Zehn Jahre seit dem Zusammenbruch
Dem Kapitalismus geht es nicht gut. Wirtschaftliche Unruhen paaren sich mit politischen Unsicherheiten. Höchststände an den Börsen im Dezember verkehrten sich im Februar zu Massenverkäufen an Aktien. Kolossale private und öffentliche Schulden machen das System unsicher und begrenzen den Handlungsspielraum der KapitalistInnen. Die Weltwirtschaft hat sich vom Crash von 2007/08 nicht wirklich erholt.
von Judy Beishon
Das Jahr 2018 begann damit, dass kapitalistische ÖkonomInnen einem weltweit synchronem Wachstum und Aktienmärkten auf Rekordhöhe applaudierten. Sie stritten sich, ob man es Erholung, Expansion oder Boom nennen soll. Über dem Niveau der realen Unternehmensperformance und -gewinne liegend, beendeten die Aktien weltweit das Jahr 2017 mit einem beispiellosen „Wert“ von über 80 Billionen US-Dollar – rund 17 Billionen US-Dollar mehr als beim Höchststand vor der Krise von 2008. Was die weltweite Produktion anbelangt, so haben der IWF und andere Institutionen nicht nur für 2017 ein Wachstum von 3 Prozent oder mehr geschätzt, sie haben auch erklärt, dass die nächsten zwei Jahre noch besser sein würden.
Aber als die wirtschaftlich Mächtigen im Januar in Davos zu ihrem jährlichen Treffen zusammen kamen, war ihre Freude mit Vorsicht und Unbehagen verbunden. Insbesondere waren sie besorgt über politische und umweltpolitische Fragen, die sich auf die Wirtschaft auswirken könnten, darunter Handelsprotektionismus, Kriege, Flucht, Ungleichheit und extremes Wetter durch Klimawandel. Anfang Februar nahmen die Ängste zu, als Anleihen und Aktienkurse fielen, und die „Financial Times“ sah sich gezwungen, vor Panik zu warnen.
Man ist sich bewusst, dass der Bullenmarkt der Aktien nicht nachhaltig ist, und es kommen mehr Fragen auf, wie solide und nachhaltig das Wachstum tatsächlich ist. Die kolossale Verschuldung ist eine der zentralen Schwachstellen: Die Summe der weltweiten Verschuldung von Unternehmen, Regierungen und Privaten stieg von 142 Billionen US-Dollar im Jahr 2007 auf 233 Billionen US-Dollar im Jahr 2017 – ein massiver Anstieg in absoluten Zahlen, aber prozentual im Verhältnis zur Weltproduktion.
Die tiefe Finanzkrise von vor zehn Jahren hat die kapitalistischen Eliten zutiefst erschüttert. In den Folgejahren entwickelten sich die Volkswirtschaften nur schleppend weiter. Martin Wolf schrieb im Januar in der Financial Times bezüglich der größten Volkswirtschaft der Welt, den USA: „Die Wirtschaft ist um 17 Prozent kleiner, als wenn sich der Trend von 1968 bis 2007 fortgesetzt hätte. Seit der Erholung 2009 folgt die Entwicklung einem viel langsameren Trend. Das Gleiche gilt für die Arbeitsproduktivität, deren Wachstum niedrig bleibt.“ Kapitalistische ÖkonomInnen haben lange Zeit über das niedrige Produktivitätswachstum in den wirtschaftlich entwickelten Ländern gerätselt und weisen darauf hin, dass es sich in den sogenannten Schwellenländern ebenfalls verlangsamt und die Wachstumsraten sinken.
Angesichts des weit verbreiteten mangelnden Vertrauens in den Aufschwung und wegen seiner zugrunde liegenden Schwäche, blieben viele der massiven Stimulierungsmaßnahmen nach der Krise von 2007/08 in der einen oder anderen Form bestehen. Die Zinssätze sind nach wie vor extrem niedrig. Quantitative Easing (QE: der Ankauf von Staatsanleihen mit digital geschaffenem Geld) oder andere Interventionen werden in vielen großen Volkswirtschaften bis heute weiter geführt. Die „Bank of Japan“ – Zentralbank der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt – kauft weiterhin Anleihen in Höhe von rund 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft Staatsanleihen in der Höhe von dreißig Milliarden Euro pro Monat (zuvor sechzig Milliarden Euro pro Monat) – und es ist noch offen, wie lange sie das weiter macht. EZB-Präsident Mario Draghi sagte, er sehe „nur sehr wenige Chancen, dass die Zinsen in diesem Jahr angehoben werden“. Die Bank of England hat noch nicht damit begonnen, ihre nach dem Crash aufgekauften Anleihen im Umfang von 435 Milliarden Pfund zu verkaufen, und die US-Notenbank beginnt erst sehr langsam, ihr Konjunkturprogramm über 4,5 Billionen Dollar zurück zu fahren.
