RWE eskaliert im Hambacher Forst
Seit sechs Jahren ist der Hambacher Forst zwischen Aachen und Köln von Umwelt-AktivistInnen besetzt. Denn unter dem Wald lagert Braunkohle. Der Energiekonzern RWE möchte sie abbaggern und in Kraftwerken verbrennen. Dabei stören die AktivistInnen. Tausende Polizeikräfte versuchen seit Wochen, den Wald zu räumen.
Von Christian Walter, Aachen
Die Liste der Polizeioperationen ist lang, fast täglich kommen neue hinzu. Mal werden Barrikaden geräumt, mal wurde das „Wiesencamp“, eine von AktivistInnen genutzte Wiese am Waldesrand, gestürmt und zerlegt. Meist unter fadenscheinigen Vorwänden: Feuerlöscher wurden zu bombenfähigen Behältern erklärt, Plastikbecher, Toilettenpapier und zwei Dieselkanister als angebliche Basis für Molotov Cocktails konfisziert. BeobachterInnen und Presse wurden behindert, wer Polizeigewalt fotografierte oder filmte wurde nicht selten bedroht, bis die Aufnahmen gelöscht wurden.
Heute begann die Polizei mit der ersten „richtigen“ Räumung. Heißt: Erste Baumhäuser wurden angegriffen. Im Laufe der letzten Jahre wurden etwa sechzig davon errichtet, teils sehr hoch. Für die Räumung zog die Polizei Kräfte aus ganz Deutschland zusammen. Sie rechnet mit einem wochenlangen Einsatz in einem Ausmaß, wie es ihn in NRW noch nicht gegeben hat.
Braunkohle tötet
Das Rheinische Braunkohlerevier emittiert so viel CO2, dass es als größte CO2-Schleuder Europas gilt. Zudem werden giftige Stoffe wie Quecksilber, Schwefeldioxid und sogar Uran freigesetzt: Insgesamt 53 von der EU als giftig definierte Stoffe. Die Gesundheit von Beschäftigten und AnwohnerInnen leidet darunter.
Vor allem aber trägt das freigesetzte CO2 zur weltweiten Klimaerwärmung bei. Mit den bekannten Folgen: Mehr Extremwetter, steigender Meeresspiegel, Hunger und Flucht. Braunkohle ist einer der Motoren des Klimawandels.
Profite für Wenige
All das ist bekannt. Trotzdem wird der Wahnsinn nicht gestoppt. Denn hier geht es ums Eingemachte: Profite fürs Kapital.
RWE wird von der Landesregierung als relevant betrachtet: Ohne ihren (kurzfristig billigen) Strom würde die nordrhein-westfälische Industrie, vor allem die Stahl- und Chemiebranche, leiden. Und im Konkurrenzkampf mit anderen Unternehmen in Ländern, wo beispielsweise noch an Kohle- oder Kernkraft festgehalten wird, den Kürzeren ziehen.
Nachteile für Viele
Wenn das Rheinische Braunkohlerevier irgendwann mal stillgelegt wird (nach aktuellen Plänen von RWE und Landesregierung im Jahre 2045), wird dort der größte Binnensee Europas entstehen. Allerdings ein sehr dreckiger, denn im Wasser werden sich die freigesetzten Schwermetalle und andere Giftstoffe lösen.
Schon viele Dörfer mussten dem Braunkohletagebau weichen. Auch jetzt gibt es weitere Umsiedlungen – oft unter Zwang, durch Enteignungen der AnwohnerInnen.
Ein Blick in den „Hambi“
Der Hambacher Forst, von AktivistInnen liebevoll „Hambi“ genannt, besteht seit der letzten Eiszeit und ist damit etwa 12.000 Jahre alt. Ende der 1970er Jahre wurde er vom RWE-Vorgänger Rheinbraun gekauft und immer weiter verkleinert. Heute sind noch etwa zehn Prozent der ursprünglichen 5500 Hektar übrig. Nach dem Willen von RWE sollen dieses Jahr 120 Hektar gerodet werden. AktivistInnen wollen dies verhindern und „um jeden Baum kämpfen“.
