Interview mit Sonja Grusch, Bundessprecherin der Sozialistischen LinksPartei (SLP)
Innerhalb kürzester Zeit hat die neue schwarzblaue Koalition unter Kurz es geschafft, mit einer Mischung aus weitgehenden sozialen Angriffen und Rassismus Massen gegen sich aufzubringen. Was für eine Bilanz ziehst du aus sieben Monaten Sebastian Kurz?
Die Situation ist äußerst widersprüchlich. Auf der einen Seite hat die Regierung noch immer stabile Unterstützung von 61 Prozent in Umfragen. Doch diese scheinbare Stabilität existiert nur nach außen. Sie stützt sich auf die Reste an vager Hoffnung auf „Veränderung“, mit der viele, die nicht unbedingt die Programme von ÖVP und FPÖ teilen, sie gewählt haben. In der konkreten Realität wird diese Hoffnung jetzt immer öfter enttäuscht. Man braucht sich nur Vizekanzler Straches Facebook-Seite ansehen: nach dem Bekanntwerden jeder neuen Kürzung gibt es dort einen Shitstorm enttäuschter FPÖ-WählerInnen, die sich eine sozialere Politik für sie (auf dem Rücken von MigrantInnen) erhofft hatten. Die Regierung versucht, diese Schichten durch zunehmend verschärfte rassistische Politik gegenüber Geflüchteten und Muslimen an sich zu binden. Doch der Rassismus der Regierung ist nicht einfach eine Ablenkung vom Klassenkampf von oben, sondern seine Speerspitze. Er trifft ja tatsächlich die verwundbarsten Teile der ArbeiterInnenklasse, um von dort aus alle anzugreifen: „Integrationsunwillige“ MigrantInnen, „faule“ Arbeitslose, Arme in der „sozialen Hängematte“, und nicht zuletzt „privilegierte“ ArbeitnehmerInnen mit gewerkschaftlichen Rechten.
Die Regierung hat die Mindestsicherung gekürzt und gedeckelt, sodass Familien mit drei Kindern nun über 4000 Euro im Jahr verlieren. Sie kürzte die Unternehmerbeiträge zur Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) um fünfhundert Millionen und fordert nun von der AUVA Einsparungen in derselben Höhe – was auf eine Abschaffung dieser Institution hinausläuft, die für unzählige Gesundheitsleistungen aufkommt und zahlreiche Krankenhäuser führt. Doch das ist nur eines der vielen Geschenke, die die Regierung den Reichen macht. Sozialbetrug durch UnternehmerInnen wird de facto straffrei. Aber das größte Geschenk an die Reichen ist bis jetzt die Einführung des 12-Stundentages bzw. der 60-Stundenwoche. Hier sieht man auch die Widersprüchlichkeit der Situation: Eine Mehrheit hält der Regierung in Umfragen die Stange – aber ebenfalls eine Mehrheit ist gegen den 12-Stundentag und würde dagegen sogar Streiks unterstützen. Im 12-Stundentag hat sich die gesamte Wut gegen die Regierung kristallisiert.
Wie hat der Österreichische Gewerkschaftsbund reagiert?
Die Führung des ÖGB hat die Ereignisse völlig verschlafen. Als die Regierung an die Macht kam, tat der ÖGB nichts – die Führung glaubte immer noch, dass Regierung und Reiche sie als Sozialpartner ernst nehmen und ihre wohltemperierten Stellungnahmen berücksichtigen würden. Ein fataler Irrtum. Die Gewerkschaftsführung gleichte einem auf der Straße ausgesetzten treuen Hund, der hoffnungsvoll darauf wartet, dass sein Besitzer wieder zurückkommt. Der 12-Stundentag hat sie jedoch mit der harten Realität konfrontiert. Korrekterweise rief der ÖGB am 30. Juni zu einer Demonstration auf – 120.000 Menschen kamen. Das war die größte gewerkschaftliche Mobilisierung seit dem Streikjahr 2003. Zuvor kam es zu streikähnlichen Betriebsversammlungen und Betriebsrätekonferenzen. Die Demo war ein großartiger Ausdruck des Potentials und der Kampfbereitschaft an der Basis. Sowohl traditionell gut organisierte Schichten wie der Metallbereich waren vertreten, wie auch prekärere und von der Gewerkschaft vernachlässigte Beschäftigte, wie im Sozialbereich. Viele auf der Demo, vor allem Jugendliche, hatten wohl bisher gar nichts mit der Gewerkschaft am Hut – doch rund um den 30. Juni war klar: Es ist der ÖGB, bei dem die Aufgabe liegt, die Bewegung gegen die Regierung anzuführen. Leider zeigte sich in den Folgetagen, dass die ÖGB-Führung trotzdem noch immer in alten Mustern denkt. Um den Gesetzesbeschluss zu verhindern, hätte es mehr als eine Demo benötigt – nämlich echte, kämpferische Streiks. Stattdessen hielt die ÖGB-Führung still. Man verkaufte uns das als kluge Taktik: das Gesetz solle am 1. Januar in Kraft treten, man würde also die Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst nützen, um das zu verhindern. Als Reaktion verlegte die Regierung einfach das Inkrafttreten auf 1. September vor.
Wie könnte der Widerstand weitergehen?
Eine große Chance, den Angriff der Regierung zurückzuschlagen – und sie damit als Ganze ins Wanken zu bringen – wurde verspielt. Das Potential vom 30. Juni droht immer mehr zu versickern. Kämpferische Kollektivvertragsverhandlungen sind wichtig, aber sie können einen allgemeinen Kampf nicht ersetzen. Vor allem schlechter organisierte Bereiche können die Angriffe nicht einfach wegverhandeln. Wir müssen die Dynamik jetzt nutzen – durch den Aufbau von Aktionskomitees in Betrieben und durch betriebliche Aktionen, inklusive Streiks. Die Stimmung dafür ist immer noch da. Eine solche Streikbewegung kann auch die Basis dafür legen, den Widerstand zu vernetzen und zu verallgemeinern. Die Regierung plant weitere Angriffe auf MindestsicherungsbezieherInnen. Es bahnen sich Attacken auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch an. Es gibt Widerstand gegen die antimuslimische Hetze, die Abschiebemaschinerie und gegen die Kürzungen im Bildungswesen. Erst im Februar streikten die Beschäftigten im Sozialbereich. Die Regierung wirkt nur deshalb so stabil, weil es keine glaubwürdige linke Alternative gibt, die diese Proteste zusammenführen und ihnen eine antikapitalistische Perspektive geben kann. Genau so eine Partei müssen wir jedoch aus dem Widerstand aufbauen, um nicht nur diese Regierung zu stürzen, sondern auch das verrottete System der Reichen, das sie verteidigt.