Mit riesigen Geldspritzen, allein über 10 Billionen in QE, in Kombination mit Zinssätzen die sehr niedrig oder sogar bei Null liegen, wurden Volkswirtschaften aus der Rezession gezogen und Zusammenbrüche wie in 1930er Jahren verhindert. Sie legten die Grundlage für das gegenwärtige globale Wachstum, das zu einer Propaganda-Kampagne der Regierungen geführt hat, die verkünden, dass die tiefe Rezession nach der Kreditklemme der Vergangenheit angehört.
Vor dem Hintergrund des globalen Wachstums konnten einige der am stärksten von der Rezession betroffenen Euro-Länder – angesichts von Rettungsaktionen und zum Preis von weiterem wirtschaftlichen Schaden in Folge der erzwungene Kürzungen – wieder zu den Wachstumsraten von vor der Krise zurückkehren. Eine willkommene Konsequenz waren günstigere Voraussetzungen für die ArbeiterInnenklasse und die Mittelklasse um Verbesserungen zu erreichen. Wenn das Wirtschaftswachstum anhält, werden sich die Beschäftigten ermutigt fühlen, spürbare Lohnerhöhungen zu fordern, wie zum Beispiel Beschäftigte im Öffentlichen Dienst in Schottland mit 6,5 Prozent oder MetallarbeiterInnen in Deutschland mit 6 Prozent.
Geringe Investitionen
Die Stimulierungs- und Rettungspakete waren eine Goldgrube für die Reichsten, da sie den Wert ihrer wichtigsten finanziellen Vermögenswerte, egal ob Staatsanleihen, Unternehmensanleihen oder Aktien, erhöht haben. Gleichzeitig „herrschen“ sie über eine Krise von niedrigen Investitionen im Produktionsbereich und niedriger Produktivität. „In den G7-Staaten (den größten sieben Volkswirtschaften der „fortgeschrittenen“ Länder, Anm.) sind die Raten der Nettoinvestitionen niedriger als vor der Finanzkrise und die Arbeitsproduktivität liegt unter ihrem Durchschnitt der Periode von 1995 bis 2007“ schrieb Wolf. (Financial Times, 5. Dezember 2017)
Statt zum Wohle und zur Förderung der Gesellschaft zu investieren, haben sich die „Industriekapitäne“ obszön hohe Gehälter, Aktienoptionen und Dividenden genehmigt. Diese kolossalen Gewinne wurden teilweise durch die Verschiebung der Lohnquote finanziert, also indem der Anteil des erwirtschafteten Reichtums, der an die Beschäftigten geht, verringert wird. Das ist die Folge, wenn die Arbeitsbedingungen und der Lebensstandard der Beschäftigten immer weiter nach unten gedrückt werden. Die Verlagerung von Produktion, Call-Centern etc. in Niedriglohnländer oder der Einsatz von schlecht bezahlten heimischen oder migrantischen Beschäftigten hat die Profite ebenso erhöht wie der Einsatz neuer Technologien in einigen Sektoren, die im Kapitalismus nicht zur Verbesserung des Lebensstandards der Mehrheit verwendet werden.