Kommt man in den „Hambi“, fallen sofort große Unterschiede zu anderen Wäldern auf. Derzeit wird man bereits auf der Anreise mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens ein Mal von der Polizei kontrolliert, die sich wie eine Besatzungsmacht aufspielt. Das Gebiet wurde großflächig zum „Gefahrengebiet“ erklärt, damit hat die Polizei Befugnisse, wie sie eigentlich erst mit den geplanten Polizeigesetzen eingeführt werden sollen: Unbegründete Kontrollen und Platzverweise sind beispielsweise möglich. Bei diesen Kontrollen wurden schon Malfarben, Pinsel, Leinwände und vieles mehr konfisziert.
Im Wald selber ist es dagegen lebendig: Man trifft viele Menschen, von Bäumen hängen Transparente und Fahnen. Es gibt viele Bauwerke: Manche auf dem Boden, viele in luftigen Höhen. Es gibt mehrere „Baumhausdörfer“: Hier sind Baumhäuser nah beieinander gebaut und oftmals durch Seile miteinander verbunden, sodass man im Belagerungszustand nicht fest sitzt. Auf großen Wegen sind oftmals Barrikaden errichtet oder Löcher ausgehoben, um schweren Maschinen die Zufahrt zu erschweren. Man findet auch viele Kunstwerke und „Gedenkstellen“, die an zerstörte Baumhäuser oder gefällte Bäume erinnern.
Am Waldrand gibt es mit dem „Wiesencamp“ ein großes Lager mit Küche, Bibliothek, Versammlungsraum und vielem mehr. Auch hier wohnen viele Menschen. Im und am Wald hat sich eine lebendige Szene entwickelt, die nicht nur den Wald verteidigt und gegen die Braunkohle kämpft, sondern auch ein hierarchiearmes Leben ohne die Zwänge des Kapitalismus ausprobiert. Für Polizei und die bürgerliche Politik besteht damit ein „rechtsfreier Raum“, der nicht toleriert werden dürfe.
Solidarität
Damit gibt es zwei Gründe für die Herrschenden, die AktivistInnen zu hassen: Erstens, weil sie RWE den Zugang zur Braunkohle versperren. Zweitens aber auch, weil „rechtsfreie Räume“ die Autorität des Staates infrage stellen und nicht geduldet werden. Aber so einfach wird man die AktivistInnen nicht los.
Die Polizei schätzt, dass derzeit 150 bis 200 Menschen dauerhaft im und am Wald leben, unterstützt durch viele, die tageweise kommen. 150 bis 200 Menschen: Dagegen kann ein Heer von tausenden PolizistInnen mit Räumpanzern, Wasserwerfern, Hundestaffeln, Helikoptern, Drohnen, Hebebühnen, Kletterteams und heute laut einer twitter-Meldung unterstützt durch SEKs gut ankommen, auch wenn viele auf Baumhäusern, Plattformen oder in Erdlöchern ausharren. Es gibt aber eine breite Schicht von Unterstützung: Heute wurden zwölf evangelische und katholische PfafferInnen weggetragen, die eine Sitzblockade gegen die Räumung durchführten. Die lokale Initiative „Buirer für Buir“ führt seit Wochen eine Mahnwache am Waldesrand durch, als Anlaufpunkt und zur Verpflegung von AktivistInnen. AnwohnerInnen spenden Lebensmittel, Baumaterialien, Klamotten und Geld. Die Initiative „Aktion Unterholz“ mobilisiert bundesweit Menschen zur Unterstützung, „Ende Gelände“ führt Anfang und Ende Oktober Massenaktionen vor Ort durch, zu denen Tausende erwartet werden. Jeden Sonntag gibt es Waldspaziergänge, am letzten nahmen über 1100 Menschen teil. Darüberhinaus gibt es alle paar Tage Demonstrationen gegen Räumungsversuche oder Grundrechtsverletzungen, wo auch die NRW-LINKE mit prominenten Mitgliedern teilnimmt. Und: Die Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen ist für einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle.
Die Besetzung im Hambacher Forst ist zum zentralen Symbol im Widerstand gegen die Braunkohle geworden. Damit ist es für die Herrschenden kein Kampf gegen einige Hundert AktivistInnen, sondern es geht um viel mehr: Um die Legitimität von Kohleabbau, um die Bedeutung eines der letzten Urwälder für das Ökosystem, um den Ausbau regenerativer Energien. Bei all diesen Fragen hat die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW wenig vorzuweisen.
