Interview mit Emily McArthur (Mitglied von Socialist Alternative in Seattle und aktiv im Bündnis „Housing for All“) über den Kampf um eine Besteuerung von Amazon in Seattle und aktuelle Entwicklungen auf der US-Linken.
Im Mai diesen Jahres kam es in Seattle zum Showdown zwischen Amazon und dem lokalen Stadtrat. Große Konzerne sollten durch eine Steuer den Neubau bezahlbarer Wohnungen finanzieren. Die bereits beschlossene Steuer wurde aber nur ein Monat mit den Stimmen der Demokraten wieder zurückgenommen. Emely McArthur spricht über den Kampf gegen den reichsten Mann der Welt und neue sozialistische Organisationen und ihr Verhältnis zur Demokratischen Partei. Erst vergangenen Juni ersetzte Alexandria Ocasio-Cortez, ein Mitglied der Demokratischen Sozialisten Amerikas (DSA), in den Vorwahlen für den Kongress in der New Yorker Bronx den etablierten Demokraten-Amtsinhaber.
Der Kampf um eine Besteuerung von Amazon hat es bis in deutsche Medien geschafft. Wie kam es zur Kampagne?
Wohnen in Seattle ist zu einem kontroversen Thema geworden. Bei rasant steigenden Mieten und der Zahl der Obdachlosen, die jedes Jahr neue Rekorde bricht, fangen die Menschen an, sich zu wehren. Letztes Jahr während des Kampfes für einen bedarfsgerechten Haushalt, baute unsere Organisation, Socialist Alternative, eine Bewegung neben den Demokratischen Sozialisten von Amerika, Mieterorganisationen, Gewerkschaftsmitgliedern und selbstorganisierten Obdachlosen auf, die die Finanzierung von Sozialwohnungen forderten. Die Bewegung forderte, dass die Finanzierung durch eine Steuer auf das Großkapital anstelle von ArbeitnehmerInnen erfolgen sollte, und Amazon, das seinen Sitz in Seattle hat und sich im Besitz des reichsten Mannes der Welt befindet, war ein offensichtliches Ziel.
Mit Kshama Sawant sitzt ein Mitglied von Socialist Alternative im Stadtrat. Wie hat euch das geholfen?
Eine gewählte Abgeordnete zu haben, die nicht von dem abhängig war, was für die Wirtschaft akzeptabel war, war absolut entscheidend. Kshama war die einzige Stimme, die für 150 Millionen Dollar kämpfte – ein Betrag, der auf dem basierte, was zur Lösung der Krise nötig war. Als Amazon drohte, 7.000 Arbeitsplätze wegzunehmen, organisierten die anderen Ratsmitglieder Treffen mit Führungskräften von Amazon. Kshama Sawant forderte hingegen einen Marsch auf Amazon. Sie brachte den Kampf vor ihre Haustür zusammen mit angestellten TechnikerInnen, BauarbeiterInnen, SozialistInnen und AktivistInnen, die NEIN zu Besos‘ Mobbing sagten.
Wie kam es dazu, dass das bereits beschlossene Gesetz wieder zurückgenommen wurde?
Big Business hat einen Generalangriff gestartet. In nur drei Tagen wurden 350.000 Dollar gesammelt, um eine Kampagne zur Aufhebung der Steuer zu finanzieren. Die Hauptzeitung in Seattle, die die Steuer hätte zahlen müssen, veröffentlichte täglich Angriffe darauf, wie diese kleine Steuer die lokale Wirtschaft zerstören würde. Als Reaktion auf diese Angriffe begann Socialist Alternative, eine große öffentliche Hausbesuch-Kampagne zu organisieren, um die Arbeiterklasse in den Kampf zu ziehen. Unter dem Druck des Großkapitals haben die linken DemokratInnen, die erst einen Monat zuvor die Steuer verabschiedet hatten, tatsächlich das Gesetz gebrochen, indem sie Hinterzimmer-Sitzungen ohne Ratsmitglied Sawant abhielten. Schließlich leiteten sie eine Aufhebung ein. Alle diese DemokratInnen versuchen die unmögliche Aufgabe, den ArbeiterInnen und dem Großkapital zu dienen, und waren unvorbereitet, einen Kampf gegen die tiefen Taschen dieses Großkapitals aufzubauen.
In Seattle verraten die Demokraten im Stadtrat die Bewegung auf der Straße. In anderen Städten der USA gibt es hingegen Erfolge für linke DemokratInnen und selbsternannte SozialistInnen. Zuletzt erregte in der New Yorker Bronx ein Mitglied der DSA landesweit Aufsehen. Sie setzte sich in den Bezirksvorwahlen auf der Liste der Demokraten gegen ein führenden Establishment-Politiker durch. Wie schätzt du diese widersprüchlichen Entwicklungen ein?
In den USA wurde der Sozialismus historisch dämonisiert, so dass PolitikerInnen, die sich neben einer Kampfstrategie und einem Programm für arbeitende Menschen offen als SozialistInnen identifizieren, eine große Entwicklung darstellen. Nach der Kampagne von Bernie Sanders und der Wahl von Trump gab es eine Suche nach Ideen. Gruppen wie unsere und auch die Demokratischen Sozialisten Amerikas sind schnell gewachsen. Socialist Alternative sieht Kampagnen von selbsternannten Sozialisten, die versuchen, etablierte Politiker aus dem Amt zu jagen, als eine wichtige Entwicklung an. Wir warnen vor den Gefahren deiner Kandidatur innerhalb der Demokratischen Partei: Die Parteimaschine hat eine gut dokumentierte Geschichte der Erstickens von Bewegungen und wird das Wachstum des linken Flügels ihrer Partei nicht akzeptieren, weil sie durch eine Million Fäden an die herrschende Klasse gebunden ist. Wir appellieren an bekannte Persönlichkeiten wie Bernie Sanders und Alexandria Occasio-Cortez, mit ihrem Profil zum Aufbau einer neuen politischen Partei beizutragen, die kein Konzerngeld annimmt und sich auf den Aufbau von Massenbewegungen stützt. Um auf dieser Entwicklung aufzubauen, rufen wir die DSA und andere Aktivisten auf, mit uns in Seattle auf einer gemeinsamen Plattform zu laufen. Wenn diese neuen Kandidaten unabhängig von der Demokratischen Partei und auf der Grundlage der Besteuerung des Großkapitals zur Finanzierung von Wohnraum und Dienstleistungen kandidieren würden – neben Kshama Sawant, der ersten Sozialistin, die seit 100 Jahren in Seattle gewählt wurde – können wir ein landesweites Beispiel dafür geben, was möglich ist.