Die enorme Reichtumsvermehrung der Elite ist auch Folge des „Financial Engineering“, also „innovativer“ Finanzierungsinstrumente. Diese beinhalten, dass Unternehmen in großem Umfang ihre eigenen Aktien kaufen, oft mit zu niedrigen Zinssätzen geliehenem Geld. Das ist zu einer beliebten Methode geworden, um den Aktienbesitz von Führungskräften sowie die Dividenden der AktionärInnen nach oben zu treiben. Unternehmen im S&P 500 US-Aktienindex haben allein in den letzten zwei Jahren 1,1 Billionen Dollar für den Rückkauf von Aktien ausgegeben. Die Rückkäufe reduzieren die Anzahl der verfügbaren Aktien und erhöhen so den „Gewinn pro Aktie“, den das Unternehmen melden kann, und damit auch den „Wert“ der verbleibenden Aktien. Große US-Unternehmen haben in 13 der letzten 14 Jahre mehr für Rückkäufe als für Dividenden ausgegeben. Außerdem fließt reichlich Geld in Private-Equity-Übernahmen, also privates Beteiligungskapital, und zwar oft mit dem Ziel, die Geschluckten aufzusplitten und weiter zu verkaufen.
Darüber hinaus setzen die Finanzinstitutionen ihre schwindelerregenden Spekulationen fort. Mit unvorstellbaren Summen wird an den Devisenmärkten, den Aktienmärkten und anderswo gezockt. Kryptowährungen wie Bitcoins sind zu einem neuen Instrument für Spekulation und Geldwäsche geworden. Aber weil sie noch nicht genug in die Mainstream-Kanäle der Wirtschaft eingebettet sind, kann ihre Unbeständigkeit, trotz ihren „Werten“ von über 700 Milliarden Dollar, die Weltwirtschaft nicht durcheinander bringen. Darüber hinaus gibt es Forderungen nach ihrer Regulierung, da Bedenken hinsichtlich der zusätzlichen Instabilität bestehen, die sie mit sich bringen können, wenn ihre Verwendung weiter zunimmt.
Der Leerverkauf von Aktien ist ein weiteres Spekulationsmittel, das jüngst in den Medien war. Der britische Baukonzern Carillion, dessen Zusammenbruch den Lebensunterhalt und die Pensionen von Zehntausenden ArbeiterInnen gefährdete, war beispielsweise wiederholt davon betroffen. Ausgehend von der Annahme, dass ihre Aktien im Wert fallen würden, wurden viele ausgeborgt um sie zu verkaufen und dann zu einem niedrigeren Preis zurück zu kaufen, bevor sie an den ursprünglichen Besitzer zurückgegeben wurden.
Steigende Ungleichheit
Wenn Firmen wie diese Bankrott gehen, dann haben die meisten der reichen AktienbesitzerInnen und ManagerInnen genug Geld beiseite geschafft um weiterhin im Luxus zu leben. Das gilt aber nicht für ihre ArbeiterInnen, die den Reichtum schaffen, aber ihren Lebensstandard durch niedrige Löhne und Sparmaßnahmen zusammengestrichen sehen. Über die Gefahren steigender Ungleichheit werden reichlich Krokodilstränen vergossen und Warnungen durch KommentatorInnen in diversen Medien ausgesprochen. So auch IWF-Chefin Christine Lagarde, als sie über Befürchtungen sprach, dass die wachsende Ungleichheit in vielen Ländern zu „Brüchen“ führt.
Die schlichten Zahlen werden immer schockierender. Acht Männer besitzen den gleichen Reichtum wie die 3,6 Milliarden Menschen, die die ärmste Hälfte der Menschheit ausmachen, berichtete Oxfam vor einem Jahr. Im folgenden Jahr hat das reichste ein Prozent der Welt 82 Prozent des gesamten erwirtschafteten Reichtums an sich gerissen. Die untere Hälfte des Planeten hatte nichts davon.
Stagnierender oder sinkender Lebensstandard beschränkt sich nicht auf die ehemaligen Kolonialstaaten. In den USA leben 41 Millionen Menschen in Armut, und das mittlere Wochengehalt (Median) für in Vollzeit beschäftigte ArbeiterInnen hat sich seit 1979 real (also inflationsbereinigt) kaum verändert. Berichte deuten jetzt zwar auf steigende Durchschnittslöhne in den USA hin, aber auch hier profitiert die Führungsebene mehr von den Erhöhungen als die unteren Einkommensschichten. In Britannien liegen die Lohnerhöhungen unter der Inflationsrate und daher geht es den Haushalten immer noch schlechter als 2007. Doch nicht nur, dass die Bezahlung allgemein unten gehalten wird, zusätzlich sind Millionen davon betroffen, dass gut bezahlte, sicherer Arbeitsplätze durch schlecht bezahlte Teilzeit oder unsichere Jobs ersetzt werden. Neue Technologien werden häufig eingesetzt, um durch Stellenabbau, kürzere Arbeitszeiten (ohne Lohnausgleich) sowie Lohnkürzungen jenen Betrag zu senken, der an die Beschäftigten ausbezahlt wird und zusätzlich, um sie stärker zu überwachen.
