Die Obrigkeit feiert sich selbst – Aber 1500 halten dagegen!
Am 10. Mai erhielt der französische Präsident Emmanuel Macron in Aachen den Karlspreis. Jedes Jahr wird mit ihm ein anderer Vertreter der Elite für seine Verdienste für die Reichen und Mächtigen ausgezeichnet.
von Aleksandra Setsumei und Marcus Hesse, Aachen
Die Verleihung wurde von einem Protest des Anti-Atom-Bündnisses und einer antikapitalistischen Kundgebung begleitet. Besonders ersterer war groß und mit seinen gelben Schildern und Regenschirmen unübersehbar.
Zweifelhafter Preis für zweifelhafte Persönlichkeiten
Der internationale Karlspreis wird jedes Jahr Menschen oder Institutionen verliehen, die sich „um Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben“ – so die offizielle Begründung. In Wirklichkeit wird der Preis jedes Jahr an diejenigen vergeben, die sich dem europäischen Kapital verdient gemacht haben.
Bereits die Tatsache, dass der Preis nach Karl dem Großen benannt ist, dessen Politik der europäischen Einigung aus blutigen Eroberungen und Verfolgung von Andersgläubigen bestand, spricht für sich. In diese Tradition, nämlich die der Politik für Reiche und Mächtige, reihen sich die EmpfängerInnen dieser Auszeichnung ein: Kriegstreiber wie US-Präsident Bill Clinton oder Ex-US-Außenminister und Vietnam-Kriegsverbrecher Henry Kissinger, Ex-NATO-Generalsekretär Javier Solana, Helmut Kohl oder in den letzten Jahren Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, die durch das Vorantreiben der europäischen Austerität für die Verarmung und soziale Katastrophe in Südeuropa mitverantwortlich sind, und der ukrainische Ministerpräsident Arsenji Jazenjuk, der eine Koalition mit Faschisten angeführt hat. Letzterer war zwar nicht Preisträger, aber durfte 2014 – auf dem Höhepunkt des blutigen Bürgerkriegs in der Ukraine – dort eine Laudatio auf den Preisträger halten.
In der Entscheidung für besonders reaktionäre, neoliberale und militaristische Preisträger zeigt das Karlpreiskuratorium Jahr für Jahr seine politische Agenda. So wurden Clinton und Blair erklärtermaßen für ihr „Engagement“ im Kosovo-Krieg ausgezeichnet. Auch in Deutschland weniger bekannte Politiker stehen für eine klare, gegen die Interessen der Mehrheitsbevölkerung gerichtete Politik: So trägt Dalia Grybauskaite, die Preisträgerin von 2013, den Spitznamen „litauische Maggie Thatcher“. Der Preisträger Macron bekommt die Auszeichnung gerade in einer Zeit, in der er in Syrien aktiv Krieg führt und in der sich die Massen in Frankreich mit politischen Streiks und Massenprotesten gegen seine Politik wehren. Alleine das ist eine politische Kampfansage und ein Ausdruck von Überheblichkeit der Herrschenden.
Aufrüstung und europäische Einigung von oben
Dieses Jahr wird Macron als europäischer Einiger ausgezeichnet. In den Medien wird er oft als „weltoffen“ präsentiert, weil er als Gegenkandidat zur rechtspopulistischen und nationalistischen Marine Le Pen angetreten ist und für mehr Zusammenarbeit in der Europäischen Union geworben hat. Doch auch seine Politik ist eine Politik gegen die große Mehrheit der Menschen in Europa. Seine Vorschläge bezüglich der EU dienen nicht der Vereinigung der in Europa lebenden Menschen, sondern der in der EU herrschenden Politik.
