Vorbemerkung: Dieses Interview wurde vor der Verhaftung des katalanischen Exil-Politikers Carles Puigdemont in Schleswig-Holstein und den Massenprotesten der letzten Tage, die diese ausgelöst hatte, geführt. Die SAV fordert die sofortige Freilassung von Puigdemont, dessen Verhaftung Teil der Repression gegen die berechtigten Unabhängigkeitsbestrebungen des katalanischen Volkes sind. Mehr zum Thema findet sich in diesem Artikel.
Interview mit Borja Latorre Campos
Wie ist die Stimmung unter jungen Menschen in Bezug auf den Kampf für die Unabhängigkeit Kataloniens?
Ein sehr großer Teil der katalanischen Jugend ist für eine Katalanische Republik, weil sie sich von deren Errichtung die Abschaffung der Monarchie, der Repression und der antidemokratischen Angriffe des Spanischen Staates sowie die Rücknahme der Verschlechterungen der Arbeits- und Sozialgesetzgebung versprechen.
Welche Rolle spielen Jugendliche in der Bewegung?
Sowohl StudentInnen als auch junge ArbeiterInnen haben bei den Mobilisierungen und Streiks eine entscheidende Rolle gespielt. Auch am 1. Oktober selbst waren sie sehr aktiv. Ihre Entschlossenheit und Kampfbereitschaft war einer der Schlüssel zum Sieg, der trotz der brutalen Gewalt der staatlichen Repressionsorgane am Tag des Referendums errungen wurde.
Welche Aktivitäten organisierte dabei die SchülerInnen- und Studierendengewerkschaft Sindicato de Estudiantes?
Wir haben große Mobilisierungen von September bis November angestoßen. Und schon davor hatten wir Vollversammlungen unserer Mitglieder und SympathisantInnen organisiert, um jeden Schritt zu diskutieren – dadurch konnten wir unseren Einfluss kontinuierlich steigern.
Als erstes initiierten wir mit unserem Aufruf den Schülerstreik vom 28. September, weil uns klar war, dass der Spanische Staat das Referendum vom 1. Oktober nicht erlauben würde und darum eine massenhafte Mobilisierung zur Erhöhung des Drucks notwendig sein würde, um das Selbstbestimmungsrecht zu verteidigen und die Abstimmung vorzubereiten. An der Streikdemo am 28.9. nahmen mehr als 150.000 SchülerInnen teil und brachten auf den Straßen von Barcelona ihren Willen zum Ausdruck, das ungerechte Gesetz zu missachten und das Wahlrecht auszuüben.
Am Tag nach dem Referendum riefen wir zu einem kombinierten Schul- und Unistreik auf, um uns dem historischen Generalstreik am 3. Oktober anzuschließen. Das wirtschaftliche Leben Kataloniens kam zum Erliegen und wir alle nahmen an der größten Demonstration seiner Geschichte teil. Drei Wochen darauf riefen wir zu einem zweitägigen Schülerstreik am 25./26. Oktober auf, um deutlich zu machen, dass wir SchülerInnen nicht nachgeben werden. Wieder gab es eine beeindruckende Beteiligung mit zehntausenden auf den in vier katalanischen Städten organisierten Demos.
Außerdem riefen wir zu einem weiteren Schülerstreik am 8. November auf, dem Tag des nächsten Generalstreiks, und stießen die Demonstration des 11. Novembers an, die fast zwei Millionen Menschen auf die Straße brachte.
Als Sindicato de Estudiantes sind wir überzeugt, dass der Kampf auf der Straße der einzige Weg ist, die Bourgeoisie (sowohl die spanische als auch die katalanische) und ihren Repressionsapparat zu besiegen, der die Bewegung des katalanischen Volkes für einen Wandel zerquetschen will und damit nicht zuletzt allen unterdrückten spanischen und europäischen Völkern eine Warnung geben will, sich nicht gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen.
Würde denn die Unabhängigkeit die Probleme der katalanischen Jugend lösen? Welche Forderungen stellt Ihr auf?
Sowohl das Sindicato de Estudiantes als auch Izquierda Revolucionaria (Revolutionäre Linke, die SAV-Schwesterorganisation im Spanischen Staat, AdÜ) nehmen an der Massenbewegung für eine Katalanische Republik teil. Ein durch Massenmobilisierungen erzielter Sieg würde auch die sozialen Kämpfe vieler anderer Völker ermutigen und die Bildung einer breiten internationalen Bewegung gegen ungerechte Gesetze und für ein Ende der Kürzungspolitik befeuern.
Eine Unabhängigkeit Kataloniens auf kapitalistischer Grundlage würde aber weder die Lebensbedingungen der Jugend noch diejenigen der Mehrheit der Bevölkerung allgemein verbessern. Nötig ist eine sozialistische Katalanische Republik, um die Macht der Reichen zu brechen. Tatsächlich kann eine wirkliche Unabhängigkeit Kataloniens nur erreicht werden durch eine Massenbewegung, die die Grenzen des Kapitalismus sprengt und mittels eines revolutionären sozialistischen Programms, gestützt auf die Jugend und die Arbeiterklasse, solch eine Republik errichtet. Beide zusammen sind in der Lage, die Verwaltung und die wichtigsten Unternehmen, die Infrastruktur und die Logistikzentren zu leiten. Damit würden sie gleichzeitig eine internationalistische Botschaft an die übrigen unterdrückten Völker senden, ihre Kämpfe ebenfalls auszuweiten und nicht zuletzt die zu erwartenden Boykottversuche der Kapitalisten gegenüber einer Katalanischen Republik zunichtezumachen.
Wir haben aktuell folgende Forderungen:
Weg mit dem Artikel 155 der spanischen Verfassung, der die Autonomie Kataloniens zunichtegemacht hat
Freiheit für die politischen Gefangenen und Schluss mit politischer Verfolgung
Abzug der aus anderen Teilen des spanisches Staates zur Unterdrückung demokratischer Rechte geschickten Polizeieinheiten
Die politische Linke, Gewerkschaften und soziale Bündnisse und Bewegungen müssen einen strategischen Kampfplan ausarbeiten, der auch Streiks und Demonstrationen beinhaltet, denn um siegen zu können, müssen wir die Straße zurückgewinnen
Für eine Katalanische Republik des Volkes und der ArbeiterInnen. Für ein Katalonien, das mit den Kürzungen und den Zwangsräumungen aufhört. Schluss mit den für ArbeiterInnen schädlichen Verschlechterungen der Arbeitsgesetze. Für ein sozialistisches Katalonien, das die Banken und die Schlüsselsektoren der Wirtschaft verstaatlicht, um einen Sozialplan aufzustellen, der die Armut beendet und die sozialen Bedürfnisse aller erfüllt. Für ein sozialistisches Katalonien in Bruderschaft mit den spanischen und europäischen Völkern. Für eine sozialistische spanische Republik auf der Basis einer freien und freiwilligen Union derjenigen Völker, welche derzeit im Staatsgebiet leben.