Zusammen mit weit verbreiteten Angriffe auf den öffentlichen Dienst und Sozialleistungen, sind dies alles Anzeichen für die lang anhaltende Sackgasse, in der sich die kapitalistische Wirtschaft befindet und für das kurzfristige Profitstreben der herrschenden Klassen. In einigen Ländern ist es schon so weit gegangen, dass sogar Lagarde in Bezug auf Großbritannien zu dem Schluss kam: „Es gibt nicht viel Platz für zusätzliche Ausgabenkürzungen.“ Stattdessen empfahl sie Steuererhöhungen und die Reduzierung bei der Privatisierung des Gesundheitswesens! Für die Superreichen dienen Kürzungen im öffentlichen Sektor zwei Mitteln: Erstens sehen sie darin schlicht ein Mittel, weniger Steuern zu zahlen. Zweitens hoffen sie auf fette Beute durch die private Bereitstellung lebenswichtiger Dienstleistungen.
Kapitalistische ÖkonomInnen haben nicht wirklich eine Vorstellung davon, was die nächste Periode bringen wird und welche Politik sie vorschlagen sollen. Es gibt keine akademischen Modelle, die die Auswirkungen der anhaltend niedrigen Investitions- und Produktivitätsrate abbilden können oder was die Folgen wären, wenn die enormen Mengen an Geld, die zum Stimulieren der Wirtschaft eingesetzt wurden, nicht mehr fließen würden. Die meisten realisieren, dass kapitalistische Volkswirtschaften – wie Karl Marx es vor langer Zeit erklärt hat – Aufwärts- und Abwärtszyklen haben. Das bedeutet, dass sie die Stimulierungsmaßnahmen beenden und die Zinssätze erhöhen müssen (wie es einige Zentralbanken bereits begonnen haben), um eine potenziell hohe Inflation abzuwenden und um so einige Werkzeuge zu behalten, um der nächsten Rezession entgegenzuwirken. Gleichzeitig sind genau diese Schritte aber eine Bremse für das Wirtschaftswachstum. Dazu kommt noch, dass die Verschuldung so massiv ist, dass die steigenden Kreditkosten zunehmend Unternehmen, Einzelpersonen und sogar ganze Länder in Schwierigkeiten bringen oder sogar in den Konkurs treiben werden.
Steuersenkungen in den USA
Als ob die Superreichen nicht schon genug hätten, bedeuten Donald Trumps neue Steuersenkungen für Unternehmen und Privatpersonen eine weitere Verschiebung von Reichtum hin zur Elite in den USA – und zwar einschließlich Trump. Er hat die Steuergeschenke damit begründet, dass sie Geld für Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen bereitstellen würden – und zwar indem dadurch Billionen Dollar, die aktuell im Ausland gebunkert werden, in die heimische Wirtschaft gelockt würden.
Zwar können einige vorübergehende Steuersenkungen (und in einigen Fällen Prämien von Unternehmen) SteuerzahlerInnen mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu Gute kommen und auch kann die bloße Geldmenge, die da involviert ist, auch gewisse belebende Effekte haben. Doch sogar rechte ÖkonomInnen haben das im Wesentlichen als Übertreibung abgetan. Zum Beispiel schrieb Wolf: „Eine plausiblere Betrachtungsweise ist, dass dadurch die Aktienkurse ansteigen werden, die Verteilung noch ungerechter wird und dass die Abwärtsspirale bei der Kapitalbesteuerung an Tempo zulegen wird. Die diesbezügliche britische Erfahrung ist ernüchternd. Die Senkung der britischen Körperschaftssteuer auf 19 Prozent hat wenig für Investitionen oder mittlere Reallöhne gebracht“.
