niemand daran. Irgendwann um die Mittagszeit startete die Großaktion vom Bündnis „Ende Gelände“: Mit mehr als zehntausend Menschen bewegte man sich in den Wald, besetzte ihn symbolisch mit Hängematten und etwa 100 Menschen konnten sogar in den angrenzenden Tagebau vordringen. Währenddessen konnten Bäume neu besetzt werden, inzwischen gibt es ein neues „Dorf“ in luftiger Höhe im Wald.
Wie weiter?
Eine so große Aktion hat es im Rheinischen Braunkohlerevier noch nicht gegeben. Sie war ein kraftvolles und ermutigendes Zeichen. Gleichzeitig muss aber klar sein, dass nur ein Etappensieg errungen ist.
Der Hambacher Forst ist zurecht ein Symbol des Braunkohle-Widerstands geworden. Sollte die Rodungsstop-Verfügung nicht wieder gekippt werden, dürfte dieser Kampf aber erst einmal als (auf Zeit) gewonnen gelten. Das heißt: Man kann sich wieder auf das eigentliche Ziel – die Braunkohleindustrie – konzentrieren. Ende Oktober kommt „Ende Gelände“ wieder, dann werden massenhaft Tagebaue besetzt und Kohleinfrastruktur lahmgelegt.
Gleichzeitig sollte die Bewegung sich mit politischen Fragen beschäftigen. In Redebeiträgen auf der Kundgebungen gab es viele Illusionen in Gerichte. CDU und FDP wurden als Schuldige dargestellt, dabei oft „vergessen“, dass SPD und Grüne in der letzten Landesregierung, die aktuellen Entwicklungen vorbereitet haben. Mit Annalena Baerbock durfte die Covorsitzende der Grünen von der Bühne reden.
Klima statt Kapitalismus
Wirkliche Analysen, warum die deutsche Industrie an der Braunkohle festhält, gab es wenig. Doch genau das ist nötig, um an der Ursache ansetzen zu können! Braunkohleverstromung ist (kurzfristig) profitabel. Und Profite müssen Konzerne machen, und zwar möglichst viel davon. Sonst gehen sie im oft globalen Konkurrenzkampf unter. Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident, hat das verstanden: Er betont immer, dass günstige Energie für die nordrhein-westfälische Industrie „überlebenswichtig“ sei. Dabei klammert er die immensen gesundheitlichen Kosten sowie die extrem teuren Folgen der negativen Klimaveränderungen in Kauf, denn sie haben ja nicht die Konzerne zu tragen, für die er Politik macht.
Genau das muss auch die Bewegung verinnerlichen. Es stellt sich die Frage: (Gutes) Klima oder Kapitalismus. Beides geht nicht.
Die Alternative der SAV ist eine sozialistische Demokratie, in der sich die Wirtschaft an den Bedürfnissen von Mensch und Natur orientiert. Braunkohleförderung könnte sofort beendet werden, denn in Deutschland wird viel zu viel Energie produziert. Durch Abbau von Überproduktion, Einstampfen unnötiger Industrien wie Waffenproduktion oder kommerzieller Werbung, durch gute (und nachhaltige) Dämmung von Häusern und ähnliche Maßnahmen könnte der Energiebedarf enorm gesenkt werden, sodass beispielsweise Gaskraftwerke, die heute als Übergangslösung gehandelt werden, kaum oder nur sehr kurz nötig sein dürften. Dabei ist klar, dass die Weiterentwicklung von erneuerbaren Energiegewinnungsmethoden sowie Speichertechniken vorangetrieben werden muss.
Die SAV war mit zahlreichen Mitgliedern vor Ort und hat für diese Ideen geworben: Tausenden Flyer wurden verteilt (Link: https://www.archiv.sozialismus.info/2018/10/braunkohle-stoppen-wald-retten/), hunderte Zeitungen verkauft. Wir führten richtig viele gute Diskussionen, zahlreiche Menschen wollen mit uns in Kontakt bleiben. Wir führen die Diskussion fort und laden alle, die unseren Ansatz gut finden, ebenfalls dazu ein! Meldet euch bei uns, verstärkt unsere Reihen, lasst uns gemeinsam für eine sozialistische Zukunft kämpfen.