Rote Ostern gab es in diesem Jahr wieder in Berlin bei den von der SAV organisierten Sozialismustagen. Bis zu 500 TeilnehmerInnen diskutierten auf über 35 verschiedenen Veranstaltung über Themen, die von Marx bis zum Bedingungslosen Grundeinkommen, von den Kämpfen in den Krankenhäusern bis zur Novemberrevolution, von der Zukunft der Partei DIE LINKE bis zur Frage, wie Prostitution zu bekämpfen ist, reichten.
Von den Stühlen riss es die ZuhörerInnen am Samstag Abend, als die sozialistische Stadträtin aus der US-Metropole Seattle, Kshama Sawant, ihre ergreifende Rede beendet hatte, in der sie darlegte, weshalb die Trump-Präsidentschaft, trotz der großen von ihr ausgehenden Gefahr, keinen Rechtsruck der US-Gesellschaft widerspiegelt, sondern im Gegenteil die vielen Massenmobilisierungen und das sich verändernde Bewusstsein unter vielen ArbeiterInnen und Jugendlichen große Chancen für den Aufbau einer sozialistischen Linken darstellen. Es war Sawants erster Auftritt in Deutschland, den ein Linkspartei-Mitglied auf facebook mit dem Satz kommentierte: „Ich glaub ich bin verknallt. Sie ist sooo klasse!“
Die Beteiligung internationaler Gäste ist ein Markenzeichen der jährlich stattfindenden Sozialismustage. In diesem Jahr waren Borja Latorre Campos (ehemaliger Generalsekretär der katalanischen SchülerInnengewerkschaft), Clare Doyle (Internationales Sekretariat des Komitees für eine Arbeiterinternationale), Sonja Grusch (Bundessprecherin der Sozialistischen LinksPartei aus Österreich), Igor Iasine (LGBTIQ-Aktivist und Vorstandsmitglied der unabhängigen Journalistengewerkschaft) und Sinéad Daly (Vorstandsmitglied
der Socialist Party Scotland) eingeladene RednerInnen. Außerdem waren TeilnehmerInnen aus Polen, der Tschechischen Republik, Österreich, Schottland, dem Spanischen Staat, England und Schweden angereist. Diese machten die Sozialismustage zu einem greifbar internationalistischen Wochenende.
Für sozialistische Demokratie
Auf der Auftaktveranstaltung standen die Themen Repression und Demokratieabbau im Mittelpunkt. Unter dem Motto „Rebellion gegen Repression. Demokratie geht nur sozialistisch“ wurde unter anderem über den Aufstieg der FPÖ in Österreich, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, die Trump-Präsidentschaft und die Unterdrückung der LGBTIQ-Gemeinschaft in Russland gesprochen. Auch der mittlerweile in Deutschland Asyl beantragende schwule russisch-usbekische Journalist Ali Feruz sprach am Samstag in einer Veranstaltung über seine Erfahrungen in monatelanger russischer Abschiebehaft und den Kampf für die Rechte von LGBTIQ-Menschen. Eine Videobotschaft hatte Ferat Ali Kocak an die Sozialismustage gesendet. Er ist Aktivist des prokurdischen HDK und der LINKEN in Berlin-Neukölln und war vor einigen Wochen Opfer eines faschistischen Brandanschlags geworden.
Der SAV-Bundessprecher Sascha Staničić betonte in seiner Abschlussrede der Auftaktveranstaltung, dass die Bundesrepublik unter der neuen Großen Koalition rassistischer, undemokratischer und militaristischer werde und rief unter anderem zur Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden auf. Tenor des Abends war, dass die Klassenwidersprüche der kapitalistischen Gesellschaft Demokratieabbau und staatliche Repression zwangsläufig nach sich ziehen und eine Demokratie, die den Namen verdient, die Überwindung der kapitalistischen Profitwirtschaft zur Voraussetzung hat.
Neben Einführungsveranstaltungen in marxistischer Theorie und Geschichte und internationalen Themen, waren der Kampf um mehr Personal in den Krankenhäusern und Debatten zur Situation der Linkspartei ein Schwerpunkt des Wochenende.
Auf einem Vernetzungstreffen für Beschäftigte und Aktive aus dem Gesundheitswesen wurde unter anderem ein Zeitungsprojekt besprochen, dass „von KollegInnen für KollegInnen“ den Erfahrungsaustausch unter Aktiven in dem Bereich fördern und linke Positionen in die innergewerkschaftlichen Debatten tragen soll.