Eine Steuerbefreiung für im Ausland gebunkerte Gelder im Jahr 2004 führte dazu, dass in Übersee gehaltene Gelder in Höhe von über 300 Milliarden US-Dollar in die USA transferiert wurden, aber das meiste davon wurde für Aktienrückkäufe und Dividenden verwendet. Laut dem Congressional Research Service (CRS), dem „think tank des US-Kongresses, war es ein „ineffektives Mittel zur Steigerung des Wirtschaftswachstums“, und viele der begünstigten Unternehmen vernichteten Arbeitsplätzen anstatt sie zu schaffen. Nachdem Trump die Steuersenkung durchgebracht hatte kündigte Wells Fargo, die drittgrößte Bank des Landes, Aktienrückkäufe in Höhe von 22,6 Milliarden Dollar an. Andere Unternehmen werden Hunderte von Milliarden Dollar mehr ausgeben. Für die Reichen ist das Ganze ein doppeltes Geschenk: Steuersenkungen, um sie dann zu nutzen, um noch mehr Geld zu bekommen.
Da diese Maßnahme die US-Staatsverschuldung, die bereits mehr als zwanzig Billionen Dollar beträgt, in den nächsten zehn Jahren um geschätzte weitere 1,5 Billionen Dollar erhöhen wird, unterstützen auch einige Republikaner das Paket nicht. Das US-Defizit könnte 2019 bereits bei 5,7 Prozent des BIP liegen, mit einer jährlichen Kreditaufnahme von über 1,1 Billionen Dollar – eine beispiellose Situation, insbesondere in einer Periode, die als Aufschwung gepriesen wird. Diesen Widerspruch deutete Lagarde in Davos an. Sie sagte dass die Steuersenkungen möglicherweise zu „ernsten Risiken“ und „Auswirkungen auf die finanzielle Verwundbarkeit“ führen könnten. Wenn der Staat mehr Geld leiht, kann das wiederum zu höheren Zinsen führen, und ein steigendes Haushaltsdefizit verringert die Fähigkeit der FED (der amerikanischen „Zentralbank“, Anm.), bei einer nächsten Rezession Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Protektionismus
Eine weitere Quelle großer Instabilität für den globalen Kapitalismus sind wachsende Spannungen über Handelsbarrieren und Subventionen. In einer Welt, in der die Wirtschaft international verstrickter ist als je zuvor, hat Trumps Rhetorik von „Amerika first“ die Angst vor einer möglichen Spirale in einen Abgrund protektionistischer Maßnahmen erzeugt. Es ist nicht so, als ob der Abbau von Barrieren vor Trumps Amtszeit reibungslos verlaufen wäre. Insgesamt sehen wir gegenläufige Trends zur Globalisierung. Die Welthandelsorganisation (WTO) hat seit ihrer Gründung im Jahr 1995 kein einziges multilaterales Handelsabkommen autorisiert.
Der US-Handelsminister hat in Davos einen kleinen Sturm ausgelöst, als er sagte, dass die USA bereits in „Handelskriegen“ stecke. Trump hat das rasch zurückgenommen und hat bisher auch nur begrenzte protektionistische Maßnahmen umgesetzt. Jüngst führte er Zölle auf importierte Waschmaschinen und Solarzellen ein doch den Kurs der Vorgängerregierung hat er damit nicht wirklich verändert. Die Drohung von Strafzöllen von 292 Prozent auf Bombardier-Flugzeuge wurden von einem US-amerikanischen Schiedsgericht abgelehnt. Anstatt sich aus dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) zurück zu ziehen verhandelt es Trump lieber neu und sprach sogar von einer möglichen Wiederaufnahme der Transpazifischen Partnerschaft (TPP).
Ein großer Teil der amerikanischen und der ArbeiterInnenklasse weltweit steht den diversen kapitalistischen Handelsabkommen und -regeln (NAFTA, jener der EU-Staaten, das geplante TPP, die losere WHO und viele anderen) zurecht feindselig gegenüber: Denn diese sind ganz auf die Bedürfnisse der Großkonzerne zugeschnitten. Von den ArchitektInnen dieser Vertragswerke wird es als notwendiges Opfer gesehen, wenn es in ganzen Regionen oder Branchen zu massivem Jobabbau kommt. Es ist genau diese Feindseligkeit, auf die Trump sich stützte, um gewählt zu werden. Aber wenn es um die Realität des „Isolationismus“ in den USA geht, trifft er auf eine Reihe von Faktoren, die dem entgegen stehen. Als frühere Regierungen Zölle auf Stahl- und Reifenimporte in die USA auferlegten, führten die steigenden Preise für diese Waren unterm Strich zum Verlust von Jobs in den USA – doch Trump behauptet, er würde Jobs schaffen. Und wenn andere Regierungen dann ihrerseits mit Handelshemmnissen zurückschlagen, leiden wiederum die US-Exporte.