So heißt „europäische Einigung“ für Macron mehr repressive Zusammenarbeit. Er wünscht sich eine europäische Polizei, eine europäische Terrorbekämpfung und engere militärische Kooperation. Bereits im November 2017 wurde auf Initiative Deutschlands und Frankreichs das Projekt PESCO (Permanent Structured Cooperation, deutsch Ständige Strukturierte Zusammenarbeit) gestartet. Es geht darum, gemeinsame militärische Projekte zu forcieren, Kosten für Operationen zu teilen, sich gegenseitig in der Cyberdefence zu unterstützen und Weiteres. Die Zusammenarbeit geht mit einer gemeinsamen Aufrüstung einher. So verpflichten sich alle 25 Staaten, die beim PESCO mitmachen, ihre nationalen Verteidigungsbudgets regelmäßig zu steigern und an mindestens einem großen Rüstungsprojekt teilzunehmen.
Doch Macron legt nach – so schlägt er vor, eine gemeinsame europäische Interventionstruppe zu bilden, die auf der Basis eines gemeinsamen Verteidigungsbudgets und einer gemeinsamen Einsatzdoktrin arbeitet. Der Hintergrund des Vorschlages ist verständlich – mit der vereinigten militärischen Stärke und besserer Ausstattung können EU-Staaten besser ihre wirtschaftlichen Interessen nach Außen vertreten. Konsequenterweise hat Macron Frankreichs Rüstungshaushalt massiv angehoben.
Auch andere Vorschläge Macrons, wie der eines europäischen Finanzministers, zielen darauf ab, aus Europa eine „starke weltweite Wirtschaftsmacht“ zu machen. Der Preis dafür sind die Leiden der europäischen Bevölkerung verursacht durch neoliberale Maßnahmen, die Europa wettbewerbsfähig machen sollen.
Macron ist also ein besonders aggressiver Vertreter militaristischer und undemokratischer Politik.
Die etablierten Medien haben besonders betont, dass Macron in seiner Rede Merkel und Deutschlands Führung in der EU kritisiert habe. Manche konstruieren daraus, dass Macron für eine andere Politik stünde. Das ist natürlich Unsinn. Doch die im Rahmen einer solchen Preisverleihung tatsächlich eher ungewöhnlich scharfe Töne gegenüber der Lobrednerin zeigen eher etwas Anderes: Dass unter der stets beschworenen Einheit innerhalb der EU eine subtile Konkurrenz der Großmächte lodert. Frankreich ist aus Sicht seiner herrschenden Klasse im globalen und innereuropäischen Wettbewerb ins Hintertreffen gegenüber Deutschland geraten, das seit der Agenda 2010 mit niedrigen Lohnkosten und guten Profitbedingungen den europäischen Binnenmarkt mit Exporten überschwemmt. Macrons Politik im Inneren, besonders seine Arbeitsmarktreform, stehen für den Versuch, diesen Rückstand aufzuholen.
Macrons Innenpolitik – Sozialkahlschlag und Klassenkampf von oben
Immerhin kann man Macron nicht den Vorwurf machen, vor seiner Wahl zum Präsidenten sein Programm verschwiegen zu haben. Das vermeintlich „kleinere Übel gegen Le Pen“ trat mit dem Ziel an, Frankreich ein umfassendes neoliberales Reformprogramm aufzudrücken. Dies orientiert sich am Vorbild der deutschen Agenda 2010. Eckpunkte dieses Programms sind Arbeitsmarktreformen, die Prekarisierung vorantreiben und die Rechte von Beschäftigten und Gewerkschaften beschränken. Bei dem verschuldeten Staatsbahnunternehmen SNCF soll den Beschäftigten der beamtenähnliche Status genommen werden, was Personalabbau alle Tore öffnet. Vorbild ist auch hier wieder die Bahnprivatisierung in Deutschland oder Großbritannien. Die Bahnbeschäftigten wehren sich dagegen mit Streiks. Kern des Programms ist das (den Namen des Karlspreisträgers selbst tragende „Loi Macron“) eine umfassende Arbeitsmarktreform: Der Kündigungsschutz soll gelockert, und die 35 Stunden-Woche geschleift werden. Einschnitte bei der Arbeitslosenversicherung und Rente sind geplant.