DIE LINKE
Alle Themen, die zur Zeit in der Partei DIE LINKE kontrovers diskutiert werden, wurden auch auf kontrovers besetzten Podien auf den Sozialismustagen debattiert. So diskutierten Ianka Pigors (SAV), Lena Kreck (Mitautorin des „linken“ Gesetzentwurfs für ein Einwanderungsgesetz) und Ali Al-Dailami (LINKE Parteivorstand) über die Fragen von Migration und Einwanderungsgesetz; Olaf Michael Ostertag (BAG Bedingungsloses Grundeinkommen) und Sebastian Rave (SAV) debattierten über Für und Wider des Bedingungslosen Grundeinkommens. Der Parteivorsitzende Bernd Riexinger debattierte mit Lucy Redler (SAV-Bundessprecherin und LINKE Parteivorstand) und Carsten Becker (Sprecher der ver.di Betriebsgruppe an der Charité) über die Frage, wie DIE LINKE eine „klassenbasierte Massenpartei“ werden kann. Neben einem gewissen Maß an Einigkeit über die Notwendigkeit einer stärkeren Orientierung der Partei auf gewerkschaftliche und soziale Kämpfe, kamen in dieser Debatte auch die Differenzen zum Beispiel in der Frage der Beteiligung an Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen auf den Tisch. Carsten Becker betonte, dass die Glaubwürdigkeit der Partei weiterhin unter den Entscheidungen von Landesregierungen mit LINKE-Beteiligung, wie der Ausgliederung des Servicebereichs an der Charité, leide und forderte eine „authentische und konsequente“ Haltung. Lucy Redler warnte unter großem Applaus vor dem von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine vorgeschlagenen Kurs in der Migrationspolitik und auch Bernd Riexinger betonte, dass es keine Aufweichung der Position in dieser Frage geben darf. Zu einer weiteren Debatte zum Thema Regierungsbeteiligung in Thüringen hatte der dortige Staatssekretär Benjamin Hoff seine Teilnahme aus privaten Gründen kurzfristig abgesagt, so dass dort mit Johanna Scheringer-Wright (Landtagsabgeordnete in Thüringen und Mitglied der Kommunistischen Plattform) und Steve Hollasky (SAV Dresden) zwei GegnerInnen der Koalitionspolitik miteinander debattierten.
Highlights
Weitere Highlights des Wochenendes waren sicher die Veranstaltungen mit dem Theaterregisseur Volker Lösch (zu „Theater der Partizipation“ und zum Kampf gegen Rechts), mit der marxistischen Feministin Frigga Haug zu „Frauen in der ’68er Bewegung“, mit Manuela Schon (Buchautorin) und Sinéad Daly zum Thema Prostitution und mit Mareice Kaiser (Buchautorin und Bloggerin), Margit Glasow (Inklusionsbeauftragte der LINKEN) und Guido Schönian (GEW Köln) zum Thema „Was tun gegen Diskriminierung von
Menschen mit Behinderungen?“ Hier kamen auch Betroffene zu Wort, die den Wunsch äußerten, dass in der LINKEN und der SAV ein größeres Augenmerk auf das Thema Inklusion und Barrierefreiheit gelegt wird.
Junge Auszubildende debattierten in einem Workshop die Frage, wie bessere Ausbildungsbedingungen erkämpft werden können und der marxistische Ökonom und Verkehrsexperte Winfried Wolf diskutierte mit der gewerkschaftspolitischen Sprecherin der SAV, Angelika Teweleit, die Situation in der Autoindustrie.
Den Abschluss bildete eine Ehrung von Karl Marx zu seinem 200. Geburtstag im Mai, die dem Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus gefallen hätte. AktivistInnen aus verschiedenen Bewegungen und Kshama Sawant sprachen zur Bedeutung marxistischer Ideen für ihre Kämpfe. Stephan Gummert, ver.di-Streikaktivist der letzten Jahre an der Charité, betonte die Bedeutung, die marxistische Ideen für ihn und andere GewerkschafterInnen bei der Organisierung ihrer Kämpfe hatten. Vanessa Diener aus Kassel berichtete vom Schülerinnen- und Schülerstreik im Dezember letzten Jahres
und betonte die Bedeutung der Verbindung von Jugend- und Arbeiterkämpfen. Sarah Moayeri, Aktivistin in der linksjugend [’solid] sprach über die Wichtigkeit marxistischer Ideen beim Kampf gegen Rassismus und Frauenunterdrückung. Roter Faden dieser Veranstaltung war die Notwendigkeit der Einheit der Arbeiterklasse im Kampf für eine bessere Gesellschaft.
Die Sozialismustage waren nicht nur ein Erfolg, sondern eine begeisternde und motivierende Veranstaltung. Sie sind auch Ausdruck der Fortschritte, die die SAV in den letzten Jahren dabei gemacht, ihre Organisation zu stärken, auszudehnen (viele TeilnehmerInnen kamen aus den neuen SAV-Gruppen in München, Lemgo, Mainz, Hannover) und ihren Einfluss in der LINKEN, der linksjugend [’solid] und sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen zu vergrößern. Zwölf TeilnehmerInnen wollen SAV-Mitglied werden und dutzende weitere die Diskussion mit der SAV fortsetzen. Die Sozialismustage waren, wie Sascha Staničić in Replik auf die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung angekündigten „Aussteigerprogramme für Linksextremisten“ ein Einsteigerprogramm für „antikapitalistische AktivistInnen“. Ostern 2019 sollte sich jedenfalls jetzt schon im Terminkalender rot angestrichen werden.
Artikel zu den Sozialismustagen in der Tageszeitung „Neues Deutschland“ hier klicken.