Trump ist allerdings durchaus unkalkulierbar und handelt nicht immer so, wie es für den US-Kapitalismus am besten wäre. Er setzte auf Rechtspopulismus um Unterstützung aufzubauen und könnte in manchen Fällen auch trotz des Widerstands von Konzernen an seinen Aussagen festhalten. Aber letztlich können weder Protektionismus noch der Abbau von Handelsbarrieren die Probleme der USA und anderer kapitalistischer Mächte in einer Welt mit begrenzter Nachfrage lösen.
Eine Ironie ist, dass das Handelsdefizit der USA im ersten Jahr von Trump um zwölf Prozent gestiegen ist und jenes mit China ein Rekordniveau erreicht hat. Zwischen den USA und China haben die Spannungen in Handels- und anderen Fragen zugenommen, bis hin zu einem Kräftemessen mit militärische Manövern und Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer. 2016 machten die US-Exporte nur zwölf Prozent des Welthandelsvolumens aus, während China mit 17 Prozent den international höchsten Anteil verzeichnet. Chinas 900 Milliarden Dollar schwere „Belt and Road Initiative“ (auch als neue Seidenstraße bekannt, Anm. d. Ü.) soll diesen Anteil noch erhöhen und will entlang von Land- und See-Korridoren sechzig Prozent der Weltbevölkerung erreichen.
Die wirtschaftliche Entwicklung dieses riesigen Landes wurde jedoch durch eine massive Kreditaufnahme vorangetrieben und ist mit tiefgreifenden Problemen behaftet. Das offizielle Wachstum hat sich gegenüber dem Vorjahr leicht auf 6,9 Prozent verbessert, liegt aber deutlich unter dem Durchschnitt der letzten 25 Jahre von über 9 Prozent. China verfügt über riesige finanzielle Möglichkeiten die es nutzen kann, um in seine Wirtschaft einzugreifen, und der größte Teil seines Bankensystems ist in staatlichem Eigentum und unter staatlicher Kontrolle. Aber das enorme Ausmaß der Ungleichgewichte, einschließlich eines immensen Schattenbankensektors und eines Schuldenbergs der wie eine Zeitbombe tickt, sind akute und tiefgreifende Probleme. Das Regime muss darauf reagieren und gleichzeitig sowohl das Wachstum aufrecht erhalten als auch versuchen, soziale Unruhen zu verhindern.
Eine weitere Quelle für große Spannungen zwischen den Weltmächten sind Fragen der Währungskurse und damit zusammenhängend des Handels. Trump beeilte sich auch, einen weiteren Vertreter in Davos zu korrigieren, diesmal seinen Finanzminister Steve Mnuchin, der erklärt hatte, dass ein schwächerer Dollar gut für den US-Handel sei. Seit dem Amtsantritt von Trump ist der US-Dollar gegenüber dem Euro um 14 Prozent gefallen. Das hilft den US-Exporten. Aber nachdem die führenden Volkswirtschaften – nach einer Serie von Abwertungen in Folge des QE‘s – einen neuen Wettlauf von Währungsabwertungen befürchteten, hatten sie sich vergangenen Oktober geeinigt, nicht auf Abwertungen zu setzen.
Wird sich die Krise wiederholen?
Die Zyklen der kapitalistischen Ökonomien sind heute so unvermeidlich, wie im 19. Jahrhundert als Marx sie analysierte; Die Basis des Systems hat sich nicht geändert. Die nächste Rezession wird kommen – die einzige Frage ist, wie tief sie sein wird. Viele kapitalistische ÖkonomInnen sagen, dass sich 2007-8 nicht wiederholen wird, weil die Regierungen Veränderungen bei den Finanzinstitutionen erzwungen haben – zum Beispiel, dass die Banken mehr Kapital, mehr Eigenmittel halten müssen. „Aber das Kapital fließt immer noch frei um die Welt; die Ungleichgewichte bei den Leistungsbilanzen zwischen den Ländern sind so gewaltig wie immer; Finanzderivate bleiben sowohl undurchschaubar als auch gefährlich“, betonte der Wirtschaftsredakteur von Sky, Ed Conway (Times, 11. August 2017).