Innenpolitisch setzt Macron auf Demokratieabbau und Repression. Besonders brutal ging die Polizei gegen UmweltschützerInnen vor, die eine Flugplatzbaustelle bei Paris besetzt hielten. Der vermeintliche Rechtspopulismusbekämpfer ließ Wohnsiedlungen von Roma mit Polizei umstellen und ordnete Massenabschiebungen an. Zwar ist der noch aus den Zeiten von Macrons Vorgänger Hollande stammende und zunächst von Macron fortgesetzte Ausnahmezustand inzwischen offiziell aufgehoben – doch die repressive Linie bleibt.
Gegen diese ganze Politik setzt sich die französische Arbeiterklasse und Jugend zur Wehr. In den letzten Wochen gab es politische Massenstreiks bei der Bahn, in Raffinerien, Krankenhäusern, Schulen und Unis. Umfragen zufolge lehnt inzwischen eine Mehrheit der FranzösInnen Macrons Politik ab und bezeichnet ihn als zurecht als einen „Präsident der Reichen“ oder „umgekehrten Robin Hood“. Das liegt sicher auch daran, dass Macron bei aller angeblichen „Sparpolitik“ die Steuern für Konzerne und Superreiche gesenkt hat. Wenige Präsidenten in Frankreich waren schon nach einem Jahr im Amt so unpopulär.
Nur wenige Tage vor der Karlspreisverleihung erlebte Frankreich eine massive Streikwelle, die große Teile des Landes lahmlegte. In Paris demonstrierten am 5. Mai 40.000 Menschen gegen Macrons Politik. Weitere Proteste und Streiks sind geplant.
Protest in Aachen – so groß wie lange nicht mehr
Karlspreisverleihungen ziehen traditionell Proteste mit sich. Doch dieses Jahr waren sie besonders groß. Der Grund dafür war vor allem die Mobilisierung des Aachener Anti-AKW-Bündnisses. Macron ist nämlich Aktionär des Energiekonzerns Electrabel, dem die belgischen Schrottereaktoren von Tihange und Doel gehören. Die Anti-AKW-AktivistInnen waren mit ihren Sprechchören, Gesängen und gelben Schildern sowie Regenschirmen und durch ihre schiere Masse von 1000 Menschen unverkennbar und sehr laut. Damit übertrafen sie bei Weitem die Zahl der Karlspreisfans. Linke Gruppen wie SAV, LINKE, Linksjugend [’solid], SDS und DKP bildeten da einen etwas kleineren Block. Zusammen waren circa 1500 Menschen auf dem Platz – überwiegend kritische DemonstrantInnen. Die sich selbst feiernden Eliten und diejenigen, die ihnen zujubeln wollten, blieben deutlich in der Minderheit. Die Stadtoberen ignorierten in ihrer Arroganz und Überheblichkeit den breiten Protest – sogar Oberbürgermeister Marcel Philipp, der sich ja sonst immer in der Öffentlichkeit als lauter Fürsprecher einer sofortigen Abschaltung des AKW Tihange verkauft.
Mit unseren in deutscher und französischer Sprache beschriebenen Schildern fokussierten wir Macrons neoliberale Politik und zeigten Solidarität mit der sich wehrenden Arbeiterklasse und Jugend in Frankreich. Andere Gruppen, wie das Aachener Anti-Kriegs-Bündnis, zielten vornehmlich auf Macrons Kriegspolitik. Etwas schade war, dass die Bereiche Anti-Atomkraft, Frieden und Soziales von Gruppen eher parallel und kaum miteinander kombiniert thematisiert wurden.
Der Marktplatz war wie bei jeder Karlspreisverleihung massiv polizeilich gesichert. Die Polizei unterzog alle TeilnehmerInnen des Protestes einer Kontrolle und tastete sie ab. Auf den Dächern waren vermummte Scharfschützen positioniert. Trotz dieser Schikanen ließ die Polizei dieses Mal die Protestierenden innerhalb eines durch Hamburger Gitter abgesperrten Bereiches auf den Platz, sogar so weit dass sie die vorbei stolzierenden Politiker, Großunternehmer, Kirchenfürsten und Monarchen aus nächster Nähe ausbuhen konnten. Diese Relative Toleranz ist eine Reaktion auf eine siegreich geendete gerichtliche Klage von AktivistInnen gegen das totale Unterbinden der Versammlungsfreiheit 2015.