Lügen und Hetze
Es gibt also in großen Teilen der Bevölkerung eine Sympathie für die AktivistInnen. Polizeigewerkschafter ziehen bereits Vergleiche zu Situationen, wie es sie bei den Kämpfen gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, das Kernkraftwerk in Kalkar oder das Atommülllager Gorleben gegeben hatte. Um dem entgegen zu wirken, werden Gerüchte und Lügen gestreut und Hetze verbreitet.
Beispielsweise behauptete laut „Rheinischer Post“ ein anonymer führender Polizist, im Hambacher Forst gäbe es ein ausgeklüngeltes Tunnelsystem, in dem sich AktivistInnen tagelang verstecken und durch das GewalttäterInnen ohne Polizeikontrollen in den Wald geschleust werden könnten. Es würde Erinnerungen an die Tunnel des Vietkong im Vietnamkrieg wecken. Dieser Vorwurf ist so lächerlich, dass selbst die Polizei sich davon distanzierte. Aber fast täglich gibt es Sprengungen von angeblichen Sprengkörpern, die sich dann doch nur als Feuerlöscher herausstellen. AktivistInnen werden als gewalttätig dargestellt, obwohl die meiste Gewalt von Polizei und RWE-Securities ausgeht. Medien übernehmen Polizeiberichte meist ungeprüft. Stellen sich Vorwürfe als unwahr heraus, kommt mit viel Glück eine Klarstellung – aber nicht als Schlagzeile, wie die Hetze vorher.
Gewaltfrage
Tatsächlich haben die meisten AktivistInnen eine klare Haltung zur Gewaltfrage: Sie wollen durch ein hohes persönliches Risiko die Rodungsarbeiten so stark wie möglich behindern. Heißt: Barrikaden bauen, sich auf Baumhäusern oder Plattformen aufhalten, sich anketten. 2012 brauchten Polizei und Feuerwehr beispielsweise volle vier Tage, um einen Aktivisten aus einem Erdbunker zu „befreien“.
Dennoch kommt es immer wieder zu militanten Aktionen. Dabei sollen Steine, Zwillen, Pyrotechnik und Molotov Cocktails zum Einsatz gekommen sein, ein Polizist wurde im Krankenhaus behandelt. Natürlich darf man nicht alle Vorwürfe glauben, insbesondere nach dem sehr trockenen Sommer wären Molotov Cocktails im Wald extrem riskant. Trotzdem dürfte es der Realität entsprechen, dass eine Schicht von AktivistInnen zu militanten Angriffen bereit ist. Damit bereiten sie Polizei, RWE, der bürgerlichen Politik und hetzerischen Medien ein großes Geschenk. Neben dem Gewaltvorwurf haben sie fast keine haltbaren Vorwürfe, dafür nutzen sie diesen Vorwurf umso öfter, um die ganze Bewegung zu kriminalisieren.
Das darf weder von der massiven Gewalt durch Polizei und RWE-Securities ablenken, noch durch die strukturelle Gewalt, die durch den von RWE angeheizten Klimawandel ausgeht. Dennoch muss man klar sagen: Diese Minderheit gefährdet die ganze Bewegung. Die Szene der WaldbesetzerInnen verzichtet gleichzeitig auf einen Aktionskonsens, der die Gewaltfrage beantworten würde. Solche Maßnahmen widersprechen dem dort verbreiteten anarchistischen Ideal, denn sie schränken den individuellen Handlungsspielraum ein.
Klima vs. Jobs?
Einen weiteren Fehler begeht die Bewegung, weil sie die Sorge um die Jobs von RWE zu selten ernst oder wahrnimmt. Da gibt es Sprüche auf Transparenten wie „There are no jobs on a dead planet“ („Es gibt keine Jobs auf einem toten Planeten“). Damit wird suggeriert, man müsse sich entscheiden: Job und Wohlstand, oder Klimaschutz und ein nutzbarer Planet für kommende Generationen. Unter AktivistInnen hört man oft Verachtung für diese Leute, die durch ihre Arbeit persönlich für den Klimawandel verantwortlich seien. Die für RWE-Beschäftigte zuständige Gewerkschaft IG BCE fährt die gleiche Linie, nur aus umgekehrter Perspektive. Laut ihr wären durch einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle zehntausende Jobs bei RWE und Energieabnehmern gefährdet. Sie ist zuletzt mit 150 RWE-Angestellten nach Berlin gefahren, um vor der Tagung der Kohlekommission gegen einen schnellen Ausstieg zu protestieren.