Der US-amerikanische Dodd-Frank-Act von 2010 wurde als Instrument gepriesen, um eine neuerliche Krise abzuwenden. Aber solche begrenzten Maßnahmen sind nicht dazu in der Lage – zumal sie nicht einmal alle umgesetzt wurden. Das kapitalistische System mit seinen Märkten ist in seinen Fundamenten und in seinen Prinzipien auf Profite ausgelegt und weitgehend chaotisch und ungeplant. Keine Regulierungsmaßnahmen, auch keine weitergehenden sind auf dieser Basis in der Lage, Krisen dauerhaft zu beseitigen.
Alle grundlegenden Ursachen bleiben bestehen. Die gegenwärtige wirtschaftliche Erholung basiert auf neuen Blasen und Schulden. Nicht nur Aktien sind stark überbewertet, sondern auch Anleihen. Der Kolumnist des Guardian, Larry Elliot, urteilt folgendermaßen: „Tiefe strukturelle Probleme – die übermäßige Abhängigkeit von Schulden um den Konsum anzukurbeln, ein verlorenes Jahrzehnt bezüglich des Wachstums der Produktivität, wachsende Einkommensungleichheit – all das ist nicht verschwunden sondern ist bestenfalls durch einen starken zyklischen Aufschwung verschleiert“. (8. Januar 2018)
Abgesehen von den wirtschaftlichen Schwächen, die bereits vor 2007 entstanden sind, und den vielen politischen, potenziellen Quellen für Instabilität gibt es auch neue finanzielle Quellen für Instabilität. Von nicht geringer Bedeutung sind dabei die unvorhersehbaren Folgen, wenn die Maßnahmen, die zur Belebung der Wirtschaft unternommen wurden, nun beendet oder abgeschwächt werden. Der Crash von 2007 wurde durch den US-Markt für Subprime-Hypotheken ausgelöst, und seitdem ist es zu einer allgemeinen Verschiebung von Bankkrediten zu Unternehmensanleihen gekommen. Das führt zu verschiedenen Krisenpunkten, wenn die Zinsen stiegen. Auf jeden Fall haben die Banken noch jede Menge Leichen im Keller (also faule Kredite) – zum Beispiel haben Banken in der Eurozone fast 800 Milliarden Euro an faulen Krediten, die zum großen Teil von italienischen Banken gehalten werden.
Kein zukünftiger Abschwung wird eine exakte Wiederholung eines vorherigen sein und es ist unmöglich, die spezifischen Auslöser, den Zeitpunkt und die Tiefe vorherzusagen. Aber alle Fakten deuten darauf hin, dass eine Krise vom Ausmaß wie 2007/8 oder noch schlimmer möglich ist. Das ist ein Armutszeugnis für den Kapitalismus.
Stagnation und Krisen
Ein ähnlich vernichtendes Zeugnis ist die fehlende Aussicht auf ein gesundes Wachstum. Stattdessen steht die Menschheit einem fragilen Wirtschaftswachstum oder einer Stagnation gegenüber, die von wiederholten Krisen durchsetzt ist. Die kapitalistischen Mächte werden weit stumpfere Werkzeuge haben, um der nächsten großen Krise zu begegnen. Angesichts der Schwäche ihrer Volkswirtschaften können sie zum Beispiel nicht vor einer Krise die Zinsen auf ein sehr hohes Niveau bringen um sie dann deutlich zu senken, um so starke Anreize zu schaffen. Sie können zusätzliche Geldmittel in die Wirtschaft pumpen doch würde das die Schuldenstände noch weiter anheben und damit noch mehr Ungleichgewichte und Instabilität bringen.