Bemerkenswert war, dass das Lager der Macron-ZujublerInnen dieses Mal organisiert und durch blauen Banner, EU-Fahnen und blaue Luftballons gut sichtbar war. Aktive der Kampagne „Pulse Of Europe“ (PoE) hatten mobilisiert, um für Macron und EU-Europa zu demonstrieren und zu klatschen. Sie brachten auch gut 200 Menschen zusammen. Inhaltlich hatten sie natürlich nichts an Argumenten aufzubringen. Dazu verteilten sie, quasi als Aktion der gelebten Realsatire, als „Macrönchen“ bezeichnetes abgepacktes Gebäck an die Leute.
Am Rande der Kundgebung gab es vereinzelt Diskussionen zwischen ihnen und den Anti-Karlspreis-DemonstrantInnen. Konkreter Kritik an Atomkraft, neoliberalen Reformen, Aufrüstung, dem Kriegseinsatz in Syrien oder Frontex konterten die Angehörigen des „Blauen Blocks“ von PoE nur mit dem Satz, dass Macron ja „für Europa“ stünde und Kritik an „Europa“ (gleich EU) egal mit welchem Inhalt nationalistisch sei.
„Pulse of Europe“, die immer noch mit einer gewissen Regelmäßigkeit einige hundert Menschen mobilisieren können, hat sich in seiner Jubelaktion sehr deutlich als neoliberal ausgerichtete, strockbürgerliche Bewegung gezeigt, an der nichts auch nur ansatzweise progressiv ist. Dies ist umso bedeutender zu betonen, weil es ja auch in den Reihen der LINKEN und im „Neuen Deutschland“ Debatten über eine mögliche Zusammenarbeit mit „Pulse of Europe“ gab und teilweise noch gibt, wobei man PoE eine zumindest anti-rechte Stoßrichtung andichtet.
Am frühen Nachmittag fand eine weitere, politisch sehr gute aber eher kleine Protestkundgebung auf dem Campus der RWTH statt, wo Macron am Nachmittag eine Rede vor Studierenden hielt. Sie war vornehmlich vom autonomen und linksradikalen Spektrum organisiert, schlug aber inhaltlich und politisch einen großen Bogen. Man wandte sich explizit an die Studierenden, die in einer langen Schlange vor dem Saal mit dem Redner anstanden.
In mehreren Reden, gehalten unter anderem von einem Vertreter des SDS, wurde Macrons gesamte Politik einer umfassenden Kritik unterzogen. Ein anwesender Polizist der daneben stand, schrieb fleißig mit und gab Namen der verschiedenen RednerInnen und ihrer Organisationen per Funk weiter.
Macron muss weg! Der Karlspreis auch!
Als Fazit kann man sagen, dass der Protest ein großer Erfolg war. Es gelang vor allem der lokalen Anti-Atomkraft-Bewegung, aber auch der Linken und Friedensbewegung insgesamt, der widerlichen Feierveranstaltung der Obrigkeit etwas Kritik entgegenzusetzen. Diese Kritik war tatsächlich lautstark und unübersehbar.
Die Mehrheit der Aachenerinnen und Aachener hat für diese Feier der Oberen Zehntausend nichts übrig. Die politische Linke täte gut daran, das offensiver zu propagieren. Es ist nicht so, dass Macron, Merkel, Clinton, Solana und wie sie alle heißen, die „falschen“ Leute für den Preis sind. Viel mehr ist der Karlspreis an sich eine Schande und gehört abgeschafft. Genauso wie die Politik des Neoliberalismus, Sozialkahlschlags, des Krieges und des Demokratieabbaus, für die er steht. Die aktuellen Proteste in Frankreich zeigen beispielhaft, welche Wirkung politische Streiks und Massenbewegungen haben können. Macrons politisches Horrorprogramm kann gestoppt werden. Doch das kann nur ein weltweit inspirierender Anfang sein für noch viel mehr…