Dabei leiden die RWE-Beschäftigten selber massiv unter der Kohleförderung: Unmittelbar durch gesundheitliche Gefahren. Und früher oder später werden die Jobs sowieso wegfallen – spätestens, wenn die endliche Ressource Braunkohle aufgebraucht ist.
Die Angst vor Job- und damit Einnkommensverlust ist für viele Menschen eine existenzielle Angst und muss ernst genommen werden. Linke und die Klimabewegung sollten Versuche unternehmen, mit den Beschäftigten zu kämpfen, und nicht gegen sie. Argumente gäbe es genug: Erstens sind jede Menge Arbeitskräfte nötig, um die Folgen des Braunkohleabbaus so gut wie möglich zu beseitigen, beispielsweise durch Aufforstungen. Auch werden deutlich mehr Menschen gebraucht, um den Ausbau erneuerbarer Energien voranzubringen. Viele derzeitige RWE-Angestellte sind bereits jetzt gut qualifiziert, andere müssten nachqualifiziert werden. Und nicht zuletzt sollte eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibenden Löhnen für alle verlangt werden – damit könnte nicht nur der Angst vor Jobverlust begegnet, sondern auch der Problem der Massenarbeitslosigkeit angegangen werden. Unter Mitarbeit von SAV-Mitgliedern hat die linksjugend [’solid] NRW einen Flyer herausgegeben, mit dem in der Klimabewegung für ein solches Programm geworben werden soll (siehe http://linksjugend-solid-nrw.de/3203/hambiflyer).
Beteiligt euch am Kampf!
Rund um den Hambacher Forst haben sich viele Fragen aufgetan. Hier geht es längst nicht mehr „nur“ um einen Wald. Hier geht es um die Zukunft der Braunkohle, um Klimaschutz, um die Verteidigung demokratischer Rechte. Unter massivem Druck musste RWE letztes Jahr auf Rodungen „verzichten“, auch dieses Jahr wurde zugesichert, mindestens zwei Wochen später als ursprünglich geplant zu beginnen. Würde der Kampf um den Hambacher Forst gewonnen, wäre das ein enormer Erfolg für die gesamte Klimabewegung und Linke und gleichzeitig ein Dämpfer für die NRW-Regierung und RWE. Deswegen ist es wichtig, sich zu beteiligen.
Bundesweit finden derzeit Solidaritätsaktionen statt. Am ersten und letzten Oktober-Wochenende wird das Bündnis „Ende Gelände“ größere Aktionen durchführen. Die Initiative „Aktion Unterholz“ koordiniert regelmäßig Aktionen.Vor Ort kann man sich rund um die Uhr engagieren. Infos gibt‘s auf den Webseiten ende-gelaende.org, aktion-unterholz.org und hambacherforst.org
Unsere Alternative zum Kapitalismus: Sozialistische Demokratie
Bei all diesen Kämpfen muss aber klar sein, dass man gegen Symptome kämpft, die das kapitalistische Wirtschaftssystem hervorbringt. Denn Konzerne müssen profitabel sein, um im Konkurrenzkampf zu bestehen. Bürgerliche Staaten schaffen ihnen einen möglichst guten Rahmen dafür. Dabei wird die Umwelt zerstört und ein Großteil der Menschen unterdrückt und ausgebeutet, während eine kleine Schicht im Luxus schwimmt. Man kann versuchen, dieses System mit Gesetzen und Vorschriften einzudämmen, aber die Grundzwänge Wettbewerb, Profit, Wachstum und in der Folge Ausbeutung und Unterdrückung bleiben bestehen.
Wir wollen das Problem an der Wurzel beseitigen und durch etwas besseres ersetzen. In einer sozialistischen Demokratie würde die Wirtschaft allen gehören und im Interesse von Menschen und Natur wirken. Auf dieser Basis könnten die nötigen schnellen Maßnahmen für Umweltschutz und gegen Klimawandel umgesetzt werden. Gleichzeitig könnten die riesigen Vermögen der Superreichen und Konzerne dafür genutzt werden, um Hunger und Armut zu bekämpfen. Dafür lohnt es sich zu kämpfen – und in Bewegungen zu werben. Wenn Du das auch gut findest: Mach mit bei der SAV!