Darüber hinaus könnte die Zusammenarbeit zwischen den Weltmächten, auf deren Basis nach 2007 Geld und damit Liquidität in das Finanzsystem gepumpt wurde, beim nächsten Mal weniger weitgehend sein, da die Spannungen und Konflikte zwischen ihnen zunehmen. Ihr Mangel an Lösungen hat seine Ursache in der langfristigen Krise eines Systems, das seine ursprüngliche historische Mission, nämlich die Produktivkräfte zu entwickeln, nicht mehr erfüllen kann. Da die kapitalistischen Klassen nicht in der Lage sind, Arbeitslosigkeit, Armut, Krieg und Umweltverschmutzung zu beenden, konzentrieren sie sich in parasitärer Weise darauf, kurzfristig viel herauszuholen und nicht längerfristig etwas aufzubauen und zu entwickeln.
Ihr System basiert auf Produktion mit dem Ziel, Profit zu machen und nicht, um Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Es stößt auf systemimmanente Widersprüche: Grenzen der Kaufkraft der ausgebeuteten Mehrheit; eine generelle Tendenz auch über die Zyklen hinweg, dass die Profitrate durch Mechanisierung und Automatisierung zurückgeht; und der Gegensatz zwischen Globalisierung und Nationalstaaten.
Die Beschränkungen der Kaufkraft werden durch die Erfahrung Japans deutlich: seit drei Jahrzehnten wird hier versucht, die Inlandsnachfrage anzukurbeln. Premierminister Shinzo Abe appellierte jüngst sogar an Firmenchefs, die Löhne in diesem Frühjahr um drei Prozent zu erhöhen, um die Nachfrage zu steigern und eine Deflation abzuwenden. In der Praxis wird es allerdings schwer sein, UnternehmerInnen zu finden, die bereit sind die Löhne “ihrer” Beschäftigten zu erhöhen um dem Kapitalismus als Ganzem zu helfen. Höhere Löhne müssen durch entschlossene gewerkschaftliche Aktivitäten erkämpft werden.
Natürlich waren die zehn Jahre seit der Krise viel mehr als nur Wirtschaftsgeschichte. In Bezug auf das Aufkommen des Rechtspopulismus schrieb Wolf deprimiert: „Die zunehmende Ungleichheit könnte das Ende der Demokratie bringen … letztlich“. (Financial Times, 19. Dezember 2017) Nein, weit wahrscheinlicher ist eine Entwicklung, die ein Ende für Kürzungspolitik und Ungleichheit bedeutet. Dieses Jahrzehnt hat eine deutliche Unterstützung für PolitikerInnen gebracht, die genau das befürworten: Bernie Sanders wurde der populärste Politiker in den USA, Jeremy Corbyn hat der Labour Party in Britannien Stimmen und Unterstützung gebracht, Syriza erhielt (vor ihrem Verrat) 36 Prozent bei den griechischen Parlamentswahlen, der Aufstieg von Podemos in ganz Spanien, Jean-Luc Mélenchon der in Frankreich sieben Millionen Stimmen erhielt und andere Beispiele. Die Brexit-Abstimmung und die Wahl von Trump waren letztlich der Ausdruck der Empörung über die Polarisierung des Reichtums und dann des Versagens der Kräfte, die gegen Kürzungspolitik sind, der linken Kräfte, eine echte Alternative anzubieten.
Diese und viele weitere Entwicklungen waren und sind die politischen Folgen der Krise von 2007/8. In der Folge gab es ein gewisses Warten unter ArbeiterInnen und in der Mittelschicht darauf, dass sich das Blatt wendet und der verlorene Lebensstandard wiederhergestellt werden konnte. Wenn die Erkenntnis wächst, dass genau das für die Wenigsten eintreten wird und dass die jungen Generationen keine bessere Zukunft erwarten können als frühere Generationen, dann wird das Interesse an sozialistischen Ideen als einzige Alternative wachsen. Die Jugend in den USA zeigt die Richtung an. Eine Meinungsumfrage im letzten November zeigte, dass mehr „Millennials“ (nach 1980 Geborene, Anm. d. Ü.) Sozialismus unterstützen als Kapitalismus. Wenn neue sozialistische Massenparteien entstehen, die in der ArbeiterInnenklasse und in den Gewerkschaften verwurzelt sind, und wenn sie mutig Programme aufstellen, die das bis ins Mark verfaulte kapitalistische System hinwegfegen können, werden sie eine enorme Anziehungskraft entwickeln.
Judy Beishon ist Mitglied im Internationalen Sekretariat des Komitees für eine Arbeiterinternationale und der Leitung der Socialist Party in England und Wales.